European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120392
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
II. Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 667,84 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Beim Landesgericht Wels wurde gegen den Kläger die Voruntersuchung wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 3 und 148 zweiter Fall StGB, teilweise als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB geführt. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe in der Zeit von 1994 bis Mai 1997 an verschiedenen Orten Österreichs, der tschechischen und der slowakischen Republik sowie in Polen als Geschäftsführer der I* GmbH und als Gründungsgesellschafter der I* s.r.o. und der I* S.p.z.o.o. im Zusammenwirken mit gesondert verfolgten Personen zur betrügerischen Initiierung bzw Förderung des Lottosystems „* – Das intelligentere Lotto“ dadurch mitgewirkt bzw beigetragen, dass er von Spielteilnehmern in mehrstelliger Millionenhöhe eingezahlte Einlagebeträge entgegen den Zusagen an die Kunden nur zu einem geringen Teil in das staatliche Lottospiel des jeweiligen Landes eingesetzt, zum größten Teil jedoch über ein Firmengeflecht im In‑ und Ausland verteilt und in Form von Provisionen und Gewinnausschüttungen an die verdächtigen (Mit‑)Täter und sich selbst ausbezahlt habe.
Der Kläger befand sich ab 22. 5. 1997 in Spanien in Auslieferungshaft und nach seiner Auslieferung vom 3. 3. 1999 bis 6. 8. 1999 aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 6. 8. 1999 wurde die über ihn verhängte Untersuchungshaft unter Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 180 Abs 5 StPO aF aufgehoben. Die gelinderen Mittel waren das Gelöbnis, nicht zu flüchten und keinen Versuch zu unternehmen, die Untersuchungshandlungen zu vereiteln, die Weisungen, in Österreich Wohnung zu nehmen und die Wohnungsnahme durch Vorlage eines Meldezettels binnen acht Tagen unaufgefordert nachzuweisen, ohne Genehmigung des Gerichts den Wohnort nicht zu wechseln, einer 14‑tägigen Meldepflicht bei der jeweils zuständigen Polizei‑ bzw Gendarmeriedienststelle, mit den Mitbeschuldigten keinen Kontakt aufzunehmen, einer geregelten Arbeit nachzugehen oder sich als arbeitssuchend zu melden, die vorübergehende Abnahme der Reisepapiere und die Leistung einer Sicherheit nach den Bestimmungen der §§ 190 ff StPO aF, wobei die Höhe der Sicherheitsleistung mit 250.000 S festgesetzt wurde. Noch am Tag der Haftverhandlung gab der Bruder des Klägers eine Bürgschaftserklärung über 250.000 S ab, sodass der Kläger am 6. 8. 1999 enthaftet wurde.
Am 10. 5. 2001 beantragte der Kläger die Ausfolgung des abgenommenen Reisepasses, worauf mit Beschluss des Landesgerichts Wels vom 29. 5. 2001 unter Beibehaltung der übrigen Weisungen und Gelöbnisse das gelindere Mittel der vorübergehenden Abnahme der Reisepapiere gemäß § 180 Abs 5 Z 5 StPO aF mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Wels aufgehoben wurde.
Mit Beschluss des Landesgerichts Wels vom 14. 1. 1999 wurde die am 15. 4. 1997 eingeleitete Voruntersuchung im Strafverfahren gegen einen weiteren Beschuldigten wegen §§ 146 ff StGB gemäß § 111 StPO aF geschlossen und das Verfahren gegen den Kläger mit Beschluss vom 19. 1. 1999 gemäß § 57 StPO (in der Fassung vor BGBl I 2004/19) zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen ausgeschieden. Die Voruntersuchung gegen den Kläger wurde am 12. 4. 2002 gemäß § 111 StPO aF geschlossen und der Akt der Staatsanwaltschaft Wels zur weiteren Antragstellung übermittelt. Weitere Anträge im Verfahren betreffend den Kläger wurden bis zum Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes mit 1. 1. 2008 von der Staatsanwaltschaft Wels nicht gestellt.
Am 2. 4. 2010 stellte die Staatsanwaltschaft Wels gemäß § 192 Abs 1 Z 1 StPO das Verfahren unter anderem gegen den Kläger im Umfang der Vorwürfe, durch Betreibung des Systemspiels „E*“ auch außerhalb Österreichs (insbesondere in Tschechien, der Slowakei und Polen) zahlreiche Personen betrogen und geschädigt zu haben, unter Vorbehalt späterer Verfolgung ein und erhob gegen ihn eine Anklage wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs als unmittelbarer Täter nach den §§ 146, 147 Abs 2 und 3, 148 zweiter Fall StGB.
Mit seinem Einspruch gegen die Anklageschrift beantragte der Kläger die Einstellung des Verfahrens, in eventu die Zurückweisung der Anklageschrift bzw die Zuweisung an das zuständige Gericht. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 28. 2. 2011 wurde dem Einspruch Folge gegeben und die Anklageschrift nach § 215 Abs 3 iVm § 212 Z 3 StPO zurückgewiesen.
Nach einer abschließenden Einvernahme des Klägers und ohne weitere Erhebungen stellte die Staatsanwaltschaft Wels am 13. 10. 2011 das Strafverfahren gegen ihn gemäß § 190 Z 2 StPO ein.
Über Antrag des Klägers beschloss das Landesgericht Wels am 10. 9. 2012, dass ihm für die Zeit seiner strafgerichtlichen Anhaltung ein Ersatzanspruch nach § 2 Abs 1 „Z 2“ (richtig: lit b) StEG 1969 zustehe.
Im Frühjahr 1992 hatte der Kläger seinen Wohnsitz von L* nach P* verlegt. Er mietete in P* eine Wohnung, später ein Haus und lebte in einer Lebensgemeinschaft. Er erlernte die tschechische Sprache und konnte sich ab 1994, 1995 gut auf Tschechisch verständigen. Im Frühjahr 1992 bereitete er die Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Tschechien vor und gründete im Sommer 1992 eine „GmbH“ („společnost s ručením omezeným“, kurz „s.r.o.“). Er war deren Alleingesellschafter und ‑geschäftsführer und zahlte die Stammeinlage von 100.000 CZK ein. Unternehmensgegenstand waren laut Handelsregister der Kauf von Waren zwecks Weiterverkauf und Verkauf, Beratungstätigkeit auf dem Handelssektor und Vermittlungstätigkeit auf dem Handels‑ und Dienstleistungssektor. Der Geschäftszweig des Handels mit Waren aller Art erstreckte sich unter anderem auf den Handel mit Baustoffen. Der Kläger nutzte dabei die im vorangegangenen Beschäftigungsverhältnis geknüpften Kontakte und beschäftige in dieser Zeit rund 12 Mitarbeiter. Auf dem Baustoffhandelssektor war die Gesellschaft bis 1995, teilweise auch 1996 tätig. Ab 1995 liefen diese Geschäfte nicht mehr so rentabel wie zuvor, weshalb sich der Kläger nach anderen Geschäftsfeldern umsah. Bereits 1992 war er als Spieler bei „E*“ in Österreich mit einem Betrag von 20.000 S eingestiegen. Der Geschäftsleitung von „E*“ war bekannt, dass der Kläger in Tschechien geschäftlich tätig war. Mehrmals war man bereits an ihn herangetreten, dieses System auch in Tschechien zu etablieren und zu verwalten. Der Kläger erkundigte sich daher im Jahr 1995 bei seinem Steuerberater und seinem Anwalt über die Möglichkeit, ein Pendant von „E* Österreich“ in der Tschechischen Republik zu etablieren. Schließlich begann er im Frühjahr 1995 „E*“ in Tschechien einzuführen. Es wurde eine Marketingstruktur aufgebaut und die angeworbenen Spieler nahmen am staatlichen Lotteriespiel teil. Die Gesellschaft wurde umfirmiert auf I* s.r.o.; der Kläger blieb alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer. Waren zu Beginn rund sieben bis zwölf Mitarbeiter beschäftigt, agierten bis 1997 im Vertrieb dann bis zu 1.300 selbständige Handelsvertreter, davon rund 300 bis 350 aktive Vertriebsleiter, die den Kläger auch persönlich kannten. Die I* s.r.o. war „Vertriebsführer“ des Vereins oder der Gesellschaft bürgerlichen Rechts „E*“ in Tschechien. Die Betreiber führten das System als Lottotippgemeinschaft, wobei an die I* s.r.o. eine Verwaltungsgebühr abgeführt wurde. 1996 führten die tschechischen Behörden Ermittlungen bei der I* s.r.o. durch, welche den laufenden Geschäftsbetrieb jedoch nicht störten. Nach Überprüfung wurden die Ermittlungen eingestellt. In Tschechien wurde– im Gegensatz zu Österreich – kein Verbot von Pyramiden- oder Kettenspielen eingeführt. Die I* s.r.o. hatte einen Lizenzvertrag mit der U* GmbH abgeschlossen, an welche sie Lizenzgelder zahlte; im Gegenzug konnte sie deren Software und das Rechenzentrum in Deutschland nutzen. Daher begab sich der Kläger mit den Daten jede Woche nach Deutschland zum dortigen Rechenzentrum. Die Daten wurden im Rechenzentrum verarbeitet und vom Kläger wieder nach Tschechien zurückgebracht. Teilweise führte diese Tätigkeit auch ein Vertriebsleiter durch. Am Wochenende führte der Kläger Mitarbeiterschulungen durch. 1996 sprach er so gut Tschechisch, dass er Vorträge in dieser Sprache halten konnte.
Die Gesellschaft war nicht nur im Geschäftszweig von „E*“ tätig, sondern auch im Handel mit Baustoffen und dem Aufstellen von Unterhaltungsgeräten. 1995 oder 1996 gründeten der Kläger und eine weitere Person die I* S.K., wovon 80 % der Geschäftsanteile der Kläger, 20 % der Mitgesellschafter hielt und letzterer alleiniger Geschäftsführer der Gesellschaft war. Ab 1997 hielt sich der Kläger für seine geschäftliche Tätigkeit für die I* GmbH in Österreich auf, bereitete Schulungen und die Aufnahme eines anderen Geschäftszweigs vor, nämlich das Aufstellen von Dart‑ und anderen Unterhaltungsautomaten. Im Frühjahr 1997 nahm er die Geschäftstätigkeit in Polen auf, gründete dort eine Gesellschaft, von der er 51 % der Anteile hielt. Geplant war weiters auch eine Geschäftstätigkeit in Ungarn. Der Kläger befasste sich mit Verkaufsschulungen zum Vertrieb verschiedener Produkte und wollte diese Projekte in mehreren osteuropäischen Ländern umsetzen.
Er brachte hohes Engagement in seinem Berufsleben auf, insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht (7‑Tage‑Woche bzw 100‑Stunden‑Woche). Das gesamte Geschäftsmodell war stark auf ihn zugeschnitten. Der Kläger hatte die Entscheidungsbefugnis und verfügte über Kontakte. Er hatte auch die alleinige Bankvollmacht inne.
Nach einem Verlust im Jahr 1993 erwirtschaftete die tschechische Gesellschaft im Jahr 1994 einen Gewinn in unbekannter Höhe. Ab Sommer 1992 finanzierte der Kläger seinen Lebensunterhalt durch Entnahmen aus der (später umbenannten) B* s.r.o. von monatlich 50.000 S bis 60.000 S. Im Jahresabschluss aus dem Jahr 1996 wurde ein Gewinn von 40.061.000 CZK (1.483.740 EUR) ausgewiesen. Nach Steuern betrug der ausgewiesene Gewinn 23.168.000 CZK (858.000 EUR). Zum Stichtag 31. 12. 1996 wurde in der Steuererklärung ein Geldmittelbestand von 47.961.000 CZK (ca 1.770.000 EUR) ausgewiesen. Der Gewinn des Geschäftsjahres 1995 betrug zumindest 70 % des Gewinns des Jahres 1996, also zumindest rund 600.000 EUR nach Steuern. Ab Beginn 1995 entnahm der Kläger jährlich rund 5 Mio S an Gewinn. Er bezog kein Gehalt als Geschäftsführer. Die von ihm getätigten Entnahmen waren Gewinnvorauszahlungen, wobei er den Gewinn großteils entnahm. Dem Kläger stand der Gewinn alleine zu.
Am 6. 4. 1997 fand in dem vom Kläger gemieteten Haus in Linz eine Hausdurchsuchung statt, bei welcher er persönlich anwesend war. Am selben Tag wurde der Geschäftsführer der U* GmbH verhaftet. Der Kläger fuhr über Deutschland zurück nach Tschechien. Ende April, Anfang Mai 1997 reiste er gemeinsam mit zwei Gesellschaftern der U* GmbH mit dem PKW nach Spanien, um sich seiner Verhaftung zu entziehen. Er füllte vor seiner Abreise Blankoüberweisungsscheine aus, erteilte aber niemandem eine Zeichnungsberechtigung für die Konten der I* s.r.o. Andere Vorkehrungen traf er nicht für seine Abwesenheit. Er beabsichtigte nicht, auf Dauer unterzutauchen und seine bisherige Unternehmertätigkeit aus eigenem Antrieb aufzugeben, sondern er plante nach einigen Wochen wieder nach Tschechien zurückzukehren und seiner Geschäftstätigkeit nachzugehen. Der Kläger führte bei seiner Abreise einen Bargeldbetrag von 1 Mio S bei sich und wechselte mehrmals seinen Aufenthaltsort. Am 22. 5. 1997 wurde er gleichzeitig mit einer weiteren Person verhaftet und in Auslieferungshaft genommen. Zu diesem Zeitpunkt besaß er an Bargeld noch 729.000 S. Während seiner Auslieferungshaft in Spanien konnte er Briefe schreiben, die vom Landesgericht Wels zensuriert wurden, und zeitlich sehr eingeschränkt Telefonate führen. Der Kläger stimmte einer vereinfachten Auslieferung nicht zu, weil er dies gleich einem Schuldeingeständnis empfand. Während der Haft erzielte er keine Einkünfte.
Die Geschäfte der I* s.r.o. standen nach der Verhaftung des Klägers drei bis vier Monate im Wesentlichen still, insbesondere weil – nach Ausgehen der Blankoüberweisungsscheine – keine Überweisungen mehr getätigt werden konnten. Drei oder vier Monate nach der Verhaftung reiste die Lebensgefährtin des Klägers nach Spanien. Ihr wurde eine Vollmacht erteilt. Der Betreiber der (deutschen) Rechenzentrale wurde zwar nicht verhaftet, doch wurde bei ihm zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Daten und Programme für die Abrechnung des Betriebs in Tschechien unverändert fortbestanden trotz der Verhaftung einer weiteren Person und anderer Gesellschafter der U* GmbH. Im Herbst 1997 wurde der Vertriebsleiter verhaftet und befand sich zehn Monate in Haft, und zwar zunächst in Auslieferungshaft in Deutschland, dann in Untersuchungshaft in Österreich.
Der Weiterbetrieb der I* s.r.o. war ohne den Kläger unmöglich; das gelang den Mitarbeitern nicht. Der Umsatz der Gesellschaft sank im Jahr 1997 auf 18 Mio CZK und die Gesellschaft machte in diesem Jahr einen Verlust von 15 Mio CZK; im Jahr 1998 verringerte sich der Umsatz auf 4 Mio CZK, der Verlust auf 950.000 CZK. 1999 betrug der Umsatz 643.000 CZK, der Verlust 330.000 CZK. In den Jahren 2000 und 2001 war der Umsatz Null, 2002 wurde der Konkurs angemeldet und im selben Jahr die Firma aus dem Handelsregister gelöscht.
Dem Kläger war es in den ersten Monaten nach der Haftentlassung im August 1999 aufgrund der mehr als zweijährigen Haftzeit jedenfalls bis Ende 1999 nicht möglich, Einkünfte zu erzielen. Er erhielt keine staatliche Unterstützung in dieser Zeit und fand finanziellen und psychischen Rückhalt in seiner Familie. In der darauffolgenden Zeit, also ab dem Jahr 2000, konnte er sich noch nicht zu einer Erwerbstätigkeit aufraffen. Dafür waren allerdings nicht mehr die vorangegangene Haft oder die Auflagen des Gerichts für das Absehen von der Untersuchungshaft kausal, sondern der Umstand, dass er auf eine Anklage im Strafverfahren wartete und befürchtete, allfällig erzielbare Einkünfte würde er bei der Hauptverhandlung wieder verlieren. „Als die Jahre ins Land zogen“, ohne dass es zu einer Anklage oder Einstellung des Strafverfahrens kam, ging der Kläger wieder einem Erwerb nach. Er ist nun wieder erfolgreich als Unternehmer tätig.
Die Verhaftung der Gesellschafter und Mitarbeiter der Firma U* GmbH (Lizenzgeberin der I* s.r.o.), die Hausdurchsuchung und Beschlagnahme der Unterlagen der Firma U* GmbH sowie die Hausdurchsuchung in der Rechenzentrale, die Verhaftung des Vertriebsleiters und die negative mediale Berichterstattung über das behängende Strafverfahren hätten sich – auch ohne die Verhaftung des Klägers – nachhaltig negativ auf die Geschäftsentwicklung der I* s.r.o. ab Sommer 1997 im Geschäftszweig von „E*“ in Tschechien ausgewirkt. Dem Kläger wäre es im Zeitraum Mai 1997 bis Ende 1999 – wäre er nicht von Mai 1997 bis August 1999 in Haft gewesen und ihm anschließend bis Ende 1999 haftkausal eine Erwerbstätigkeit unmöglich gewesen – aufgrund seines hohen Engagements, seiner unternehmerischen Erfahrung und seiner Persönlichkeit dennoch gelungen, weiterhin Einkünfte zu erzielen, sei es in diesem oder einem anderen Geschäftszweig.
Der Kläger begehrte von der Beklagten gestützt auf die Bestimmungen des StEG 1969 zuletzt die Zahlung von 346.320 EUR sA. Er sei vor seiner Verhaftung Geschäftsführer und Alleingesellschafter der I* s.r.o. mit Sitz in Prag gewesen und ihm seien daher auch zur Gänze die von dieser Gesellschaft erzielten Gewinne zugestanden. Er habe den von der Gesellschaft erwirtschafteten Gewinn zur Gänze entnommen und sei daher unmittelbar geschädigt und aktiv legitimiert. 1996 habe das Unternehmen äußerst ertragreich gewirtschaftet und ein Wirtschaftsergebnis vor Steuern in Höhe von 40.061.000 CZK erzielt. Nach einem Steuerabzug von 50 % ergebe sich noch immer ein Nettogewinn von umgerechnet 582.269,28 EUR. Da er sich vom 22. 5. 1997 bis 6. 8. 1999 in Haft befunden und darüber hinaus bis Juni 2001 das österreichische Staatsgebiet nicht verlassen habe dürfen, sei ihm in dieser Zeit keinerlei Erwerbstätigkeit möglich gewesen. Insbesondere habe er gegebenenfalls bis Juli 2001 die zuvor ausgeübte Erwerbstätigkeit in Tschechien, welche zuvor der Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit gewesen sei, nicht mehr aufnehmen können. Wenn er nicht in Haft genommen und ihm der Reisepass nicht bis Juni 2001 abgenommen worden wäre, hätte er die Gesellschaft in Prag weiter betrieben und in den Jahren 1997 bis 2001 vergleichbare Gewinne wie im Jahr 1996 erzielen können. Er hätte daher pro Jahr weiterhin einen Gewinnanteil von 582.269,28 EUR bei Fortbetrieb der GmbH erzielt. Ihm sei daher rein rechnerisch ein Nettogewinn nach Steuern von 2.329.077,12 EUR für diesen Zeitraum entgangen und damit ein Verdienstentgang in dieser Höhe entstanden. Aus prozessualer Vorsicht sei lediglich ein Teilbetrag geltend gemacht worden. Es stehe nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nämlich fest, dass er wenigstens einen solchen Gewinn erwirtschaftet hätte bzw eine Gewinnentnahme getätigt hätte, wie sie einem durchschnittlichen Geschäftsführergehalt mit Erfolgskomponente in Tschechien von monatlich netto 7.215 EUR entspreche. Er sei nach der Haft psychisch in einem schlechten Zustand gewesen und habe erst langsam wieder ins Leben zurückgefunden. Ihm gebühre daher eine Entschädigung für seine vermögensrechtlichen Nachteile nicht nur während der Haft, sondern auch entsprechend nachwirkend bis zur Wiederausfolgung seines Reisepasses im Juli 2001. Der von ihm bzw der I* s.r.o. durchgeführte Betrieb von „E*“ in der Tschechischen Republik sei legal gewesen und unbeanstandet gelaufen. Eine gegen die I* s.r.o. eingebrachte Anzeige sei von der Staatsanwaltschaft in Tschechien zurückgelegt worden. Gegen ihn sei zu keiner Zeit ein Strafverfahren wegen des Betriebs von „E*“ in Tschechien anhängig gewesen. In Tschechien sei es auch zu keinem Verbot von Pyramiden‑ und Kettenspielen gekommen, wie dies in Österreich 1997 der Fall gewesen sei. Das Systemspiel „E*“ hätte in Tschechien weiter betrieben werden können. Auch hätte er als Unternehmer andere Einkommensquellen erschließen können.
Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, der Kläger könne seine Ersatzansprüche lediglich auf das StEG 1969 stützen, zumal sämtliche Ersatzansprüche nach dem AHG bereits verjährt seien. Er habe versucht, sich dem Strafverfahren durch Flucht nach Spanien zu entziehen und habe daher aus eigenem Antrieb seine unternehmerische Tätigkeit, nämlich die Betreuung des Spielbetriebs „E*“ in Tschechien, beendet. In weiterer Folge hätten auch die übrigen am Spielbetrieb „E*“ maßgeblich beteiligten Personen ihre Tätigkeit aufgegeben. Der Kläger habe offensichtlich über Mitarbeiter verfügt, die den Geschäftsbetrieb soweit aufrecht erhalten hätten können, dass der geltend gemachte Verdienstentgang nicht entstanden wäre. Ursache des Verdienstentgangs sei daher vermutlich ausschließlich das Geschäftsmodell dieser Gesellschaft bzw der Geschäftsplan des Klägers gewesen. Die Haft sei für den geltend gemachten Verdienstentgang daher nicht kausal. Nach der Haft habe es der Kläger offenkundig verabsäumt, sich um eine Anstellung zu bemühen. Er müsse sich daher auf den geltend gemachten Verdienstentgang alles anrechnen lassen, was er zu verdienen verabsäumt habe. Er habe durch seine bewusste Untätigkeit nach der Haftentlassung über weitere zwei Jahre ein überwiegendes Verschulden am geltend gemachten Verdienstentgang zu vertreten, zumal er ohne weiteres eine zumutbare Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen hätte können. Ansprüche im Zusammenhang mit der Einschränkung der Reisetätigkeit durch die Abnahme des Reisepasses unterlägen den Bestimmungen des AHG; derartige Ansprüche seien jedoch verjährt. Er berechne seinen Verdienstentgang auf Basis eines Geschäftsmodells, das von der Anklagebehörde als verbotenes Pyramidenspiel eingestuft worden sei. Gewinne, die in der Vergangenheit allenfalls erzielt worden seien, könnten daher nicht als Ausgangsbasis für eine seriöse Berechnung des geforderten Verdienstausfalls herangezogen werden. Dieses Geschäftsmodell sei als Pyramidenspiel einzuschätzen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 170.000 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 176.320 EUR sA ab. Die Klagsabweisung ist im Umfang von 106.320 EUR sA in Rechtskraft erwachsen. Dem Kläger stehe für die Zeit seiner strafgerichtlichen Anhaltung ein Ersatzanspruch zu. Die Schadenersatzpflicht nach dem StEG 1969 umfasse alle – sowohl während der Haft als auch nachträglich entstandenen – Schäden, die durch die gesetzwidrige und ungerechtfertigte Freiheitsentziehung verursacht worden seien. Erforderlich sei nach allgemeinen Grundsätzen ein Kausal‑ und Adäquanzzusammenhang mit der Haft. Nicht ersatzfähig seien demnach Schäden, die als bloße Folge der Einleitung des Strafverfahrens auch dann eingetreten wären, wenn es zu keiner Verhaftung gekommen wäre. Der Verdienstentgang und damit jene Einbußen, die entstünden, weil der Angehaltene seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen könne, stellten sowohl bei selbständiger als auch unselbständiger Tätigkeit einen materiellen Schaden dar. Ersatzfähig sei nach den Umständen des Einzelfalls der Nettoschaden, somit jener Betrag, der im konkreten Einzelfall bei Ausübung der Erwerbstätigkeit zur Verfügung gestanden wäre. Die Verhinderung einer objektiv gegebenen Gewinnmöglichkeit stelle einen positiven Schaden dar. Es sei daher festzustellen, was der Kläger erwirtschaftet hätte, wenn er nicht an der Ausübung seiner geschäftlichen Tätigkeit gehindert gewesen wäre (fiktive Gewinnsituation). Der Geschädigte habe nicht nur den Eintritt des behaupteten Schadens und dessen Höhe, sondern auch den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Schadenseintritt zu behaupten und zu beweisen. Den Geschädigten treffe auch die Beweislast, dass bei pflichtgemäßem Verhalten der Schaden nicht eingetreten wäre. Der Kläger habe durchgängig sein Vorbringen aufrecht erhalten, er mache den Entgang des Gewinns geltend, den er als Unternehmer mit der I* s.r.o. erwirtschaftet hätte. Die Höhe des Verdienstentgangs sei unter Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO auszumessen gewesen. Die externen Faktoren (Strafverfahren gegen weitere Personen samt Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme von Unterlagen, Verhaftungen und mediale Berichterstattung) ließen nach allgemeiner Lebenserfahrung den Verdienst im streitgegenständlichen Zeitraum keineswegs an die in den Jahren 1995 und 1996 äußerst hohen Gewinne anknüpfen, doch sei trotz der negativen Entwicklung rund um die „E* Österreich“ und die Firma U* GmbH jedenfalls von einem Verdienst des Klägers auszugehen, wäre er auf freiem Fuß geblieben. Er habe nach den Feststellungen vor dem Einstieg in „E*“ bereits 50.000 bis 60.000 S monatlich an Gewinn entnommen. Schließlich seien auch noch die Ausführungen des Sachverständigen zu den allgemeinen Verdienstmöglichkeiten von Geschäftsführern zu beachten. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sei der Verdienstentgang des Klägers im Zeitraum vom 22. 5. 1997 bis Ende 1999 „mit gesamt“ 170.000 EUR auszumessen. Das Geschäftsmodell und die Geschäftstätigkeit des Klägers seien völlig auf seine Person zugeschnitten gewesen. Der geschäftliche Erfolg sei einzig an ihm gehangen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, mit der er den weiteren Zuspruch von 70.000 EUR sA begehrte, nicht Folge, hingegen der Berufung der Beklagten, die sich gegen den klagsstattgebenden Teil des erstinstanzlichen Urteils richtete, Folge. Es hob (mit Beschluss) die erstinstanzliche Entscheidung im Klagszuspruch von 170.000 EUR sA auf und bestätigte (mit Teilurteil) die bekämpfte Abweisung des Klagebegehrens von 70.000 EUR sA. Rechtlich führte es aus, nach dem StEG 1969 sei nur ein Schaden im Sinn der §§ 1293 ff ABGB zu ersetzen. Nach dem Vorbringen des Klägers und den Feststellungen liege den Verdienstentgangsansprüchen zugrunde, dass er als Geschäftsführer und Alleingesellschafter der I* s.r.o. das von ihm in der Tschechischen Republik etablierte Pyramidenspiel „E*“ nicht mehr weiter vertreiben habe können. Dass es sich bei „E*“ um ein Pyramidenspiel handle, werde vom Kläger nicht bestritten, er verweise lediglich darauf, dass derartige Pyramiden‑ und Kettenspiele in Tschechien nicht verboten worden seien. Er habe daher Einnahmen aus einer in Tschechien erlaubten Tätigkeit erzielt. Pyramiden‑ oder Kettenspiele seien in Österreich seit 1. 3. 1997 strafrechtlich verboten (§ 168a StGB). Schon vor Inkrafttreten dieser Strafbestimmung habe der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 5 Ob 506/96 klargestellt, dass Pyramidenspiele verboten und nichtig im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB seien. Dem (historischen) Gesetzgeber des StEG 1969 könne nicht die Absicht unterstellt werden, dass die „Republik Österreich einen Verdienstentgang ersetzen soll, der dadurch entstanden ist, dass keine nichtigen, sittenwidrigen Geschäfte abgeschlossen werden konnten, die nicht einmal eine Naturalobligation erzeugt hätten“. Soweit also ein Schaden im Sinn eines Verdienstentgangs aus dem „Nichtbetrieb“ des Spiels „E*“ geltend gemacht werde, liege kein ersatzfähiger Schaden vor, weshalb in diesem Umfang die Klage abzuweisen sei. Dabei spiele keine Rolle, ob dieses Spiel in Tschechien erlaubt gewesen sei, weil das Vorliegen eines Schadens und dessen Ersatzfähigkeit nach dem österreichischen StEG 1969 und damit auf Basis der Judikatur zu §§ 1293 ff ABGB zu prüfen sei. Festgestellt sei, dass die Gesellschaft des Klägers nicht nur im Geschäftszweig von „E*“ tätig gewesen sei, sondern auch im Handel mit Baustoffen und dem Aufstellen von Unterhaltungsgeräten. Einkommensausfälle aus derartigen Geschäftstätigkeiten würden ersatzfähige Schäden darstellen. Im weiteren Verfahren werde daher zu erörtern und vom Kläger aufzuschlüsseln sein, inwiefern sich sein Einkommensausfall auf den Betrieb von „E*“ einerseits und auf die Tätigkeit in anderen Geschäftszweigen andererseits aufteile. Damit könne noch nicht abschließend beurteilt werden, ob das von den Parteien beantragte Gutachten eines berufskundlichen Sachverständigen, dessen Unterlassung von der Beklagten als Verfahrensmangel geltend gemacht werde, notwendig sein werde.
Soweit der Kläger den weiteren Zuspruch von 70.000 EUR sA anstrebe, sei darauf zu verweisen, dass er ganz bewusst ab 2000 darauf verzichtet habe, ein möglichst hohes Einkommen zu erzielen. Zudem seien die Einkommensverluste des Klägers ab Jänner 2000 nicht mehr auf die Haft zurückzuführen, sondern allenfalls auf das laufende Strafverfahren, womit jedoch ein Anspruch nach dem StEG 1969 nicht begründet werden könne. Dem Kläger stünden keine Verdienstentgangsansprüche aus dem Zusammenbruch des Geschäftsmodells „E*“ zu. Sein Vorbringen, er hätte (im Zeitraum Jänner 2000 bis Juni 2001) unabhängig von „E*“ mit anderen Geschäftsmodellen ähnlich hohe Einkünfte erzielt, sei unsubstantiiert. Aus seinen Behauptungen sei nicht einmal ansatzweise ableitbar, mit welchen sonstigen Geschäften er ein ähnlich hohes Einkommen erzielt hätte wie vor der Haft. Sein Vorbringen, er hätte unabhängig von der weiteren Entwicklung des Spielsystems „E*“ ein monatliches Nettoeinkommen von 5.400 EUR erzielt, genüge diesen Anforderungen nicht.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO und die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorgefunden wurde, ob der Verdienstentgang aus einem (in Österreich verbotenen) Pyramidenspiel einen ersatzfähigen Schaden nach dem StEG 1969 darstellen könne. Sollte ein derartiger Verdienstentgang ein ersatzfähiger Schaden sein, könnte man rechtlich zum Ergebnis gelangen, dass dieses Geschäftsmodell durch die Haft tatsächlich zerstört worden sei, weshalb die Haft auch für den Verdienstentgang ab Jänner 2000 zumindest als mitursächlich angesehen werden könnte.
Dagegen richten sich der Rekurs und die Revision des Klägers, mit denen er den Zuspruch von 240.000 EUR sA anstrebt; hilfsweise stellt er im Umfang der Abweisung von 70.000 EUR ein Aufhebungsbegehren.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rekurses und der Revision, in eventu diesen Rechtsmitteln nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt. Die Revision ist mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
I. Zum Rekurs:
1. Der Kläger argumentiert, dass zwar für den Anspruch nach dem StEG 1969 österreichisches Recht anzuwenden sei, was jedoch nicht bedeute, dass für die Beurteilung der Legalität seiner Einkommensquelle in Tschechien ebenfalls österreichisches Recht heranzuziehen sei, weil die dieser Erwerbsquelle zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte eben keinen Anknüpfungspunkt zu Österreich hätten. Weder dem StEG 1969 noch dem ABGB könne ein solcher Inhalt unterstellt werden, dass der Verdienstentgang nur dann ersatzfähig sei, wenn er aus einer Tätigkeit resultiere, die (auch) nach österreichischem Sachrecht legal sei. In Tschechien sei im Gegensatz zu Österreich kein Verbot von Pyramiden‑ und Kettenspielen eingeführt gewesen. Der Verdienstentgang sei nach dem StEG 1969 sehr wohl zu ersetzen, wenn er aus einem Geschäftsmodell resultiere, das nach dem insoweit anwendbaren ausländischen Sachrecht sowohl zivil- als auch strafrechtlich zulässig sei.
Die Beklagte meint gestützt auf einen im Internet veröffentlichten Bericht eines österreichischen Medienanbieters vom März 2004, dass auch in Tschechien Pyramidenspiele verboten seien. Konkrete rechtliche Argumente für diese Ansicht führt sie nicht an. Sie argumentiert weiters, selbst wenn das Geschäftsmodell der I* s.r.o. in der Tschechischen Republik nicht verboten gewesen wäre, hätte dieses System, um zu funktionieren, eine ständig wachsende Anzahl von Teilnehmern, für deren Anwerbung Prämien bezahlt werden, erfordert. Gewinne für die Teilnehmer seien beinahe ausschließlich dadurch entstanden, dass neue Teilnehmer in den Systemen mitgewirkt und Geld investiert hätten, ohne eine Dienstleistung oder ein Produkt zu erhalten. Das Geschäftsmodell der I* s.r.o. des Klägers wäre unter Berücksichtigung des geschilderten Zeitrahmens bereits zum Zeitpunkt der Festnahme im Jahr 1997 am Ende angelangt gewesen.
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
2. Der Kläger befand sich ab 22. 5. 1997 bis 6. 8. 1999 in Auslieferungs‑ und Untersuchungshaft. Gemäß § 14 Abs 2 StEG 2005 sind auf die Fälle einer Festnahme oder Anhaltung vor dem 1. 1. 2005 grundsätzlich die bisher geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden. Das Landesgericht Wels hat mit Beschluss vom 10. 9. 2012, gestützt auf § 6 Abs 2 StEG 1969 ausgesprochen, dass dem Kläger für die Zeit seiner strafgerichtlichen Anhaltung ein Ersatzanspruch nach § 2 Abs 1 „Z 2“ (richtig: lit b) StEG 1969 zusteht.
Zutreffend legte das Berufungsgericht dar, dass dieser Beschluss keine Entscheidung über den Grund des Anspruchs im Sinn des § 393 Abs 1 ZPO ist, weil das Strafgericht nicht zu prüfen hat, ob ein Schaden überhaupt entstanden ist. Demnach kann das Klagebegehren selbst bei Bejahung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem StEG 1969 (durch das Strafgericht) immer noch zur Gänze abgewiesen werden (1 Ob 138/04g mwN = RIS‑Justiz RS0119122).
3. Gemäß § 1 StEG 1969 hat der Bund nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen die durch eine strafgerichtliche Anhaltung oder Verurteilung entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile dem Geschädigten auf dessen Verlangen in Geld zu ersetzen. Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1197 BlgNR 11. GP 8) sollte durch die gewählte Ausdrucksweise keine Änderung im Umfang des Ersatzanspruchs gegenüber der gegenwärtigen Handhabung der Entschädigungsgesetze verbunden sein. Nach der bisherigen Rechtslage wurde die Ersatzleistung grundsätzlich als „eigentliche Schadloshaltung“ im Sinne des Schadenersatzrechts des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches verstanden. Der Ansicht, dass unter vermögensrechtlichen Nachteilen im Sinn des § 1 StEG 1969 nur die eigentliche Schadloshaltung zu verstehen ist, hat sich in der Folge die Rechtsprechung angeschlossen (RIS‑Justiz RS0087530). Die Schadenshaftung ist auf jene Schäden beschränkt, die der Angehaltene (Verurteilte) durch den Freiheitsentzug – aber nicht unbedingt während des Freiheitsentzugs – erlitten hat. Nach wie vor gebührt keine Entschädigung, wenn der Schaden bloße Folge der Einleitung des Strafverfahrens war und sich auch dann ereignet hätte, wenn es nicht zu einer Verhaftung gekommen wäre (RIS‑Justiz RS0049842).
Aus den Gesetzesmaterialien, die auf die „eigentliche Schadloshaltung“ im Sinne des Schadenersatzrechts des österreichischen ABGB Bezug nehmen, ist zu erschließen, dass sich der vom Kläger begehrte Ausgleich – und damit auch der Verdienstentgang – grundsätzlich nach den Kategorien des österreichischen Sachrechts richtet.
4. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung ist der geschädigte Alleingesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (die tschechische s.r.o. entspricht der österreichischen GmbH) mit der Gesellschaft rechtlich nicht ident und hat daher nur Anspruch auf Ersatz entgangenen Gesellschaftsgewinns und nicht etwa auf Ersatz der von der Gesellschaft getragenen Kosten für Ersatzkräfte (RIS‑Justiz RS0022657). Für den Verdienstentgang eines geschäftsführenden Gesellschafters einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist die Verminderung seines Gewinnanteils an der Gesellschaft maßgebend (RIS‑Justiz RS0022525 [T2]). Die Gesellschaft ist bezüglich des Schadens, den ein Gesellschafter an absoluten Rechten erleidet, lediglich mittelbar geschädigter Dritter, sodass der unfallbedingte Erwerbsausfall eines mitarbeitenden Gesellschafters nur diesem als unmittelbar Geschädigten soweit zu ersetzen ist, als er sich in einer Verringerung seines Gesellschaftsgewinns niederschlägt (2 Ob 27/16h mwN). Nichts anderes kann für den haftkausal erlittenen „vermögensrechtlichen Nachteil“ des Klägers gelten, der nach § 1 StEG 1969 zu ersetzen ist.
5. Für die Frage, ob der Entgang unerlaubter Vorteile zu ersetzen ist, sind (nach österreichischem Recht) Normzwecküberlegungen maßgeblich (Karner in KBB5 § 1295 ABGB Rz 12; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 1295 Rz 33; Reischauer in Rummel 3 § 1293 ABGB Rz 12). Nicht ersatzfähig ist ein Gewinn erst, wenn ihn der Geschädigte in gesetzlich erlaubter Weise nicht hätte erzielen können. Nur in einem solchen Fall käme es nämlich dazu, dass auf dem Umweg des Schadenersatzes ein Vorteil erlangt würde, den ein Gesetz verboten hat. Ein Vermögensvorteil, der bei rechtstreuem Verhalten nicht erlangbar gewesen wäre, lässt sich auch nicht auf dem Umweg über die Zuerkennung eines Schadenersatzanspruchs erzielen (RIS‑Justiz RS0030371 [T1]). Abzustellen ist darauf, ob der Verdienst – trotz strafrechtlichen Verbots der Tätigkeit – klagbar wäre oder nicht. Ist die Einkommensquelle inhaltlich derart verpönt, dass eine Klagbarkeit zu verneinen ist, also dann, wenn jene Norm, die die Tätigkeit für „unerlaubt“ erklärt, auch die Nichtigkeit der gegen sie verstoßenden Geschäfte anordnet, weil der Zweck der Norm dies erfordert, kann sie auch nicht Grundlage eines Schadenersatzanspruchs sein.
Ginge es um zu Erwerbszwecken in Österreich ausgeübte Tätigkeiten wie das Betreiben, Propagieren oder gewerbsmäßige Fördern von Ketten‑ oder Pyramidenspielen, käme ein Ersatz des Verdienstentgangs zweifellos nicht in Betracht, dient doch das Verbot solcher sozialschädlicher Vorgänge dem Schutz von Teilnehmern vor erheblichen Schäden. Speziell die am 1. 3. 1997 in Kraft getretene Strafbestimmung des § 168a StGB (Art XI Abs 1 StRÄG 1996, BGBl 1996/762; Verbot von Ketten‑ oder Pyramidenspielen) richtet sich gegen Gewinnerwartungssysteme, die nach dem Schneeballsystem organisiert sind und mit der Erschöpfung des Interessentenkreises in sich zusammenbrechen, wodurch zahlreiche Teilnehmer finanzielle Schäden erleiden können (Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 168a Rz 1). Zuzustimmen ist der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass das von der tschechischen Gesellschaft betriebene – vom Kläger nicht bestrittene – Pyramidenspiel im österreichischen Rechtsbereich verboten und daher nichtig wäre. Nicht nur für den Zivilrechtsbereich, sondern auch in Strafsachen sprach der Oberste Gerichtshof bereits zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 168a StGB aus, dass es sich bei Ketten- oder Pyramidenspielen um Glücksspiele im Sinn des § 168 StGB handelt (Kirchbacher aaO § 168a Rz 3 mwN zur Judikatur). Nach österreichischem Rechtsverständnis könnte das, was auf der Grundlage eines unwirksamen Glücksvertrags gezahlt wurde, zurückgefordert werden. Demnach erzeugen im Inland verbotene Spiele nicht einmal eine Naturalobligation (RIS‑Justiz RS0102178; 10 Ob 2429/96w; G. Graf in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 879 Rz 45; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 879 Rz 4, jeweils mwN). Wenn gesetzliche Normen ein bestimmtes Verhalten nicht nur verbieten, sondern sogar mit der Sanktion gerichtlicher Strafbarkeit belegen, werden dadurch Grundwertungen der Rechtsordnung zum Ausdruck gebracht. Es kann dem österreichischen Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er hätte eine – weitgehend verschuldensunabhängige – Ersatzpflicht des Staats auf unterbliebene Gewinne aus derartigen im Ausland begangenen Handlungen erstrecken wollen, auch wenn sie dort möglicherweise erlaubt sind. Soweit daher der Kläger sein Verdienstentgangsbegehren auf das von seiner tschechischen Gesellschaft praktizierte Pyramidenspiel stützt, ist ein solcher Verdienstentgang nach den dargelegten Wertungen des österreichischen Rechts, das Ansprüche aus einer solchen strafgesetzwidrigen Tätigkeit pönalisiert, die dem Schutz von Spielteilnehmern dient, im Rahmen des § 1 StEG 1969 nicht ersatzfähig.
6. Das Erstgericht hat entgegen der Meinung des Klägers hinsichtlich des Zuspruchs von 170.000 EUR nicht klargestellt, inwiefern sich dieser Einkommensausfall auf den Betrieb von „E*“ und die Tätigkeit in anderen Geschäftszweigen aufteilt. Durch das Wort „gesamt“ brachte es eindeutig zum Ausdruck, dass es unter Anwendung des § 273 ZPO den gesamten Einkommensausfall des Klägers im Zeitraum 22. 5. 1997 bis Ende 1999 bemaß. Ein Verständnis dahin, dass ein Einkommensausfall in dieser Höhe dem Kläger „in jedem Fall (also auch ohne E*)“ zugebilligt worden sei, wie es der Kläger offenbar zugrunde legt, verbietet sich. Aus den Darlegungen des Erstgerichts ist zu erkennen, dass der Verdienstentgang des Klägers mit 170.000 EUR „gesamt“, also vor allem aus „E*“, aber auch aus allen sonst von ihm erzielbaren Einkommensquellen bewertet wurde.
7. Wenn das Berufungsgericht ausgehend von seiner zutreffenden Rechtsansicht der Meinung ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RIS‑Justiz RS0042179 [T3]); dies gilt auch hinsichtlich der Beurteilung der Voraussetzungen des § 273 ZPO (RIS‑Justiz RS0042179 [T6]).
8. Der Kostenvorbehalt hinsichtlich des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO,
II. Zur Revision:
1. Nach den Feststellungen waren ab dem Jahr 2000 nicht mehr die vorangegangene Haft oder die Auflagen des Gerichts für das Absehen von der Untersuchungshaft kausal für die unterlassene Erwerbstätigkeit, sondern der Umstand, dass er auf eine Anklage im Strafverfahren wartete und befürchtete, allfällige erzielbare Einkünfte würde er bei einer Hauptverhandlung wieder verlieren. Nach der Rechtsprechung sind – wie dargelegt – Schäden nicht ersatzfähig, die als bloße Folge der Einleitung des Strafverfahrens auch dann eingetreten wären, wenn es zu keiner Verhaftung gekommen wäre (RIS‑Justiz RS0049842). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass ab dem Jahr 2000 die Einkommensverluste des Klägers nicht mehr auf die Haft zurückzuführen sind, begegnet keinen Bedenken.
2. Die Ausführungen des Klägers zu § 273 ZPO und zur unterlassenen Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens zur Höhe seines Verdienstentgangs im Zeitraum Jänner 2000 bis Juni 2001 zeigen keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens auf. Einerseits steht diesen Argumenten die Feststellung der fehlenden Kausalität entgegen, andererseits vermag der Revisionswerber nicht näher aufzuzeigen, dass die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, sein Vorbringen zu seinem Verdienstentgang betreffend diesen Zeitraum sei unsubstantiiert und zu unkonkret, korrekturbedürftig wäre.
3. Einer weiteren Begründung bedarf es insofern nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 Abs 1 und § 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit der Rechtsmittel gegen ein Teilurteil findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS‑Justiz RS0123222 [T9]). Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und daher Anspruch auf Ersatz der für die Revisionsbeantwortung aufgewendeten Kosten. Die Beklagte hat die Beantwortung des Rekurses und der Revision zutreffend nur in einem Schriftsatz vorgenommen. Ihr sind– entsprechend dem Verhältnis des Revisions‑ zum Rekursstreitwert von rund 30 % : 70 % – nur jene Kosten für die Revisionsbeantwortung zuzusprechen, die durch die Beantwortung beider Rechtsmittel in einem Schriftsatz auf der Basis des Gesamtstreitwerts von 240.000 EUR aufgelaufen sind (vgl 8 Ob 103/09v = RIS‑Justiz RS0035774 [T5]).
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