OGH 17Os30/15p

OGH17Os30/15p14.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2015 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher, sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jürgen N***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Sieglinde L***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. Juli 2015, GZ 11 Hv 28/14m‑105, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0170OS00030.15P.1214.000

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A/III, demgemäß auch im Strafausspruch und im Kostenausspruch hinsichtlich Sieglinde L***** aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ‑ soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung ‑ Sieglinde L***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt (A/III).

Danach hat sie zwischen 21. Oktober und 21. November 2011 in Wien mit dem Vorsatz, dadurch die Gemeinde Wien an ihrem Recht auf Parkraumbewirtschaftung und (ersichtlich gemeint vgl US 13 und 22) Einhebung der Parkometerabgabe (§§ 45 Abs 4 und 4a StVO iVm §§ 2 und 4 Wiener PauschalierungsVO) zu schädigen, den abgesondert verfolgten Manuel H*****, der als Vertragsbediensteter der Stadt Wien für die Ausstellung von Ausnahmebewilligungen gemäß § 45 Abs 4 StVO (iVm § 43 Abs 2a Z 1 StVO; [„Parkpickerl“]) zuständig war, mithin einen (im strafrechtlichen Sinn) Beamten der Gemeinde Wien, wissentlich dazu bestimmt (§ 12 zweiter Fall StGB), seine Befugnis, im Namen der Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch zu missbrauchen, dass er ein „Parkpickerl ohne entsprechenden formellen Antrag sowie (damit einhergehend) ohne Prüfung der von der Gemeinde Wien im Sinne einer effektiven und zielführenden Parkraumbewirtschaftung erstellten Voraussetzungen für“ den von ihr gewünschten Bezirk „gegen Bezahlung eines nicht den standardmäßigen Tarifen entsprechenden, geringeren Betrages herstellte und“ den solcherart eingehobenen Betrag „nicht an die Gemeindekasse abführte, sondern für private Zwecke verwendete“, indem sie Stefanie G***** (als einer der Mittelspersonen des M***** H*****) in Kenntnis des Tatplans das Kennzeichen samt dem gewünschten Bezirk und der gewünschten Gültigkeitsdauer von einem Jahr mitteilte, nachdem sie von Amir Ga***** dazu beauftragt worden war.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist berechtigt.

Zutreffend zeigt die Mängelrüge auf, dass die Feststellung zur Wissentlichkeit der Beschwerdeführerin in Bezug auf den Befugnismissbrauch des unmittelbaren Täters (US 12 f iVm US 19 und 23) unvollständig begründet ist (Z 5 zweiter Fall). In diesem Zusammenhang konstatierte das Erstgericht, Stefanie G***** habe der (sich zur subjektiven Tatseite leugnend verantwortenden) Beschwerdeführerin von der Möglichkeit erzählt, ein Bekannter kenne „jemanden aus dem Magistrat“ der „Parkpickerl ohne Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ausstellt“ (US 11). Die Beschwerdeführerin habe weiters gewusst, durch ihr Verhalten einen ihr namentlich nicht bekannten Beamten „zum Missbrauch seiner Befugnis, ein Amtsgeschäft in Vollziehung der Gesetze vorzunehmen, nämlich ein Parkpickerl ohne Überprüfung der Voraussetzungen und ohne Einhebung der tarifmäßigen Gebühren auszustellen“, veranlasst zu haben (US 12 f). Stefanie G***** sagte als Beschuldigte in ihrer (in der Hauptverhandlung vorgetragenen [ON 104 S 14]) Vernehmung durch die Kriminalpolizei allerdings aus, sie habe der Beschwerdeführerin erzählt, „dass man über einen Magistratler die Gelegenheit hat Parkpickerl auch für andere Bezirke zu erhalten als in jenem in dem man wohnt. Ganz legal und dass diese vom Magistrat ausgestellt werden“. Sie sei „felsenfest der Meinung“ gewesen, „dass die Parkpickerl völlig legal ausgestellt wurden“ (ON 8 S 95 ff). In der Hauptverhandlung verneinte Stefanie G***** überdies die Frage, ob der Beschwerdeführerin gegenüber „je die Rede davon“ gewesen sei, „dass dies nicht legal sein könnte“ (ON 30 S 29). Diese Angaben der Mitangeklagten Stefanie G*****, des einzigen Bindeglieds zwischen der Beschwerdeführerin und dem unmittelbaren Täter und dessen Mittelsmännern, stellt ‑ wie die Mängelrüge richtig einwendet ‑ ein mit Blick auf die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite erhebliches Beweisergebnis dar, welches die Tatrichter unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit hätten erörtern müssen (RIS‑Justiz RS0098646). Dieser Begründungsmangel zwingt zur Aufhebung des Schuldspruchs A/III einschließlich des darauf beruhenden Strafausspruchs und des Sieglinde L***** betreffenden Kostenausspruchs bei der nichtöffentlichen Beratung samt Anordnung einer neuen Verhandlung und Verweisung der Sache an das Erstgericht (§ 285e StPO).

Darauf war die Angeklagte mit ihrer Berufung zu verweisen.

Bleibt anzumerken, dass der verfehlte und prozessual unbeachtliche (vgl RIS‑Justiz RS0115553 [T5]; Ratz , WK‑StPO § 293 Rz 15) „Subsumtionsfreispruch“ (US 7) vom Vorwurf der ‑ nach der Anklage (Punkte A/III und B/III; vgl ON 14 S 3 und 9) idealkonkurrierenden ‑ Verwirklichung des Tatbestands der Bestechung einer solchen Subsumtion des identen Tatgeschehens im zweiten Rechtsgang nicht entgegensteht. In jedem Fall wird das Erstgericht aber das (nur) die Sanktion betreffende Verschlechterungsverbot (§ 293 Abs 3 StPO) zu beachten haben.

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