European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00046.24G.0619.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * T* – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I/A) und mehrerer Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er
I/A/ von 2022 bis zum 21. September 2023 in E* und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, und zwar insgesamt 258 Gramm Cannabiskraut (Reinsubstanz 35,19 Gramm THCA und 2,68 Gramm Delta-9-THC) vier im angefochtenen Urteil namentlich genannten Abnehmern (Punkte 1/ bis 4/) sowie insgesamt 3,9 Kilogramm Kokain (Reinsubstanz 2,55 Kilogramm Cocain) unbekannt gebliebenen Abnehmern (Punkt 5/);
II/ am 21. September 2023 Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, zu hindern versucht, und zwar
A/ die Polizeibeamten * S* und * P*, indem er sich durch eine schnelle ruckartige Drehbewegung unter Aufbietung erheblicher Körperkraft aus deren Festhaltegriff losriss;
B/ die Polizeibeamten S*, P*, * K* und * Pe*, indem er sich (nachdem er von diesen kurz nach der zu A/ beschriebenen Handlung erneut erfasst wurde) durch Um-sich-Treten und schnelle ruckartige Drehbewegungen unter Einsatz erheblicher Körperkraft aus dem Festhaltegriff der Beamten loszureißen versuchte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
[4] Die zu Punkt I/A/5/ geäußerte Kritik der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall), das Urteil enthalte zum festgestellten Verkauf von 3,9 Kilogramm Kokain bloß eine „Scheinbegründung“ und nenne „keine Beweismittel“, nimmt prozessordnungswidrig nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS‑Justiz RS0119370). Neben der von einem Zeugen geschilderten (ON 56.4, 45 f) – von den Tatrichtern als „professionell“ bezeichneten – Verwendung von „Krypto-Mobiltelefonen“ wird die Feststellung insbesondere auf die Sicherstellung „gleich mehrerer Mobiltelefone“, „eines hohen Bargeldbetrags und einer Kleinwaage“ (US 9), den von Zeugen geschilderten Ankauf von insgesamt vier Kilogramm Kokain (US 7 f) sowie den Umstand, dass beim Beschwerdeführer „kein Kokain gefunden werden konnte“ (US 9), wobei dessen eigener Kokainkonsum von Zeugen nur in geringem Ausmaß bestätigt worden sei, gestützt (US 6 f). Dass diese Erwägungen gegen die Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze verstießen (vgl RIS‑Justiz RS0118317), vermag die Rüge nicht aufzuzeigen. Entgegen der Beschwerdeansicht können aus einer Kette von Indizien gezogene Wahrscheinlichkeitsschlüsse durchaus die Grundlage von Tatsachenfeststellungen bilden (RIS‑Justiz RS0098362 [T10]).
[5] Soweit die Mängelrüge die Feststellung zum Verkaufspreis (40 Euro pro Kilogramm Kokain [US 4]) bekämpft (der Sache nach Z 5 vierter Fall), spricht sie keine (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage oder die Strafbefugnisgrenze) entscheidende Tatsache an, die allein den gesetzlichen Bezugspunkt dieses Nichtigkeitsgrundes bildet (RIS‑Justiz RS0117499).
[6] Die Tatsachenrüge (Z 5a) beschränkt sich großteils prozessordnungswidrig darauf, Bedenken ohne direkten Bezug auf aktenkundiges Beweismaterial aus den tatrichterlichen Erwägungen selbst abzuleiten (RIS‑Justiz RS0117961).
[7] Das behauptete Fehlen von Beweisergebnissen als Grundlage der kritisierten Feststellungen (zum Kokainverkauf) stellt den in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund nicht her (RIS‑Justiz RS0128874).
[8] Die zu Punkt II/ des Schuldspruchs ausgeführte Rechtsrüge (Z 9 lit a) kritisiert die Feststellung, der Beschwerdeführer habe gewusst, dass es sich „um Polizeibeamte handelte“ und er „seine Widerstandshandlungen an Beamten im Zuge einer Amtshandlung verübte“, und er habe diese an „seiner Festnahme hindern“ wollen (US 6), weil sie nicht zum Ausdruck bringe, dass der Beschwerdeführer den Einsatz von „Befehls- oder Zwangsgewalt (also der hoheitlichen Befugnis zur Erteilung verbindlicher Aufträge, deren Nichtbefolgung hoheitsrechtlich sanktioniert ist bzw. der Befugnis zur unmittelbaren Durchsetzung bestimmter Maßnahmen)“ in seinen Vorsatz aufgenommen habe. Sie legt indes nicht dar, weshalb es nicht ausreiche, dass der Tätervorsatz – wie hier zum Ausdruck gebracht – Tatbildelemente in ihrem sozialen Bedeutungsinhalt, insbesondere normative Tatbestandselemente („Amtshandlung“, Ausübung von „Befehls oder Zwangsgewalt“ [vgl § 269 Abs 3 StGB]) nach Art einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ (vgl „Festnahme“) umfasse (RIS‑Justiz RS0088928 [insbesondere T2]).
[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[10] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
[11] Dieses wird dabei zu beachten haben, dass dem Erstgericht zu II/ ein nicht geltend gemachter Subsumtionsfehler (Z 10) unterlaufen ist, der sich allerdings nicht konkret nachteilig für den Beschwerdeführer auswirkte (vgl Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22 f). Nach dem Urteilssachverhalt wurden die zu den Unterpunkten A/ und B/ beschriebenen Handlungen im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl RIS‑Justiz RS0122006) gesetzt (US 5 f), weshalb bloß ein Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB verwirklicht wurde (vgl 15 Os 87/15f; vgl auch Danek/Mann in WK2 StGB § 269 Rz 6 mwN). Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufung nicht an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).
[12] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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