OGH 15Os144/14m

OGH15Os144/14m29.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. April 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ableidinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Reinhard P***** wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB, AZ 8 U 4/12f des Bezirksgerichts Neulengbach, über den Antrag des Angeklagten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00144.14M.0429.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Reinhard P***** wird mit dem beim Bezirksgericht Neulengbach zu AZ 8 U 4/12f eingebrachten Strafantrag vom 3. Jänner 2012 (ON 6) das Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB zur Last gelegt. Danach soll er am 21. Oktober 2011 in L***** als Lenker seines PKW, wenn auch nur fahrlässig, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeigeführt haben, indem er, nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hat, obwohl er vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei, durch mangelnde Aufmerksamkeit mit seinem Fahrzeug auf die linke Fahrbahnseite abkam und mit dem entgegenkommenden Fahrzeug des Peter G***** kollidierte.

Dieses Strafverfahren wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom 28. März 2014 (ON 17) gemäß § 451 Abs 2 StPO mit der Begründung eingestellt, dass der Angeklagte in dieser Sache bereits rechtskräftig „verurteilt“ worden sei, weil über ihn mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 10. Jänner 2012, AZ PLS 2‑V‑11 70240/5 (Beilage ./1 in ON 10), wegen des als Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 1 lit a (iVm § 5 Abs 1) StVO angelasteten Lenkens eines PKW am 21. Oktober 2011 in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Blutalkoholgehalt von 1,82 Promille) eine Geldstrafe verhängt wurde. Auch wenn die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten dieses Straferkenntnis am 16. November 2012 von Amts wegen aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt habe (ON 13), würde die weitere gerichtliche Verfolgung des Angeklagten zu einem Verstoß gegen das in Art 4 des 7. ZPMRK normierte Verbot der Doppelbestrafung und Doppelverfolgung führen.

In Stattgebung der von der Staatsanwaltschaft dagegen erhobenen Beschwerde (ON 18) hob das Landesgericht St. Pölten die angefochtene Entscheidung mit Beschluss vom 23. Juni 2014, AZ 20 Bl 59/14b (ON 21), auf und trug dem Erstgericht die Durchführung des Strafverfahrens auf.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der Erneuerungsantrag des Angeklagten, dem keine Berechtigung zukommt.

Bei tateinheitlichem Zusammentreffen von Lenken eines Kraftfahrzeugs in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand (§ 99 Abs 1 lit a iVm § 5 Abs 1 StVO) und der dadurch fahrlässig herbeigeführten Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen (§ 89 StGB) wird die Verwaltungsübertretung zufolge der in § 99 Abs 6 lit c StVO ausdrücklich statuierten Subsidiarität von der ‑ somit nur scheinbar ideell konkurrierenden ‑ strafbaren Handlung nach § 89 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB verdrängt, sodass gesetzeskonform nur wegen des gerichtlichen Tatbestands verurteilt und bestraft werden darf (RIS‑Justiz RS0115915, RS0116747).

Solange ein Beschuldigter von der Verwaltungsbehörde wegen der Tat „rechtskräftig verurteilt worden ist“, steht seiner strafgerichtlichen Verfolgung das Verbot des Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK entgegen, dafür nicht „erneut“ vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden (RIS‑Justiz RS0116748). Dieses auf verfassungsrechtlicher Ebene stehende Verfolgungshindernis fällt jedoch weg, wenn ‑ wie hier (siehe ON 13) ‑ das gesetzwidrig ergangene verwaltungsrechtliche Straferkenntnis nach § 52a Abs 1 VStG von Amts wegen aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren (gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG) eingestellt wird (15 Os 18/02, EvBl 2002/230, 902; 12 Os 26/04; Thienel/Hauenschild, Verfassungsrechtliches „ne bis in idem“ und seine Auswirkung auf das Verhältnis von Justiz‑ und Verwaltungsstrafverfahren, JBl 2004, 69, 153 [163 ff]; vgl auch Nordmeyer, WK‑StPO § 190 Rz 30; Fabrizy, StPO12 Art 4 des 7. ZPMRK Rz 2).

Da nur dann ein Verfolgungshindernis nach Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK vorliegt, wenn eine (rechtskräftige) Entscheidung (Verurteilung oder Freispruch) „in der Sache“ ergangen ist (Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 153 [156, 160]; vgl auch Birklbauer, WK‑StPO § 17 Rz 38), steht die im Anlassfall letztlich erfolgte Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG, weil „eine Bestrafung seitens der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten als Verwaltungsstrafbehörde gemäß § 30 Abs 2 VStG nicht gesetzeskonform war“ und die Tat „vom Bezirksgericht Neulengbach zu ahnden ist“ (ON 13 S 3 f), einer Durchführung der Hauptverhandlung und anschließenden Urteilsfällung durch das Bezirksgericht Neulengbach (siehe ON 26 S 7 f) nicht entgegen.

Soweit sich der Erneuerungswerber ‑ ohne ausdrückliche Bezugnahme auf Art 6 Abs 2 MRK oder auch nur auf § 8 StPO (vgl aber RIS‑Justiz RS0128393) ‑ durch die Formulierung des Beschwerdesenats des Landesgerichts St. Pölten, „Würde die gegenständliche Einstellung des gerichtlichen Strafverfahrens aufrecht bleiben, wäre der nicht zu vertretende Zustand eingetreten, dass Reinhard P***** weder verwaltungsgerichtlich noch durch die ordentliche Strafgerichtsbarkeit verfolgt und bestraft werden könnte, obwohl er einen Straftatbestand verwirklicht hat“ (ON 21 S 7 f), in der „Unschuldsvermutung“ verletzt erachtet, ist festzuhalten, dass sich das Beschwerdegericht ‑ bei verständiger, den Kontext berücksichtigender Lesart ‑ nur zu möglichen Konsequenzen der im erstgerichtlichen Beschluss vertretenen Rechtsmeinung (insbesondere im Fall tatsächlicher Delinquenz), aber ersichtlich nicht zur Intensität des Tatverdachts gegen den Angeklagten äußern wollte.

Der Erneuerungsantrag war somit ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Verteidigers ‑ zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

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