OGH 15Os49/24f

OGH15Os49/24f26.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Juni 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart des Schriftführers Edermaier‑Edermayr, LL.M. (WU), in der Strafsache gegen * E* wegen mehrerer Verbrechen nach § 3g VG idF vor BGBl I 2023/177 und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 12. März 2024, GZ 24 Hv 2/24v‑61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00049.24F.0626.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant, wurde * E* mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil der Verbrechen nach § 3g VG idF vor BGBl I 2023/177 (A./) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (B./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – zusammengefasst – in L* und andernorts

A./ sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er die Wiederbelebung, Verbreitung und Aktualisierung der nationalsozialistischen Ideologie und des rechtsextremen Gedankenguts fördernd

1./ zu den im Urteil genannten Zeitpunkten auf die dort näher bezeichnete Weise wiederholt nationalsozialistische Symbole und Gegenstände mit Bezug zum Nationalsozialismus und zur Neonazi-Szene für Dritte sichtbar zur Schau stellte,

2./ sich zumindest vom 30. März 2021 bis 3. Februar 2023 beim Ausführen einer abgewandelten Form des Hitlergrußes teils mit der Aussage „Heil dir“ selbst filmte oder fotografierte und diese Aufnahmen in der Folge als Grußbotschaften per Handy versendete,

3./ zumindest im Jahr 2023 auf die im Urteil näher bezeichnete Weise seine damals 16‑jährige Stieftochter * S* mit NS‑Gedankengut zu indoktrinieren versuchte,

4./ seit zumindest 2012 als führendes Mitglied bzw Sänger und Gitarrist der rechtsextremen Musikgruppen F* und T* agierte, Lieder für diese Bands sowie die nationalsozialistische Hard Core Band „G*“ komponierte, Tonträger produzieren und über das Internet ua in Österreich vertreiben ließ, wobei sowohl die Musikalben selbst als auch die darin enthaltenen, teils von ihm komponierten Musiktitel unter anderem dem paramilitärischen Wehrverband „W*“ huldigen […],

5./ am 20. August 2023 den mehrfach vorbestraften deutschen Neonazi * M* aufforderte, in einem Wiener Szenelokal vor „Scheitelträgern“ (gemeint: Burschenschaftern), „Glatzen“ (gemeint: Skinheads) und „Kameraden aus dem Black Metal‑Untergrund“ einen Vortrag zum Thema „Nationalsozialistischer Black Metal“ zu halten,

6./ am 16., 19. und 20. August 2023 in Threema‑Sprachnachrichten die im Urteil näher bezeichneten nationalsozialistisch geprägten Ausdrücke gebrauchte,

7./ während eines sich bis zum 21. August 2023 erstreckenden Zeitraums in der von ihm, seiner Frau und seinen Kindern bewohnten Wohnung Gegenstände mit Bezug zum Nationalsozialismus und zur Neonazi-Szene, und zwar einschlägige (Propaganda‑)Literatur wie beispielsweise die Bücher „Joseph Goebbels Tagebücher 1945 – Die letzten Aufzeichnungen“, „Gedenkhalle für die Gefallenen des Dritten Reiches“, „Hart wie Kruppstahl“, „Das Gesetz des Krieges“, „Führer und Führung“, „Der Weg der NSDAP“, „Kinder, was wißt ihr vom Führer?“ und „Mythos Waffen-SS“, diverse Abzeichen der NSDAP und der rechtsextremen Kampfsportgemeinschaft WARDON 21, Einladungsflyer für den „1. * H* – Europa Kongress“, Sticker der rechtsextremen Gruppierung „Unwiderstehlich“ aus W* sowie Flyer und Anstecker der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“, mit dem Vorsatz ansammelte, sie für propagandistische Zwecke bereit zu halten,

B./ am 21. August 2023 eine Waffe, nämlich einen Teleskopschlagstock, besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 1, 6, 9, 11 lit a und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt.

[4] Das Gericht ist dann nicht gehörig besetzt, wenn der Spruchkörper Berufs- und Laienrichter nicht in der gesetzlich bestimmten Zahl und Zusammensetzung aufweist oder diese nicht die für ihr Amt erforderliche Befähigung haben (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 98). Der Umstand, dass eine förmliche Wiedereröffnung der für geschlossen erklärten Verhandlung unterblieben ist (vgl ON 60, 77), obwohl § 320 Abs 2 StPO den Eintritt von Ersatzgeschworenen anstelle verhinderter Mitglieder der Geschworenenbank ausdrücklich nur vor Schluss der Verhandlung vorsieht, begründet jedoch entgegen dem Beschwerdevorbringen keine Nichtigkeit nach Z 1 (RIS-Justiz RS0100990; Świderski, WK‑StPO § 320 Rz 5).

[5] Die Fragenrüge (Z 6) reklamiert unter Hinweis auf die Verantwortung des Angeklagten, er hätte die Textilien legal besessen und im Ausland getragen (ON 60, 13; Hauptfrage 3) und alle CDs im Ausland aufgenommen (ON 60, 20; Hauptfrage 8), jeweils „eine Zusatzfrage nach § 9 StGB“. Damit verkennt sie, dass der Rechtsbegriff der „Betätigung im nationalsozialistischen Sinn“ als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des § 9 StGB nicht in Betracht kommt, weil er als normatives Tatbestandsmerkmal vom Tätervorsatz umfasst sein muss, ein diesbezüglicher Irrtum demnach (schon) die Tatbestandsmäßigkeit des Täterverhaltens ausschließt (13 Os 23/22i; Lässig in WK2 Vor VG Rz 2 und VG § 3g Rz 10). Ein Irrtum über diesen Begriff ist somit Tatbildirrtum und als solcher nicht Gegenstand einer Zusatzfrage (RIS‑Justiz RS0088950 und RS0124171; Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 18).

[6] Die Beschwerde behauptet einen Widerspruch des Wahrspruchs (Z 9), weil die dem Schuldspruch A./7./ (vgl US 21) zu Grunde liegende (bejahte) 17. Hauptfrage (US 14) auch die Bereithaltung von Einladungsflyern für den „1. * H* – Europa Kongress“ als Tathandlung erfasste, obwohl die Geschworenen die 11. Hauptfrage in Bezug auf die Teilnahme beim „1. * H* – Europa Kongress“ (US 10) verneint hätten. Da die Geschworenen dem Angeklagten zu A./7./ über die Bereithaltung des genannten Flyers hinaus noch weitere Tathandlungen iSd § 3g VG anlasteten (vgl US 21), wird nicht klar, inwieweit sich der behauptete Widerspruch auf entscheidende Tatsachen (vgl RIS‑Justiz RS0120126) beziehen soll.

[7] Soweit die Rechtsrüge (Z 11 lit a) moniert, das im Wahrspruch der Geschworenen zu Hauptfrage 17 (A./7./) festgestellte Ansammeln der Bücher „Joseph Goebbels Tagebücher 1945 – Die letzten Aufzeichnungen“ sei zu Unrecht als Betätigung im nationalsozialistischen Sinn inkriminiert worden, übersieht sie, dass die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlage des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit den Geschworenen zur Beantwortung vorbehalten ist. Bejahen diese (wie hier) die Schuldfrage, so ist davon auszugehen, dass sie eben jene Voraussetzungen als erwiesen angenommen haben, aufgrund derer das zu beurteilende Sachverhaltselement dem normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ entspricht. Dessen Bejahung ist daher einer Anfechtung mit Rechts- oder Subsumtionsrüge entzogen (RIS-Justiz RS0119234; Lässig in WK2 VG § 3g Rz 17).

[8] Letztlich versagt auch die gegen die Annahme der erweiterten Strafbefugnis des § 3g VG gerichtete Sanktionssrüge (Z 13). Das Vorbringen, die Annahme des Gerichts, der Angeklagte sei besonders gefährlich, wäre „schlicht unrichtig“, weil er lediglich zwei, im Übrigen lange zurückliegende Vorstrafen aufweise, in seiner Persönlichkeit gefestigt und 5‑facher Familienvater sei, keine Waffen gebaut und sich nicht positiv zu rechtsextremistischen Anschlägen geäußert habe, stellt ebenso lediglich ein Berufungsvorbringen dar, wie die Behauptungen, die Übertretungen des VG seien nicht massiv, das Musikvideo (ON 46.1) sei Ausdruck der Kunstfreiheit im Musikgenre „Gangsta-Rap“ und die Risikoanalyse (ON 36.11) bestehe lediglich aus Textbausteinen (RIS‑Justiz RS0129150, RS0118581).

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO). Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§§ 344, 285i StPO).

[10] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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