OGH 15Os159/18y

OGH15Os159/18y27.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Februar 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Kontr. Ziegler als Schriftführerin in der Medienrechtssache gegen Andrea J***** wegen Einziehung (Löschung eines Videos) nach § 33 Abs 2 MedienG, AZ 24 Hv 7/17v des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. Jänner 2018, AZ 6 Bs 286/17k (ON 116 der Hv‑Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00159.18Y.0227.000

 

Spruch:

 

Das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. Jänner 2018, AZ 6 Bs 286/17k, verletzt § 33 Abs 2 MedienG.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 21. August 2017, GZ 24 Hv 7/17v-97, wurden Andrea J***** und Mag. Dr. Christian W***** von den jeweils gegen sie erhobenen Vorwürfen, sie hätten am 9. März 2016 in A***** anlässlich einer vom Bezirksgericht ***** zu AZ 5 E 31/16d angeordneten zwangsweisen Räumung eines Hauses ein Video aufgenommen und auf der Homepage www.*****.com veröffentlicht, indem sie den Vorsteher des Bezirksgerichts ***** Dr. Wolfgang B***** mehrfach des Amtsmissbrauchs bezichtigten und ihn als „kriminell“ bzw „Verbrecher“, insbesondere als „Amtsmissbräuchler im Richterkittel“ bezeichneten, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Weiters ordnete die Einzelrichterin nach § 33 Abs 2 MedienG „gegenüber der Erstangeklagten“ die Löschung des den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede begründenden Videos auf der von Andrea J***** betriebenen Homepage www.*****.com sowie auf ihr zuzurechnenden, im Urteil näher bezeichneten Accounts an.

Den freisprechenden Teil dieses Erkenntnisses begründete die Einzelrichterin mit der – sich nicht zuletzt aus der Vernehmung der Zeugin Martina S***** in der Hauptverhandlung am 21. August 2017 ergebenden (ON 96 S 2 ff) – Versäumung der 14‑tägigen Fallfrist des § 92 StPO für die im vorliegenden Fall nach § 117 Abs 2 StGB erforderliche Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung. Den – von der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 21. August 2017 (in eventu) beantragten (ON 96 S 20) – Ausspruch nach § 33 Abs 2 MedienG gründete sie auf die objektive Verwirklichung des qualifizierten Tatbestands der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie den Umstand, dass weder der Wahrheitsbeweis noch der Beweis der Einhaltung der journalistischen Sorgfalt nach § 29 MedienG erbracht wurden.

Dieses Urteil hob das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht mit Urteil vom 24. Jänner 2018, AZ 6 Bs 286/17k (ON 116) – der Sachenach – gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit b iVm § 489 Abs 1 StPO aus Anlass der wegen Nichtigkeit dagegen angemeldeten, jedoch nicht ausgeführten Berufung der Angeklagten Andrea J***** im Umfang der Löschungsanordnung (also der Einziehung) auf und wies den bezughabenden Antrag der Staatsanwaltschaft ab.

Begründend führte es aus, dass nach herrschender Ansicht der Eintritt der Verjährung der Strafbarkeit – nach § 32 MedienG bei Medieninhaltsdelikten nach Ablauf der mit der Verbreitung im Inland beginnenden und (im Fall einer [wie hier] drei Jahre nicht übersteigenden Strafdrohung) nach einem Jahr endenden Frist – auch die Einziehung im selbständigen Verfahren nach § 33 Abs 2 MedienG hindere, weil § 57 Abs 4 StGB als Verjährungsfolge auch vorbeugende Maßnahmen für unzulässig erkläre. Im vorliegenden Fall habe die Staatsanwaltschaft erst in der Hauptverhandlung am 27. Juni 2017 hinsichtlich der Angeklagten Andrea J***** gemäß § 33 Abs 1 MedienG die Löschung des die strafbare Handlung begründenden Textes bzw Videos im Internet beantragt (ON 61 S 6); zum Zeitpunkt dieses – überdies zunächst nicht auf ein „selbstständiges Erkenntnis“ nach § 33 Abs 2 MedienG gerichteten – Antrags sei aber die einjährige Verjährungsfrist, welche mit der Verbreitung des Videos im März 2016 begonnen habe, bereits abgelaufen gewesen (US 4 f).

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

 

Rechtliche Beurteilung

Nach § 33 Abs 1 MedienG ist im Strafurteil wegen eines Medieninhaltsdelikts auf Antrag des Anklägers auf die Einziehung der zur Verbreitung bestimmten Medienstücke oder auf die Löschung der die strafbare Handlung begründenden Stellen der Website zu erkennen (Einziehung), wobei dies auch gilt, wenn wegen Wahrnehmung journalistischer Sorgfalt nach § 29 Abs 3 MedienG ein Freispruch gefällt wird.

Nach § 33 Abs 2 MedienG ist auf Antrag des Anklägers oder des zur Anklage Berechtigten auf Einziehung in einem selbständigen Verfahren zu erkennen, wenn in einem Medium der objektive Tatbestand einer strafbaren Handlung hergestellt worden ist und die Verfolgung einer bestimmten Person nicht durchführbar ist, nicht beantragt oder nicht aufrechterhalten wird oder die Verurteilung aus Gründen, die eine Bestrafung ausschließen, nicht möglich ist. Wäre der Täter bei erbrachtem Wahrheitsbeweis nicht strafbar, so steht dieser Beweis nach Maßgabe des § 29 MedienG auch dem Medieninhaber offen.

Nach Abs 3 des § 33 MedienG erlischt das Recht des zur Privatanklage Berechtigten, die Einziehung im selbständigen Verfahren zu begehren, nach sechs Wochen von dem Tage an, an dem ihm die strafbare Handlung und der Umstand bekanntgeworden sind, dass keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann.

Nach § 57 Abs 4 StGB werden mit dem Eintritt der Verjährung auch der Verfall und vorbeugende Maßnahmen unzulässig.

Obgleich die Einziehung (Löschung) nach § 33 MedienG (auch) den Charakter einer vorbeugenden bzw sichernden Maßnahme hat (vgl 12 Os 96/89, 12 Os 97/89), tritt § 57 Abs 4 StGB gegenüber der Spezialvorschrift (§ 28 MedienG) des § 33 Abs 2 MedienG, die die Einziehung im selbständigen Verfahren auch im Fall der Verjährung der Strafbarkeit der dem Medieninhaltsdelikt zugrunde liegenden Tat zulässt (arg lege non distinguente: „wenn … die Verurteilung aus Gründen, die eine Bestrafung ausschließen, nicht möglich ist“), zurück, womit – in Bezug auf den zur Privatanklage Berechtigten nur bei Einhaltung der in § 33 Abs 3 MedienG genannten Frist – die Einziehung im objektiven Verfahren unabhängig von der allfälligen Verjährung der Strafbarkeit der Tat möglich ist (vgl idS und zum divergenten Meinungsstand Rami in WK² MedienG § 32 Rz 7; Rami, Die dingliche Wirkung der Verjährung von Medieninhaltsdelikten [§ 32 MedienG] – Zugleich ein Beitrag zur Rechtsnatur der Einziehung [§ 26 StGB; § 33 MedienG] und zum Einfluss der Verjährung auf sie [§ 57 Abs 4 StGB], ÖJZ 2014/122).

Gilt dies im Übrigen nach nunmehr herrschender Auffassung für die Einziehung im objektiven Verfahren nach § 26 Abs 3 StGB (RIS‑Justiz RS0082236, RS0090501 [insbesondere T6]; Ratz in WK² StGB § 26 Rz 10, Fabrizy, StGB13 § 26 Rz 4; aA Tischler, SbgK § 26 Rz 4), so trifft es umso mehr auf die Einziehung nach § 33 Abs 2 MedienG zu, weil nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers mit der Regelung der Einziehung in § 26 StGB allein „im Medienrecht das Auslangen nicht gefunden werden konnte, zumal die Einziehung von Medienwerken mit strafbarem Inhalt nicht allein künftigem strafbarem Verhalten entgegenwirken, sondern ein Fortwirken der bereits gesetzten Straftat verhindern soll“ (EBRV 2 BlgNR 15. GP  44; EBRV 784 BlgNR 22. GP  16). Wenngleich das Gesetz auch in Bezug auf die Urteilsveröffentlichung ein selbständiges Verfahren vorsieht (§ 34 Abs 3 MedienG), müssen diese– jeweils einen Eingriff in das in Art 10 Abs 1 MRK normierte Recht auf freie Meinungsäußerung darstellenden – Maßnahmen nicht in jeder Hinsicht gleichgestellt werden. Sie unterscheiden sich nämlich insofern grundlegend voneinander, als ihnen teils unterschiedliche gesetzliche Regelungszwecke zugrunde liegen. Die Urteilsveröffentlichung verfolgt nämlich neben dem – mit der Einziehung gemeinsamen – Zweck einer vorbeugenden (sichernden) Maßnahme primär den Zweck der publizistischen Wiedergutmachung (RIS‑Justiz RS0124913; Rami in WK2 MedienG § 34 Rz 2a mwN). Sie ist im Hinblick auf diesen Restitutionscharakter (vgl 6 Ob 41/04d) der ebenfalls auf publizistische Restitution abzielenden Gegendarstellung (§ 9 MedienG; vgl Zöchbauer, MR 1995, 86 mwN) zweckverwandt (vgl Brandstetter/Schmid, MedienG2 § 34 Rz 1). Diese kann indes nicht zeitlich unbegrenzt begehrt werden, sondern unterliegt (nach § 11 Abs 1 Z 10 MedienG) einer strikten objektiven Fristenregelung ab der Primärveröffentlichung (vgl den an ebendiesen Zeitpunkt anknüpfenden Beginn des Fristenlaufs der Strafbarkeitsverjährung nach § 32 MedienG). Bringt man diese einander entsprechenden Regelungszwecke zur Deckung, so spricht der Telos des Mediengesetzes dafür, dass die Urteilsveröffentlichung im selbständigen Verfahren (§ 34 Abs 3 MedienG) nach dem Eintritt der Verjährung der Strafbarkeit der dem Medieninhaltsdelikt zugrunde liegenden Tat nicht zulässig ist (vgl Marek in WK2 StGB § 57 Rz 15).

Bei der – nicht restitutiven – Einziehung überwiegt demgegenüber der vorbeugende bzw sichernde Charakter. Sie verfolgt das Ziel, der Fortwirkung eines einmal begangenen Medieninhaltsdelikts entgegenzutreten und damit die Gefahren, die mit einer strafgesetzwidrigen Veröffentlichung verbunden sind und sich keineswegs auf die Beeinträchtigung der Ehre von Einzelpersonen beschränken müssen, einzugrenzen (vgl 12 Os 96/89, 12 Os 97/89).

Mit Blick auf die solcherart teils grundlegend unterschiedlichen gesetzlichen Regelungszwecke ist eine Differenzierung in Ansehung der Zulässigkeit dieser Maßnahmen durch den Ausschluss der Geltung des § 57 Abs 4 StGB in Bezug auf die Spezialnorm des § 33 Abs 2 MedienG (Einziehung), nicht aber auch in Bezug auf § 34 Abs 3 MedienG (Urteilsveröffentlichung) sachgerecht (vgl Marek in WK2 StGB § 57 Rz 15; zum nicht differenzierenden divergenten Meinungsstand vgl Rami in WK² MedienG § 32 Rz 7).

Gegen eine solche Differenzierung zwischen Einziehung und Urteilsveröffentlichung im selbständigen Verfahren könnte eingewendet werden, dass die Bestimmungen der §§ 33 Abs 2 erster Satz und 34 Abs 3 erster Satz MedienG im Wesentlichen wortident sind; beide sehen die jeweilige Maßnahme im selbständigen Verfahren vor, wenn in einem Medium der objektive Tatbestand einer strafbaren Handlung hergestellt worden ist und die Verfolgung einer bestimmten Person nicht durchführbar ist, nicht beantragt oder nicht aufrechterhalten wird oder die Verurteilung aus Gründen, die eine Bestrafung ausschließen, nicht möglich ist. Beschränkt man sich aber nicht bloß auf eine Wortlautinterpretation des Gesetzes, sondern bezieht die oben dargestellten, in Ansehung der in Rede stehenden Eingriffsmaßnahmen teils grundlegend voneinander unterschiedlichen, im Verhältnis der Urteilsveröffentlichung zur Gegendarstellung aber einander entsprechenden gesetzlichen Regelungszwecke in die Überlegungen mit ein, so ergibt sich, dass § 34 Abs 3 erster Satz MedienG – im Sinn einer teleologischen Reduktion – die Fälle eines Strafbarkeitsausschlusses wegen Strafbarkeitsverjährung der dem Medieninhaltsdelikt zugrunde liegenden Tat nicht umfasst.

Das das Einziehungserkenntnis aufhebende und den fristgerechten, auf § 33 Abs 2 MedienG gestützten Antrag der Staatsanwaltschaft wegen Verjährung abweisende Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht verletzt daher § 33 Abs 2 MedienG.

Da sich diese Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil der Beteiligten Andrea J***** ausgewirkt hat, der als Medieninhaberin die Rechte des Angeklagten zukommen (§ 41 Abs 6 MedienG iVm § 1 Abs 1 Z 5a lit b, Z 8 lit c, Z 12 MedienG), kommt ein Vorgehen nach § 292 letzter Satz StPO nicht in Betracht. Somit hat es mit deren Feststellung sein Bewenden.

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