European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00118.21Y.0427.000
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] In der Straf- und Medienrechtssache des Privatanklägers und Antragstellers * R* gegen den Angeklagten und Antragsgegner Mag. * M* wurde Letztgenannter mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. Juli 2020, GZ 93 Hv 3/20x‑18, des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Demnach hat er am 26. Jänner 2019 in W* R* einer verächtlichen Gesinnung geziehen, wobei er die Tat auf eine Weise beging, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde, indem er über sein unter der allgemein zugänglichen Website https://twitter.com erreichbares, auf seinen Namen lautendes Twitterprofil als Verfasser des Textes „Achso. Beide Herren (links Herr R., rechts Herr H.) winken den Menschen lieb zu. Na dann steht einer Karriere in der FPÖ nichts im Wege. #schlagendeverbindungen #FPÖ #Hitlergruß“, wobei er neben diesem Text eine Abbildung des Privatanklägers mit gestrecktem rechten Arm und eine Abbildung von Adolf Hitler beim sogenannten Hitlergruß platzierte, die Behauptung verbreitete, R* habe den Arm zum Hitlergruß erhoben und heiße das nationalsozialistische Regime und dessen Politik gut (I./).
[2] Weiters sprach das Erstgericht aus, dass durch die Veröffentlichung dieses „Tweets“ seit 26. Jänner 2019 auf der allgemein zugänglichen Website https://twitter.com im Rahmen des Twitterprofils „* M*“ in einem Medium in Bezug auf den Antragsteller der objektive Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB hergestellt wurde. Es verpflichtete Mag. M* als Medieninhaber nach § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung (II./), nach § 34 Abs 1 MedienG zur Urteilsveröffentlichung (III./), gemäß § 33 Abs 1 MedienG zur Löschung der die strafbare Handlung begründenden Stellen auf der Website https://twitter.com (IV./) sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten (V./).
[3] Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Angeklagten und Antragsgegners wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 20) gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 18. März 2021, AZ 18 Bs 303/20w (ON 25), nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
[4] Sowohl gegen das in Rede stehende Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als auch gegen das zuvor bezeichnete Urteil des Oberlandesgerichts Wien richtet sich der (nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte) Antrag des Verurteilten und Antragsgegners Mag. M* auf Erneuerung des Verfahrens nach § 363a StPO (iVm § 41 Abs 1 MedienG), mit dem eine Verletzung des Art 10 MRK und des Art 14 iVm Art 10 MRK behauptet wird.
[5] Soweit sich der Erneuerungsantrag gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. Juli 2020 richtet, war er gemäß § 363b Abs 2 Z 2 StPO (iVm § 41 Abs 1 MedienG) zurückzuweisen, weil Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber mit Berufung anfechten kann, unzulässig sind (vgl Art 35 Abs 1 MRK; RIS‑Justiz RS0124739 [T2, T4]).
[6] Der gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 18. März 2021 gerichtete Erneuerungsantrag ist hingegen offenbar unbegründet (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG):
[7] Ein Erneuerungsantrag im erweiterten Anwendungsbereich hat nicht nur eine Grundrechtsverletzung darzulegen (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]), sondern sich auch mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzeigt oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen weckt – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]). Die Behandlung von Erneuerungsanträgen bedeutet somit nicht die Überprüfung einer Rechtssache nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz (vgl RIS-Justiz RS0129606 [T2, T3]).
[8] Zur inkriminierten Veröffentlichung und deren Hintergrund übernahm das Berufungsgericht im Wesentlichendie vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, wonach Mag. M* am 26. Jänner 2019 auf seinem 277 „Follower“ aufweisenden Twitter-Account folgenden Beitrag veröffentlichte: „Achso. Beide Herren (links Herr R., rechts Herr H.) winken den Menschen nur lieb zu. Na dann steht einer Karriere in der FPÖ nichts im Wege. #schlagendeverbindungen #FPÖ #Hitlergruß“. Dieser Text wurde mit zwei Bildern illustriert, wobei auf dem rechten Bild Adolf Hitler mit ausgestrecktem rechten Arm zum Hitlergruß und am linken Bild zwei Fotos zu sehen waren, die den Privatankläger an einem Fenster stehend mit ausgestrecktem rechten Arm zeigten, wobei darunter folgender Text zu lesen war: „'Persönliche Erklärung von * R*' zu einem aktuell in den sozialen Medien kursierenden Foto. In den sozialen Medien kursiert derzeit ein Foto vom gestrigen Tag. Dieses Foto zeigt mich am Fenster des Hauses [an] einer Wiener Burschenschaft in einer Position, die Interpretationen zulässt, ich würde den sogenannten 'Hitlergruß' zeigen. Dazu erkläre ich folgendes: Ich habe keinen 'Hitlergruß' gezeigt. Das Foto entstand, als ich – durch die Schmähungen und Angriffe auf das Haus der Burschenschaft provoziert – den Demonstranten zugewunken habe. Es handelt sich um eine Momentaufnahme.“ (ON 25 S 23 iVm ON 18 S 6 f).
[9] Zum Verhalten des R*, der sich am 24. Jänner 2019 in der Burschenschaft G* im * Wiener Gemeindebezirk befand, während auf der Straße Demonstranten der sogenannten „Donnerstags-Demo“ vorbeizogen, stelltedas Berufungsgericht – nach Beweiswiederholung durch Vorführung von vier im Akt einliegenden Videosequenzen (ON 23 S 5) abweichend vom Erstgericht – fest, dass der Privatankläger am Fenster der im * Bezirk befindlichen „Bude“ der Burschenschaft G* stehend „großräumig, somit in einem großen Radius mit der rechten Hand über Kopf gewunken“ hat, „wobei er im Zuge der Bewegung seinen rechten Arm abgewinkelt zur linken Stirn führte“. Eine als Hitlergruß interpretierbare Unterbrechung dieser [gemeint:] Winkdynamik durch Verharren in einer starren Position mit nach vorne gestrecktem rechten Arm hatdas Oberlandesgericht nicht festgestellt (ON 25 S 12).
[10] Nach den weiteren Sachverhaltsfeststellungen (ON 25 S 12 iVm ON 18 S 7 f) wurde R* genau in diesem Zeitraum fotografiert sowie gefilmt und diese Szene bereits kurze Zeit später vor allem in den sozialen Medien mit dem Hinweis auf einen angeblichen „Hitlergruß“ verbreitet. Darauf reagierte der Privatankläger mit einer am 25. Jänner 2019 auf seiner Facebook-Seite veröffentlichten „Persönlichen Erklärung“, die mittels Screenshot in den sozialen Medien verbreitet wurde, wobei der Angeklagte einen dieser Screenshots (wie oben beschrieben) in den inkriminierten „Tweet“ einfügte.
[11] Ein gegen R* wegen des Verdachts nach § 3g VG im Februar 2019 eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde am 13. Mai 2019 gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt.
[12] Zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Veröffentlichung aus Sicht des angesprochenen Rezipientenkreises wurde festgestellt, dass die „Follower“ des gegenständlichen Twitter-Accounts, welche mit entsprechender Bildung ein hohes Interesse an österreichischer Innenpolitik aufweisen, die politisch links gerichtete Einstellung des Angeklagten teilen und befürworten und dessen Tätigkeit in der „Satiregruppe H*“ kennen, die Veröffentlichung dahingehend verstanden, „dass der Angeklagte dem Privatankläger vorwarf, er habe den Arm zum Hitlergruß erhoben, heiße das nationalsozialistische Regime und dessen Politik gut und verherrliche Adolf Hitler“. Dass es sich bei der inkriminierten Veröffentlichung nur um einen satirischen oder sarkastischen Kommentar gehandelt habe, verneinte dasOberlandesgericht im Einklang mit dem Erstgericht (ON 25 S 5 ff iVm ON 18 S 7, 18 f).
[13] Der Erneuerungswerber vermeint zunächst, die inkriminierte Äußerung befinde sich im Schutzbereich von Art 10 Abs 1 MRK und sei als satirischer Beitrag zu einer politischen Debatte über ein damals tagesaktuelles Thema, „nämlich den Akademikerball und inwieweit dessen Proponenten – zu denen sich der Privatankläger offen deklarierte – zu rechtsextremem und nationalsozialistischem Gedankengut neigen“, durch dieFreiheit der Meinungsäußerung geschützt. Denn R* habe sich durch seine öffentliche Stellungnahme zu dem in den Medien verbreiteten Foto selbst in das Licht der Öffentlichkeit gerückt und habe daher eine öffentliche Kritik sowie eine satirisch/sarkastische Kommentierung hinnehmen müssen. Der Erneuerungswerber habe in seinem „Tweet“ den von R* geäußerten Tatsachenkern wiedergegeben, über die gegenständlichen Vorgänge in satirischer Form berichtet und sich dann im Rahmen eines Werturteils damit auseinandergesetzt, ob er die Erklärungen des R* für glaubhaft hält, wobei den Rezipienten klar gewesen sei, dass der stark übertriebene Vergleich mit Adolf Hitler niemals ernst gemeint sein könne.
[14] Damit übergeht er aber die eingangs wiedergegebenen, diese Argumentation nicht tragenden Feststellungen zum Bedeutungsinhalt sowie zur Darstellungsform der inkriminierten Veröffentlichung, die Annahmen des Oberlandesgerichts zur von R* tatsächlich vorgenommenen Geste sowie die Erwägungen, wonach die Veröffentlichung des Privatanklägers als Reaktion auf die Verbreitung der irreführenden Fotos in den sozialen Netzwerken erfolgte und der gegenständliche „Tweet“ trotz parodistischer und satirischer Aufmachung den festgestellten ehrverletzenden Bedeutungsinhalt transportiert (ON 25 S 7 ff, 12 f, 25).
[15] Begründungsmängel (Z 5) in Bezug auf diese Tatsachengrundlagen oder erhebliche Bedenken gegen deren Richtigkeit (Z 5a) werden im Antrag nicht prozessordnungskonform geltend gemacht.
[16] Eine Verletzung des Art 14 iVm Art 10 MRK erblickt der Erneuerungswerber darin, dass beim Oberlandesgericht Wien insgesamt vier Verfahren wegen Publikationen betreffend „die öffentliche Äußerung des Privatanklägers zu dem identen Bild vom 24. 1. 2019“ anhängig gewesen seien, wobei in drei Fällen ein Freispruch erfolgt und eine sachliche Rechtfertigung für eine Einschränkung allein des Rechts des Erneuerungswerbers auf freie Meinungsäußerung nicht ersichtlich sei. Soweit sich der Antrag dabei auf vor dem verfahrensgegenständlichen Berufungsverfahren ergangene Entscheidungen des Oberlandesgerichts Wien stützt, scheitert der Antrag mangels eines entsprechenden Vorbringens in der Berufung schon am Fehlen der Rechtswegausschöpfung (RIS-Justiz RS0122737 [T13]).
[17] Darüber hinaus wird nicht erklärt, warum (selbst bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs) unterschiedliche Veröffentlichungen, mögen sie auch jeweils das Verhalten des R* am 24. Jänner 2019 und dessen Äußerung zu den medial verbreiteten Fotos thematisiert haben, demnach verschiedene Sachverhalte, die bezüglich der relevanten Umstände (gegenständlich insbesondere die visuelle und verbale Gleichsetzung des R* mit Adolf Hitler und des gesetzten „Hashtags“ „Hitlergruß“) somit im Wesentlichen nicht ähnlich sind, unter dem Aspekt des Art 14 MRK nicht unterschiedlich beurteilt werden können.
[18] Indem der Erneuerungsantrag die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Publikation sowie zum Verhalten des R* am 24. Jänner 2019 kritisiert und anhand eigenständiger Erwägungen für ihn günstigere Feststellungen fordert, werden prozessordnungskonform weder erhebliche Bedenken (Z 5a) gegen die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen geweckt (RIS-Justiz RS0118780) noch Begründungsmängel im Sinn der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO aufgezeigt.
[19] Die abschließende Behauptung, der inkriminierte „Tweet“ erfülle nicht den Tatbestand des § 111 StGB, nimmt abermals nicht die Tatsachenannahmen des Berufungsgerichts in den Blick.
[20] Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung teils als unzulässig, teils als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 und 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG).
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