European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0010OB00225.75.1105.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß, der insoweit als die Entscheidung des Erstgerichtes in Ansehung eines Teilbegehrens von S 50.000,‑‑ samt 4 % Zinsen seit 30. April 1974 (Schmerzengeld) und des Feststellungsbegehrens aufgehoben und dem Erstgericht die Verfahrensfortsetzung aufgetragen wurde, als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird im übrigen, somit hinsichtlich des weiteren Teilbegehrens von S 50.000,‑‑ (Schmerzengeld) und S 40.000,‑‑ (Entschädigung für Verhinderung besseren Fortkommens) samt 4 % Zinsen seit 30. April 1974 dahin abgeändert, daß in diesem Umfang die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die Kosten des Revisionsrekurses sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Begründung:
Der am *1960 geborene Kläger kam am 14. Dezember 1971 im Duschraum der Volksschule B*, zum Sturz und erlitt dabei schwere Verletzungen. Der Direktor der Volksschule B*, J* wurde deshalb mit Urteil des Bezirksgerichtes Melk vom 20. November 1972, 1 U 2400/72‑10, zu einer Geldstrafe in Höhe von S 1.000,‑‑ im Nichteinbringungsfall einer Woche Arrest verurteilt, weil er eine im Duschraum der Volksschule heruntergefallene und beschädigte Waschmuschel dort liegen ließ, wodurch es geschehen konnte, daß sich der Schüler F* an dieser Muschel dem Grade nach schwer verletzt. Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.
Mit der zu 1 a Cg 369/73 des Kreisgerichtes St. Pölten gegen J* erhobenen Klage begehrte der Kläger für 16 Tage starke Schmerzen, 25 Tage mittelstarke Schmerzen und drei Monate geringgradige Schmerzen und weitere Unfallsfolgen ein Schmerzengeld von S 40.000,‑‑. Er führte weiters aus, daß er, abgesehen von diesen physischen Schmerzen durch die tatsächlich eingetretene Invalidität und die gegebene Bewegungseinschränkung auch psychische Schmerzen erleide, da er nicht wie früher ungetrübt sportlichen und sonstigen körperlichen Betätigungen nachgehen könne. Durch diesen Umstand sei er seelisch belastet, zeitweise bedrückt, er ermüde rascher und hinke beim Gehen. Zur Abgeltung dieser Schmerzen werde ein Betrag von S 10.000,‑‑ begehrt. Vorprozessuale Kosten in Höhe von S 7.306,77 würden im Rahmen der Kostennote geltend gemacht werden.
Mit Rücksicht auf die gegebenen Dauerfolgen wurde auch ein Feststellungsbegehren gestellt. Am 19. Juni 1973 trat Ruhen des Verfahrens ein.
Mit dem an das Amt der NÖ. Landesregierung gerichteten Schreiben vom 29. April 1974 begehrte der Kläger die Anerkennung eines Schadensbetrages von S 50.000,--, wobei er im einzelnen auf die gegen J* überreichte, in Ablichtung angeschlossene Klage verwies, ferner die Anerkennung der Ersatzpflicht für künftige aus dem Unfall vom 14. Dezember 1971 entstehende Schäden, die Bezahlung vorprozessualer Kosten in Höhe von S 7.306,77 sowie der Kosten des Aufforderungsschreibens in Höhe von S 1.000,--. Mit Schreiben des Amtes der NÖ. Landesregierung vom 5. Juli 1974, GZ. I/AV.4O5‑I‑1974, wurde dem Klagevertreter mitgeteilt, daß der Aufforderung auf Anerkennung eines Schadenersatzanspruches weder dem Grunde noch der Höhe nach nähergetreten werden könne.
In der am 16. Dezember 1974 überreichten Amtshaftungsklage begehrt der Kläger ein Schmerzengeld von S 100.000,‑‑ sowie gestützt auf § 1326 ABGB einen weiteren Betrag von S 40.000,‑‑, weil er durch die erlittenen Verletzungen in seinem besseren Fortkommen benachteiligt und in der äußeren Erscheinung beeinträchtigt sei. Weiters wurde die Feststellung begehrt, daß die beklagte Partei für alle aus dem Unfall vom 14. Dezember 1971 entstehenden Schäden ersatzpflichtig sei. Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen und brachte vor, daß der Rechtsweg für den geltend gemachten Anspruch insoweit unzulässig sei, als der Anspruch nicht bereits im Aufforderungsverfahren geltend gemacht wurde. Der Kläger erwiderte, daß der Anspruch von der NÖ. Landesregierung dem Grunde nach abgelehnt worden sei, sodaß die Differenz der Höhe zu dem im Aufforderungsschreiben geltend gemachten Anspruch nicht von Bedeutung sein könne.
Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück, weil das Aufforderungsschreiben nicht an den gemäß § 37 der NÖ. Landesverfassung zur Vertretung des Landes Niederösterreich berufenen Landeshauptmann, sondern an das Amt der Landesregierung gerichtet worden sei. Auch die Ablehnung des Amtshaftungsanspruches sei nicht durch den Landeshauptmann, sondern durch den Präsidialvorstand des Amtes der NÖ. Landesregierung erfolgt.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers Folge. Es hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf. Im einzelnen führte es aus, die Rechtsansicht, das Aufforderungsschreiben gemäß § 8 AHG hätte an den Landeshauptmann von Niederösterreich gerichtet werden müssen, sei unrichtig. Es bestimme zwar Art. 105 Abs. 1 BVG, daß der Landeshauptmann das Land vertrete, womit die Regelung des Art. 37 Abs. 1 erster Halbsatz des Niederösterreichischen Landesverfassungsgesetzes übereinstimme. Diese Bestimmung könne aber sinnvoll nicht so verstanden werden, daß alle – schriftlichen und mündlichen – Erklärungen dem Lande gegenüber nur an die Person des Landeshauptmannes abgegeben werden können und daß allein der Landeshauptmann – und sonst niemand – für das Land verbindlich handeln könne. Es dürfe auch nicht übersehen werden, daß § 8 AHG nur von der Aufforderung des Rechtsträgers schlechthin spreche, während erst die Verordnung vom 1. Februar 1949, BGBl. Nr. 45, für den Bund ein passives Aufforderungsmonopol der Finanzprokuratur festgelegt habe. Im Amtshaftungsgesetz fehle auch jede etwa dem § 106 Abs. 1 ZPO ähnliche Regelung, wonach Zustellungen an juristische Personen nur in bestimmter Weise, z. B. an Personen, die mit Postvollmacht ausgestattet seien, erfolgen könne. Die Ämter der Landesregierung seien Hilfsorgan des Landeshauptmannes und der Landesregierung. Mangels einer besonderen Norm, daß Aufforderungsschreiben nach § 8 AHG nur an eine bestimmte Stelle oder Person zu richten seien, genüge daher der Eingang eines solchen Schreibens beim Amte der Landesregierung. Was die weitere Ansicht des Erstgerichtes betreffe, der geltend gemachte Anspruch sei nicht wirksam abgelehnt worden, so komme dem schon deshalb keine Berechtigung zu, weil in einem solchen Fall jedenfalls die Frist gemäß § 8 zweiter Satz AHG abgelaufen gewesen wäre. Was nun aber den Inhalt des Aufforderungsschreibens betreffe, so werde darin hinsichtlich des Schadensbetrages von S 50.000,‑‑ auf die Klage gegen das Organ (J*) verwiesen. Das Feststellungsbegehren finde sich bereits inhaltlich im Aufforderungsschreiben selbst. Es wäre jedoch verfehlt daraus ableiten zu wollen, daß der Rechtsweg nur hinsichtlich des Leistungsbegehrens bis zum Betrage von S 50.000,‑‑ (laut Aufforderungsschreiben) und des Feststellungsbegehrens offen stehe. Der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu dieser Frage könne nur insoweit beigepflichtet werden, als jeder qualitativ andere Anspruch einem Aufforderungsverfahren zu unterziehen sei. Gleiches hingegen könne dann nicht gelten, wo ein dem Grunde nach unveränderter Anspruch im Aufforderungsverfahren geltendgemacht, seine Anerkennung dem Grunde nach verweigert und sodann der Anspruch bloß der Höhe nach ohne jede Qualitätsänderung ausgedehnt werde. Handle es sich nämlich um ein und denselben Anspruch dem Grunde nach, so seien verschiedene Entscheidungen dahin, der geringere ersteingeklagte Anspruch sei unbegründet, der höhere ausgedehnte aber begründet, logisch undenkbar. Die Ansicht § 8 AHG sei eine strenge Formalvorschrift, könne nur als petitio principii bezeichnet werden. Es könne auch nicht übersehen werden, daß § 1 Abs. 2 der Verordnung, BGBl. 1949/45, zwar die genaue Bezifferung des Anspruches in der Anmeldung vorsehe, daß diesem Erfordernis jedoch bei Feststellungsansprüchen keinesfalls entsprochen werden könne. Prüfe man das vorliegende Aufforderungsschreiben und die Klage, so sei zu erkennen, daß aus ein und derselben Verletzung Schmerzengeldansprüche abgeleitet werden, die im Aufforderungsverfahren auch wesentlich genauer detailliert seien als in der Klage. Daneben werde für psychische Schmerzen ein Anspruch nach § 1326 ABGB erhoben, beide Ansprüche würden in der Klage nur der Höhe nach verändert, ohne daß irgendeine Sachverhaltsänderung behauptet werde. Demzufolge sei aber die gesamte Klagsführung durch das Aufforderungsverfahren gedeckt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Revisionsrekurs der beklagten Partei, womit die Entscheidung insoweit angefochten wird, als die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges über einen Betrag von S 50.000,-- und das mit S 50.000,‑‑ bewertete Feststellungsbegehren hinaus verworfen, der Zurückweisungsbeschluß des Erstgerichtes (in diesem Umfang) aufgehoben und dem Erstgericht die Verfahrensfortsetzung aufgetragen wurde. Es wird der Rekursantrag gestellt, den angefochtenen Beschluß insoweit aufzuheben bzw. abzuändern, daß der erstgerichtliche Beschluß hinsichtlich des S 50.000,-- übersteigenden Teils des Leistungsbegehrens wiederhergestellt werde.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichtes zwar formell aufhebend, in Wahrheit aber abändernd ist (vgl. Fasching, IV, 442, ZBl 1926 Nr. 162, GlUNF 1751 u. a.).
Das Rechtsmittel ist aber auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Auszugehen ist von der Bestimmung des § 8 AHG, wonach der Geschädigte zunächst den Rechtsträger gegen den er den Ersatzanspruch geltend machen will, zur Anerkennung des Ersatzanspruches schriftlich aufzufordern hat. Nur wenn dem Geschädigten binnen drei Monaten nach Einlangen dieser Aufforderung keine Erklärung des Rechtsträgers über das Begehren zukommt oder wenn dieser innerhalb der Frist den Ersatz ganz oder nur zum Teil verweigert, kann jener Ersatzanspruch durch Klage gegen den Rechtsträger geltend machen. Der Zweck dieser Bestimmung liegt zunächst darin, den Rechtsträger in die Lage zu versetzen, den Ersatzanspruch im eigenen Bereich zu prüfen und eine Sichtung der wirklich strittigen Rechtsfälle zu ermöglichen (Bericht und Antrag des Ausschusses für Verwaltungsreform zum Amtshaftungsgesetz, 515 der Beil. zu den sten. Prot. d. NR. V GP. bei Loebenstein-Kaniak, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz, 166; SZ 34/48, SZ 43/78). Vergleicht man nun den Inhalt des Aufforderungsschreibens mit der Amtshaftungsklage, so begehrte der Kläger im Aufforderungsschreiben einen Betrag von S 50.000,‑‑ , wobei er hinsichtlich des Rechtsgrundes auf die gegen J* beim Kreisgericht St. Pölten überreichte Klage verwies. Dort wurde aber (neben dem Feststellungsbegehren) lediglich ein Anspruch auf Schmerzengeld in der vorgenannten Höhe geltend gemacht, das freilich betragsmäßig in einen Teilbetrag für physische Schmerzen (S 40.000,‑‑) und psychische Schmerzen (S 10.000,‑‑) auf gegliedert wurde. Es kann hingegen der Klage nicht entnommen werden, daß der Betrag von S 10.000,‑‑ als Entschädigung für die Verhinderung besseren Fortkommens begehrt werde. Damit wurde aber hinsichtlich des nunmehr für die Verhinderung besseren Fortkommens begehrten Schadenersatzbetrages von S 40.000,‑‑ dem Rechtsträger eine Prüfung im Aufforderungsverfahren überhaupt unmöglich gemacht. Aber auch hinsichtlich des Schmerzengeldes selbst kann der Ansicht des Rekursgerichtes nicht beigepflichtet werden. Nach ständiger Rechtsprechung stellt nämlich die Aufforderung an den Rechtsträger auch einen Formalakt dar, ohne dessen Einhaltung der Rechtsweg unzulässig ist (Fasching, I, 67, Petschek-Stagel, Der österr. Zivilprozeß, 435, Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht, 301 EvBl. 1963/105, SZ 23/68, 349, JBl 1964, 569, SZ 43/78 und SZ 44/122, 1 Ob 107/72, 1 Ob 54/74). Im Hinblick auf die Bedeutung des Aufforderungsverfahrens, das erst den Rechtsweg eröffnet, muß eine genaue Bezifferung des Anspruchs gefordert werden. Solange und insoweit eine solche Aufforderung nicht ergangen ist, dürfen sich die Gerichte mit Ansprüchen eines Klägers in der Sache selbst gar nicht befassen. Die vom Rekursgericht vorgenommene Beurteilung, daß die beklagte Partei überhaupt keinen Wert darauf legen könne, erweiterte Ansprüche der Höhe nach zu prüfen, wenn ein Anspruch ohnehin dem Grunde nach abgelehnt wird, kann vom Gericht vor Erfüllung der Voraussetzungen des § 8 AHG gar nicht getroffen werden. Der Umstand, daß Feststellungsansprüche, die sich auf erst künftig fällig werdende Forderungen beziehen, nicht beziffert werden können, bildet kein Argument dafür, daß Ansprüche, die an sich bezifferbar sind, nicht beziffert werden müssen. Es kann daher auch daraus, daß Ersatzansprüche gemäß § 1 Abs. 2 der Verordnung BGBl 1949/45 genau zu beziffern sind, Feststellungsansprüche aber nicht beziffert werden können, kein Argument gegen die herrschende Rechtsprechung gewonnen werden.
Der Oberste Gerichtshof findet daher keine Veranlassung von seiner ständigen Rechtsprechung abzugehen. Da im Aufforderungsschreiben neben dem Feststellungsbegehren lediglich ein Begehren auf Leistung von Schmerzengeld in Höhe von S 50.000 erhoben wurde, liegt hinsichtlich des in der Amtshaftungsklage geltend gemachten weiteren Anspruchs auf Schmerzengeld in Höhe von S 50.000,‑‑ und des neu geltend gemachten Anspruchs gemäß § 1326 ABGB in Höhe von S 40.000,‑‑ Unzulässigkeit des Rechtsweges vor. In diesem Umfang war daher die Entscheidung des Erstrichters wiederherzustellen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)