European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:0010OB00216.11P.1124.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Die Beklagte baute im Jahr 2006 in der Wohnhausanlage, in der die im Jahr 2001 geborene Klägerin etwa im Jahr 2007 mit ihren Eltern eine Wohnung bezog, einen Personenaufzug ein. Anfangs benutzte die Klägerin gemeinsam mit ihrer Mutter den Personenaufzug; nach rund zehn gemeinsamen Fahrten fuhr sie auch alleine.
Am 4. 7. 2009 benutzte die Klägerin, die den Hund der Familie mit sich führte, alleine den Personenaufzug. Sie wollte in den dritten Stock fahren und hielt die Hundeleine in der Hand, wobei das eine Ende der Leine außerhalb der Liftkabine verblieb. Als sich der Lift in Bewegung setzte, blieb die aus dem Fahrkorb ragende Hundeleine hängen, wodurch es zu einem Festzurren der Leine um den rechten Daumen der Klägerin kam. Dadurch wurde der Klägerin der Daumen bis zum Grundgelenk ausgerissen. Ein größerer Teil der Hundeleine (Karabiner) hatte sich zwischen Schacht und Fahrkorb am feststehenden Teil des Aufzugschachts verhängt, während die Kabine die Fahrt aufwärts aufnahm. Die dabei aufgetretene Kraft wirkte „auf die Hundeleine unfallverursachend“.
Der Schließmechanismus der Aufzugsanlage entspricht den technischen Regeln des Aufzugsbaus sowohl zum Zeitpunkt der Errichtung als auch zum Zeitpunkt des Unfalls. Der Auslösungsmechanismus des Lichtvorhangs war voll funktionsfähig. Die Hundeleine mit einer Breite von ca 8 bis 15 mm und einer Dicke von ca 3,35 mm wurde durch das vorhandene Sensorsystem (Lichtvorhang) des Fahrstuhls nicht erkannt. Die Leine war zu klein und zu dünn für den Lichtstrahl der Diode. Der Lichtfaden im gegenständlichen Lift steht über dem Stand der Technik im Aufzugsbau; derzeit gibt es keine besseren Sicherheitsvorrichtungen. Beim Lift handelt es sich um ein System, das mehr als den erforderlichen Stand der Technik im Aufzugsbau bietet.
Im Jahr 2006 war die Verwirklichung eines dem Unfall zu Grunde liegenden Risikos nicht absehbar oder erkennbar. Die ÖNORM EN 81‑1, 1998 (gültig bis 2010), die darauf abzielt, Körper oder Körperteile des Liftbenutzers vor Einklemmungen zu schützen, schreibt das Anbringen von Hinweisschildern oder Warnhinweisen für Hundebesitzer oder Minderjährige nicht vor. Ein solcher Bedarf besteht nicht, zumal die Sicherheitsvorkehrungen sehr weit fortgeschritten und groß sind.
Die Klägerin begehrte, unter anderem gestützt auf das PHG,von der Beklagten die Zahlung von 25.000 EUR sA (Schmerzengeld 20.000 EUR und Verunstaltungsentschädigung 5.000 EUR) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es verneinte ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz ‑ einen Instruktionsfehler im Sinn des § 5 PHG. Der idealtypische Benutzer eines Personenaufzugs in einer Wohnanlage könne nicht erwarten, dass die Sicherheitsvorkehrungen uneingeschränkt und ausnahmslos jeden (noch so kleinen) Gegenstand als Störfaktor wahrnehmen und das automatische Öffnen der Lifttüre nach sich ziehen. Einem Durchschnittsbenutzer sei vielmehr bewusst, dass technischerseits kein 100%iger, unbeschränkter und bedingungsloser Schutz geboten werden könne. Es entspreche der allgemeinen Erfahrung, dass bei Benutzung eines Personenaufzugs durch ein minderjähriges Kind oder mit einem Hund ein erhöhtes Gefahrenpotenzial bestehe. Aufgrund der hohen Sicherheitsstandards sei das Anbringen derartiger Hinweis‑ bzw Warnschilder entbehrlich.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es schloss sich den rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts zur Instruktionspflicht an und ergänzte, dass die Eigenart einer selbstschließenden Türe „jedem allgemein“ bekannt sei. Auch einem durchschnittlichen Benutzer der am wenigsten informierten Benutzergruppe sei bekannt, dass im Umgang mit selbstschließenden Türen eine gewisse Vorsicht geboten sei und nicht jeder auch noch so kleine Gegenstand zum automatischen Wiederöffnen der Türe führe. Es müsse nicht gesondert darauf hingewiesen werden, dass beim Benutzen eines Personenaufzugs Vorsicht geboten sei. Die Forderung nach konkreten Warnhinweisen für sämtliche erdenkliche Gefahrenquellen (Hundeleine, mögliches Einklemmen eines Kleidungsstücks etc) widerspreche dem Gedanken der Eigenverantwortung von Produktbenutzern. Aufgrund des herabgesetzten Schutzinstinkts von Kindern bringe (nahezu) jede Benutzung eines Produkts eine gewisse Gefahr mit sich. Daher bestehe auch ein gewisses Gefahrenpotenzial, wenn ein Kind einen Personenaufzug benutze. Dieses erhöhte Gefahrenpotenzial könne nicht generell dazu führen, dass bei jedem Produkt darauf hingewiesen werde müsse, dass die Benutzung durch Kinder mit (irgendwelchen) Gefahren verbunden sei. Deren Eltern seien nur auf besondere/außergewöhnliche Gefahren hinzuweisen. Aufgrund des nunmehr herrschenden hohen technischen Sicherheitsstandards gehe von einem neuen ‑ der ÖNORM EN 81‑1 entsprechenden ‑ Personenaufzug keine besondere Gefahr aus. Ein Warnhinweis, dass die Benutzung der Liftanlage durch Minderjährige gefährlich sei, habe nicht angebracht werden müssen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Rechtsfrage, inwieweit schon die bloß mögliche Benutzung eines Produkts durch Kinder besondere Instruktionen erforderlich mache, eine höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin erhobene ordentliche Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig:
Bei einem Instruktionsfehler ‑ nur ein solcher kommt hier in Betracht und wird von der Klägerin in der Revision releviert ‑ macht die unzureichende Darbietung das Produkt im Sinn des § 5 PHG fehlerhaft. Zu den Instruktionspflichten des Herstellers gehört es, den Benutzer auf gefährliche Eigenschaften des Produkts hinzuweisen und ihn unter Umständen selbst vor widmungswidrigem Gebrauch zu warnen. Die Pflicht zur Warnung vor gefährlichen Eigenschaften des Produkts besteht aber nur bei einem Schutzbedürfnis des Verbrauchers. Ein solches ist nur dann gegeben, wenn der Hersteller/Importeur damit rechnen muss, dass ein Produkt in die Hände von Personen gerät, die mit den Produktgefahren nicht vertraut sind. Beurteilungsmaßstab ist dabei der Idealtypus des durchschnittlichen Produktbenutzers. Inhalt und Umfang der Instruktionen sind dabei nach der am wenigsten informierten und damit gefährdetsten Benutzergruppe auszurichten. Was im Erfahrungswissen eines solchen (potentiellen) Benutzers liegt, muss nicht zum Inhalt einer Warnung gemacht werden. Die Erwartungen eines Produktbenutzers von der Sicherheit eines Produkts sind nur berechtigt, wenn er seinerseits den Anforderungen an seine Eigenverantwortung gerecht wird (7 Ob 245/02h mwN = ecolex 2003/199, 515 [ Rabl ] uva). Für unvorhersehbare oder geradezu absurde Gebrauchsarten hat der Hersteller nicht einzustehen, wohl aber für ein sozialübliches Verhalten (RIS‑Justiz RS0107610). Ob die maßgeblichen Sicherheitserwartungen im Einzelfall erfüllt sind, ist ‑ ausgenommen den Fall einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung ‑ keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0107610 [T10]). Ob derartige Instruktionen erforderlich sind, entscheidet sich ‑ auch betreffend minderjährige Produktbenutzer (9 Ob 109/03z; 1 Ob 62/11s) ‑ regelmäßig nach der Kasuistik des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0071543 [T4]).
Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen liegt hier nicht vor. Die Beurteilung, dass aufgrund des hohen technischen Sicherheitsstandards vom Personenaufzug, für den es kein besseres Lichtvorhangsystem gibt, keine besondere Gefahr für die Klägerin ausgegangen sei und Hinweis‑ oder Warnschilder hinsichtlich sämtlich erdenklicher, vermeintlicher Gefahrenquellen nicht angebracht werden müssten, ist genauso vertretbar wie der daraus gezogene Schluss, dass demnach eine Instruktion durch die Beklagte nicht erforderlich war. Ein Warnhinweis an die Klägerin, dass kein Gegenstand in die selbstschließenden Türen des Personenaufzugs gelangen soll, bzw an ihre Eltern, dass das Alleinfahren von Kindern gefährlich sein kann, würde nur darüber informieren, was im Bereich allgemeiner Erfahrung der genannten Benutzer liegt.
Die Argumentation der Klägerin mit der Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 5. 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG ist schon deshalb nicht zielführend, weil diese Richtlinie zu dem für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit des Produkts maßgeblichen Zeitpunkt des Inverkehrbringens im Jahr 2006 (7 Ob 49/01h = SZ 74/62; 1 Ob 62/11s; RIS‑Justiz RS0107605 [T5 und T15]) von den Mitgliedstaaten noch nicht umzusetzen und anzuwenden war (Art 26 Abs 1 der RL).
Gemäß § 6 Abs 1 der im Jahr 2006 anzuwendenden Aufzüge‑Sicherheitsverordnung 1996, BGBl 1996/780, hatten Aufzüge den im Anhang 1 angeführten grundlegenden Sicherheitsanforderungen zu entsprechen, wobei nach Punkt 1.1. dieses Anhangs die grundlegende Anforderung gemäß § 14 bis § 17 MSV (Maschinen‑Sicherheitsverordnung, BGBl 1994/306) auf jeden Fall galt. Gemäß § 15 Abs 1 Z 4 MSV musste der Hersteller auf Restgefahren, die trotz der ergriffenen Schutzmaßnahmen nicht beseitigt werden können, hinweisen, nach Abs 2 unter anderem beim Ausarbeiten der Betriebsanleitung auch nach vernünftigem Ermessen zu erwartende anderweitige Verwendungen in Betracht ziehen und gemäß Abs 3 dieser Bestimmung in der Betriebsanleitung auf sachwidrige Verwendungen, die erfahrungsgemäß vorkommen können, besonders hinweisen. Eine Verletzung dieser Hinweispflicht liegt aber nicht vor, steht doch fest, dass im Jahr 2006 die Verwirklichung des dem Unfall der Klägerin zu Grunde liegenden Risikos nicht absehbar oder erkennbar war.
Zusammenfassend vermag die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen, weshalb ihr keine Kosten zustehen (RIS‑Justiz RS0035962; RS0035979).
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