Spruch:
Im Strafverfahren AZ 2 U 83/03g des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Thaya verletzen
1. die Durchführung der Hauptverhandlung am 25. März 2004 (ON 10) trotz Abwesenheit des am 24. November 1985 geborenen (sohin jungen Erwachsenen) Marcel K***** § 32 Abs 1 erster Satz JGG iVm § 46a JGG und § 459 zweiter Satz StPO;
2. der Beschluss vom 28. Oktober 2004 (S 125) durch die Anordnung von Bewährungshilfe, ferner durch das Unterbleiben einer grundsätzlichen Bezeichnung der Art der zu erbringenden gemeinnützigen Leistung und der möglichen gemeinnützigen Stelle, bei der die Leistung zu erbringen ist, die §§ 90a Abs 1 und 90d Abs 1 und Abs 2 StPO. Dieser Beschluss vom 28. Oktober 2004 wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Waidhofen an der Thaya aufgetragen, dem Gesetz gemäß vorzugehen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Mit Antrag auf Bestrafung vom 30. Dezember 2003 (ON 6) warf der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Waidhofen an der Thaya dem am 24. November 1985 geborenen Marcel K***** das Vergehen nach „§ 27 Abs 1 SMG" vor, weil dieser von November bis Dezember 2002 und von April bis August 2003 in Raabs an der Thaya unbefugt geringe Mengen Suchtmittel, nämlich Cannabiskraut, besessen und konsumiert haben soll.
Die hierüber am 17. Februar 2004 begonnene Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Waidhofen an der Thaya (ON 9) wurde am 25. März 2004 in Abwesenheit des Beschuldigten fortgeführt und nach Vernehmung einer Zeugin zur Vorführung des Marcel K***** vertagt (ON 10). Zu Beginn der am 28. Oktober 2004 wegen Zeitablaufs (gemäß § 276a StPO) neu durchgeführten Hauptverhandlung wurde der „bisherige Akteninhalt, insbesondere die Angaben der Zeugin Eva W***** ON 10" verlesen. Nach Schluss des Beweisverfahrens und mündlicher Wiederholung des Bestrafungsantrages durch den Bezirksanwalt sowie nach Besprechung der Voraussetzungen einer diversionellen Erledigung der Strafsache verkündete die Richterin (nach Annahme eines Diversionsanbotes durch den den Anklagevorwurf leugnenden Beschuldigten) den Beschluss „auf vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 90d StGB [richtig: StPO] unter Anordnung von Bewährungshilfe und der Auflage, binnen sechs Monaten 60 Stunden gemeinnützige Leistungen zu erbringen" (S 125). Dieser Beschluss enthält weder im Hauptverhandlungsprotokoll noch in seiner gesonderten schriftlichen Ausfertigung eine Begründung. Der Bezirksanwalt verzichtete auf ein Rechtsmittel dagegen (neuerlich S 125).
Mit Verfügung vom 11. November 2004 ordnete die Bezirksrichterin die Übersendung von Ausfertigungen dieses Beschlusses an Marcel K***** sowie an den Verein N***** (an diesen unter Anschluss von Kopien der wesentlichen Aktenteile) an und kalendierte die Berichterstattung mit 10. Mai 2005 (S 1a des Antrags- und Verfügungsbogens).
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zunächst zutreffend aufzeigt, liegen mehrfache Gesetzesverletzungen vor:
1. Gemäß § 32 Abs 1 JGG sind (ua) die §§ 427 und 459 zweiter und dritter Satz StPO bei jugendlichen Beschuldigten nicht anzuwenden. Dieses hiemit umschriebene Verbot der Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit eines jugendlichen Beschuldigten gilt gemäß § 46a Abs 2 JGG ebenso für einen Beschuldigten, der im Zeitpunkt der Verfahrenshandlung das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (sogenannter junger Erwachsener).
Am 25. März 2004 stand Marcel K***** erst im 19. Lebensjahr, sodass die Hauptverhandlung an diesem Tag (ON 10) in seiner Abwesenheit nicht hätte durchgeführt werden dürfen.
2. Die diversionelle Erledigung am 28. Oktober 2004 widerspricht dem Gesetz in folgenden Punkten:
Ein (in § 90a Abs 1 Z 2 StPO bezeichneter) vorläufiger Rücktritt des Staatsanwaltes von der Verfolgung nach § 90d StPO und damit auch eine nach dieser Gesetzesstelle vom Gericht gemäß § 90b StPO vorzunehmende vorläufige Einstellung des Verfahrens setzt die Bereitschaft des Verdächtigen (Beschuldigten) voraus, innerhalb einer Frist von höchstens sechs Monaten unentgeltlich gemeinnützige Leistungen zu erbringen (Abs 1). Zudem kann der endgültige Rücktritt von der Verfolgung oder die endgültige Verfahrenseinstellung nur noch von der Gutmachung des aus der Tat entstandenen Schadens oder einem sonstigen Tatfolgenausgleich durch den Verdächtigen (Beschuldigten) abhängig gemacht werden (Abs 3 und Abs 5).
Die Anordnung der Bewährungshilfe aus Anlass einer diversionellen Erledigung im Sinn des Hauptstückes IXa der Strafprozessordnung ist dagegen nur bei einem Rücktritt von der Verfolgung nach einer Probezeit gemäß § 90f (= 90a Abs 1 Z 3) StPO vorgesehen. Eine Kombination der in § 90a Abs 1 StPO aufgezählten vier Arten der diversionellen Erledigung ist jedoch nicht zulässig. Es könnte sonst zu einer dem Diversionscharakter nicht mehr entsprechenden übermäßigen Inanspruchnahme des Verdächtigen kommen (Schroll, WK-StPO § 90a Rz 50; JBl 2005, 58 = 12 Os 16/04).
Die Anordnung von Bewährungshilfe zusätzlich zur Erbringung von gemeinnützigen Leistungen widerspricht diesem aus § 90a Abs 1 StPO abzuleitenden Kumulierungsverbot und gereicht dem Beschuldigten Marcel K***** zum Nachteil.
Die Erfüllung der vom Staatsanwalt oder (gemäß § 90b StPO) vom Gericht in einem Beschluss gemäß § 90d StPO erteilten Auflagen hat der Verdächtige (Beschuldigte) von sich aus (allenfalls unter Zwischenschaltung eines Vermittlers nach § 29b BewHG) nach Ablauf der vom Staatsanwalt oder dem Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten nachzuweisen. Zur Klarstellung und effektiven Kontrolle ist es - ähnlich wie bei der Erteilung von Weisungen iSd § 51 StGB (vgl 13 Os 89/92) - daher notwendig, die gemeinnützige Leistung (gegebenenfalls die Schadensgutmachung oder den sonstigen Tatfolgenausgleich) in der Entscheidung über die vorläufige Verfahrensbeendigung hinreichend zu umschreiben. Dazu genügt es, dass die Anzahl der Stunden präzise, die Art der Leistung und eine mögliche gemeinnützige Stelle, bei der die Leistung zu erbringen ist, hingegen nur dem Grunde nach festgelegt wird. Die Zuweisung zu einer konkreten gemeinnützigen Institution oder der Ort der Leistung können hingegen erst nach Abklärung mit dem Vermittler bestimmt werden (WK-StPO § 90d Rz 12).
Diese bei einer Beschlussfassung gemäß § 90d StPO gebotene grundsätzliche Bezeichnung der Art der gemeinnützigen Leistung und jener Stelle, bei der sie erbracht werden kann, lässt der Beschluss vom 28. Oktober 2004 indes vermissen. Demgemäß bleibt zum Nachteil des Beschuldigten offen, auf welche Art er der Auflage nachkommen soll und wie sodann der Nachweis ihrer Erfüllung zu erbringen wäre. Diese aufgezeigten Gesetzesverletzungen, welche dem Beschuldigten zum Nachteil gereichen, erfordern die Aufhebung des bezeichneten Beschlusses.
Die darüber hinaus geltend gemachte Verletzung des § 270 Abs 2 Z 5
StPO liegt hingegen nicht 7
vor.
Hiezu führt der Generalprokurator aus:
In analoger Anwendung des § 270 Abs 2 Z 5 StPO sind auch Beschlüsse zu begründen (RIS-Justiz RS0098667), wobei auf allenfalls entscheidungswesentliche Umstände jedoch nur insoweit einzugehen ist, als entweder aus der Aktenlage oder aus Parteienbehauptungen Anhaltspunkte für deren Vorliegen bestehen (12 Os 2/89). In einem Beschluss gemäß § 90d StPO auf vorläufige Einstellung eines wegen „§ 27 Abs 1 SMG" geführten Strafverfahrens hat das Gericht gegebenenfalls daher auch zu begründen, weshalb es von einer in der Gesamtwirkung den Beschuldigten allenfalls weniger belastenden diversionellen Erledigung, etwa einer solchen gemäß § 37 SMG iVm § 35 Abs 1 oder 2 SMG (vgl JBl 2003, 882), Abstand genommen hat. Das Bezirksgericht Waidhofen an der Thaya hat dem zuwider jegliche Begründung seines Beschlusses vom 28. Oktober 2004 unterlassen, obgleich nach der Aktenlage auch eine vorläufige Einstellung des Strafverfahrens durch das Gericht gemäß § 37 SMG iVm § 35 Abs 2 SMG grundsätzlich in Betracht gekommen wäre.
Der Oberste Gerichtshof hat jedoch erwogen:
Für gerichtliche Verfügungen nicht bloß prozessleitender Art (mit Ausnahme von Ladungen) besteht generell eine Begründungspflicht (vgl Harbich, RZ 1977, 142). Dies geht bereits aus dem Fairnessgebot des Art 6 Abs 1 MRK unabweislich hervor (Frowein/Peukert MRK-Kommentar² Art 6 Rz 114, Villiger Handbuch² § 21 Pkt IV, Meyer-Ladewig Handkommentar Art 6 Rz 42, Grabenwarter EMRK § 24 Rz 42). Demnach sind Beschlüsse nach §§ 90c Abs 5, 90d Abs 1 und 5, 90f Abs 1 und 4, 90g Abs 1 (iVm § 90b) StPO ebenso wie die Abweisung des Antrags auf Einstellung des Strafverfahrens nach dem Hauptstück IXa der StPO derart zu begründen, dass ersichtlich wird, warum das Gericht die Voraussetzungen des § 90a StPO und gegebenenfalls die Erfüllung der vom Beschuldigten (§ 38 Abs 3 StPO) nach diesem Hauptstück eingegangenen Verpflichtungen angenommen oder verneint hat.
Entschließt sich das Gericht zu einer Mitteilung nach § 90c Abs 4 (§ 90b) StPO, liegt auch darin keine bloß prozessleitende, vielmehr eine Bindungswirkung entfaltende Verfügung. In der darauf fußenden Mitteilung nach § 90c Abs 4 (§ 90b) StPO kommt jedoch ohnehin stets die Bejahung der Diversionsvoraussetzungen des § 90a StPO zum Ausdruck, sodass es einer just darauf hinweisenden Begründung für den Beschuldigten (§ 38 Abs 3 StPO) nicht bedarf. Dem Staatsanwalt hinwieder steht gegen eine derartige Verfügung (noch) kein Rechtsmittel offen; und zwar selbst wenn das Gericht anstelle oder zusätzlich zu der nach § 90c Abs 4 (§ 90b) StPO vorgesehenen Mitteilung den Weg einer im Gesetz gar nicht vorgesehenen, demnach als bloße Falschbezeichnung wirkungslosen vorläufigen Einstellung gewählt hat (vgl EvBl 1997/89; fallbezogen, ersichtlich mit Blick auf § 90f StPO, anders gelöst in 15 Os 1/05v). Er kann sich vielmehr erst gegen eine nach § 90c Abs 5 (§ 90b) StPO erfolgte Verfahrenseinstellung zur Wehr setzen.
So gesehen genügt es ihm gegenüber, wenn in diesem Beschluss oder in der (zufolge Nichterfüllung von im Diversionsangebot genannten Verpflichtungen) Abweisung eines Antrages auf Einstellung des Strafverfahrens begründet wird, warum das Gericht die Voraussetzungen des § 90a StPO (bereits anlässlich der Mitteilung nach § 90c Abs 4 [§ 90b] StPO) bejaht hat.
Eine Begründung dafür, warum das Gericht eine von einem Vorgehen nach dem Hauptstück IXa der StPO verschiedene Form der Verfahrenseinstellung (zB ein Vorgehen nach § 35 Abs 1 [§ 37] SMG [§§ 451 Abs 2, 485 f StPO]) abgelehnt hat, sieht das Gesetz nicht vor. Der Beschuldigte (§ 38 Abs 3 StPO) hat - außer im kollegialgerichtlichen Verfahren, wo ihm der Anklageeinspruch offen steht - kein subjektives Recht auf eine derartige Verfahrenserledigung durch Beschluss (vgl auch WK-StPO § 90f Rz 26). In diesem Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen.
Das Bezirksgericht Waidhofen an der Thaya wird demgemäß im neu durchzuführenden Verfahren im Sinne der aufgezeigten Rechtslage vorzugehen haben.
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