OGH 15Os14/18z

OGH15Os14/18z14.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hossein G***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 35 Hv 37/17s des Landesgerichts St. Pölten, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 27. November 2017 (ON 56) und weitere Vorgänge in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00014.18Z.0314.000

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 35 Hv 37/17s des Landesgerichts St. Pölten verletzen

I./ insoweit, als sie im Ausspruch über das Ausmaß der verhängten Freiheitsstrafen vom mündlich verkündeten Urteil abweichen,

1./ das Protokoll über die Hauptverhandlung am 17. Mai 2017 § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 3 StPO (iVm § 488 Abs 1 StPO),

2./ die schriftliche Ausfertigung des Urteils vom 17. Mai 2017 § 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 3 StPO (iVm § 488 Abs 1 StPO);

II./ der Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 27. November 2017 über die Protokollberichtigung und Urteilsangleichung den im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. November 2017, AZ 22 Bs 246/17p, soweit es die Berufungen gegen den Strafausspruch betrifft, sowie der Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 27. November 2017 werden aufgehoben und es wird dem Landesgericht St. Pölten die Protokollberichtigung sowie die Angleichung der schriftlichen Ausfertigung an das mündlich verkündete Urteil aufgetragen.

 

Gründe:

Im Verfahren AZ 35 Hv 37/17s des Landesgerichts St. Pölten verkündete der Einzelrichter nach Schluss der Verhandlung am 17. Mai 2017 das Urteil (ON 34), wonach Hossein G***** des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB (A./a./) sowie des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB (A./b./) und Ali G***** des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (B./a./) sowie des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB (B./b./) schuldig erkannt und beide Angeklagten unter Anwendung von § 28 Abs 1 StGB nach § 288 Abs 1 StGB jeweils zu einer Freiheitsstrafe von 8 (acht) Monaten sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens zur ungeteilten Hand verurteilt wurden, wobei der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafen gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Abweichend davon wurde im Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 33) sowie in der schriftlichen Urteilsausfertigung (ON 34) das Ausmaß der verhängten Freiheitsstrafen mit jeweils „9 (neun) Monaten“ angeführt (ON 33 S 27, ON 34 S 5 [US 3]).

Gegen das Urteil haben die – jeweils durch einen Rechtsanwalt vertretenen – Angeklagten Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe angemeldet und ausgeführt (ON 35, 36, 42 und 43), ohne einen Antrag auf Berichtigung des Protokolls über die Hauptverhandlung oder auf Angleichung der schriftlichen Ausfertigung an das mündlich verkündete Urteil zu stellen.

Die Abweichung zwischen dem mündlich verkündeten und dem protokollierten sowie schriftlich ausgefertigten Urteil wurde bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien weder vom Erstgericht (durch Protokollberichtigung und Urteilsangleichung) beseitigt noch im Rechtsmittelverfahren wahrgenommen, sondern es wurde– ersichtlich auf Grundlage des im Protokoll über die Hauptverhandlung und in der schriftlichen Urteilsausfertigung dokumentierten Strafausspruchs (vgl ON 50 S 19 f [US 10 f]) – den Berufungen der Angeklagten mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 7. November 2017, AZ 22 Bs 246/17p, nicht Folge gegeben (ON 50).

Nach Zustellung der Rechtsmittelentscheidung (ON 54) fasste der Einzelrichter des Landesgerichts St. Pölten am 27. November 2017 den Beschluss, die „Ausfertigung des Urteils des Landesgerichts St. Pölten vom 17. Mai 2017, 35 Hv 37/17s‑34 (S 5), und das Protokoll der Hauptverhandlung vom 17. Mai 2017, 35 Hv 37/17s‑33 (S 27)“, „dahingehend“ zu berichtigen, dass „es anstelle der Verurteilung von Hossein und Ali G***** '... zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten …' richtig zu lauten hat: '… zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten …'“, und gründete dies auf einen offensichtlichen Übertragungsfehler, der vom Richter bei der Abfertigung von Hauptverhandlungsprotokoll und Urteil übersehen worden sei (ON 56).

Dieser Beschluss blieb unbekämpft.

Mit Berichtigungsvermerken versehene Ausfertigungen des Urteils vom 17. Mai 2017 sowie des Protokolls über die Hauptverhandlung vom selben Tag wurden den Angeklagten zugestellt (ON 64).

Rechtliche Beurteilung

Das Vorgehen des Landesgerichts St. Pölten steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Zufolge der – gemäß § 488 Abs 1 StPO auch im Verfahren vor dem Einzelrichter geltenden – Bestimmung des § 271 Abs 1 StPO ist über die Hauptverhandlung bei sonstiger Nichtigkeit ein Protokoll aufzunehmen, welches insbesondere (ua) den Spruch des mündlich verkündeten Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO bezeichneten Angaben zu enthalten hat (§ 271 Abs 1 Z 7 StPO).

Das schriftlich ausgefertigte Urteil hat gemäß § 270 Abs 2 Z 4 StPO ebenfalls den Ausspruch des Gerichts über die Schuld des Angeklagten zu enthalten, und zwar im Fall einer Verurteilung mit allen in § 260 StPO angeführten Punkten, einschließlich des (verkündeten) Ausspruchs, zu welcher Strafe der Angeklagte verurteilt worden ist (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO).

Da im vorliegenden Fall sowohl das Protokoll über die Hauptverhandlung vom 17. Mai 2017 (ON 33) als auch die schriftliche Ausfertigung des Urteils (ON 34) vom mündlich verkündeten Ausspruch über das Ausmaß der über die Angeklagten Hossein und Ali G***** verhängten Freiheitsstrafen abweichen, wurde das Gesetz in den vorgenannten Bestimmungen verletzt (vgl 15 Os 61/97; 11 Os 77/07v, 78/07s; 11 Os 128/07v; Danek, WK‑StPO § 270 Rz 57).

2./ Ergänzungen oder Richtigstellungen des Protokolls über die Hauptverhandlung sowie die Angleichung einer schriftlichen Ausfertigung an das mündlich verkündete Urteil sind – von Amts wegen oder aufgrund eines Antrags – grundsätzlich nur bis zur Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zulässig (RIS‑Justiz RS0096673, RS0121892, RS0045857, RS0098979, Danek, WK‑StPO § 270 Rz 57 und § 271 Rz 53; Fabrizy, StPO13 § 270 Rz 16 und § 271 Rz 10). Die vorliegend erst nach der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts mit Beschluss vom 27. November 2017, (ON 56), vorgenommene – demnach wirkungslose – „Berichtigung“ der Urteilsausfertigung sowie des Protokolls über die Hauptverhandlung in einem vom Ausspruch der Berufungsentscheidung betroffenen Punkt verstößt gegen den im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen sind geeignet, sich zum Nachteil der Angeklagten auszuwirken. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO) die Feststellung der Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verbinden und den in der schriftlichen Urteilsausfertigung enthaltenen Ausspruch über die Freiheitsstrafe sowie das darauf gegründete Urteil des Oberlandesgerichts Wien aufzuheben sowie (zur Klarstellung) auch den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten zu beseitigen.

Das berichtigte Protokoll und das angeglichene Urteil werden der Angeklagten neuerlich zuzustellen sein (vgl Danek, WK‑StPO § 270 Rz 57, § 271 Rz 55).

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