OGH 15Os126/02

OGH15Os126/0228.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. November 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Zygmunt K***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, AZ 084 EHv 5090/01s des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. August 2002, AZ 23 Bs 175/02, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. August 2002, AZ 23 Bs 175/02 (ON 36 des Vr-Aktes), verletzt § 90 l Abs 3 erster Satz StPO.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 084 EHv 5090/01s des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde Zygmunt K***** mit Strafantrag vom 17. Oktober 2001 ein von der Staatsanwaltschaft als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB qualifiziertes Verhalten zur Last gelegt (ON 4). Im Protokoll über die Hauptverhandlung vom 10. April 2002 ist nach der Vernehmung des Beschuldigten (der die Tat leugnete) und einem Vermerk über das Ausbleiben des (einzigen) Zeugen festgehalten:

"Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage wird ein Vorgehen nach § 90 a Z 1 StPO in Betracht gezogen.

Die Staatsanwältin erklärt sich damit einverstanden.

Der Beschuldigte ist nunmehr schuldeinsichtig und erklärt sich bereit, einen Betrag von 700 Euro binnen vierzehn Tagen zu bezahlen" (S 141).

Die Hauptverhandlung wurde daraufhin vertagt.

Nach Einlangen des angeführten Betrages fasste die Einzelrichterin am 23. April 2002 den Beschluss, das Strafverfahren gemäß §§ 90 b, 90 c Abs 5 StPO einzustellen (ON 32). Die dagegen von der Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die einschlägigen Vorstrafen des Beschuldigten mit dem Ziel der Aufhebung des Beschlusses und der Fortsetzung des Verfahrens oder zumindest schuldangemessener Erhöhung der Geldbuße erhobene Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 28. August 2002, AZ 23 Bs 175/02 (ON 36), als unzulässig zurückgewiesen. Der Gerichtshof zweiter Instanz verneinte "zufolge des (vorbehaltslosen) grundsätzlichen Einverständnisses der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft mit einem diversionellen Vorgehen nach § 90 c StPO und deren reaktionsloser Kenntnisnahme von der erörterten Höhe der angebotenen Geldbuße mangels (zulässigen) Vorbringens von Neuerungstatsachen gegenüber den der Hauptverhandlung zugrunde gelegenen Tatsachengrundlagen" eine Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft. Diese Ansicht wurde - zusammengefasst - damit begründet, dass der die Bindung des Staatsanwaltes und des Gerichtes an das eigene Diversionsangebot bei unveränderter Sachlage (vgl § 90 h Abs 2 Z 3 StPO) tragende Grundgedanke des Vertrauensschutzes des Verdächtigen auch dann durchschlage, wenn der Staatsanwalt im Zuge seiner Anhörung (§ 90 l Abs 2 StPO) einem diversionellen Vorgehen des Gerichtes zustimme. Die einer Rechtsmittellegitimation des Staatsanwaltes in Bezug auf Einstellungsbeschlüsse nach dem Hauptstück IXa normierende Bestimmung des § 90 l Abs 3 StPO sei insoweit teleologisch zu reduzieren, als dem Staatsanwalt im Falle (und Umfang) vorangegangener Zustimmung einer intendierten diversionellen Maßnahme (bei unveränderter Sachverhaltsgrundlage) mangels Neuerungsvorbringens ein auf die nicht bereits von einer Einverständniserklärung im Zuge der Anhörung umfassten diversionsrelevanten Umstände eingeschränktes Beschwerderecht zustehe.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in seiner gegen diese Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht diese mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 90 b StPO hat das Gericht die für den Staatsanwalt geltenden Bestimmungen des Hauptstückes IXa der Strafprozessordnung sinngemäß anzuwenden und nach Einleitung der Voruntersuchung und der Erhebung der Anklage das Verfahren wegen einer von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlung unter den für den Staatsanwalt geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen. Bevor das Gericht dem Verdächtigen eine Mitteilung nach §§ 90 c Abs 4, 90 d Abs 4, 90 f Abs 3 StPO oder einen Beschluss, mit dem das Verfahren eingestellt oder seine Einleitung abgelehnt wird, zustellt, hat es den Staatsanwalt zu hören. Ein solcher Beschluss ist dem Verdächtigen erst dann zuzustellen, wenn er dem Staatsanwalt gegenüber in Rechtskraft erwachsen ist (§ 90 l Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO). Gegen einen Beschluss, mit dem ein Strafverfahren nach dem Hauptstück IXa eingestellt oder dessen Einleitung abgelehnt wird (§§ 90 c Abs 5, 90 d Abs 1 und 5, 90 f Abs 1 und 4, 90 g Abs 1 iVm § 90 b StPO) steht dem Staatsanwalt, gegen eine Abweisung des Antrages auf Einstellung des Strafverfahrens dem Verdächtigen und dem Staatsanwalt die binnen vierzehn Tagen nach Zustellung einzubringende Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu (§ 90 l Abs 3 StPO).

Bei Anwendung der Strafprozessordnung ist zunächst grundsätzlich vom Wortlaut des Gesetzes auszugehen. Nur wenn dieser zu überspitzten Ergebnissen führen oder der Verfassung widersprechen würde, wäre eine weitere Auslegung nach den allgemeinen Interpretationsregeln erforderlich (vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 28 ff).

Nach dem klaren Wortlaut des § 90 l Abs 3 StPO steht dem Staatsanwalt sowohl gegen den Beschluss, mit dem ein Strafverfahren nach dem Hauptstück IXa eingestellt oder dessen Einleitung abgelehnt wird, als auch gegen eine Abweisung des Antrages auf Einstellung des Strafverfahrens eine (uneingeschränkte) Beschwerde zu. Die vom Oberlandesgericht Wien mit Beziehung auf den Vertrauensschutz des Verdächtigen angenommene Wertung, der Staatsanwaltschaft sei durch eine zustimmende Äußerung im Zuge der Anhörung zu einem vom Gericht in Aussicht genommenen diversionellen Vorgehen (§ 90 l Abs 2 zweiter Satz StPO) die Legitimation zur Anfechtung eines entsprechenden Beschlusses genommen, ist der Strafprozessordnung fremd. Im Sinn des genannten Vertrauensschutzes sind Staatsanwaltschaft und Gericht zwar an ihre eigenen Vorschläge gegenüber dem Verdächtigen, eine "Geldbuße" zu bezahlen, gemeinnützige Leistungen zu erbringen oder eine Probezeit zu bestehen, mit den im § 90 h Abs 2 Z 3 und Abs 3 StPO bezeichneten Einschränkungen gebunden, solange es dem Verdächtigen offensteht, dem Vorschlag zu entsprechen (RV 1581 BlgNR 20. GP 27 Punkt 3.1.3.). Die Ausübung des im § 90 l Abs 3 erster Satz StPO verankerten Beschwerderechtes (auch) des Staatsanwaltes hängt aber weder vom Inhalt seiner Stellungnahme zu einem vom Gericht in Aussicht genommenen diversionellen Vorgehen noch von der Behauptung einer Änderung von Beurteilungsgrundlagen ab (vgl die RV 1581 BlgNR 20. GP 29 Punkt 3.3.3.).

Im Übrigen geht die Entscheidung des Oberlandesgerichtes davon aus, dass die Höhe der Buße "erörtert" wurde (S 171), was jedoch dem Hauptverhandlungsprotokoll widerspricht. Die "reaktionslose Kenntnisnahme" der Höhe der angebotenen Geldbuße ist Ausfluss der Bindung des Gerichtes an sein Angebot mit der Verkündung. Dem Staatsanwalt steht ab diesem Zeitpunkt zur Bekämpfung der Höhe der Geldbuße nur noch die Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluss offen.

Die der Entscheidung 14 Os 36/00 betreffend das (mangelnde) Rechtsschutzinteresse im Rechtsmittelverfahren bei unterbliebener Erstattung von Einwendungen gegen antragsgemäße Gebührenbestimmung (§ 39 Abs 1 letzter Satz und Abs 3 GebAG) zugrunde liegenden Erwägungen lassen sich angesichts der dafür maßgeblichen eigenständigen, insbesondere auf Vereinfachung und Beschleunigung der Gebührenbestimmung gerichteten Regelung des Verfahrens zur Entscheidung über den zivilrechtlichen Anspruch des Sachverständigen (vgl insbesondere § 39 Abs 3 zweiter Satz GebAG) auf die hier zu beurteilende Konstellation nicht übertragen. Im Rahmen der Strafprozessordnung ist nämlich eine Verknüpfung der formalen Rechtsmittellegitimation mit einer vor Fällung der anzufechtenden Entscheidung abgegebenen Parteienäußerung nicht vorgesehen.

Da die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien dem Beschuldigten nicht zum Nachteil gereicht, war lediglich die Gesetzesverletzung festzustellen.

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