European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00113.18A.0926.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Soweit die Revisionswerberin aus der vom Erstgericht unterlassenen Beischaffung von Strafakten eine Nichtigkeit (erkennbar) des erstinstanzlichen Verfahrens ableitet, übersieht sie, dass dies in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn der behauptete Verfahrensfehler – wie im vorliegenden Fall – bereits vom Berufungsgericht verneint wurde (RIS‑Justiz RS0042981). Dafür ist kein förmlicher Beschluss erforderlich, vielmehr genügt eine – hier erfolgte – eindeutige Verneinung in den Entscheidungsgründen (RIS‑Justiz RS0042981 [T29 und T30]).
2. Der Fachsenat bejahte zum StEG 2005 in der hier – grundsätzlich auch nach Ansicht der Revisions-werberin – anzuwendenden Fassung vor der Novellierung durch das Budgetbegleitgesetz 2011 („BBG 2011“; BGBl I 111/2010; soweit die Revisionswerberin teilweise auf die „aktuelle“ Gesetzeslage abstellt, ist dies verfehlt) auch dann eine ungerechtfertigte Haft, wenn der Schuldspruch nur nach einem Straftatbestand erfolgte, der nicht nur real keinen Anlass zur Verhängung einer Haft bot, sondern auch hypothetisch nicht zur Haft geführt hätte (1 Ob 169/07w; RIS‑Justiz RS0122965; vgl auch Kodek / Leupold in Höpfel / Ratz , WK² § 2 StEG Rz 33). Während das Berufungsgericht dieser Rechtsprechung zum StEG 2005 in der hier anzuwendenden Fassung gefolgt ist, negiert die Revision diese ohne überzeugende Begründung. Ihre mehrfache Bezugnahme auf die Entscheidung 1 Ob 116/17s geht ins Leere, weil auch dort die dargestellte Rechtsansicht zum StEG 2005 in der hier anzuwendenden Fassung bestätigt wurde. Auch aus der Entscheidung 1 Ob 171/15a ist für die Klägerin nichts zu gewinnen, weil die Frage, ob bereits dann eine ungerechtfertigte Haft vorliegt, wenn der Schuldspruch nur nach einem Straftatbestand erfolgte, der weder real noch hypothetisch zur Haft geführt hat bzw hätte, dort gar nicht thematisiert wurde. Davon, dass die Verjährungsfrist erst mit Rechtskraft des Freispruchs vom Vorwurf der Schlepperei zu laufen begann, ging das Berufungsgericht ohnehin aus. Die von der Revisionswerberin angenommene „Rückwirkung“ der Neuformulierung des § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 durch das BBG 2011 im Sinne einer Interpretation der früheren Rechtslage unter Berücksichtigung des nachträglich zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Willens (nach der aktuellen Gesetzeslage besteht nur dann ein Ersatzanspruch, wenn der verwirklichte Lebenssachverhalt zu gar keiner Verurteilung geführt hat; vgl EBRV 981 BlgNR 24. GP 69), wurde bereits in der Entscheidung 1 Ob 2/13w abgelehnt.
3. Dass wegen des bloßen Vorwurfs der Urkundenfälschung (diese war nach § 223 Abs 1 StGB idF vor dem 1. 1. 2016 [vgl BGBl I Nr 112/2015] mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht; die Klägerin wurde im ersten Rechtsgang wegen dieses Delikts zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt) keine Untersuchungshaft verhängt worden wäre, ist jedenfalls vertretbar (vgl 1 Ob 169/07w, wonach kein Zweifel bestehen könne, dass die dort „verbliebene" und vor der Novelle durch BGBl I Nr 112/2015 mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis 360 Tagessätzen bedrohte strafbare Handlung nach § 83 Abs 1 StGB keinen Anlass zur Verhaftung gegeben hätte). Dass es denkbar sei, dass in Einzelfällen auch wegen einer Urkundenfälschung die Untersuchungshaft verhängt wird, zeigt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf, zumal die Revisionswerberin nicht überzeugend darlegt, welche Fälle dies seien und weshalb gerade der vorliegende Fall darunter falle. Dass die (gehäuften) Urkundenfälschungen die Grundlage des Schleppereivorwurfs bildeten, lässt ebensowenig darauf schließen, dass auch aufgrund eines auf die Urkundenfälschungen beschränkten Vorwurfs die Untersuchungshaft verhängt worden wäre, wie der Hinweis der Revision auf die allgemeinen Haftgründe (und im Zusammenhang damit auf die chinesische Staatsbürgerschaft der Klägerin), zumal – was die Klägerin übersieht – bei der Verhängung der Untersuchungshaft auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die zu erwartende Strafe zu erfolgen hat. Dass es sich beim (tatsächlich) haftauslösenden Vorwurf strafrechtlich um eine „einheitliche Tat“ gehandelt habe, kann an der für das StEG maßgeblichen zivilrechtlichen Wertung einer ungerechtfertigten Haft – welche nach der anzuwendenden Rechtslage bei ideal‑ oder realkonkurrierenden strafbaren Handlungen eben bereits dann vorliegt, wenn der Täter von derjenigen strafbaren Handlung endgültig freigesprochen wurde, die Anlass zur Haft gegeben hatte – nichts ändern (vgl 1 Ob 169/07w).
4. Dass die Verjährungsfrist erst mit Rechtskraft des Beschlusses des Bezirksgerichts vom 2. 4. 2007, mit dem dieses aussprach, dass „hinsichtlich der von ihr [also der Klägerin] erlittenen Untersuchungshaft ein Ersatzanspruch nach dem StEG besteht“, zu laufen begonnen habe, ist unzutreffend. Das StEG 2005 in der auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung knüpft den Beginn der Verjährungsfrist – im Unterschied zu § 5 Abs 1 des StEG 1969 – nämlich gerade nicht mehr an die (nach dem StEG 2005 gar nicht mehr vorgesehene) Fassung eines solchen Beschlusses, sondern gemäß § 8 Abs 1 StEG an die – eben bereits mit dem Freispruch vom Vorwurf der Schlepperei erlangte – Kenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Unklarheiten über Rechtsfragen (die Revisionswerberin geht davon aus, erst durch den Beschluss des Bezirksgerichts Rechtskenntnis von ihrem Anspruch erlangt zu haben) schieben den Beginn der Verjährungsfrist nicht hinaus (RIS‑Justiz RS0050355 [T4, T5 und T6]). Diese beginnt vielmehr bereits dann zu laufen, sobald dem Kläger alle (tatsächlichen) Umstände bekannt waren, die für das Entstehen des Ersatzanspruchs gefordert sind (vgl 1 Ob 204/10x). Dass es sich bei dem (hier offensichtlich in Verkennung der anzuwendenden Rechtslage gefassten) Beschluss des Bezirksgerichts iSd § 6 Abs 2 StEG 1969 um keine Entscheidung über den Grund des Anspruchs iSd § 393 Abs 1 ZPO handelt, sei in Entgegnung der Revisionsausführungen angemerkt (RIS‑Justiz RS0119122). Auf die in erster Instanz – im Zusammenhang mit diesem Beschluss – behauptete Amtshaftung der Beklagten kommt die Revisionswerberin ebensowenig zurück, wie auf das daraus abgeleitete Anerkenntnis, sodass darauf nicht einzugehen ist.
5. Darauf, dass die Anspruchsvoraussetzungen für eine Entschädigung nach dem StEG erst deshalb mit dem endgültigen Freispruch (auch) vom Vorwurf der Urkundenfälschung durch das Bezirksgericht festgestanden seien, weil erst zu diesem Zeitpunkt gewiss gewesen sei, dass es zu keiner Anrechnung der Untersuchungshaft auf eine nachfolgende mildere Verurteilung nach § 3 StEG komme, hat sich die Klägerin in erster Instanz nicht berufen. Davon abgesehen stand bereits mit dem rechtskräftigem Freispruch (nur) vom Vorwurf der Schlepperei fest, dass es jedenfalls hinsichtlich des Teils der (Untersuchungs‑)Haft, der die im ersten Rechtsgang wegen des Urkundendelikts verhängte (bedingte) Freiheitsstrafe von einem Monat überstieg, wegen des strafrechtlichen Verschlechterungsverbots zu keiner Haftanrechnung kommen kann. Da die Revisionswerberin selbst behauptet, dass ihr Schaden nicht von der Dauer der Untersuchungshaft, sondern nur davon abhängt, dass eine solche überhaupt verhängt wurde, kann sie sich daher auch unter dem Blickwinkel des § 3 StEG nicht darauf berufen, nach rechtskräftigem Freispruch vom Vorwurf der Schlepperei keine Kenntnis von den anspruchsbegründenden Voraussetzungen ihres Ersatzanspruchs gehabt zu haben.
6. Einer
weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3
ZPO).
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