OGH 14Os32/22w

OGH14Os32/22w26.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. April 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M.sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wagner in der Strafsache gegen * W* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster und vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 8. September 2021, GZ 22 Hv 33/21z‑80, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00032.22W.0426.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagtenfallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Relevanz – * W* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster und vierter Fall StGB (I./) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

I./ am 8. Dezember 2020 in P* * S* mit Gewalt zur Vornahme und Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie trotz körperlicher und verbaler Gegenwehr wiederholt an den Haaren packte und riss, sie massiv würgte, ihr brutal ins Gesicht schlug, sie an den Haaren zu Boden riss und sie daran vom Erdgeschoss in den ersten Stock hinaufzog, sie dort weiterhin an den Haaren zerrend zunächst in eine stehende Position brachte, sie sodann zu Boden drückte und während er ihren Kopf festhielt mehrmals seinen Penis in ihren Mund stieß, sie in der Folge wieder an den Haaren zog, ins Bett warf, durch Würgen und Schläge ins Gesicht weiter einschüchterte, daraufhin den Beischlaf durchführte und sie mit dem Finger und der Zunge vaginal sowie mit dem Finger anal penetrierte (US 6 f), wodurch S* beidseitige Würgemale am Hals, Prellungen und Rötungen im Gesicht, eine 1 cm große Risswunde an der Oberlippe, ein Cervicalsyndrom, Schmerzen im Kopf-, Kiefer- und Halsbereich samt Schluckbeschwerden und eine posttraumatische Belastungsstörung, sohin insgesamt eine an sich schwere und länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (US 8) erlitt, wobei sie durch die Tat besonders erniedrigt wurde;

II./ * M* in der Nacht vom 10. auf den 11. März 2020 in L* vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar in Form von Hämatomen im Bereich des rechten Oberarms, Ober- und Unterschenkels und am Rücken, indem er sie mehrfach kräftig biss.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

 

Zum Schuldspruch I./:

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich der in der Hauptverhandlung vom 8. September 2021 gestellte Antrag auf „Einholung von Krankenstandszeiten“ (ON 79 S 8) zum Beweis (erkennbar) des Vorliegens einer nicht länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung auf keine für die Schuld- oder Subsumtionsfrage erhebliche Tatsache, weil die Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB bereits aufgrund der – auf die konstatierte Ausprägung der posttraumatischen Belastungsstörung und die Gesamtheit der (psychischen) Beschwerden des Opfers (vgl dazu Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 84 Rz 27 mwN; vgl auch RIS‑Justiz RS0119388, RS0092798) gestützten – Beurteilung der erlittenen Gesundheitsschädigung (auch) als an sich schwer (US 8 f iVm US 24) begründet ist (vgl im Übrigen zur fehlenden Relevanz von Krankenstandstagen Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 84 Rz 14). Die im relevierten Nichterkennen über diesen Antrag gelegene Formverletzung (Z 4 erster Fall) konnte daher, weil eine hier gebotene abweisende Beschlussfassung zu keiner Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten geführt hätte, unzweifelhaft keinen dem Beschwerdeführer nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung üben (RIS‑Justiz RS0099821; Danek/Mann, WK‑StPO § 238 Rz 8; Ratz, ebd § 281 Rz 734).

[5] Ebenso unberechtigt ist (mangels Erheblichkeit des Beweisthemas [RIS‑Justiz RS0118319]) die Kritik (Z 4) an der Abweisung (ON 79 S 16 f) des ebenfalls in der Hauptverhandlung vom 8. September 2021 gestellten Antrags des Angeklagten (ON 79 S 8) auf Einholung eines zweiten Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Psychiatrie zur Frage, „ob schwere Dauerfolgen [gemeint offenbar eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung] vorliegen [vorliegt]“. Im Übrigen behauptet der (bereits nach seinem Wortlaut auf eine Erkundungsbeweisführung abzielende [vgl aber RIS‑Justiz RS0118123]) Antrag keine Mangelhaftigkeit des Gutachtens im Sinn des § 127 Abs 3 StPO, weil sich seine Begründung der Sache nach auf die Behauptung beschränkt, irgendeine andere sachkundige Person sei besser qualifiziert (vgl RIS‑Justiz RS0127942; zum Erfordernis der Geltendmachung von Zweifeln an der Sachkunde vor hier durch Vernehmung erfolgter Beiziehung des Sachverständigen RIS-Justiz RS0126626 [T1]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 373; zur Notwendigkeit eines erfolglos gebliebenen Verbesserungsverfahrens RIS‑Justiz RS0117263 [T7, T8]).

[6] Die Mängelrüge nimmt mit ihrer Kritik offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite betreffend den Grundtatbestand des § 201 StGB, insbesondere zum Fehlen einer Einwilligung des Opfers, nicht Maß an der Gesamtheit der Erwägungen der Tatrichter (vgl aber RIS‑Justiz RS0119370). Denn diese berücksichtigten nicht nur das (in der Beschwerde geschilderte) Nachtatverhalten, sondern auch die als glaubhaft beurteilte Aussage von S* über die mehrfachen Aufforderungen an den Angeklagten, sein Verhalten einzustellen, seine darauf erfolgten Beschimpfungen, ihre Gegenwehr und die Unterschiede zu ihrem Sexualleben während der früheren Beziehung mit dem Beschwerdeführer sowie das Fehlen von Hinweisen, dass der Angeklagte die Abwehrversuche des Opfers nicht hätte wahrnehmen und einordnen können (US 17 f). Im Übrigen leiteten die Tatrichter die subjektive Tatseite hinsichtlich der Anwendung von Gewalt und der Nötigung zur Duldung des Beischlafs und diesem gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit unbedenklich (vgl RIS-Justiz RS0116882) – aus den einzeln dargestellten Umständen des objektiven Tathergangs ab.

[7] Weshalb der ebenfalls aus dem äußeren Tatgeschehen gezogene Schluss auf den die Erniedrigung des Opfers in besonderer Weise (§ 201 Abs 2 vierter Fall StGB) erfassenden Vorsatz des Angeklagten willkürlich sein soll, legt die weitere Rüge (Z 5 vierter Fall) nicht dar (vgl aber RIS-Justiz RS0098671).

[8] Die Tatsachenrüge (Z 5a) erweckt mit ihrem Hinweis auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. K* über die beim Angeklagten bestehende eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit von Emotionen anderer und die Interpretation seines Nachtatverhaltens durch das Opfer (vgl aber RIS‑Justiz RS0097540) keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellung zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der (mehrfach) ausdrücklich verweigerten Einwilligung des Opfers (US 6 f).

[9] Der weitere Einwand, die Tatrichter hätten den sexuellen Vorlieben des Opfers zu wenig Bedeutung beigemessen, leitet Bedenken ohne direkten Bezug zu aktenkundigem Beweismaterial bloß aus deren Erwägungen ab (vgl aber RIS‑Justiz RS0119424). Mit der aus einer entsprechenden Aussage des Opfers gezogenen, für den Angeklagten günstigeren Schlussfolgerung auf das Fehlen eines Vorsatzes „zur Vergewaltigung“ bekämpft die Tatsachenrüge unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung außerhalb des Anfechtungsrahmens dieses Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0100555 [insbes T16]).

[10] Schließlich bezieht sich die Tatsachenrüge mit ihrem (im Ergebnis bloß) die Mängelrüge wiederholenden, erkennbar gegen die Feststellung zu einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung gerichteten Vorbringen nicht auf eine (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidende Tatsache, die allein den Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes bildet (RIS‑Justiz RS0118780).

[11] Indem die Subsumtionsrüge (Z 10 [nominell Z 9 lit a]) einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zur rechtlichen Unterstellung der Tat (auch) unter § 201 Abs 2 vierter Fall StGB behauptet, dabei aber nicht auf Basis des gesamten Urteilssachverhalts argumentiert, verfehlt sie die Ausrichtung am Verfahrensrecht (RIS-Justiz RS0099810). Denn für die rechtliche Beurteilung waren das Zusammenwirken mehrerer nicht – wie von der Beschwerde behauptet – allein in der Ausübung von Gewalt bestehender Tatumstände von Bedeutung, nämlich die Beschimpfungen als „Schlampn“ und „deppate Fotzn“, das gezielte Herbeiführen eines Würgereflexes, heftige Schläge ins Gesicht und bewusst gegen eine aufgrund einer Operation besonders schmerzempfindliche Stelle, das Knien auf den Händen zur Verhinderung der Bewegungsfreiheit des Opfers, das Schaffen eines massiven Bedrohungsszenarios (in objektiver Hinsicht [vgl 13 Os 43/14v]) durch mehrmaliges, die Atmung und das Sprechen stark einschränkendes Würgen sowie der Umstand, dass der Angeklagte das Opfer nicht nur bloß an den Haaren zerrte, sondern es (zur Fortsetzung des begonnenen sexuellen Geschehens) an den Haaren erfassend auf allen Vieren hinter sich her vom Erdgeschoss in den ersten Stock zog (US 6 f). Durch dieses Verhalten in seiner Gesamtheit würdigte der Angeklagte das Opfer (nach den tatrichterlichen Sachverhaltsannahmen) zum bloßen Objekt seiner sexuellen Willkür herab (US 9; vgl 14 Os 67/16h). Inwiefern den ausdrücklich auf diese Umstände bezogenen Feststellungen zu einem auch die Erniedrigung des Opfers in besonderer Weise umfassenden Vorsatz (US 9) der Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS‑Justiz RS0119090) und welcher darüber hinausgehenden Konstatierungen es für die vorgenommene Subsumtion bedurft hätte, erklärt die Beschwerde nicht (vgl aber RIS‑Justiz RS0116569).

 

Zum Schuldspruch II./:

[12] Der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) zuwider liegt der behauptete Widerspruch zwischen dem konstatierten Verletzungsvorsatz und den Feststellungen über die Reaktion des Opfers auf die Bisse des Angeklagten (US 10) schon deshalb nicht vor, weil sich letztere allein auf das Vorliegen einer Einwilligung der Verletzten beziehen und nicht auf die davon unabhängige subjektive Tatseite des Beschwerdeführers.

[13] Mit dem Einwand, dass die Feststellungen zum Verletzungsvorsatz und zum Fehlen einer Einwilligung des Opfers (US 10) mit dessen (von den Tatrichtern eingehend gewürdigten [US 21]) Aussage nicht im Einklang stünden, wird ein Widerspruch im Sinn des dritten Falls der Z 5 nicht bezeichnet, sondern bloß unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft (vgl RIS‑Justiz RS0119089 [T1, T7]).

[14] Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt mit dem Hinweis auf die Aussage des Opfers über nach dessen Ansicht zu ziehende Schlussfolgerungen aus seinen Reaktionen auf die Bisse des Angeklagten (vgl aber erneut RIS-Justiz RS0097540) keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellung eines das Fehlen einer Einwilligung in die Verletzungen am Körper umfassenden Vorsatzes (US 10; der Sache nach damit gemeint: Fehlen eines Irrtums über das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung [vgl dazu Lewisch in WK² StGB Nach § 3 Rz 213 und 222 ff]).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft folgt (§ 285i StPO).

[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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