European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0170OS00025.17F.0108.000
Spruch:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Krems an der Donau verwiesen.
Mit ihren Rechtsmitteln werden die Staatsanwaltschaft und die Angeklagte Carolina W***** auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Carolina W***** und Astrid W***** je eines Verbrechens (richtig [RIS‑Justiz RS0106582]: jeweils zweier Verbrechen) der schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie von 9. Dezember 2016 bis 8. Juni 2017 in G***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mehrfach versucht, folgende Personen durch gefährliche Drohung „mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz“ zu Handlungen zu nötigen, die diese am Vermögen geschädigt hätten, indem sie in zahlreichen Schriftstücken „unter Androhung der Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister und unter anschließender Zwangsvollstreckung durch berechtigte Dritte“ unberechtigte Schadenersatzforderungen stellten, wobei sie mit dem Vorsatz handelten, sich (oder Dritte [vgl US 15]) durch das Verhalten der Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, und zwar
A/ die Bürgermeisterin der Stadtgemeinde G*****, Ludmilla E*****, zur Zahlung „von bis zu € 250.000,- 'Silberäquivalent', bei sonstiger Eintragung in das amerikanische Schuldenregister UCC“;
B/ den Obmann des Gemeindeverbandes für Abgabeneinhebung und Umweltschutz im Bezirk K*****, Walter H*****, zur Zahlung „von bis zu € 115.000,- 'Silberäquivalent' bei sonstiger Eintragung in das amerikanische Schuldenregister UCC“.
Einen „Freispruch“ (vgl aber RIS‑Justiz RS0115553) fällte das Erstgericht hinsichtlich des Vorwurfs, Carolina W***** und Astrid W***** hätten mit dem Vorsatz, Rechtsträger an nachgenannten Rechten zu schädigen, wissentlich versucht, Beamte dazu zu bestimmen, ihre Befugnis, im Namen des Bundeslandes Niederösterreich, der Gemeinde G***** und des Gemeindeverbandes K***** als deren Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen, indem sie diese „durch die Übermittlung der im Schuldspruch genannten Schriftstücke“ (also tateinheitlich), in denen sie „unter Stellung unberechtigter Schadenersatzforderungen und Androhung der Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister unter anschließender Zwangsvollstreckung durch berechtigte Dritte sinngemäß aufforderten, der ihnen gesetzlich übertragenen Verpflichtung zur Einhebung fälliger Gebühren und Abgaben nicht nach zu kommen“, und zwar
A/ die Bürgermeisterin der Stadtgemeinde G*****, Ludmilla E*****, mithin eine Beamte, zur Unterlassung der Einhebung von Kanalgebühren und der Hundeabgabe für die Jahre 2016 und 2017, wodurch die Gemeinde G***** an ihrem Recht auf Einhebung dieser Gebühren und Abgaben geschädigt worden wäre,
B/ den Obmann des Gemeindeverbandes für Abgabeneinhebung und Umweltschutz im Bezirk K*****, Walter H*****, mithin einen Beamten, zur Unterlassung der Einhebung bescheidmäßig vorgeschriebener Grundsteuer, wodurch der Gemeindeverband an seinem Recht auf Einhebung dieser Abgabe geschädigt worden wäre.
Carolina W***** bekämpft den Schuldspruch mit aus den Gründen der Z 4, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffener Nichtigkeitsbeschwerde. Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Nichtigkeitsbeschwerde gegen die unterbliebene Subsumtion nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB auf § 281 Abs 1 Z 5 und „9 lit a“ (richtig: 10) StPO.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass den Schuldsprüchen zum Nachteil beider Angeklagten ein von diesen nicht geltend gemachter Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) anhaftet, der von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Das Erstgericht traf folgende Feststellungen:
Die beiden Angeklagten sind „der bereits amtsbekannten Gruppierung der Souveränen oder Staatsverweigerer“ zuzuordnen. Als solche anerkennen sie staatliche Institutionen nicht, was sie verschiedenen Behörden und Organen der Gemeinde G***** in Schriftstücken kundtaten. Am 9. Februar 2016 übergab Carolina W***** persönlich Ludmilla E***** mehrere Briefe und teilte ihr mit, dass diese „keine Berechtigung habe, solche Vorschreibungen wie die Hundeabgabe auszusenden“. Ihre Mutter Astrid W***** wolle „die ihr vorgeschriebene Hundeabgabe nicht mehr entrichten“. Nach Zustellung einer Mahnung kündigte Carolina W***** im Mai 2016 Ludmilla E***** neuerlich an, dass ihre Mutter „die Hundeabgabe ab jetzt jedenfalls nicht mehr entrichten würde“. Beide Angeklagten verweigerten die Annahme weiterer Vorschreibungen der Hundeabgabe. Sie schickten ab Dezember 2016 Ludmilla E***** „von der Ideologie der amtsbekannten Gruppierungen von sogenannten Staatsverweigerern getragene Schriftstücke“, deren Wortlaut in den Entscheidungsgründen über mehrere Seiten (auszugsweise) wiedergegeben wird.
Überdies verweigerten die Angeklagten die Annahme der Vorschreibungen von Grundsteuer und Kanalgebühren; zudem stornierten sie „den die Kanalgebühren betreffenden Dauerauftrag“. Nach einer Mahnung wegen Nichtzahlung dieser (fälligen) Forderungen schickte Carolina W***** einen Brief an den Gemeindeverband K*****, in welchem sie „in bereits amtsbekannter Diktion diverse Legitimationen seitens des Gemeindeverbandes zum Nachweis der Rechtmäßigkeit der Abgaben“ forderte. Die in weiterer Folge an Walter H***** adressierten Schreiben referieren die Tatrichter wiederum passagenweise im Wortlaut. Zu deren Bedeutungsinhalt stellten sie in objektiver Hinsicht lediglich fest, Carolina W***** habe (in Absprache mit Astrid W***** [US 15]) Walter H***** aufgefordert, ihre (nicht näher präzisierten) „Bedingungen“ zu akzeptieren, „wobei bei Nichtbefolgung eine Exekution der Forderungen von bis zu € 115.000,- 'Silberäquivalent' auf Grund der übermittelten AGB in Aussicht gestellt“ worden sei (US 12 und 14).
Zur Nichtannahme von §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB hielten die Tatrichter fest, es habe weder in persönlichen Gesprächen noch in den Schreiben eine Aufforderung gegeben, die Einhebung der Kanalgebühren, der Hundeabgabe oder der Grundsteuer zu unterlassen, weshalb versuchte Bestimmung zum Befugnismissbrauch nicht habe festgestellt werden können (US 15 und 17).
Zu den Schuldsprüchen ging das Erstgericht rechtlich davon aus, „die Eintragung in das Schuldenregister UCC“ konfrontiere die Opfer „nicht nur mit einem nicht unerheblichen Zeitaufwand zur Beseitigung der ungerechtfertigten Eintragungen“, sondern „auch mit den Kosten der Abwehr der aus der Luft gegriffenen Forderungen, sowie der konkreten Kreditschädigung“. Da die beiden Opfer „die geforderten Beträge bei tatsächlicher exekutiver Hereinbringung“ nicht „bezahlen hätten können“, seien die Drohungen als solche „mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz zu werten“ (US 17 f).
Rechtliche Beurteilung
(Schwere) Erpressung verlangt unter anderem den Einsatz von Gewalt oder gefährlicher Drohung als Nötigungsmittel, wobei vorliegend lediglich eine Drohung mit einer Verletzung am Vermögen in Rede steht. Die rechtliche Annahme der Eignung einer Äußerung, die begründete Besorgnis einzuflößen, der Täter sei willens und in der Lage, das angekündigte Übel herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0092538, RS0092255 [T1]; Jerabek/Reindl-Krauskopf/Ropper/Schroll in WK 2 StGB § 74 Rz 34), setzt Feststellungen zum Bedeutungsinhalt dieser Äußerung voraus, welche durch die bloße Wiedergabe ihres Wortlauts nicht ersetzt werden können. Diese dient allenfalls der Begründung der Konstatierungen (RIS‑Justiz RS0092437 [T4], RS0092588; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 286; zum Ganzen auch Eder-Rieder in WK 2 StGB § 144 Rz 9 und 13 ff).
Dem angefochtenen Urteil ist – mangels Feststellungen zum Bedeutungsinhalt – nicht mit Bestimmtheit zu entnehmen, welches Übel die Angeklagten den Opfern ankündigten. Zwar ist der Vermögensbegriff unter dem Aspekt gefährlicher Drohung weit auszulegen. Auch die Drohung mit Strafanzeige oder Klage kann (als eine solche mit Verletzung am Vermögen) tatbildlich sein, wenn damit beim Opfer der Eindruck erweckt wird, (Verfahrens-)Kosten für die Abwehr ungerechtfertigter Ansprüche aufbringen zu müssen ( Schwaighofer in WK 2 StGB § 105 Rz 60; Kienapfel/Schroll BT I 4 § 105 Rz 39 [jeweils mit Verweisen auf die Rechtsprechung]; vgl auch 17 Os 16/17g). Die bloße Ankündigung der Eintragung einer – offenbar unberechtigten (vgl US 18: „aus der Luft gegriffenen“) – Forderung in ein amerikanisches Schuldenregister, ohne dieses oder die Folgen einer solchen Eintragung (den Opfern gegenüber) näher darzustellen, bietet jedoch bei Anlegung des gebotenen objektiv-individuellen Maßstabs (RIS-Justiz RS0092753) keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Annahme der Eignung der inkriminierten Schreiben, eine solche Befürchtung (mit derartigen Abwehrkosten konfrontiert zu sein) oder gar die Besorgnis, die geforderten Summen tatsächlich zahlen zu müssen, zu wecken. Der mehrfache Hinweis in den Entscheidungsgründen, die „Gruppierung der Souveränen oder Staatsverweigerer“ und ihre an Behörden gerichtete Schreiben seien „amtsbekannt“, vermag dieses Defizit nicht auszugleichen, weil auch notorische Tatsachen festzustellen sind (RIS‑Justiz RS0124169; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 348 und 456).
Davon abgesehen enthält das Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Subsumtion nach § 145 Abs 1 Z 1 StGB. Angesichts der Weite des Qualifikationstatbestands („Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz“) und des Umstands, dass für Erpressung keine Schadensqualifikation besteht, bedarf es konkreter Feststellungen im Einzelfall sowohl zum objektiven Sachverhalt (wirtschaftliche Verhältnisse der Bedrohten) als auch zum darauf bezogenen Vorsatz der Täter (RIS‑Justiz RS0094007; vgl auch RIS‑Justiz RS0094015; Eder-Rieder in WK 2 StGB § 145 Rz 3/2). Demgegenüber bleibt der Hinweis, dass die Opfer die „exorbitanten Schadenersatzbeträge“ (von 250.000 Euro bei Ludmilla E***** und 115.000 Euro bei Walter H*****) „in keinem Fall hätten bezahlen können, ohne dass es deren wirtschaftlichen Ruin bedeutet hätte“ (US 14 f), ohne ausreichenden Sachverhaltsbezug (RIS-Justiz RS0119090).
Diese Rechtsfehler mangels Feststellungen zwingen zur Aufhebung der Schuldsprüche hinsichtlich beider Angeklagten, demgemäß auch der Strafaussprüche (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und des Kostenausspruchs bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 StPO).
Auf diese Entscheidung waren die Staatsanwaltschaft und Carolina W***** mit ihren Rechtsmitteln, die demnach keiner Erörterung bedurften, zu verweisen.
Bleibt anzumerken, dass der verfehlte und prozessual unbeachtliche „Subsumtionsfreispruch“ (US 3 f) vom Anklagevorwurf (in Idealkonkurrenz begründeter, versuchter Bestimmung zum) Missbrauch der Amtsgewalt einer solchen Subsumtion im zweiten Rechtsgang nicht entgegensteht (RIS-Justiz RS0115553 [T5 und T11]; 17 Os 30/15p; Ratz , WK-StPO § 293 Rz 15).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)