OGH 14Os61/16a

OGH14Os61/16a20.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Oktober 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Ismail D***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 16. Oktober 2015, GZ 39 Hv 82/15b‑117, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00061.16A.1020.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Aussprüchen über die Konfiskation sowie über den Verfall eines Geldbetrags von 200 Euro aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen Konfiskations- (§ 19a StGB) sowie einen Verfallsausspruch (§ 20 StGB) betreffend 200 Euro Bargeld enthaltenden Urteil wurde Ismail D***** „des Verbrechens“ (richtig: der Vergehen) der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz erster und zweiter Fall SMG (I./), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 fünfter Fall SMG (II./) sowie (richtig: jeweils) der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall SMG (III./) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, 15 StGB (IV./ und V./) schuldig erkannt.

Danach hat er vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 38,05 % Cocain, Heroin mit einem Reinheitsgehalt von 3 % „und Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 2 % THC“, (zu I./, III./, IV./ und V./) in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge,

I./ in E***** und an anderen Orten mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar

(…)

2./ am 28. August 2014 345 Gramm Kokain und 150 Gramm Heroin;

(…)

5./ am 20. Mai 2015 184 Gramm Kokain;

II./ eingeführt, indem er am 27. August 2014 9 Gramm Kokain von den Niederlanden nach Österreich transportierte;

III./ einem anderen angeboten, und zwar am 27. Jänner 2015 in E***** einem verdeckten Ermittler 500 Gramm Kokain zu je 55 Euro;

IV./ anderen überlassen, und zwar

1./ am 21. August 2014 in E***** 1 Gramm Kokain einer unbekannten Person;

2./ von Frühjahr 2014 bis Anfang Mai 2015

a./ Tanja M***** und Thomas R***** 100 Gramm Kokain;

b./ Tanja M***** 8 Gramm Kokain;

3./ von Sommer 2014 bis 20. Mai 2015 in E***** einer Person namens „Markus“ 60 Gramm Kokain;

V./ anderen zu überlassen versucht, und zwar am 20. Mai 2015 in E***** 180 Gramm Kokain einer Person namens „Markus“.

Hingegen wurde Ismail D***** von der Anklage freigesprochen, er habe vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 42 % Cocain, Heroin mit einem Reinheitsgehalt von 3 % und Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 2 % THC, in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge,

I./ mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar

3./ Mitte Dezember 2014 in E***** 200 Gramm Kokain;

4./ am 22. Jänner 2015 in F***** eine „noch festzustellende Menge“ Kokain in einem eingeschweißten Päckchen und

6./ „weitere noch festzustellende Mengen“ Kokain, Heroin und Cannabiskraut;

II./ von den Niederlanden nach Österreich eingeführt, und zwar:

1./ am 27. August 2014 weitere „167 Gramm Kokain, 169 Gramm Kokain und 150 Gramm Heroin“;

2./ zu „noch festzustellenden Zeiten die weiteren unter Punkt I./“ (gemeint: der Anklageschrift ON 84) angeführten Suchtmittel (200 Gramm Kokain, 200 Gramm Kokain, „noch festzustellende Menge Kokain in einem eingeschweißten Päckchen und noch festzustellende Mengen Kokain, Heroin und Cannabiskraut)“;

IV./3./ durch gewinnbringenden Verkauf an noch auszuforschende Abnehmer in W*****, W***** und an anderen Orten „die weiteren unter Punkt II./“ (gemeint: der Anklageschrift ON 84) „angeführten Suchtmittel“ anderen überlassen.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil gibt zunächst Anlass zur Klarstellung, dass sich die Punkte II des Schuldspruchs und II/1 des Freispruchs auf dieselbe Tat im materiellen Sinn beziehen, der Freispruch insoweit also rechtlich verfehlt war (RIS‑Justiz RS0117261).

Die gegen dieses Urteil aus Z 5, 7 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist nicht berechtigt.

Soweit das Rechtsmittel ausdrücklich das gesamte Urteil zum Nachteil des Angeklagten bekämpft und sich solcherart – ohne inhaltliche Argumentation – auch gegen die anklagekonform ergangenen Schuldsprüche richtet, verfehlt es die deutliche und bestimmte Bezeichnung von angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umständen, weshalb insoweit auf sie keine Rücksicht zu nehmen war (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO).

Gründet das Gericht den Freispruch auf die Verneinung der Täterschaft des Angeklagten im Zweifel zu dessen Gunsten, ohne eine Aussage zu sämtlichen Tatbestandselementen zu treffen, reicht es für den Erfolg der Nichtigkeitsbeschwerde nicht hin, einen Begründungsmangel bloß in Ansehung der getroffenen Urteilsannahme (der Negativfeststellung zur Täterschaft) aufzuzeigen. Vielmehr ist hinsichtlich jener Tatbestandsmerkmale, zu denen das Urteil keine Konstatierungen enthält, unter Berufung auf derartige Feststellungen indizierende und in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse ein Feststellungsmangel (Z 9 lit a) geltend zu machen; fehlen die dafür nötigen Indizien, bedarf es der Geltendmachung darauf bezogener Anträge aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO, wurden die fehlenden Tatbestandsmerkmale verneint, ist insoweit ein Begründungsmangel (Z 5) aufzuzeigen (RIS-Justiz RS0127315).

Indem das Rechtsmittel die Sachverhaltsannahmen betreffend die Freisprüche I./3./, 4./ 6./ und IV./ sowie die Negativfeststellung zum (erweitert vorsätzlichen) Erwerb einer weiteren Suchtgiftmenge von 200 Gramm Kokain im Sommer 2014 mit dem Ziel einer „anklagekonformen Verurteilung“ releviert, dabei aber nur Feststellungsmängel in Ansehung des Erwerbs, Besitzes und der Einfuhr „weiterer großer Mengen Suchtgift“, jedoch nicht in Richtung eines erweiterten Vorsatzes in Richtung § 28 Abs 1 SMG sowie eines Überlassens im Sinn des § 28a Abs 1 SMG geltend macht, spricht es keine entscheidenden Tatsachen an und entspricht somit nicht den dargelegten Kriterien erfolgreicher Freispruchsbekämpfung. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die darauf bezogene Beschwerdeargumentation.

Soweit die Beschwerdeführerin Diskrepanzen zwischen den Annahmen des Erstgerichts und den Angaben der Vertrauensperson „Nr. 736“ (in der Folge: Vertrauensperson) hinsichtlich der Anzahl der dem Schuldspruch I./2./ zugrunde liegenden „Suchtgiftpäckchen“ erblickt und davon ausgehend die Feststellungen zur bezughabenden Suchtgiftmenge als undeutlich (Z 5 erster Fall) rügt, gibt sie nicht bekannt, auf welche entscheidenden Tatsachen sich das angebliche Begründungsgebrechen beziehen soll. Eine Diskrepanz in Bezug auf die Suchtgiftmenge wird im Übrigen nicht aufgezeigt (vgl US 7 sowie ON 116 S 23 iVm ON 42 S 3).

Entgegen der weiteren Rüge stellt der Umstand allein, dass das Gericht einem Zeugen oder Angeklagten nur bezüglich eines Teils seiner Aussage folgt, keinen Begründungsmangel dar (RIS-Justiz RS0098372; vgl Danek , WK‑StPO § 270 Rz 39).

Vorliegend billigten die Tatrichter den Angaben der Vertrauensperson im Hinblick auf deren anonyme Zeugenvernehmung (§ 162 StPO) nur eingeschränkte Beweiskraft zu (vgl § 258 Abs 3 StPO), weshalb sie in den Fällen, in denen die Angaben dieses Zeugen durch keine objektiven Beweise erhärtet wurden oder die Vertrauensperson selbst nur Zeuge vom Hörensagen war, die gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe nicht als erwiesen ansahen (vgl US 11–15).

Soweit die Beschwerde diese differenzierenden Glaubwürdigkeitserwägungen als widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) und mit eigenständigen Überlegungen zum Beweiswert anonymer Zeugenaussagen als offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) erachtet, begibt sie sich ebenso auf die Ebene einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung wie mit der Kritik an unterbliebener Berücksichtigung (nominell Z 5 zweiter Fall) von einzelnen (den Schuldsprüchen zugrunde gelegten) Verfahrensergebnissen, welche die Glaubhaftigkeit der Depositionen der Vertrauensperson auch in Betreff der von den Freisprüchen erfassten Tatvorwürfe belegen sollen.

Aus welchem Grund Erwägungen des Schöffengerichts, wonach der Angeklagte das Ausmaß seiner Schmuggelaktivitäten gegenüber der Vertrauensperson übertrieben dargestellt haben kann (vgl US 15: sich „als großer Dealer“ präsentiert), willkürlich und im Gegensatz zu den dem Angeklagten nachgewiesenen Suchtgiftmanipulationen stehen sollen, macht das Rechtsmittel nicht deutlich.

Inwieweit die kritisierten Urteilsannahmen zum Reinheitsgrad des Suchtgifts entscheidend sein sollen, gibt die Beschwerde nicht bekannt. Die in diesem Zusammenhang erhobene Kritik (Z 5 zweiter Fall), die Tatrichter hätten diesbezügliche Untersuchungsbefunde nicht erörtert, trifft im Übrigen nicht zu (vgl US 16 zweiter Absatz).

Nach Überzeugung der Tatrichter erbrachte das Beweisverfahren keine Hinweise dafür, dass der Angeklagte größere Mengen geschmuggelten Suchtgifts streckte. Entgegen der Beschwerdebehauptung zog der Schöffensenat die fehlenden Anhaltspunkte für die Streckung des sichergestellten Suchtgifts aber nicht als Argument für die Annahme heran, dass es sich bei dem beim Angeklagten aufgegriffenen Kokain um keine Schmuggelware handelte. Vielmehr waren insoweit die Angaben des Zeugen Alfred G***** maßgeblich (US 15). Der Einwand unterbliebener Berücksichtigung (Z 5 zweiter Fall) und aktenwidriger Wiedergabe (Z 5 fünfter Fall) von Verfahrensergebnissen, nach denen die sichergestellten Suchtgiftquanten auch Streckmittel beinhalteten, trifft daher nicht zu.

Soweit die Beschwerde wiederholt die von ihr geltend gemachten Begründungsmängel betreffend Negativfeststellungen zum „Erwerb und Besitz weiterer großer Mengen Suchtgift“ in Beziehung zur unterbliebenen Tatbeurteilung nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG setzt, obwohl derartige Tathandlungen die in Rede stehende Qualifikation gar nicht begründen können (vgl nur § 28a Abs 1 SMG), gibt sie nicht bekannt, auf welchen Grundlagen die für diesen Schluss ins Treffen geführte (angebliche) „Gerichtsnotorietät“, wonach der Erwerb und Besitz von gestrecktem Suchtgift auf vorangegangenen Schmuggel durch den selben Täter hinweist, beruhen soll.

Entgegen der eine Nichterledigung der Anklage (Z 7) behauptenden Rüge hat das Schöffengericht mit der Negativfeststellung betreffend den Erwerb und Besitz weiterer 200 Gramm Kokain im Sommer 2014 (US 7 f) einen Freispruch zum Ausdruck gebracht und damit inhaltlich über den diesbezüglichen Anklagepunkt (I./1./) abgesprochen (RIS‑Justiz RS0116266).

Die Kritik der Rechtsrüge (Z 9 lit a) an den beweiswürdigenden Erwägungen des Schöffengerichts zum Aussagewert von Angaben anonymer Zeugen im Hinblick auf die Vorgaben der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR (US 13 ff) verfehlt den im festgestellten Sachverhalt liegenden Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

Mit ihrer Argumentation, wonach das „Vorbringen zur Mängelrüge zur Vermeidung von Wiederholungen auch zum Vorbringen der Rechtsrüge erhoben“ wird, bekundet die Rechtsmittelwerberin lediglich mangelnde Beachtung des Umstands, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (vgl RIS-Justiz RS0115902).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von nicht geltend gemachter Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) in Ansehung des Konfiskationserkenntnisses sowie des Verfallsausspruchs betreffend einen Bargeldbetrag von 200 Euro (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Denn das Urteil enthält – mit Ausnahme der Konstatierung hinsichtlich der Sicherstellung der erwähnten Geldsumme (US 4) – keine Sachverhaltsannahmen zu den Voraussetzungen der angeordneten Eigentumseingriffe (vgl §§ 19a, 20 Abs 1 StGB).

Mit Blick darauf, dass sich die (zum Nachteil des Angeklagten erhobene) Berufung der Staatsanwaltschaft lediglich gegen den Ausspruch über die Strafe richtet, ist dem Berufungsgericht zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung der aufgezeigten Nichtigkeiten nicht möglich (RIS-Justiz RS0119220, RS0130617). Insoweit war daher Urteilskassation erforderlich.

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