European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133239
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Erstantragstellerin mit Sitz in Wien ist eine Tochtergesellschaft der D* GmbH mit Sitz in Wien. Unternehmensgegenstand der Erstantragstellerin sind Vor- und Konsolidierungsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Zustellung von Briefen sowie persönlich adressierten Massendrucksachen für Großkunden (so etwa Energieversorger, Telekommunikationsunternehmen, Großhandel ua) an deren Endkunden. Unter Konsolidierungsdienstleistungen wird vor allem das Avisieren, Prüfen der Maschinenfähigkeit, Vorsortieren und zeitgerechte Aufliefern von persönlich adressierten Postsendungen in einem Verteilerzentrum der Antragsgegnerin verstanden. Mit dem Konsolidieren ist eine Optimierung der Versandkosten der jeweiligen Absender, aber auch der Verarbeitungskosten der Antragsgegnerin verbunden. Für Druck und Kuvertierung bedient sich die Erstantragstellerin externer Dienstleister wie der Zweit-, Dritt- und Viertantragstellerin.
[2] Primärer Unternehmensgegenstand der Zweit-, Dritt- und Viertantragstellerinnen ist somit die Aufbereitung, der Druck, die Kuvertierung sowie die Bereitstellung der Sendungen/Mailings für die terrestrische Zustellung der Antragsgegnerin. Die Drittantragstellerin bietet darüber hinaus den Briefversand ins Ausland an. Die Viertantragstellerin ist mit der Erstantragstellerin konzernmäßig verbunden, da beide Tochtergesellschaften der D* GmbH sind.
[3] Die Antragsgegnerin steht zu 52,85 % im Eigentum der Österreichischen Beteiligungs AG, deren Alleinaktionär die Republik Österreich ist. 47,15 % der Anteile an der Antragsgegnerin befinden sich in privatem und institutionellem Streubesitz. Sie wurde gemäß § 1 des Poststrukturgesetzes (BGBl Nr 201/1996) zur Besorgung der ehemals der staatlichen Post- und Telegraphenverwaltung vorbehaltenen Aufgaben errichtet und ist gemäß § 12 Abs 1 des Bundesgesetzes über die Regulierung des Postmarktes (Postmarktgesetz – PMG) Universaldienstbetreiber. Nur die Antragsgegnerin verfügt über ein bundesweit flächendeckendes Zustellsystem für Briefe und Info.Mail.
[4] Die Antragsgegnerin ist über ihren 70%‑Anteil an der P* GmbH Gesellschafterin der D* GmbH. Letztere ist unmittelbare Wettbewerberin der Antragstellerinnen. Weiters ist die Antragsgegnerin Alleingesellschafterin der f* GmbH, die im Bereich Werbemittelverbreitung und Konsolidierung als unmittelbare Wettbewerberin der Erstantragstellerin tätig ist.
[5] Die Antragstellerinnen begehren die Abstellung des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin, und zwar (soweit für das vorliegende Rekursverfahren relevant) dadurch, dass sie der Erstantragstellerin auf das Entgelt für die Beförderung von persönlich adressierten Massendrucksachen („Info.Mail“) bei gleicher Jahresmenge gegenüber anderen Großkunden eingeschränkte Rabattstaffeln, geringere Rabatte oder geringere Jahresboni gewährt und die mit Großkunden vereinbarten Rabattstaffeln und Rabattsätze (Jahresboni) für Info.Mail einer Geheimhaltungsverpflichtung unterwirft.
[6] Dazu brachten die Antragstellerinnen – soweit für das Rekursverfahren von Relevanz – im Wesentlichen vor, die Antragsgegnerin schließe im Geschäftsbereich Info.Mail für die Zustellung persönlich adressierter Massendrucksachen mit Großkunden in der Regel Jahresverträge ab, in denen diesen Kunden von der Antragsgegnerin auf den feststehenden Tarif für die Zustellung ein Rabatt zugesagt werde, dessen Höhe von der Jahresmenge der zuzustellenden Massendrucksachen abhänge und der somit ein reiner Mengenrabatt sei. Dabei gebe es bei der Antragsgegnerin im Geschäftsbereich Info.Mail aber kein offenes, transparentes und für jedermann geltendes Rabattsystem. Vielmehr gewähre die Antragsgegnerin ihren Kunden für gleichwertige Leistungen Rabatte in unterschiedlicher Höhe und benachteilige vor allem Dienstleister, also Druckereien und Konsolidierer, gezielt. So erhielten Direktkunden der Antragsgegnerin für Info.Mail‑Sendungen zusätzlich zu den Jahresbonusrabatten Sofortrabatte bis zu 20 % für „Neu‑Geschäfte“, wobei diese Rabatte oft unrichtig unter dem Titel „Neukundengeschäft“ ausgewiesen würden, obwohl kein Neukundengeschäft vorliege.
[7] Die im Mai 2015 gegründete Erstantragstellerin sei im Produktumfeld Vordienstleistungen für gewerbliche Brief‑ und Info.Mail‑Versender der einzige Dienstleister, da dieses Geschäftsmodell durch zu geringe Vergütungen für Vordienstleistungen sowie Streichung und Kürzung von Mengenbonifikationen nicht lukrativ sei. Die Erstantragstellerin arbeite höchst effizient. Sie beschäftige nur eine Person geringfügig und den Geschäftsführer über Werkvertrag, der für die gesamte operative Tätigkeit verantwortlich sei. Die Vordienstleistungen würden in Innenabstimmung mit den Zweit‑ bis Viertantragstellerinnen als Schwester‑ und Partnerdruckereien erbracht. Vom Verhalten der Antragsgegnerin seien auch alle anderen Dienstleister betroffen.
[8] Die Zweit‑, Dritt‑ und Viertantragstellerinnen hätten ihr Postvolumen und das ihrer Kunden gebündelt und über den Postvertrag der Erstantragstellerin aufgeliefert, weil nur auf diesem Weg Rabatte erzielt werden hätten können. Eine Benachteiligung der Zweit‑, Dritt‑ und Viertantragstellerinnen liege somit auf der Hand. Überdies bevorzuge die Antragsgegnerin vor allem im Druckbereich eigene Tochtergesellschaften und sehe für Dienstleister schlechtere Rabattstaffeln vor als für andere Unternehmen. Aus diesen Gründen werde der Vorteil der Zweit‑, Dritt‑ und Viertantragstellerin eines kosteneffizienten Drucks aufgehoben, sodass diese keine Neukunden akquirieren könnten.
[9] Nach dem Markteintritt der Erstantragstellerin in den Markt für Post‑Konsolidierungsdienstleistungen im Mai 2015 habe die Antragsgegnerin Maßnahmen ergriffen, um die Erstantragstellerin gezielt zu behindern. So habe sie die Rabattstaffeln für die Erstantragstellerin im Vergleich zu den zuvor der Viertantragstellerin gewährten Jahresbonifikationen zu Ungunsten der Erstantragstellerin massiv gesenkt. Andere Großkunden der Antragsgegnerin hätten hingegen für den gleichen Jahresumsatz deutlich höhere Jahresboni erhalten. Dies betreffe insbesondere die für Konsolidierer typischen höheren Jahresumsätze. Die Erstantragstellerin werde im Vergleich zu anderen Großkunden der Antragsgegnerin, die selbst (intern) versendeten, durch nachteilige Rabattstaffeln massiv benachteiligt.
[10] Der Antragsgegnerin komme als ehemalige Monopolistin für Postdienstleistungen und Universaldienstbetreiber in weiten Teilen des österreichischen Postsektors, so auch auf dem Markt für die End‑to‑End‑Beförderung von Briefen und persönlich adressierten Massendrucksachen, eine marktbeherrschende Stellung iSd § 4 Abs 1 Z 1 und 2 sowie § 4 Abs 3 KartG zu. Konsolidierer wie die Erstantragstellerin könnten ihre Leistung erst erbringen, wenn sie auf Leistungen der Antragsgegnerin zugreifen könnten. Die Antragstellerinnen seien daher als Kunden der Antragsgegnerin zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Leistungen der Antragsgegnerin angewiesen. Ihnen komme ein Rechtsanspruch auf die Einräumung der gleichen Rabatte zu, wie sie selbst einliefernden Massenversendern gewährt würden.
[11] Die Antragsgegnerin verwende die Geheimhaltungsklausel als Druckmittel, indem sie drohe, die Vertragsbeziehung zu beenden, wenn die Konditionen Dritten bekanntgegeben würden. Weitere benachteiligte Dienstleister hätten sich dem vorliegenden Antrag nicht angeschlossen, weil sie weitere Ungleichbehandlungen durch die Antragsgegnerin (auch in anderen Produktsegmenten) befürchteten. Die Geheimhaltungsklausel stehe für ein Modell der Günstlingswirtschaft und Bevorzugung einzelner (von der Antragsgegnerin ausgesuchter) Unternehmer im Gegenzug gegen (vertraglich zugesicherte) Verschwiegenheit.
[12] Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung der Anträge und wandte im Wesentlichen ein, von den Antragstellerinnen sei kein noch andauernder Verstoß behauptet worden. Die Antragstellerinnen könnten eine angebliche marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin nicht beweisen. Eine unzulässige Diskriminierung iSd § 5 Abs 1 Z 3 KartG liege nicht vor, weil Konsolidierer und Großkunden der Antragsgegnerin auf unterschiedlichen Marktstufen tätig seien. Großkunden seien Endkunden der Antragsgegnerin, während Konsolidierer lediglich Teilleistungen von der Antragsgegnerin bezögen, um ihrerseits Leistungen an Endkunden anbieten zu können.
[13] Geheimhaltungsklauseln dienten dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor Offenlegung gegenüber Dritten und seien kein missbräuchliches Verhalten.
[14] Mit dem angefochtenen Teilbeschluss gab das Erstgericht dem Abstellungsbegehren im Hinblick auf a) das Entgelt für die Beförderung von persönlich adressierten Massendrucksachen („Info.Mail“) sowie b) die Geheimhaltungsverpflichtung betreffend die mit Großkunden vereinbarten Rabattstaffeln und Rabattsätze für Info.Mail statt. Hingegen wies es ein Mehrbegehren im Zusammenhang mit den Produkten „Päckchen Small Prio“ und „Päckchen Small Eco“ ab; letzteres Begehren ist nicht Gegenstand des Rekursverfahrens.
[15] Das Erstgericht trafua folgende Feststellungen:
[16] In die Produktkategorie „Info.Mail“ fallen vom Format und Gewicht idente Sendungen mit werblichem Inhalt und ausschließlich gedruckter Anschrift, von denen mindestens 400 Stück aufgegeben werden. Sie müssen maschinenfähig sein. Es handelt sich um persönlich adressierte Drucksachen, also Direktmarketing‑Aussendungen in Briefform, wie etwa adressierte Werbung. In die Kategorie „Brief“ fallen hingegen Sendungen in Briefform, deren Versendung aufgrund einer rechtlichen oder vertraglichen Pflicht erfolgt, wie etwa Rechnungen, Mahnungen, Vorschreibungen etc.
[17] Die Datenaufbereitung, der Druck, die Kuvertierung oder das Einschweißen in eine Folie, die Adressierung und Frankierung von Info.Mail‑Sendungen sowie deren Auflieferung in einem Verteilzentrum der Antragsgegnerin können vom Großkunden selbst oder von einem vom Großkunden beauftragten Konsolidierer erbracht werden. Die Konsolidierer holen die Poststücke beim Großkunden ab, sortieren sie nach Produktkategorien, Produkten, Verteilzentren etc, erstellen Versanddokumente, avisieren die Sendungen bei der Antragsgegnerin und liefern die vorsortierten Postmengen zu bestimmten Verteilzentren der Antragsgegnerin. Großkunden, die selbst aufliefern, erledigen alle diese Arbeitsschritte selbst.
[18] Der horizontal sachlich relevante Markt ist aus der nachgelagerten Endkundensicht mit „Info.Mail“ abgegrenzt. Der räumlich relevante Markt erstreckt sich auf das gesamte Bundesgebiet.
[19] Im Bereich Info.Mail ist die Antragsgegnerin nicht im Bereich Druck/Vorleistungen tätig. In diesem Bereich sind Vorleistungen Bestandteil der Produktdefinition und der Vereinbarung. Das heißt, dass die Vorleistungen jedenfalls von den Kunden der Antragsgegnerin erbracht werden müssen, damit die Preise der Antragsgegnerin für Info.Mail zur Anwendung kommen. Daher werden für Info.Mail‑Sendungen von der Antragsgegnerin keine zusätzlichen Vorleistungsrabatte gewährt.
[20] Im Markt „Info.Mail“ liegt der Marktanteil der Antragsgegnerin bei etwa 99 %; die Antragsgegnerin ist marktbeherrschend.
[21] Die Antragsgegnerin schließt für das Produkt Info.Mail sowohl mit Konsolidierern als auch mit selbsteinliefernden Großkunden längerfristige Vereinbarungen, in der Regel Jahresverträge, ab. In diesen wird festgelegt, unter welchen Bedingungen bei der Inanspruchnahme von Leistungen der Antragsgegnerinnen Rabatte gewährt werden. Weiters sind in diesen Vereinbarungen die Versandbedingungen sowie die Rabattstaffeln geregelt.
[22] In einem Anhang zur jeweiligen Vereinbarung sind die einzuhaltenden Versandvorbereitungen aufgelistet, ohne die kein Rabatt gewährt wird. Dazu gehören die Voraussetzungen für die maschinelle Les‑ und Bearbeitbarkeit, einzuhaltende Mindestmaße, die Aufbereitung mit der Software „Postversandmanager Professional“ ab einer Menge von 60.000 Stück sowie die Ankündigung dieser Menge spätestens fünf Werktage vor Auflieferung. Für Sendungen zum Info.Mail‑Vorteilstarif muss der Post‑Versandmanager ab Auslieferung einer Menge von 50.000 Stück verwendet werden. Die Sendungen müssen nicht nach Postleitzahl des Empfängers sortiert, jedoch stehend, Anschrift auf Anschrift mit einem Freimachungsvermerk oben, in dem von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Briefbehältern oder geeigneten Kuvertkartons in Rollcontainern oder auf Europaletten aufgeliefert werden.
[23] Die von der Antragsgegnerin ihren Endkunden einerseits und den Konsolidierern andererseits gewährten Rabatte im Bereich Info.Mail waren im Durchschnitt bis zum Jahr 2017 vergleichbar. Ab diesem Zeitpunkt gingen die Rabatte für Konsolidierer stark zurück. Im Jahr 2019 entsprach der Rabatt der Konsolidierer nur noch rund 34 % jenes Rabatts, den Endkunden der Antragsgegnerin enthielten. Vergleicht man den Rabatt der Konsolidierer im Jahr 2017 mit jenem im Jahr 2019, so betrug er 2019 nur mehr 28 % des Ursprungswerts. Im Jahr 2017 waren unter den 50 größten Kunden der Antragsgegnerin noch sechs Konsolidierer mit einem gesamten Anteil von 6,5 % an den Umsätzen der Antragsgegnerin im Bereich Info.Mail. Im Jahr 2019 reduzierte sich dies auf vier Konsolidierer, die weniger als 2 % der Umsätze im Info.Mail‑Bereich bewirkten. Hintergrund für die Verminderung der Rabattstaffel für die Erstantragstellerin war, dass die Antragsgegnerin den Markteintritt von Konsolidierern im Bereich Info.Mail nicht schätzte.
[24] 2017 waren vier Großkunden der Antragsgegnerin besser gestellt als der bestgestellte Konsolidierer. Diese Großkunden hatten einen gesamten Anteil von knapp einem Viertel am Info.Mail‑Umsatz der Antragsgegnerin und lukrierten einen durchschnittlichen Rabatt von knapp 40 %. Im Jahr 2019 erhöhte sich der Anteil der besser als der bestgestellte Konsolidierer gestellten Kunden auf 40, die mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes im Info.Mail‑Bereich erreichten. Der von ihnen erhaltene durchschnittliche Rabatt sank zwar von knapp 40 % auf etwa 14 %, war jedoch immer noch mehr als drei mal höher als der von den Konsolidierern erhaltene Rabatt. Diese Kunden sind daher für die Konsolidierer als Zielgruppe nicht erreichbar. Die Antragsgegnerin nimmt für sich in Anspruch, zu dieser Ungleichbehandlung berechtigt zu sein.
[25] Die Rabatte im Info.Mail‑Bereich enthalten eine signifikante operative Komponente und sind keine reinen Mengenrabatte.
[26] Konsolidierer geben einen Großteil der lukrierten Rabatte an ihre Kunden weiter. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Kunden der Konsolidierer auf weitergegebene Rabatte nicht mit einer Stimulation der Nachfrage nach Postdiensten reagieren. Damit befinden sich im Bereich Info.Mail Kunden der Antragsgegnerin und Konsolidierer in einer vergleichbaren Situation, da beide Gruppen als Reaktion auf Preissenkungen das Gesamtvolumen der Antragsgegnerin erhöhen. Ob dies direkt über Mengenrabatte der Antragsgegnerin oder indirekt über weitergegebene Rabatte der Konsolidierer erfolgt, spielt aus ökonomischer Sicht keine Rolle.
[27] In den Vereinbarungen betreffend das Produkt Info.Mail ist sowohl bei Konsolidierern als auch bei Großkunden eine Geheimhaltungsklausel enthalten.
[28] Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass die Rabattgewährung und die Geheimhaltungsverpflichtung beim Produkt Info.Mail einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung darstelle. Beim Produkt Info.Mail handle es sich nicht um Mengenrabatte; vielmehr wiesen die Rabatte eine starke operative Komponente auf. Die Überlegungen in der Entscheidung des EuGH im Fall bpost SA ließen sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen.
[29] Der Umstand, dass die Erstantragstellerin, die im Markt Info.Mail bei vergleichbaren Mengen signifikant geringere Rabatte von nur etwa einem Drittel erhielt, im Jahr 2018 wegen der Diskriminierung durch die Antragsgegnerin aus dem Markt austrat, hindere die Fassung eines Abstellungsauftrags nicht. Von einer Abstellung des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung seitens der Antragsgegnerin könne keine Rede sein, weil diese nach wie vor für sich in Anspruch nehme, zur Ungleichbehandlung von Großkunden und Konsolidierern berechtigt zu sein.
[30] Das Transparenzgebot des Art 12 vierter und fünfter Gedankenstrich der Postdienste‑Richtlinie 97/67 schließe eine Geheimhaltung von tatsächlich vereinbarten Tarifen aus.
[31] Gegen den antragstattgebenden Teil des Teilbeschlusses richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Antragsgegnerin aus den Rekursgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtigen Tatsachenfeststellung (§ 49 Abs 4 KartG) und unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im gänzlich antragsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[32] Die Antragstellerinnen beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
[33] Die Bundeswettbewerbsbehörde erstattete eine Rekursbeantwortung, in der sie ihre Rechtsauffassung darlegte, jedoch keine expliziten Anträge stellte.
Rechtliche Beurteilung
[34] Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
[35] Der Rekurs ist nicht berechtigt.
[36] 1.1. Zur Tatfrage gehört die Feststellung der den Sachverhalt bildenden Tatsachen einschließlich aller Schlussfolgerungen. Zur Rechtsfrage gehören die Anwendung der entsprechenden Rechtsnorm samt der für ihre Anwendung notwendigerweise vorausgesetzten Erfahrungssätze (einschließlich der Denkgesetze) und allgemeinen Rechtsbegriffe sowie sämtliche rechtliche Schlussfolgerungen aus dem festgestellten Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0111996).
[37] Tatsachen sind einem Beweis (Zeugen, Urkunden, Sachverständige, Augenschein, Parteienvernehmung) zugänglich. Die Tatsachenfrage fragt nach dem tatbestandlich relevanten Sachverhalt. Die Rechtsfrage bewertet demgegenüber den Sachverhalt aus rechtlicher Sicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ermittlung des Tatsachenstoffes eine juristische Aufgabe ist, wobei der Jurist der sachverständigen Hilfe bedarf, wenn seine Alltagserfahrung nicht ausreicht (F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre2 420).
[38] In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Frage der Marktabgrenzung Tatfrage ist, soweit es dabei um die Feststellung objektiv überprüfbarer Abgrenzungskriterien geht; hingegen ist sie Rechtsfrage, soweit es um eine Bewertung der der Marktabgrenzung zugrunde gelegten Methode geht (RS0124421).
[39] Ob ein marktbeherrschendes Unternehmen Kostensenkungen in der Absicht vorgenommen hat, seine Konkurrenten auszuschalten, ist eine Tatfrage (RS0110380).
[40] Bei der Beweisaufnahme durch Sachverständige ist es deren Aufgabe, aufgrund ihrer einschlägigen Fachkenntnisse jene Methode auszuwählen, die sich zur Klärung der nach dem Gerichtsauftrag jeweils maßgebenden strittigen Tatfrage(n) am besten eignet; andernfalls verhinderte das Gericht, dem es an der notwendigen Fachkunde zur Lösung der durch Sachverständige zu beurteilenden Tatfragen mangelt, die Fruchtbarmachung spezifischen Expertenwissens (RS0119439). Daher hat das Gericht Sachverständigen die im Zuge der Auftragserledigung anzuwendende(n) Methode(n) im Allgemeinen nicht vorzuschreiben, gehört doch die Methodenwahl zum Kern der Sachverständigentätigkeit (RS0119439).
[41] 1.2. Diese Erwägungen lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Nach dem den Feststellungen des Erstgerichts zugrunde liegenden Sachverständigengutachten sind die Rabatte im Bereich Info.Mail aus ökonomischer Sicht keine reinen Mengenrabatte, weil sie eine signifikante operative Komponente enthalten (also auch ein Bonus für die Einhaltung vereinbarter Versandvorbereitungen sind). Die Voraussetzungen und Struktur des Rabattsystems sowie dessen Auswirkungen und Einstufung aus ökonomischer Sicht sind dem Tatsachenbereich zuzurechnen; dem gegenüber fällt die rechtliche Bewertung des Rabattsystems in den Bereich der rechtlichen Beurteilung.
[42] 1.3. Zur Darlegung des Rekursgrundes nach § 49 Abs 3 KartG hat das Rechtsmittel mit voller Bestimmtheit klarzumachen, weshalb ein deutlich und bestimmt (bei umfangreichen Akten zudem unter genauer Angabe der Fundstelle) bezeichnetes Beweismittel die Feststellung einer gleichermaßen deutlich und bestimmt zu bezeichnenden entscheidenden Tatsache im geforderten Ausmaß bedenklich erscheinen lasse (16 Ok 1/18k = SZ 2018/55).
[43] Keine erheblichen Bedenken werden nach der Rechtsprechung etwa geltend gemacht, indem aktenkundige Beweisergebnisse nicht gegen die Feststellung entscheidenden Tatsache, sondern isoliert gegen den persönlichen Eindruck der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit einer Beweisperson ins Treffen geführt werden (Ratz in WK StPO2 § 281 Rz 491; 16 Ok 1/18k mwN). Der Oberste Gerichtshof hat auch einer Tatsachenrüge nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO, die auf ein Sachverständigengutachten gestützte Feststellungen bekämpfte, indem sie dieses Gutachten einer eigenständigen Bewertung unterzog, nicht Folge gegeben, weil diese den Kriterien des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes nicht gerecht werde: Erforderlich sei das Aufzeigen aktenkundiger Beweisergebnisse, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen ließen, somit intersubjektiv – gemessen an Erfahrungs‑ und Vernunftsätzen – eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahe legen (RS0119583; 16 Ok 1/18k). Der Versuch, unter eigenständiger Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Verfahrensresultaten die Erwägungen der Tatrichter in Zweifel zu ziehen, bringt den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO nicht zur Darstellung (12 Os 119/15i). Der erkennende Senat hat bereits in der Entscheidung 16 Ok 1/18k ausgesprochen, dass diese zur StPO ergangene Rechtsprechung überzeugend ist und auch auf die Auslegung des § 49 Abs 3 KartG, der sich nach den Gesetzesmaterialien an § 281 Abs 1 Z 5a StPO orientiert (1522 BlgNR 25. GP 14), übertragbar ist.
[44] 1.4. Der Verweis auf isolierte Passagen des Sachverständigengutachtens, die nach Auffassung des Rekurswerbers gravierende Bedenken gegen die Feststellungen des Kartellgerichts begründen, bringt den Rekursgrund nicht zur gesetzmäßigen Darstellung, hat der Sachverständige doch mehrfach ausdrücklich das Vorliegen einer operativen Komponente im gegenständlichen Rabattsystem bejaht, sodass am Inhalt seiner Ausführungen kein Zweifel bestehen kann. Das Sachverständigengutachten bietet in seiner Gesamtheit zweifellos eine ausreichende Tatsachenbasis für die Feststellungen des Erstgerichts, sodass Bedenken iSd § 49 Abs 3 KartG jedenfalls nicht vorliegen.
[45] 2.1. Auch die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor. Soweit der Rekurs das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung bzw Erörterung des Sachverständigengutachtens rügt, ist dem entgegenzuhalten, dass die Antragsgegnerin im Verfahren erster Instanz weder ergänzende Fragen an den Sachverständigen gestellt noch dessen Ladung zu einer Verhandlung beantragt hat. Zu einer amtswegigen Erörterung des Gutachtens bestand in Anbetracht der zweifelsfreien Ergebnisse des Sachverständigen keine Veranlassung.
[46] Im Übrigen vermag der Rekurs nicht aufzuzeigen, welches zusätzliche Vorbringen die Antragsgegnerin im Falle einer Abhaltung einer mündlichen Verhandlung erstattet bzw welche Fragen sie dem Sachverständigen gestellt hätte und inwiefern dies zu einer abweichenden Entscheidung führen hätte können.
[47] 2.2. Auch die Unterlassung der Einvernahme von Mag. M* war nicht geeignet, die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache zu hindern (§ 57 Z 4 AußStrG). Abgesehen davon, dass die Einvernahme von Zeugen oder Parteien schon prinzipiell nicht geeignet ist, ein Sachverständigengutachten zu widerlegen (RS0040598; OLG Wien SVSlg 64.760; Klauser/Kodek, MGA JN.ZPO18 § 365 ZPO E 30 mwN), hat Mag. * auch zweimal an Gesprächen mit dem Sachverständigen teilgenommen, der darüber auch Protokoll geführt hat (vgl S 47 ff und 50 ff im Gutachten ON 28). Die Ausführungen von Mag. * sind damit in das Gutachten eingeflossen. Welchen zusätzlichen Erkenntniswert die Einvernahme von Mag. * durch das Kartellgericht hätte bringen sollen, wird im Rekurs nicht näher ausgeführt.
[48] 3.1. Der Schwerpunkt der Rekursausführungen liegt auf der – von der Antragsgegnerin an die Spitze ihres Rekursvorbringens gestellten – Rechtsrüge. Auch dieser kommt jedoch keine Berechtigung zu.
[49] 3.2. Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass uneingeschränkt darauf verwiesen werden kann (§ 60 Abs 2 AußStrG).
[50] 3.3. Die Antragsgegnerin ist Universaldienstbetreiber. Der Universaldienst ist gemäß § 6 PMG ein Mindestangebot an Postdiensten, die allgemein zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung als notwendig angesehen werden, flächendeckend im Bundesgebiet angeboten werden und zu denen alle Nutzerinnen und Nutzer zu einem erschwinglichen Preis Zugang haben. Dabei umfasst der Universaldienst die Abholung und Sortierung sowie den Transport und die Zustellung von Postsendungen bis 2 kg und von Postpaketen bis 10 kg sowie die Dienste für Einschreib- und Wertsendungen. Nach § 6 Abs 3 PMG werden die den Leistungen des Universaldienstes zugrundeliegenden Verträge durch die Aufgabe in Postbriefkästen oder durch die Übergabe der Postsendungen an einen anderen Zugangspunkt abgeschlossen. Da nach § 3 Z 6 PMG Verteilzentren keine Zugangspunkte iSd § 6 Abs 3 PMG sind, liegt nach der innerstaatlichen Rechtslage kein Universaldienst vor, wenn Poststücke – wie im vorliegenden Fall – bei einem Verteilerzentrum oder Hauspostamt eingeliefert werden. Die in § 21 PMG normierte Nichtdiskriminierung beim Entgelt für Postdienstleistungen gilt nur für den Universaldienst.
[51] 4.1. Allerdings unterliegt die Antragsgegnerin wie alle anderen Marktteilnehmer dem allgemeinen Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellung nach § 5 Abs 1 Z 3 KartG. Nach dieser Bestimmung ist die Benachteiligung von Vertragspartnern im Wettbewerb durch ein marktbeherrschendes Unternehmen durch Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen verboten.
[52] 4.2. Diese innerstaatliche Regelung entspricht nahezu wörtlich dem Tatbestand des Art 102 lit c AEUV. Diese Bestimmung verbietet, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen für gleichwertige Leistungen von seinen Handelspartnern unterschiedliche Preise fordert und dadurch bestimmte Handelspartner benachteiligt, wenn diese Benachteiligung sachlich nicht gerechtfertigt ist. Die Fallgruppe der Diskriminierung kann neben Art 102 Satz 2 lit c AEUV auch unter die Generalklausel des Art 102 Satz 1 AEUV subsumiert werden (Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht6 I Art 102 AEUV Rz 135). Beide Normen sind auch zur Auslegung der innerstaatlichen Regelung heranzuziehen (vgl RS0110382).
[53] 4.3. Die vom Erstgericht vorgenommene Marktabgrenzung und die Bejahung der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin ist im Rekursverfahren nicht mehr strittig. Insoweit kann daher auf die zutreffenden Erwägungen des Erstgerichts verwiesen werden (§ 60 Abs 2 AußStrG).
[54] 5.1. Der EuGH hat in den Entscheidungen Deutsche Post AG (C‑287/06 ) und bpost SA (C‑340/13 ) zum Diskriminierungsverbot der Postdienste‑Richtlinie 97/67 Stellung genommen. Auch wenn im vorliegenden Fall nach dem Gesagten die gegenständlichen Leistungen nach der innerstaatlichen Rechtslage keine Universaldienstleistungen sind, können diese Entscheidungen auch zur Konkretisierung des aus dem Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellung abzuleitenden Diskriminierungsverbots herangezogen werden. Weil insofern zwischen dem anzuwendenden Prüfungsmaßstab kein Unterschied besteht, sondern die Antragsgegnerin jedenfalls einem Diskriminierungsverbot unabhängig davon unterliegt, ob dieses aus der Postdienste‑Richtlinie 97/67 oder aus dem Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellung abgeleitet wird, kann dahingestellt bleiben, ob das einschränkende Verständnis des Begriffs des „Universaldienstes“ nach österreichischem Recht richtlinienkonform ist.
[55] 5.2. Die vom EuGH angewendeten Regelungen des Art 12 vierter und fünfter Gedankenstrich der Postdienste‑Richtlinie 97/67 lauten wie folgt:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Tarife für die einzelnen Universaldienstleistungen folgenden Grundsätzen entsprechen:
...
- die Tarife müssen transparent und nichtdiskriminierend sein;
- wenden Anbieter von Universaldienstleistungen Sondertarife an, beispielsweise für Dienste für Geschäftskunden, Massenversender oder Konsolidierer verschiedener Nutzer, so gelten die Grundsätze der Transparenz und Nichtdiskriminierung sowohl für die Tarife als auch für die entsprechenden Bedingungen. Die Tarife gelten, ebenso wie die entsprechenden Bedingungen, sowohl zwischen verschiedenen Dritten als auch zwischen Dritten und Universaldiensteanbietern, die gleichwertige Dienste anbieten. Alle derartigen Tarife werden auch allen anderen Nutzern gewährt, insbesondere Privatkunden und kleineren und mittleren Unternehmen, die Sendungen unter vergleichbaren Bedingungen einliefern.“
[56] 5.3. In der Entscheidung Deutsche Post AG, C‑287/06 , hat der EuGH ausgesprochen, dass Art 12 fünfter Gedankenstrich der Postdienste-Richtlinie 97/67/EG dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass Unternehmen, die Postsendungen mehrerer Absender gewerblich und in eigenem Namen zusammenfassen, Sondertarife verweigert werden, die der nationale Anbieter von Universalpostdienstleistungen im Bereich seiner Exklusivlizenz Geschäftskunden für die Einlieferung von Mindestmengen vorsortierte Sendungen in seinen Briefzentren gewährt.
[57] Nach Auffassung des EuGH geht aus dieser Bestimmung klar hervor, dass ein Anbieter von Universalpostdienstleistungen, wenn er Sondertarife anwendet, diese Tarife in der gleichen Weise insbesondere in den Beziehungen zwischen verschiedenen Dritten anwenden muss, um die Grundsätze der Transparenz und der Nichtdiskriminierung zu beachten. Entgegen dem Vorbringen der deutschen Post und der deutschen Regierung müssten daher die Konsolidierer von Postsendungen verschiedener Kunden, wenn ein solcher Anbieter Sondertarife bei Geschäftskunden und/oder Massenversender anwendet, die gleichen Tarife zu den gleichen Bedingungen erhalten können.
[58] 5.4. Nach der Entscheidung des EuGH im Fall bpost SA (C‑340/13 ) ist der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Bezug auf die Tarife gemäß Art 12 der Postdienste‑Richtlinie 97/67 dahin auszulegen, dass er einem System von Mengenrabatten je Absender wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht.
[59] Diese Entscheidung betraf die belgische Post (Bpost). Bpost bietet Postzustelldienste nicht nur der breiten Öffentlichkeit, sondern auch Massenversendern und Konsolidierern an. Dabei verrechnete Bpost verschiedene Tarife. Diese Sondertarife beruhten auf einer Vereinbarung zwischen Bpost und den betreffenden Kunden, in der Nachlässe für bestimmte Kunden vorgesehen sein können. Die häufigsten vertraglichen Nachlässe waren Mengenrabatte und operative Rabatte, mit denen bestimmte Vorbereitungshandlungen abgegolten wurden und die die Gegenleistung für von Bpost eingesparte Kosten waren.
[60] Im Jahr 2010 änderte Bpost das Nachlasssystem für Zustelldienste für namentlich adressierte Werbesendungen und Verwaltungssendungen. Die Änderung bestand darin, dass der Mengenrabatt zwar sowohl Massenversendern als auch Konsolidierern in gleicher Höhe gewährt wurde, der Nachlass für Konsolidierer jedoch nicht mehr auf der Grundlage der Gesamtmenge der Sendungen aller Absender, denen sie ihre Dienste erbrachten, berechnet wurde (Additionsmodell), sondern auf der Grundlage der Sendungsmenge, die individuell von jedem einzelnen ihrer Kunden erzeugt wurde (Versendermodell).
[61] Nach Auffassung des EuGH spielt es für die Beurteilung des diskriminierenden Charakters der von Bpost im Jahr 2010 angewendeten Mengenrabatte keine Rolle, ob diese Rabatte unter den vierten Gedankenstrich oder unter den fünften Gedankenstrich von Art 12 der Richtlinie 97/67 fallen (Rz 26). Im Rahmen dieser Beurteilung sei allein zu prüfen, ob die in Rede stehende Praxis die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs beachte, wonach der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz, der zu den Grundprinzipien des Unionsrechts gehöre, verlange, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (Rz 27).
[62] Die Berechnung der Mengenrabatte auf der Grundlage des von jedem einzelnen Absender individuell erzeugten Umsatzes führe dazu, dass ein Massenversender, der Bpost eine erhebliche Sendungsmenge übergebe, in den Genuss eines Nachlasses komme, der höher sei als der, den ein Konsolidierer erhalte, der bei ihr eine entsprechende, sich aus der Zusammenfassung von Sendungen mehrerer Absender ergebende Sendungsmenge einliefert (Rz 32).
[63] Nach Auffassung des EuGH seien allein die Absender in der Lage, die Nachfrage nach Postdienstleistungen zu erhöhen, weil sie „Urheber von Postsendungen“ seien (Rz 37). Wenn die Konsolidierer Post an Bpost übergäben, die sie zuvor bei verschiedenen Massenversendern gesammelt hätten, führe dies jedoch nicht dazu, das Gesamtvolumen der Post zugunsten von Bpost zu erhöhen. Daraus folge, dass abgesehen von dem geringen Maß, in dem die Konsolidierer selbst Massenversender seien, ihre Tätigkeit nicht als solche dazu beitrage, das Volumen der Bpost übergebenen Post zu erhöhen (Rz 38).
[64] Außerdem könnte die Anwendung der Mengenrabattregelung, die vor dem Jahr 2010 in Kraft war, das Ziel der Erhöhung der Nachfrage nach Postdiensten beeinträchtigen. Ein Absender, dessen Postaufkommen nicht hoch genug sei, um in den Genuss eines Mengenrabatts zu gelangen, erhalte nämlich keinen Nachlass gemäß dem Mengenrabatt, und zwar gleichviel, ob er sich dafür entscheidet, seine Sendungen selbst bei Bpost einzuliefern oder einen Konsolidierer damit zu beauftragen. Im Rahmen der Mengenrabattregelung, die vor dem Jahr 2010 galt, konnte hingegen der selbe Absender indirekt einen derartigen Rabatt für die selbe Postmenge erhalten, wenn er sich dafür entschied, die Dienste eines Konsolidierers in Anspruch zu nehmen, da seine Postmenge dann mit der anderer Absender, die die Dienste des selben Konsolidierers nutzten, zusammengefasst wurde (Rz 40). Im letzteren Fall käme der betreffende Massenversender indirekt in den Genuss eines Nachlasses, ohne sein Postaufkommen erhöht zu haben. Dies könnte bei ihm keinen Anreiz dafür setzen, künftig mehr Post zu erzeugen. Eine solche Situation, die eindeutig dem von Bpost mit der Einführung einer Mengenrabattregelung verfolgten Ziel zuwiderliefe, könnte den Betreiber dazu veranlassen, diese Regelung einzuschränken oder sogar abzuschaffen, um sein finanzielles Gleichgewicht zu wahren.
[65] Zwar habe der EuGH im Fall Deutsche Post AG das Argument der Deutsche Post AG und der deutschen Regierung zurückgewiesen, dass es das finanzielle Gleichgewicht der Deutsche Post AG gefährden würde, wenn den Konsolidierern Zugang zu bestimmten Rabatten gewährt würde (EuGH C‑287/06 Rz 36). Dieses Verfahren habe jedoch keine Mengenrabatte, sondern operative Rabatte betroffen. Hierzu habe der EuGH ausgeführt, dass Sondertarife, weil sie den im Vergleich zu dem allumfassenden Standarddienst eingesparten Kosten Rechnung tragen, in der Weise ausgestaltet werden können, dass sie sich von Normaltarifen nur dadurch unterscheiden, dass die vom Betreiber tatsächlich eingesparten Kosten von den letztgenannten Tarifen abgezogen werden, sodass die Gewährung von Sondertarifen anderer Konsolidierer das finanzielle Gleichgewicht der Deutsche Post AG als Anbieter von Universalpostdienstleistungen nicht beeinträchtigen konnte. Daraus habe der EuGH die Schlussfolgerung gezogen, dass, sollte sich herausstellen, dass die Gewährung der seinerzeit nur den Geschäftskunden der Deutsche Post AG eingeräumten Rabatte an die Konsolidierer zur Folge hatte, dass diese Rabatte im Verhältnis zu den eingesparten Kosten übermäßig waren, es dieser Gesellschaft freigestanden wäre, diese Rabatte für alle, die sie erhalten, in dem erforderlichen Maß herabzusetzen (EuGH C‑287/06 Rz 38).
[66] Daher hätten sich Massenversender und Konsolidierer im Hinblick auf operative Rabatte in einer vergleichbaren Situation befinden können; dies sei im Hinblick auf Mengenrabatte wie in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden jedoch nicht notwendigerweise der Fall (EuGH C‑340/13 Rz 47). Die Mengenrabatte je Absender seien nämlich geeignet, bei diesen einen Anreiz dafür zu setzen, Bpost mehr Post zu übergeben und ihr dadurch die Erzielung größenbedingter Kostenersparnisse zu ermöglichen. Dagegen trage die Tätigkeit der Konsolidierer als solche nicht zu einer Erhöhung der Bpost übergebenen Post und somit nicht dazu bei, dass letztere Einsparungen erziele. Zusammenfassend liege daher keine von Art 12 der Richtlinie 97/67 verbotene Diskriminierung vor.
[67] 6.1. Die Rekurswerberin steht weiterhin auf dem Standpunkt, bei dem von ihr angewendeten Tarifmodell handle es sich um reine Mengenrabatte, die im Sinne der Entscheidung des EuGH im Fall Bpost zulässig seien. Dem kann nicht gefolgt werden.
[68] Soweit die Rekurswerberin sich auf die Ausführungen der Generalanwältin Sharpston im Fall Bpost beruft, ist ihr entgegenzuhalten, dass der EuGH diesen Ausführungen nicht vollumfänglich gefolgt ist. Insbesondere hielt der EuGH die Abgrenzung zwischen Art 12 vierter Gedankenstrich und Art 12 fünfter Gedankenstrich der Postdienste-Richtlinie 97/67 für nicht entscheidend, weil beide Tarifarten („Tarife“ und „Sondertarife“) dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung entsprechen müssten. Daher komme es nur darauf an, ob die strittige Rabattpraxis im Sinne der Rechtsprechung des EuGH das Gebot beachte, das vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden (EuGH C‑340/13 Rz 28 und 48 f). Nur für Mengenrabatte je Absender (Massenversender) sprach der EuGH aus, dass Absender und Konsolidierer sich diesbezüglich nicht notwendigerweise in einer vergleichbaren Situation befänden (Rz 47).
[69] 6.2. Entgegen der Rechtsansicht der Antragsgegnerin ist aus der Entscheidung des EuGH im Fall Bpost kein pauschaler „Freibrief“ für Mengenrabatte abzuleiten. Die Entscheidung im Fall Bpost betraf die Änderung des Rabattsystems dahingehend, dass die Mengenrabatte für Konsolidierer nicht mehr unter Zusammenrechnung der Gesamtmenge eingelieferter Post erfolgte (Additionsmodell), sondern nur noch nach dem Versendermodell (zu diesen Modellen vgl die Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston im Fall Bpost Rz 66 ff). Die Prüfung der Diskriminierung im Fall Bpost bezog sich daher ausschließlich auf die Frage, ob durch den Wechsel vom Additions‑ zum Versendermodell bei der Berechnung von Mengenrabatten eine Diskriminierung verwirklicht wurde, was vom EuGH mit Verweis auf die spezifischen Zwecke von Mengenrabatten abgelehnt wurde. Nach Ansicht des EuGH schaffe nur das Versendermodell einen Anreiz, dem Universaldienstanbieter mehr Post zu übergeben und diesem so größenbedingte Kostenersparnisse zu ermöglichen. Hinsichtlich dieser Einflussmöglichkeiten gäbe es keine vergleichbare Situation von Konsolidierern und Versendern. Soweit beim Additionsmodell insgesamt höhere Rabatte fällig werden als beim Versendermodell und der Universaldienstleister dadurch letztlich nicht mehr volle Kontrolle darüber hat, wie er Einsparungen in Form von Rabatten weitergibt, kann die Anwendung des einen oder anderen Modells unterschiedliche Auswirkungen auf die finanzielle Tragfähigkeit von Teilleistungsentgelten haben.
[70] Wenngleich dieser Aspekt vom EuGH nicht ausdrücklich angesprochen wurde, war für das im Fall Bpost erzielte Ergebnis die Wettbewerbsneutralität des gewählten Rabattmodells im konkreten Einzelfall ausschlaggebend. In diese Richtungen weisen die Ausführungen von Generalanwältin Sharpston (C‑340/13 Rz 81 f). Demnach stehe die Wirkungsneutralität des Versendermodells im starken Kontrast zu den Wettbewerbsverzerrungen, die im Urteil Deutsche Post gegenständlich gewesen seien. Dort hätte das Vorenthalen operativer Rabatte dazu geführt, dass die Herausbildung von Wettbewerb auf dem Markt der Postkonsolidierung beeinträchtigt worden sei.
[71] Zutreffend weist die Bundeswettbewerbsbehörde darauf hin, dass sich der vorliegende Fall deutlich vom der Entscheidung Bpost zugrundeliegenden Sachverhalt unterscheidet: Im Fall Bpost wurden Konsolidierern nicht diskriminierende operative Rabatte und Mengenrabatte gewährt. Der Unterschied von Konsolidierern im Vergleich zu Geschäftskunden/Versendern bestand ab 2010 ausschließlich darin, dass bei der Berechnung von Mengenrabatten ein Wechsel vom Additions‑ zum Versendermodell erfolgte. Diese Änderung war aber insofern wettbewerbsneutral, als dadurch nicht einzelne Versender für Konsolidierer erschlossen werden konnten. Vielmehr hatten Konsolidierer aufgrund der ebenfalls ausbezahlten operativen Rabatte Spielräume, jedem Geschäftskunden – im Vergleich zum Universaldienst‑anbieter – wettbewerbsfähige Tarife anzubieten.
[72] Im vorliegenden Fall geht es dem gegenüber gerade nicht nur um eine Ungleichbehandlung dahin, dass ein „Mengenrabatt je Absender“ bei sonst identen Rabatten und Konditionen für Konsolidierer und Geschäftskunden gewährt wurde. Auch Umfang und Auswirkung der inkriminierten Rabattpraxis sind im vorliegenden Fall wesentlich schwerwiegender: Nach den Feststellungen des Erstgerichts kam es ab dem Jahr 2017 zu erheblichen Entgelt‑Abweichungen und zur Anwendung unterschiedlicher Rabattstaffeln für Konsolidierer und Geschäftskunden, die letztlich zum Marktaustritt der Erstantragstellerin aus dem Markt für Info.Mail führten. Diese Feststellungen lassen den Schluss zu, dass das Verhalten der Antragsgegnerin ab 2017 erhebliche Beeinträchtigungen des Wettbewerbs zur Folge hatte und somit keinesfalls wettbewerbsneutral im Sinne der EuGH‑Entscheidung im Fall Bpost war. Der vorliegende Fall unterscheidet sich somit vom Fall Bpost nicht nur hinsichtlich der inkriminierten Verhaltensweisen, sondern auch hinsichtlich dessen Auswirkungen auf den Wettbewerb.
[73] 6.3. Nach den Feststellungen des Erstgerichts schließt die Antragsgegnerin mit Großkunden und Konsolidierern regelmäßig Jahresverträge, in denen festgelegt wird, unter welchen Bedingungen Teilleistungsrabatte gewährt werden. Darin sind auch Versandbedingungen und Rabattstaffeln geregelt; Rabatte werden bei Erreichen von Mindestumsätzen für das Produkt Info.Mail sowie bei Erfüllung sämtlicher vereinbarter Versandvorbereitungen und Vorleistungen gewährt. Soweit nicht nur Umsatzstufen, sondern auch Versandvorbereitungshandlungen explizit vertragliche Bedingungen für die Auszahlung von Rabatten sind, ist daher die Qualifikation der Info.Mail‑Rabatte als Rabatte mit signifikanter operativer Komponente jedenfalls nachvollziehbar. Aus der ausführlichen Begründung der Beweiswürdigung des Erstgerichts ergibt sich zudem, dass die Einwendungen der Antragsgegnerin im Ergänzungsgutachten überprüft wurden (S 47 des angefochtenen Beschlusses).
[74] Die Prüfung des Vorliegens einer unzulässigen Diskriminierung kann daher im vorliegenden Fall nicht auf die Wirkung bloß des Mengenrabatts beschränkt werden, sondern hat unterschiedliches Entgelt und Konditionen in der gesamten Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien zu berücksichtigen.
[75] 7. In Anbetracht der detaillierten Feststellungen des Erstgerichts unterliegt auch keinem Zweifel, dass das Verhalten der Antragsgegnerin auch darauf abzielte, den Wettbewerb zu ihren Gunsten zu beeinträchtigen. Das Erstgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die Antragsgegnerin ab dem Jahr 2017 ihr Rabattsystem stark veränderte. Hintergrund für die Verminderung der Rabattstaffeln für die Erstantragstellerin war nach den Feststellungen des Erstgerichts, dass die Antragsgegnerin den Markteintritt von Konsolidierern im Bereich Info.Mail „nicht schätzte“ (S 33 der Beschlussausfertigung).
[76] 8. Entgegen der Rechtsansicht der Antragsgegnerin können die Antragsteller auch nicht auf die Möglichkeit des Abschlusses von Zielkundenvereinbarungen verwiesen werden. Derartige individuell ausgehandelte Vereinbarungen stellen schon im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin ihren Geschäftspartnern auferlegte Geheimhaltungsverpflichtung nicht sicher, dass Konsolidierer nicht diskriminiert werden.
[77] 9. Für die von den Antragstellerinnen angeregte Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens bestand keine Veranlassung, liegen doch zwei einschlägige Entscheidungen des EuGH vor. Die Auslegung der anzuwendenden Vorschriften des Unionsrechts ist damit ausreichend geklärt; Fragen der Sachverhaltssubsumtion sind aber von den nationalen Gerichten zu lösen.
[78] 10. Das Erstgericht hat aus dem Grundsatz der Transparenz und Nichtdiskriminierung nach Art 12 vierter und fünfter Gedankenstrich der Postdienste‑Richtlinie 97/67 idgF abgeleitet, dass dieser Grundsatz eine Geheimhaltung von tatsächlich vereinbarten Tarifen ausschließe. Diese Auffassung ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden, weil (unabhängig von der Anwendbarkeit der Postdienste‑Richtlinie) im konkreten Fall auch das (aus dem Verbot des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung abzuleitende) Diskriminierungsverbot der Geheimhaltung der vereinbarten Tarife entgegensteht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob die einschränkende Legaldefinition des Universaldienstes im österreichischen Recht (wonach nach § 3 Z 6 PMG Verteilzentren keine Zugangspunkte iSd § 6 Abs 3 PMG sind, sodass nach der innerstaatlichen Rechtslage kein Universaldienst vorliegt, wenn Poststücke – wie im vorliegenden Fall – bei einem Verteilerzentrum oder Hauspostamt eingeliefert werden) richtlinienkonform ist.
[79] Die Frage, ob eine bestimmte Angabe als Geschäftsgeheimnis anzusehen ist, kann stets nur im Einzelfall beantwortet werden (16 Ok 6/14i). Geschäftsgeheimnisse sind etwa technische oder finanzielle Angaben in Bezug auf das Know‑How eines Unternehmens, Kostenrechnungsmethoden, Produktionsgeheimnisse und ‑verfahren, Bezugsquellen, produzierte und verkaufte Mengen, Marktanteile, Kunden‑ und Händlerlisten, Vermarktungspläne, Kosten und Preisstruktur oder Absatzstrategien. Bei einem Wettbewerbsverstoß kann es sich jedoch niemals um ein Geschäfts‑ oder Betriebsgeheimnis handeln (16 Ok 14/13; 16 Ok 9/14f; 16 Ok 10/14b; Mair in Pletsche/Urlesberger/Vartian, KartG2 § 37 Rz 26). Im vorliegenden Fall dient die Geheimhaltungsverpflichtung im Zusammenhang mit den Rabattstaffeln im Bereich Info.Mail offensichtlich dazu, die wettbewerbsrechtlich relevante Diskriminierung und damit den Verstoß gegen § 5 Abs 3 KartG zu verschleiern.
[80] 11. Zusammenfassend erweist sich der angefochtene Beschluss daher als frei von Rechtsirrtum, so dass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.
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