European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128410
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 28. März 2019, AZ 49 Bl 6/19t, verletzt § 195 Abs 1 Z 1 und Abs 2 vierter Satz StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Landesgericht Salzburg wird aufgetragen, neuerlich über den Antrag des Roman T* auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens, AZ 3 St 1/19z der Staatsanwaltschaft Salzburg, zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Salzburg stellte am 2. Jänner 2019 ein gegen Dr. Reinfried E*, Alfons K* und Ernst G* wegen des Verdachts des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB geführtes Ermittlungsverfahren „gemäß § 190 Z 2 StPO“ ein (ON 1 S 3). Dem Verfahren lag der Vorwurf zugrunde, die Beschuldigten hätten als Mitglieder des Ehrengerichts der Salzburger Jägerschaft (§ 125 Abs 1 Z 1 lit e und § 139 Salzburger Jagdgesetz 1993 [kurz: Sbg JG]), mithin als Beamte (im strafrechtlichen Sinn), Roman T* mit Erkenntnis vom 20. November 2017 einer Verletzung der Jägerehre (§ 138 Abs 2 [ersichtlich gemeint] Z 2 Sbg JG) schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt, wobei sie wissentlich und mit Schädigungsvorsatz Verfahrensvorschriften verletzt hätten. In der Einstellungsbegründung (§ 194 Abs 2 StPO) führte die Staatsanwaltschaft zum Sachverhalt im Wesentlichen aus (ON 1 S 3 f):
T* verantwortete sich als Beschuldigter im gemäß § 140 Sbg JG geführten Verfahren zunächst geständig, am 3. Februar 2017 in A* eine tote Katze und einen Hasenbalg zum Anlocken eines Fuchses an einen Telegrafenmasten genagelt zu haben. Im Verfahren vor dem Ehrengericht revidierte er diese Verantwortung dahingehend, dass nicht er, sondern sein Sohn die Tat begangen habe. Überdies erstattete er „durch seinen Rechtsvertreter ein umfangreiches Vorbringen samt zahlreichen Beweisanträgen“. Das „Ehrengericht fasste allerdings den Beschluss, keine weiteren Beweise aufzunehmen, und legte seiner Entscheidung allein die bisherigen Stellungnahmen“ des T* „(einschließlich seines früheren 'Geständnisses') zugrunde“.
Die Einstellung begründete die Staatsanwaltschaft damit, dass „weder in objektiver Hinsicht ein Befugnismissbrauch durch die Beschuldigten noch in subjektiver Hinsicht eine Wissentlichkeit in Bezug auf einen allfälligen Befugnismissbrauch anzunehmen“ sei. Sie teilte die Einschätzung der Beschuldigten, die Beweisanträge des T* im ehrengerichtlichen Verfahren seien „sehr pauschal formuliert“ gewesen und hätten – neben umfangreichen rechtlichen Ausführungen – kein relevantes Beweisthema genannt. Die Vernehmung von Entlastungszeugen sei konkret erst im Beschwerdeverfahren beantragt worden. Der gegen T* erhobene Vorwurf sei hinsichtlich Tatort und Tatzeit ausreichend konkretisiert worden. Die Abweisung der Beweisanträge stelle daher schon objektiv keinen Befugnisfehlgebrauch dar. „Jedenfalls“ sei „eine dahingehende Wissentlichkeit bei den Beschuldigten durch nichts indiziert“.
In seinem Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens (ON 7) und in seiner Äußerung zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft (§ 196 Abs 1 zweiter Satz StPO; ON 9) machte der Privatbeteiligte T* zusammengefasst zum einen erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Sachverhaltsannahmen in der Einstellungsentscheidung, insbesondere zur Verneinung der vom Tatbestand geforderten Wissentlichkeit, geltend (§ 195 Abs 1 Z 2 StPO). Andererseits kritisierte er eine unrichtige Anwendung des Gesetzes (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO) bei der Lösung der (Vor‑)Frage, ob die Beschuldigten in der gegebenen Verfahrenssituation vor dem Ehrengericht, nämlich bei einem Widerruf des ursprünglichen „Geständnisses“ und dem Vorbringen des T*, durch seine Verantwortung bloß einen seiner Söhne geschützt zu haben, zufolge der Pflicht „zur Erforschung der materiellen Wahrheit“ zumindest T* und seine Söhne hätten vernehmen müssen.
Im nunmehr angefochtenen Beschluss ordnete das Landesgericht Salzburg die Fortführung des Ermittlungsverfahrens aus folgenden Gründen an: Der Fortführungswerber habe zutreffend kritisiert, dass die Staatsanwaltschaft einerseits die Nichtannahme der subjektiven Tatseite nicht begründet („§ 195 Abs 1 Z 1 iVm § 281 Abs 1 Z 5 4. Fall StPO“ [BS 2]), andererseits „nicht begründet dargelegt“ habe, weshalb – unabhängig von der Abweisung von Beweisanträgen – vor dem Hintergrund der Änderung seiner Verantwortung und „angesichts des Grundsatzes der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit“ (vgl § 139 Abs 5 Sbg JG iVm § 24 VStG sowie §§ 37 und 39 Abs 2 AVG) „die Unterlassung der näheren Befragung“ des T* und Vernehmung seines (der Tat bezichtigten) Sohnes „keinen objektiven Befugnismissbrauch darstellen“ soll (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO).
Rechtliche Beurteilung
Dieser Beschluss verletzt – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde richtig ausführt – das Gesetz.
Aus dem Erfordernis, im Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens die Gründe einzeln und bestimmt zu bezeichnen, aus denen die Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes oder die erheblichen Bedenken abzuleiten sind (§ 195 Abs 2 vierter Satz StPO), folgt eine Antragsbindung des Gerichts, das nicht befugt ist, vom Fortführungswerber (allenfalls auch in der gemäß § 196 Abs 1 zweiter Satz StPO erstatteten Äußerung) nicht (gesetzmäßig) geltend gemachte Argumente gegen die Einstellung, die sich (nach Ansicht des Gerichts) etwa aus dem Akt ergeben, aufzugreifen (RIS‑Justiz RS0126210 T1). Bei Einstellungen aus – wie vorliegend – tatsächlichen Gründen (§ 190 Z 2 StPO) unterscheidet das Gesetz zwischen aus einer Gesetzesverletzung resultierendem Ermessensmissbrauch (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO), der sich aus einer willkürlichen (also nach den Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5 StPO mangelhaft begründeten) Beurteilung ergeben kann, und erheblich bedenklichem Ermessensgebrauch (§ 195 Abs 1 Z 2 StPO), somit einer (nach den Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5a StPO) unerträglichen Lösung der Beweisfrage (13 Os 69/14t, 70/14i; RIS‑Justiz RS0126211 T2 und T4; zum Ganzen Nordmeyer, WK‑StPO § 195 Rz 14 ff und 29 f sowie § 196 Rz 13 und 16 ff).
Der Fortführungswerber machte das Fehlen einer Begründung zur Nichtannahme der Wissentlichkeit (vgl § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO [zum Maßstab RIS‑Justiz RS0118317]) – auch der Sache nach (vgl RIS‑Justiz RS0117437 [zum Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“]) – nicht geltend. Vielmehr relevierte er insoweit bloß erhebliche Bedenken, ohne diese allerdings aus (konkret angeführten [vgl ON 9 S 6]) aktenkundigen Beweisergebnissen abzuleiten (vgl RIS‑Justiz RS0119424; Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 18). Indem das Landesgericht Salzburg seinen Beschluss auch hinsichtlich der Sachverhaltsgrundlage zur subjektiven Tatseite mit auf Willkür beruhendem Ermessensmissbrauch der Staatsanwaltschaft begründete, ließ es die Antragsbindung außer Acht und verletzte § 195 Abs 1 Z 1 und Abs 2 vierter Satz StPO.
Da die Nichtannahme der vom Tatbestand geforderten Wissentlichkeit einer Fortführung des Ermittlungsverfahrens entgegensteht, gereicht der Beschluss den Beschuldigten schon deshalb zum Nachteil. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Mit dem weiteren Vorbringen ist die Nichtigkeitsbeschwerde hingegen nicht im Recht. Sie führte dazu aus:
Hinzukommt, dass die Behauptung rechtsirriger Verneinung eines in pflichtwidriger Unterlassung amtswegiger Wahrheitsforschung gelegenen Befugnismissbrauchs in objektiver Hinsicht (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO) vom Fortführungswerber nicht prozessförmig geltend gemacht wurde (§ 195 Abs 2 vierter Satz StPO) und der Fortführungsantrag aus diesem Grund überhaupt gemäß § 196 Abs 2 erster Satz als unzulässig zurückzuweisen gewesen wäre:
Aus dem oben dargelegten Erfordernis einer dem Standard der Nichtigkeitsbeschwerde (vgl § 285 Abs 1 zweiter Satz StPO) entsprechenden Begründungspflicht folgt, dass die (solcherart) gesetzmäßige Ausführung eines auf die Geltendmachung unrichtiger Gesetzesanwendung (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO) gestützten Fortführungsantrags die Ableitung der Rechtsfolgenbehauptung strikt auf der Basis der der Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft zugrunde gelegten Tatsachenannahmen zur Voraussetzung hat (vgl RIS‑Justiz RS0099810).
Diese Anforderungen erfüllt der Fortführungsantrag nicht: Denn die der Reklamierung einer Verpflichtung zur (weiteren) amtswegigen Beweisaufnahme zugrunde gelegte Tatsachenbehauptung aufgrund substantiierten Geständniswiderrufs vorgelegener Zweifel der Mitglieder des Ehrensenats an der Schuld des Fortführungswerbers (ON 7 S 6; ON 9 S 6, 10) ist nicht Inhalt der Einstellungsbegründung der Staatsanwaltschaft, die– vielmehr gegenteilig – die oben referierten, den Mitgliedern des Ehrensenats bei der Beschlussfassung über die Abstandnahme von weiteren Beweisaufnahmen vorgelegenen Verfahrensergebnissen konstatierte.
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
Die (Vor‑)Frage, ob das inkriminierte Vorgehen der Beschuldigten eine Verletzung ihrer Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit durch (amtswegige) Beweisaufnahme und damit objektiv einen Befugnisfehlgebrauch im Sinn des § 302 Abs 1 StGB darstelle, bejahte der Fortführungsantrag auf Basis der von der Staatsanwaltschaft in tatsächlicher Hinsicht angenommenen (im Übrigen auch von der Generalprokuratur referierten) Verfahrenssituation einer Änderung in der Verantwortung des T*, der nach ursprünglichem Geständnis seinen Sohn belastete (BS 3 und ON 9 S 7 f). Das Postulat, in einer derartigen Situation wären die Beschuldigten zu Zweifeln an der Schuld des Antragstellers und demnach zu weiterer (amtswegiger) Beweisaufnahme verpflichtet gewesen, stellt eine Rechtsbehauptung und keine – unzulässige (vgl Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 4/1) – Erweiterung des in der Einstellungbegründung (samt Stellungnahme) dargestellten Sachverhalts dar.
Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.
Bleibt mit Blick auf die Argumentation im angefochtenen Beschluss anzumerken, dass es sich bei der Frage nach einem (objektiven) Befugnisfehlgebrauch auf Basis des (nach Maßgabe der Einstellungsbegründung geklärten) Sachverhalts nicht um ein Problem gelungener Darstellung der Tatsachengrundlage (§ 190 Z 2 StPO) durch die Staatsanwaltschaft, sondern um eine vom Landesgericht selbständig zu klärende Rechtsfrage handelt. Insoweit ist nicht die Richtigkeit der (rechtlichen) Begründung der Staatsanwaltschaft, sondern das Ergebnis Prüfungsgegenstand (vgl Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 23).
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