European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00039.17T.0704.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Waleed M***** jeweils des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (I./) sowie der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach hat er von zumindest 23. bis 26. Juli 2016 in W***** und andernorts sich
I. / als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung, nämlich der in der UN‑Sanktionsliste aufscheinenden Terrororganisation Jabhat al Nusra (Al-nusra-front for the people of the levant), die darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB) ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) betrieben wird, im Wissen beteiligt, die Vereinigung Jabhat al Nusra oder deren strafbare Handlungen zu fördern, indem er am 23. Juli 2016 einer Zusage an bereits in Syrien aktive Kämpfer folgend die Ausreise aus Österreich und die Einreise in die Türkei mit dem Ziel Syrien in Angriff nahm, um sich am bewaffneten Kampf, durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Art und Weise zu beteiligen, wobei er im türkisch‑syrischen Grenzgebiet Antakya von türkischen Polizeibeamten (US 9) angehalten, inhaftiert und am 26. Juli 2016 nach Österreich zurückgeschoben wurde;
II./ durch die zu I./ genannten Handlungen an der in Syrien agierenden, auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, nämlich der aus jedenfalls mehr als zehn Mitgliedern bestehenden Gruppierung Jabhat al Nusra, die
- wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, indem sie seit zumindest Ende 2011/Anfang 2012 in den eroberten Gebieten in Syrien Städte und Dörfer zerstört und unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB durch ihre Kräfte die Zerstörung des syrischen Staats betreibt, in den eroberten Gebieten in Syrien die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötet und vertreibt, sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahme große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert und Bodenschätze zu ihrer Bereicherung ausbeutet;
- dadurch eine Bereicherung im großen Umfang anstrebt;
- Dritte durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaus, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation, gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht;
im Wissen beteiligt, dadurch diese Vereinigung unter anderem in ihrem Ziel, einen radikal-islamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zur Erreichung dieses Zieles zu fördern.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Die Verfahrensrüge (Z 3) richtet sich gegen die (der Sache nach:) prozessleitende Verfügung (§ 35 Abs 2 zweiter Fall StPO) der Vorsitzenden, den Zeugen Senol S***** in Abwesenheit des Angeklagten zu vernehmen, weil „für den Senat der Eindruck“ entstanden sei, dass es dem Zeugen schwer falle, „unbefangen in Anwesenheit des Angeklagten zu sprechen“ (ON 35 S 67). Sie macht mit dem Verweis auf §§ 247, 248 Abs 1 und 249 Abs 1 StPO und der Behauptung, die Vorgangsweise der Vorsitzenden sei von § 250 Abs 1 StPO nicht gedeckt, weil die Vernehmung in vorübergehender Abwesenheit des Angeklagten eine Ausnahme darstelle, für die es vorliegend keinen „ausreichenden Grund“ gebe, keine Verletzung einer der in § 281 Abs 1
Z 3 StPO
taxativ aufgezählten – oder in (nach Inkrafttreten der StPO erlassenen) Nebengesetzen enthaltenen, ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit zu beobachtenden – Bestimmungen geltend, die (ausschließlich) den in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund darstellen würde (RIS-Justiz RS0099118, RS0099088; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 193).
Bleibt mit Blick auf die Kritik am (alleinigen) Vorgehen der Vorsitzenden anzumerken, dass eine Anordnung (§ 35 Abs 2 zweiter Fall StPO), wonach der Angeklagte während der Abhörung von Zeugen oder Mitangeklagten aus dem Sitzungssaal abzutreten hat, nach dem klaren Wortlaut des § 250 Abs 1 StPO stets nur vom Vorsitzenden zu treffen ist, während die von der Beschwerde geforderte (und einer Bekämpfung aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO zugängliche) Beschlussfassung durch den Schöffensenat nur nach Maßgabe des § 238 Abs 2 StPO (also bei entsprechender Antragstellung) zu erfolgen hätte (RIS-Justiz
RS0098271; Kirchbacher, WK-StPO § 250 Rz 14; Danek/Mann, WK-StPO § 232 Rz 1).
Dass dem Angeklagten die Aussage des Zeugen Senol S***** erst unmittelbar vor Schluss des Beweisverfahrens zur Kenntnis gebracht wurde (ON 35 S 113), bewirkt nach § 250 Abs 2 StPO keine Nichtigkeit aus Z 3 ( Kirchbacher , WK-StPO § 250 Rz 11; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 248), weshalb die Überlegungen des Beschwerdeführers, wonach fallbezogen der „einzige geeignete Zeitpunkt“ für die Stellung von Fragen an den Zeugen durch den Angeklagten (zur Fragestellung durch seinen Verteidiger vgl ON 35 S 39 f) und für die Möglichkeit zu seiner Stellungnahme zur Zeugenaussage jener „der Zeugenbefragung“ gewesen wäre, auf sich beruhen können. Die Bezugnahme auf die Entscheidung 12 Os 158/07p, welche die Abweisung eines Beweisantrags zur Glaubwürdigkeit einer kontradiktorisch vernommenen Zeugin betraf, die sich in der Hauptverhandlung der Aussage entschlagen hat, bleibt in diesem Zusammenhang unverständlich.
Weshalb die Konstatierungen zu Pkt. I/. des Schuldspruchs (US 9 ff) undeutlich sein sollen, macht die dazu erhobene Mängelrüge (Z 5 erster Fall) mit der Behauptung, die Feststellungen seien „zu ungenau“, „um daraus Rückschlüsse auf die allfällige Erfüllung des Tatbildes des § 278b StGB zuzulassen“, nicht klar (RIS-Justiz RS0099425).
Die zu II./ erhobene Rüge (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) übergeht mit der bloßen Behauptung, die Konstatierungen würden die Subsumtion nach § 278a StGB nicht tragen, die getroffenen Urteilsfeststellungen zur objektiven (US 7 ff) und subjektiven Tatseite (US 10 f; RIS‑Justiz RS0099810). Zum Vorwurf des
substanzlosen Gebrauchs der verba legalia in Ansehung der subjektiven Tatseite zu II./ legt sie mit Blick auf die Feststellungen zur objektiven Tatseite, wonach der Angeklagte seinen Freund Said S***** informierte, „dass er nach Syrien kommen werde, um sich am Kampf der Jabhat al Nusra zu beteiligen oder diese zumindest logistisch zu unterstützen, wobei es ihm klar war, dass S***** oder über diesen eine Kämpfer rekrutierende Person seine Zusage entgegennimmt und daraufhin seine Anreise nach Syrien und die Aufnahme in die Jabhat al Nusra in die Wege leiten werde“ (US 8), und wonach der Angeklagte am 23. Juli 2016 in Richtung der Kampfgebiete abreiste (US 9), nicht dar, weshalb es den Konstatierungen, der Angeklagte habe es für gewiss gehalten, „dass er dadurch, dass er die Ausreise aus Österreich und die Einreise in die Türkei mit dem Ziel Syrien in Angriff nahm, um sich am bewaffneten Kampf, durch logistische Unterstützungshandlungen finanziell oder auf sonstige Art und Weise zu beteiligen, diese Vereinigung in ihrem Ziel, einen radikalislamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zur Erreichung dieses Ziels förderte“ (US 11), am gebotenen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS-Justiz RS0119090; vgl zur Beteiligung auf andere Weise iSd § 278a iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB Plöchl in WK2 StGB § 278a Rz 28 iVm § 278 Rz 39; s auch RIS-Justiz RS0129800).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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