OGH 1Ob146/09s

OGH1Ob146/09s8.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Silvia H*****, vertreten durch Dr. Walter Niederbichler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 4.550,59 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 28. April 2009, GZ 7 R 49/09s-15, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 16. Februar 2009, GZ 1 C 418/08a-11, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die in Österreich ansässige Klägerin begehrt von der Beklagten, die auf den Kanarischen Inseln ein Textilunternehmen betreibt, aufgrund einer Warenlieferung 4.550,59 EUR. Im Rahmen der seit 2004 bestehenden Geschäftsbeziehung erhielt die Beklagte mehrfach - wie es dem Handelsbrauch von Textilunternehmen entspricht - Lieferscheine und Rechnungen, auf deren Rückseite die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin abgedruckt waren. Diese setzten Graz als Gerichtsstand für alle Streitigkeiten und als Erfüllungsort fest. Die Klägerin sandte die am 24. 8. 2007 per E-mail bestellten Waren mit Rechnung vom 29. 8. 2007 an die Spedition. Diese Rechnung enthält die Klausel „delivery condition : ex warehouse Graz freight collect" und den Hinweis, dass die umseitig abgebildeten Geschäftsbedingungen als angenommen gelten, sofern sie nicht binnen 14 Tagen schriftlich widerrufen werden.

Das Erstgericht wies die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit zurück.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss im Sinne einer Zurückweisung der Klage ab. Es verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art 23 Abs 1 lit b und c der - hier unstrittig anzuwendenden - EuGVVO. Die in zahlreichen Geschäftsfällen über einige Jahre hindurch nicht beanstandete Praxis der Klägerin, jeweils nach Vertragsabschluss über E-Mail Rechnungen und Lieferscheine mit einer auf der Rückseite enthaltenen Gerichtsstandsklausel zu versenden, reiche für die konkludente Vereinbarung eines Gerichtsstands nicht aus. Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass die Beklagte den vom Erstgericht festgestellten Handelsbrauch kannte oder kennen musste. Die auf der Rechnung enthaltene, von der Klägerin als Vereinbarung eines Erfüllungsorts gewertete Klausel „ex warehouse Graz freight collect" regle nur die Tragung der Transportkosten, allenfalls die Liefermodalitäten und die Gefahrentragung. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil nicht auszuschließen sei, dass bei einer seit 2004 andauernden Geschäftsbeziehung eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 23 Abs 1 lit b EuGVVO zustandegekommen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Die Regelung des Art 23 Abs 1 EuGVVO über Gerichtsstandsvereinbarungen entspricht im Wesentlichen der in Art 17 EuGVÜ enthaltenen Vorgängerbestimmung. Die in der Rechtsprechung des EuGH zu Art 17 EuGVÜ entwickelten Kriterien sind daher auch auf die Nachfolgebestimmung zu übertragen (2 Ob 280/05y mwN). Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung setzt nach der Rechtsprechung des EuGH eine tatsächliche übereinstimmende Willenserklärung der Parteien voraus, die klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen ist (RIS-Justiz RS0113571; 2 Ob 280/05y; 3 Ob 24/09i). Es soll vor allem gewährleistet sein, dass Zuständigkeitsvereinbarungen nicht unbemerkt Inhalt des Vertrags werden (8 Ob 83/05x = SZ 2005/128; 3 Ob 24/09i). Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsklauseln sind eng auszulegen (RIS-Justiz RS0114604).

2. Unter „Gepflogenheiten" im Sinne des Art 23 Abs 1 lit b EuGVVO wird eine zwischen den konkreten Parteien regelmäßig beachtete Praxis verstanden. Ob eine in einem konkreten Fall geübte Praxis, die Dauer der Geschäftsbeziehung und deren Intensität für die Annahme einer tatsächlichen Willensübereinstimmung ausreichen, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und hat regelmäßig keine über diesen hinausgehende Bedeutung (6 Ob 176/08p).

3. Hat das Rekursgericht die festgestellte mehrfache Übersendung von Rechnungen und Lieferscheinen, auf deren Rückseite die Allgemeinen Geschäftsbedingungen einschließlich der Gerichtsstandsvereinbarung abgedruckt waren, nicht als ausreichend gewertet, stellt dies aufgrund der Zielsetzung des Art 23 EuGVVO (bzw des Art 17 EuGVÜ) keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar (7 Ob 38/01s mwN). Die Dauer der Geschäftsbeziehung spielt bei der Beurteilung der tatsächlichen Willenseinigung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zwingend eine entscheidende Rolle, zumal die Zahl der vorangegangenen Geschäftsfälle mit identer Vorgangsweise nicht feststeht.

4. Die in Art 23 Abs 1 lit c EuGVVO geregelte Formalternative verzichtet nicht auf eine Willenseinigung der Vertragsparteien, vermutet aber eine solche, wenn in dem betreffenden Geschäftszweig ein Handelsbrauch über die Form von Gerichtsstandsvereinbarungen besteht, die die Parteien kannten oder kennen mussten (6 Ob 185/02b mit Hinweis auf die Entscheidung des EuGH vom 20. 2. 1997, Rs C-106/95 , Slg 1997, 911). Die Kenntnis eines Handelsbrauchs steht unabhängig von jeder besonderen Form der Publizität fest, wenn in dem Geschäftszweig, in dem die Parteien tätig sind, bei Abschluss einer bestimmten Art von Verträgen ein bestimmtes Verhalten allgemein und regelmäßig befolgt wird (EuGH vom 16. 3. 1999, Rs C-159/97 , Slg 1999, 1597). Das Bestehen und die Branchenüblichkeit eines Handelsbrauchs sind Tatfragen. Die Beweislast für sein Vorliegen trifft die Klägerin, die sich darauf beruft (7 Ob 38/01s; 6 Ob 185/02b).

5. Das Erstgericht hat nur festgestellt, dass der Abdruck von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf der Rückseite von Lieferscheinen und Rechnungen dem Handelsbrauch von Textilunternehmen entspricht. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 23 Abs 1 lit c EuGVVO setzt aber die Feststellung eines Handelsbrauchs voraus, nach dem die Vereinbarung eines Gerichtsstands durch den Abdruck von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten, auf der Rückseite von Rechnungen oder Lieferscheinen im Geschäftszweig der Parteien üblich ist (vgl 7 Ob 38/01s). Die Auffassung des Rekursgerichts zu den fehlenden Voraussetzungen des Art 23 Abs 1 lit c EuGVVO entspricht den bereits dargelegten Kriterien zur Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Handelsbrauchs.

6. Erfüllungsort im Sinne des Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO ist jener Ort, an dem die für den Vertrag charakteristische Leistung tatsächlich erbracht wurde (1 Ob 94/04m mzN). Die Klägerin wertet in ihrem Rechtsmittel als faktischen Erfüllungsort im Sinn der zitierten Bestimmung Hamburg und nicht Graz, beruft sich aber auf die wirksame ausdrückliche Vereinbarung eines Erfüllungsorts in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die bereits erwähnte, in der Rechnung enthaltenen Klausel. Die ausdrückliche Vereinbarung über den Erfüllungsort hängt zwar grundsätzlich nicht von der Einhaltung der in Art 23 EuGVVO vorgeschriebenen Form ab. Das gilt aber nicht für nur prozessual gemeinte „abstrakte" Erfüllungsortvereinbarungen, die - wie hier die Allgemeinen Geschäftsbedingungen - nur einen bestimmten Gerichtsstand festlegen wollen, weil ansonsten die Vorschriften des Art 23 leicht umgangen werden könnten (8 Ob 83/05x mwN). Wie die in der Rechnung enthaltene Klausel („incoterm") zu verstehen ist, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab (2 Ob 211/04z mwN). Die Auffassung des Rekursgerichts, diese Klausel regle die Tragung der Transportkosten, der Liefermodalitäten und Ähnliches, ist vertretbar (vgl 5 Ob 313/03w mwN); der Revisionsrekurs liefert für eine gegenteilige Annahme kein Argument.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens, das einen selbständigen Zwischenstreit darstellt, gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsrekursbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen, weshalb ihr keine Kosten zu ersetzen sind (Fucik in Rechberger³ § 41 ZPO Rz 5).

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