OGH 14Os73/10g

OGH14Os73/10g20.7.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Juli 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Skrdla als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christopher E***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Geschworenengericht vom 9. Februar 2010, GZ 34 Hv 163/09p-73, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christopher E***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 14. Juni 2009 in S***** Pia S***** durch Versetzen zahlreicher Schläge gegen den Kopf, heftiges und langes Würgen und das Zufügen zweier tiefer Stichwunden an der linken Halsseite mit einem Küchenmesser, wobei ein Stich die Halsschlagader und die Nebenäste der Halsvene durchtrennte und so infolge Blutungsschocks und Luftembolie zum Tod führte, vorsätzlich getötet.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5 und 6 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Indem die Verfahrensrüge (Z 5) die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags, eine Eventualfrage nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83, 86 StGB an die Geschworenen zu richten, releviert, geht sie schon im Ansatz fehl, weil Mängel der Fragestellung auch dann nur aus Z 6 geltend gemacht werden, wenn ein darauf bezogener Antrag einer Prozesspartei vom Schwurgerichtshof abgewiesen worden ist (RIS-Justiz RS0101012).

Die Fragenrüge (nominell Z 5 und Z 6, der Sache nach - wie dargelegt - nur Z 6) kritisiert das Unterbleiben von Eventualfragen in Richtung absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB), Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) und fahrlässiger Tötung (§ 80 StGB) sowie von Zusatzfragen nach Notwehr und „Notwehrüberschreitung nach § 3 Abs 2 StGB aufgrund eines sthenischen Affekts“, ohne sich dabei an den Kriterien des beanspruchten Nichtigkeitsgrundes zu orientieren.

Die begehrte Fragestellung setzt voraus, dass in der Hauptverhandlung entsprechende Tatsachen vorgebracht worden sind (§§ 313 und 314 StPO). Darunter ist nichts anderes zu verstehen als das Vorkommen einer erheblichen Tatsache, einer solchen also, die, wäre sie im schöffengerichtlichen Verfahren vorgekommen, bei sonstiger Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO erörterungsbedürftig gewesen wäre. Demgemäß bedarf es zur prozessordnungskonformen Darstellung einer Rüge aus Z 6 des konkreten Hinweises auf derartige Tatsachen und zwar samt Angabe der Fundstelle in den Akten (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23, 42 f; RIS-Justiz RS0124172).

Indem die Fragenrüge überwiegend pauschal auf die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen, die Verantwortung des Beschwerdeführers, die Aussage der Zeugin Ingrid E*****, die „Vorstrafenakte“ (aus denen sich ergeben soll, dass auch in „vergleichbaren Situationen“ kein „Mordvorsatz“ vorlag) und - in keinem Bezug zum aktuellen Tatgeschehen stehende - Umstände und frühere Vorfälle (etwa „eine Unzahl an vergleichbaren Streitereignissen, welche aber eben nicht zum Tod des Streitgegners geführt haben“, angeblich „hohe Aggressionsbereitschaft“ des in der Vergangenheit mit einem Betretungsverbot belegten Tatopfers und eine geplante Verlobung mit Pia S*****) verweist und fehlende Indizien für ein Mordmotiv behauptet, ohne den Erfordernissen gesetzmäßiger Darstellung entsprechend konkret darzulegen, aus welchem in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachensubstrat die begehrte Fragestellung indiziert sei, wird der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht deutlich und bestimmt bezeichnet.

Dass die in Zusammenhang mit der Forderung nach Stellung von Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB), Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB) und fahrlässiger Tötung (§ 80 StGB) einzig konkret genannten Verfahrensergebnisse, nämlich Ausführungen des medizinischen Sachverständigen über theoretisch nicht ausgeschlossene, medizinisch aber nicht objektivierbare abstrakte Denkvarianten (zur Frage, wer „das Messer letztendlich wirklich in Händen hielt“ und ob das Opfer die waffenführende Hand des Angeklagten ergriffen haben könnte) sowie eine Passage aus der Verantwortung des - jegliche Erinnerung an die Eskalation der Auseinandersetzung, den Einsatz der Tatwaffe und die tödlichen Messerstiche bestreitenden - Angeklagten, wonach er aufgrund eines früheren Vorfalls „schätze“, Pia S***** habe „höchstwahrscheinlich das Messer in der Hand gehabt“ (ON 72 S 18), die begehrte Fragestellung indizieren würden, behauptet die Beschwerde selbst nicht, indem sie daraus bloß ableitet, es stünde „eine Vielzahl von möglichen Tatablaufvarianten im Raum“ und es sei „von vorneherein keines der aufgezählten Tötungsdelikte auszuschließen“ gewesen. Grundlage einer Eventualfrage kann nämlich nur ein tatsächliches Verfahrensergebnis, nicht aber eine lediglich abstrakt denkbare Möglichkeit oder eine bloße Mutmaßung sein (RIS-Justiz RS0101087, RS0100420).

Mit der Bezugnahme auf einzelne Details der Aussage des Angeklagten, die sich teils in rein spekulativen Erwägungen („das kann ich mir nicht vorstellen, ...“ in meiner Erinnerung, soweit ich weiß …“), teils in der bloßen Behauptung erschöpfen, dass seine Erinnerung nur bis zu dem Zeitpunkt reiche, als Pia S***** ihm (nach einem Streit, im Zuge dessen er sie in den „Schwitzkasten“ genommen, weggestoßen und aufgefordert hatte aufzuhören) angeblich von hinten eine Flasche auf den Kopf schlug („...als ich auf einmal 'klack' hörte, einen Schlag auf den Kopf, dann ist es aus.“), spricht die Beschwerde gleichermaßen kein die begehrte Stellung einer Zusatzfrage nach Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB) nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizierendes Verfahrensergebnis (konkret dafür, dass die Tathandlungen zur Abwehr eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriffs auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen des Angeklagten notwendig waren) an (vgl erneut Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23).

Weshalb ein Handeln „im sthenischen Affekt“ (Zorn, Wut oder Rache) indizierendes Tatsachensubstrat - entgegen dem Gesetzeswortlaut - die Strafbarkeit als Vorsatztat ausschließen und solcherart Grundlage für die weiters reklamierte Stellung einer Zusatzfrage nach Notwehrüberschreitung im Sinn des § 3 Abs 2 StGB sein sollte, erklärt die Beschwerde schließlich nicht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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