Spruch:
Im Verfahren des Landesgerichtes Linz zu AZ 23 Hv 45/04x verletzt der Beschluss dieses Gerichtes vom 4. Juni 2004 (S 43), § 90c iVm § 90b StPO und das IXa. Hauptstück der StPO.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Elfriede B***** liegt im Verfahren zum AZ 23 Hv 45/04x des Landesgerichtes Linz auf Grund des Strafantrages der Staatsanwaltschaft vom 26. April 2004 (ON 3) zur Last, in der Zeit von Jänner 2002 bis zum 1. April 2004 in Gallneunkirchen der Waltraud M***** gewerbsmäßig insgesamt 137 Telefonwertkarten im Gesamtwert von 2.740 Euro mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und hiedurch das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall StGB begangen zu haben.
Nachdem sich Elfriede B***** in der Hauptverhandlung vom 4. Juni 2004 schuldig bekannt und erklärt hatte, die Wertkarten, für die sie selber keinen Bedarf gehabt hätte, ihrer Tochter gegeben zu haben, fasste der Einzelrichter den Beschluss „auf vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 90c StPO unter Bestimmung eines Bußgeldes von 500 Euro bis zum 20. Juni 2004". Dies mit der Begründung, dass "unter Umständen bloßer Diebstahl nach § 127 StGB „vorliegen könne und demnach „angesichts der Sach- und Rechtslage" die Voraussetzungen für eine diversionelle Erledigung mit Bußgeldauflage gegeben wären. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, die vor der Beschlussfassung nicht formell angehört worden war (vgl Schroll, WK-StPO § 90 l Rz 16), gab dazu keine Erklärung ab. Hinsichtlich der Beschuldigten ist ein Rechtsmittelverzicht protokolliert.
Nach fristgerechter Entrichtung des auferlegten Geldbetrages durch die Beschuldigte erging am 21. Juni 2004 der - ausschließlich mit dem Verweis auf die Bezahlung des Betrages begründete - Beschluss des Landesgerichtes Linz auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 90c (zu ergänzen: iVm § 90b) StPO (ON 6).
Gegen diesen am 23. Juni 2004 zugestellten Beschluss erhob die Staatsanwaltschaft am 28. Juni 2004 Beschwerde. Darin vertrat sie die Ansicht, dass ihr gegen den Beschluss auf vorläufige Einstellung kein Rechtsmittel zustünde, sodass nunmehr der Beschluss auf endgültige Verfahrenseinstellung anzufechten sei. Sie beantragte, „den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Durchführung bzw Fortsetzung des ordentlichen Verfahrens aufzutragen", weil es dem bekämpften Beschluss an jeglicher inhaltlicher Begründung mangle und die Diversionsvoraussetzungen (hinreichende Klärung des Sachverhalts, Nichtvorliegen schwerer Schuld und generalpräventiver Bedenken) nicht gegeben seien. Mit Beschluss vom 2. August 2004, AZ 8 Bs 222/04 (ON 9 des Hv-Aktes), gab das Oberlandesgericht Linz dieser Beschwerde nicht Folge. Dabei ging das Oberlandesgericht davon aus, dass - in analoger Anwendung der in § 90 l Abs 2 zweiter Satz und Abs 3 erster Satz StPO getroffenen Regelung - in der Hauptverhandlung ein Beschluss auf Verfahrenseinstellung nach dem IXa. Hauptstück mündlich zu verkünden und für den Staatsanwalt mit einer binnen 14 Tagen nach dieser Verkündung einzubringenden Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof anfechtbar sei. Da die Staatsanwaltschaft aber im vorliegenden Fall den bereits in der Hauptverhandlung am 4. Juni 2004 gefassten und verkündeten Einstellungsbeschluss unangefochten gelassen habe und dieser damit inzwischen in Rechtskraft erwachsen sei, würde sich eine Auseinandersetzung mit dem „Großteil des Beschwerdevorbringens" nunmehr erübrigen und wäre damit der vom Erstrichter nach erfolgter Geldleistung gefasste Einstellungsbeschluss zu Recht erfolgt.
Gegen die vom Erstgericht in der Hauptverhandlung vom 4. Juni 2004 unter Bezugnahme auf § 90c StPO getroffene Verfügung einer vorläufigen Verfahrenseinstellung und die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 2. August 2004 richtet sich die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend macht die Beschwerde geltend, dass das Vorgehen des Erstgerichtes mit dem Gesetz nicht im Einklang steht. Gemäß § 90 l Abs 2 zweiter Satz ist der Staatsanwalt vor Beschlussfassung oder Mitteilung an den Verdächtigen in den dort genannten Fällen zu hören, was nicht geschehen ist.
Im Falle einer diversionellen Maßname nach § 90c (§ 90b) StPO ist das Verfahren nicht schon auf Grund der Zustimmung des Verdächtigen, sondern erst nach Zahlung des auferlegten Geldbetrages durch diesen und ohne rechtswirksame Vor- oder Zwischenentscheidung gemäß § 90c Abs 5 StPO einzustellen (Schroll, WK-StPO § 90c Rz 9 und 10). Die in der Hauptverhandlung am 4. Juni 2004 verkündete Entscheidung auf „vorläufige" Einstellung des Verfahrens bezeichnete rechtsirrtümlich ein für andere Gegebenheiten normiertes Rechtsinstitut (§§ 90d Abs 1, 90f Abs 1 StPO), ist jedoch für Verfolgungsrücktritt oder Verfahrensbeendigung nach Zahlung eines Geldbetrages gemäß dem vom Gericht ausdrücklich bezeichneten § 90c StPO nicht vorgesehen.
Richtigerweise hätte das Gericht bei seinem Vorgehen nicht über den staatlichen Strafanspruch oder die erhobene Anklage disponieren dürfen, sondern einen mit dem gerichtlichen Diversionsanbot eines Verfolgungsverzichts gegen Zahlung eines Geldbetrages verbundenen und eine kurzfristige Sistierung des Verfahrens bis zum letzten Zahlungstermin am 20. Juni 2004 ausdrückenden Vertagungsbeschluss (§ 90d Abs 4 iVm § 90b StPO) fassen müssen. Eine „vorläufige Verfahrenseinstellung" findet im Gesetz keine Deckung.
Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen gereichen der Beschuldigten nicht zum Nachteil, weshalb es mit der Feststellung dieser Verstöße sein Bewenden haben muss.
Zu den betreffend den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz vom 2. August 2004, AZ 8 Bs 222/04 geltend gemachten Verletzungen der §§ 90c Abs 5 sowie 90 l Abs 3 erster Satz StPO führt der Generalprokurator aus:
„Daraus (oben dargestelltes Vorgehen des Erstgerichtes) folgt aber auch, dass der (endgültige) Einstellungsbeschluss des Gerichtes vom 21. Juni 2004 (§ 90c Abs 5 iVm § 90b StPO) einen anderen Entscheidungsgegenstand betraf als die sogenannte vorläufige Verfahrenseinstellung vom 4. Juni 2004, weshalb für die Annahme materieller Rechtskraft einer bereits in der Hauptverhandlung stattgefundenen Verfahrensbeendigung keine Grundlage bleibt. Dazu kommt aber noch, dass das Gesetz die Rechtsmittellegitimation des Staatsanwalts gegen Einstellungsbeschlüsse oder Verfolgungsablehnungen und die damit korrespondierende Überprüfungspflicht des Beschwerdegerichtes ausdrücklich an die Anwendung einzeln bestimmter Normen bindet und in den Diversionsfällen der Zahlung eines Geldbetrages nur die (abschließende) Entscheidung nach § 90c Abs 5 StPO (Verfahrensbeendigung nach Leistung eines Geldbetrages) für anfechtbar erklärt (§ 90 l Abs 3 StPO).
Demnach hätte das Oberlandesgericht Linz die in vollem Umfang zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss vom 21. Juni 2004 auf endgültige Einstellung des Verfahrens nach inzwischen erfolgter Entrichtung des Geldbetrages zur Gänze meritorisch zu erledigen gehabt und sich nicht im Wesentlichen auf res judicata berufen dürfen. Für die Bezugnahme des Oberlandesgerichtes auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 13 Os 41/03 = EvBl 2004/35 bleibt vorliegend dagegen kein Raum, weil mit dieser Entscheidung über einen erstgerichtlichen Beschluss nach der Bestimmung des § 90f Abs 1 StPO (iVm § 90b StPO) abgesprochen wurde, die - anders als § 90c StPO - einen vorläufigen Verfolgungsrücktritt und damit auch eine entsprechende vorläufige Verfahrenseinstellung vorsieht."
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Zutreffend geht das Oberlandesgericht Linz in seiner Beschlussbegründung unter Bezugnahme auf die in 13 Os 41/03 vertretene Rechtsansicht aus, dass Rechtsmittelfristen grundsätzlich (schon) mit der mündlichen Verkündung einer Entscheidung zu laufen beginnen, dies allerdings nur wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt. Ergeht in der Hauptverhandlung ein Beschluss auf Einstellung des Verfahrens nach dem IXa. Hauptstück der StPO, ist diese Entscheidung mündlich zu verkünden. Dagegen steht dem Staatsanwalt die binnen 14 Tagen nach Verkündung einzubringende Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu (vgl RIS-Justiz RS0118013). Dies gilt auch - wie gegenständlich - für den Fall einer in der StPO zwar nicht vorgesehenen, jedoch tatsächlich erfolgten „vorläufigen Einstellung des Verfahrens unter Auferlegung eines Bußgeldes."
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Staatsanwalt das Strafverfahren durch entsprechende Anträge, insbesondere jenen auf Bestrafung, einzuleiten oder fortzusetzen hat, wenn der Verdächtige die von ihm übernommenen Leistungsverpflichtungen (Geldbuße, Schadenersatz, gemeinnützige Leistung, Schulung, Kursbesuch, Bewährungshilfe etc) nicht, nur unzureichend oder nicht zeitgerecht erfüllt; § 90h Abs 2 Z 1 und 2 StPO (Schroll, aaO § 90h Rz 9; 90a Abs 1 Z 4 StPO).
Wenn auch das Gesetz ein Vorgehen, wie vom Erstgericht gewählt, nicht vorsieht, so ist nach den allgemeinen Diversionsgrundsätzen das Gericht mit seinem Diversionsangebot auf Grund des Vertrauensschutzes zugunsten des Verdächtigen gebunden (vgl 15 Os 126/02), soweit der Staatsanwalt sich nicht gegen den - hier vorweggenommenen - Inhalt der Diversionsentscheidung materiell beschwert hat. Dies wurde - wie das Oberlandesgericht Linz zutreffend erkannt hat - fallgegenständlich durch Versäumung der vierzehntägigen Beschwerdefrist, beginnend ab Verkündung des vorläufigen Einstellungsbeschlusses, verabsäumt. Gerade weil (wie der Generalprokuratur insoferne zutreffend ausführt) der (endgültige) Einstellungsbeschluss des Gerichtes vom 21. Juni 2004 (§ 90c Abs 5 iVm § 90b StPO) einen anderen Entscheidungsgegenstand betraf als die sogenannte vorläufige Verfahrenseinstellung vom 4. Juni 2004, nämlich nur noch die Frage der rechtzeitigen und vollständigen Bezahlung des Bußgeldes, ist von der - infolge rechtzeitiger Bekämpfung der fälschlichen „vorläufigen Verfahrenseinstellung" in der Hauptverhandlung - materiellen Rechtskraft der dort im Beschluss zur Begründung der Verfahrensbeendigung angeführten Grundlagen auszugehen. Soweit in Diversionsfällen § 90c StPO nur die abschließende Entscheidung nach § 90c Abs 5 StPO (Verfahrensbeendigung nach Leistung eines Geldbetrages) für anfechtbar erklärt (§ 90 l Abs 3 StPO), wird in den vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Fällen davon ausgegangen, dass das Verfahren den Vorschriften entsprechend nach Zahlung der Geldbuße mittels Beschluss eingestellt wird, der zuerst dem öffentlichen Ankläger zuzustellen ist, und dem Verdächtigen erst zugestellt wird, wenn diese Entscheidung dem Staatsanwalt gegenüber in Rechtskraft erwachsen ist, (Schroll, aaO § 90c Rz 9).
Nach Leistung des Geldbetrages und allfälliger Schadensgutmachung hat der Staatsanwalt von der Verfolgung zurückzutreten, sofern nicht das Strafverfahren nachträglich einzuleiten oder fortzusetzen ist (Schroll, aaO § 90c Rz 10).
Da im gegenständlichen Fall vom Gericht eine Vorgangsweise gewählt wurde, die eine Bindung des Staatsanwaltes und des Gerichtes an das eigene Diversionsangebot bei unveränderter Sachlage (vgl § 90h Abs 2 Z 3 StPO) beinhaltet und somit dem tragenden Grundgedanken des Vertrauensschutzes der Verdächtigen ab Verkündung des Beschlusses auf vorläufige Verfahrenseinstellung den Vorrang gibt, hätte sich der Staatsanwalt bereits unter Einhaltung einer ab Verkündung dieses Beschlusses zu laufen beginnenden Beschwerdefrist von 14 Tagen gegen die Annahme der Voraussetzungen für die Gewährung der Diversion zur Wehr setzen müssen.
Demnach ist dem Oberlandesgericht in der Nichtbehandlung der in der Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den (endgültigen) Einstellungsbeschluss vom 21. Juni 2004 angeführten Argumente gegen das Nichtvorliegen der Diversionsvoraussetzungen, wie in der Begründung des vorläufigen Einstellungsbeschlusses dargelegt, keine Gesetzesverletzung unterlaufen, weshalb die Beschwerde in diesem Umfang zu verwerfen war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)