OGH 15Os9/23x

OGH15Os9/23x8.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Mag. Lung als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers M* N* gegen den Antragsgegner M* E* wegen §§ 6 ff MedienG, AZ 72 Hv 95/21g des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. Juli 2022, AZ 10 Bs 181/22a, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter-Longitsch, und des Antragsgegners, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00009.23X.0308.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In der Medienrechtssache des Antragstellers M* N* gegen den Antragsgegner M* E*, wegen §§ 6 ff MedienG, AZ 72 Hv 95/21g des Landesgerichts Klagenfurt, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. Juli 2022, AZ 10 Bs 181/22a, § 33 Abs 1 und Abs 2 iVm § 41 Abs 5 MedienG.

 

Gründe:

[1] Mit beim Landesgericht Klagenfurt zu AZ 72 Hv 95/21g eingebrachtem Antrag begehrte der Antragsteller M* N* im selbständigen Verfahren (§ 8a MedienG), den Antragsgegner M* E* als Medieninhaber des unter https://www.facebook.com/m *.e*https://www.facebook.com/michael.eberhart.18 abrufbaren Facebook-Profils wegen eines dort am 21. Februar 2021 veröffentlichten Postings bestehend aus einem Bild des uniformierten Polizeibeamten M* N* mit dem Begleittext: „Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in Innsbruck. Ein 82-jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet, und stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig“, zur Zahlung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1, § 7a Abs 1 und § 7b Abs 1 MedienG zu verpflichten (ON 2 S 3 ff).

[2] Abschließend seines Antrags erklärte M* N*, dass er die nach § 117 Abs 2 StGB (ursprünglich) erteilte Ermächtigung zur Strafverfolgung wieder zurückgenommen habe und selbst „keinen Strafantrag“ einbringen werde (ON 2 S 11).

[3] In der Hauptverhandlung am 27. Jänner 2022 beantragte die Antragstellervertreterin – nach Schluss des Beweisverfahrens – im Schlussantrag „wie im Antrag ON 2 sowie zusätzlich die Löschung der Website gemäß § 33 Abs 1 MedienG“ (ON 6 S 3).

[4] Mit Urteil vom selben Tag (ON 7 iVm ON 11) sprach das Landesgericht Klagenfurt aus, dass der Antragsgegner durch die inkriminierte Veröffentlichung in einem Medium den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede hergestellt habe, und verpflichtete diesen nach § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von 500 Euro.

[5] Den Antrag auf Löschung der die strafbare Handlung begründenden Stellen der Website wies das Landesgericht Klagenfurt mit der Begründung ab, dass die Veröffentlichung bereits gelöscht und nicht mehr einsehbar sei (US 5 iVm US 3).

[6] Der ausschließlich gegen die Abweisung des Antrags auf Einziehung „nach § 33 Abs 2 MedienG“ gerichteten Berufung des Antragstellers (ON 9) gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 13. Juli 2022, AZ 10 Bs 181/22a (ON 14), Folge und erkannte „gemäß § 33 Abs 2 MedienG“ auf Einziehung in Form der Löschung des den objektiven Tatbestand der strafbaren Handlung begründenden Postings:

[7] Mit dem Antrag nach § 33 Abs 2 MedienG könne ein selbständiges Entschädigungsverfahren nach § 8a MedienG verbunden werden. Die Löschung habe zu erfolgen, wenn – wie hier – in einem Medium der objektive Tatbestand einer strafbaren Handlung hergestellt worden sei und die Verfolgung einer bestimmten Person – hier wegen Zurückziehung der Ermächtigung zur Strafverfolgung – nicht durchführbar sei, nicht beantragt oder nicht aufrechterhalten werde oder die Verurteilung nicht möglich sei. Auf Ausschlussgründe im Sinn des § 33 Abs 2a MedienG habe sich der Medieninhaber nicht berufen und seien solche auch nicht indiziert. Die Frage, ob das Posting inzwischen gelöscht oder noch vorhanden sei, sei keine Voraussetzung für den Ausspruch auf Löschung. Zufolge Vorliegens sämtlicher Voraussetzungen sei daher auf Löschung zu entscheiden gewesen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Dieses Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[9] 1./ Für das Verfahren über einen – wie vorliegend – selbständigen Entschädigungsantrag (§ 8a MedienG) gelten, soweit im MedienG nichts anderes bestimmt ist, gemäß § 41 Abs 1 MedienG die Bestimmungen der Strafprozessordnung sowie gemäß § 8a Abs 1 MedienG die Bestimmungen für das strafgerichtliche Verfahren aufgrund einer Privatanklage (vgl § 71 StPO) dem Sinn nach.

[10] § 8a Abs 6 MedienG sieht zudem ausdrücklich vor, dass im Urteil, in dem aufgrund eines selbständigen Antrags eine Entschädigung nach den §§ 6, 7, 7b oder 7c MedienG zuerkannt wird, auf Antrag des Betroffenen (in sinngemäßer Anwendung des § 34 MedienG) auf Urteilsveröffentlichung zu erkennen ist.

[11] Die Möglichkeit der Anordnung einer Einziehung (in sinngemäßer Anwendung des § 33 MedienG) im Urteil über einen selbständigen Entschädigungsantrag sieht § 8a MedienG (auch in der durch BGBl I 2020/148 [„Hass‑im‑Netz-Bekämpfungs-Gesetz“] geänderten aktuellen Fassung nach wie vor) hingegen nicht vor (Frohner/Haller, MedienG6 § 33 Rz 9).

[12] 2./a./ Nach § 33 Abs 1 MedienG ist im Strafurteil wegen eines Medieninhaltsdelikts auf Antrag des Anklägers auf Einziehung der zur Verbreitung bestimmten Medienstücke oder Löschung der die strafbare Handlung begründenden Stellen der Website zu erkennen.

[13] Nach § 33 Abs 2 MedienG ist auf Antrag des Anklägers oder des zur Anklage Berechtigten auf Einziehung in einem selbständigen Verfahren zu erkennen, wenn in einem Medium der objektive Tatbestand einer strafbaren Handlung hergestellt worden ist und die Verfolgung einer bestimmten Person nicht durchführbar ist, nicht beantragt oder nicht aufrechterhalten wird oder die Verurteilung aus Gründen nicht möglich ist, die eine Bestrafung ausschließen, etwa weil die Strafbarkeit der Tat verjährt ist.

[14] 2./b./ Ein Antrag auf Einziehung nach § 33 Abs 1 MedienG kann nur in einem wegen eines Medieninhaltsdelikts geführten Strafverfahren („unselbständiges Einziehungsverfahren“) und nicht auch in einem selbständigen Entschädigungsverfahren nach § 8a MedienG gestellt werden („Im Strafurteil wegen eines Medieninhaltsdelikts“; vgl Rami in WK² MedienG § 33 Rz 10; Heindl in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, MedienG4 § 33 Rz 17).

[15] 2./c./ Ein Antrag auf Einziehung in einem selbständigen (objektiven) Verfahren nach § 33 Abs 2 MedienG kann vom Ankläger oder zur Anklage Berechtigten gestellt werden, wenn in einem Medium der objektive Tatbestand einer strafbaren Handlung hergestellt worden ist und – fallaktuell allein von Relevanz – die Verfolgung einer bestimmten Person – hier infolge Zurückziehung der (zunächst) nach § 117 Abs 2 StGB erteilten Ermächtigung und Unterbleibens der Einbringung einer Privatanklage (vgl § 71 Abs 4 erster Satz StPO) – nicht beantragt oder nicht aufrechterhalten wird.

[16] Für das selbständige Einziehungsverfahren nach § 33 Abs 2 MedienG gelten gemäß § 41 Abs 1 MedienG die Bestimmungen der Strafprozessordnung, soweit im MedienG nichts anderes bestimmt ist. § 41 Abs 5 erster Satz zweiter Halbsatz MedienG ordnet ferner für das selbständige Verfahren nach § 33 Abs 2 MedienG die sinngemäße Anwendung der Regelungen der Strafprozessordnung für das selbständige Verfahren über vermögensrechtliche Anordnungen an. Gemäß dem zweiten Satz dieser Bestimmung hat das Gericht den Antrag auf Einleitung des selbständigen Verfahrens nach § 485 StPO zu prüfen.

[17] Aus dieser sinngemäßen Anwendung der Bestimmungen der Strafprozessordnung für vermögensrechtliche Anordnungen (vgl § 445 StPO) und Prüfung des Antrags nach § 485 StPO folgt, dass ein selbständiger Antrag auf Einziehung nach § 33 Abs 2 MedienG den formalen und inhaltlichen Anforderungen eines Strafantrags (vgl §§ 484 f iVm §§ 211 f StPO) bzw eines selbständigen Antrags auf Erlassung einer vermögensrechtlichen Anordnung (vgl § 445 StPO) zu entsprechen hat (vgl Heindl in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, MedienG4 § 33 Rz 22; Rami in WK² MedienG § 33 Rz 14/1).

[18] Der Antrag nach § 33 Abs 2 MedienG ist demnach – grundsätzlich – schriftlich zu stellen (vgl Birklbauer, WK‑StPO Vor §§ 210–215 Rz 28; Bauer, WK-StPO § 484 Rz 10 f) und hat die von der begehrten Löschung betroffenen Medieninhalte sowie die für die Erfüllung des objektiven Tatbestands der strafbaren Handlung erforderlichen Angaben anzuführen (vgl Fuchs/Tipold, WK-StPO § 445 Rz 7 f; Rami in WK² MedienG § 33 Rz 14/1; Heindl in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, MedienG4 § 33 Rz 22).

[19] 3./ M* N* hat (zunächst nur) einen selbständigen Antrag nach § 8a MedienG auf Entschädigung nach §§ 6, 7a und 7b MedienG gegen M* E* als Medieninhaber eines Facebook-Profils gestellt (US 1 f iVm ON 2).

[20] Da die strafrechtliche Verfolgung des M* E* infolge Zurückziehung der (ursprünglich) nach § 117 Abs 2 StGB erteilten Ermächtigung und Unterbleibens der Einbringung einer Privatanklage (vgl § 71 Abs 4 erster Satz StPO) nicht beantragt bzw nicht aufrechterhalten wurde, wäre M* N* – im Sinne obiger Ausführungen zu 2./c./ – weiters zur Stellung eines selbständigen Antrags gegen M* E* auf Einziehung in Form der Löschung nach § 33 Abs 2 MedienG berechtigt gewesen. Ein entsprechender Antrag nach § 33 Abs 2 MedienG wurde jedoch weder im Antrag nach § 8a MedienG noch in einem separaten Schriftsatz gestellt.

[21] Erst in der im selbständigen Entschädigungsverfahren nach § 8a MedienG durchgeführten Hauptverhandlung beantragte M* N* im Schlussvortrag (§ 255 StPO) „die Löschung der Website gemäß § 33 Abs 1 MedienG“ (US 2 iVm ON 6 S 3).

[22] Die Stellung eines (unselbständigen) Antrags auf Einziehung nach § 33 Abs 1 MedienG kommt jedoch – im Sinne obiger Ausführungen zu 2./b./ – im selbständigen Entschädigungsverfahren nach § 8a MedienG nicht in Betracht.

[23] Der im selbständigen Verfahren nach § 8a MedienG mündlich gestellte Antrag auf Einziehung kann auch nicht als selbständiger Antrag im Sinne des § 33 Abs 2 MedienG gewertet werden, erfüllt er doch schon nicht die (formalen und inhaltlichen) Voraussetzungen eines solchen.

[24] Indem das Oberlandesgericht Graz den in der Hauptverhandlung im selbständigen Verfahren nach § 8a MedienG mündlich gestellten, auf § 33 Abs 1 MedienG gestützten Antrag auf Einziehung in Form der Löschung als selbständigen Antrag im Sinne des § 33 Abs 2 MedienG gewertet und darauf gestützt auf Einziehung erkannt hat, verletzte es § 33 Abs 1 und Abs 2 iVm § 41 Abs 5 MedienG.

[25] Die Zuerkennung konkreter Wirkung der Feststellung der Gesetzesverletzung (§ 292 letzter Satz StPO) kam außerhalb der Frist zur Einbringung eines Antrags auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO im erweiterten Anwendungsbereich nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0124798 [T2], RS0124838 [T4]).

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