OGH 14Os111/14a

OGH14Os111/14a16.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Amel J***** und einen anderen Angeklagten wegen des

Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Amel J***** und Adel M***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. Juni 2014, GZ 071 Hv 43/14h‑85, sowie über den Antrag des Angeklagten Adel M***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0140OS00111.14A.1216.000

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wird bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Amel J***** und Adel M***** ‑ soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant ‑ des

Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls, Erstgenannter nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall StGB (1 und 3) und Zweitgenannnter nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall StGB (2 und 3) schuldig erkannt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben sie in T***** und an anderen Orten Österreichs mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren Einbruchsdiebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in jeweils zwei Fällen alleine (Amel J***** zu 1 und Adel M***** zu 2) und in zwei Fällen im einverständlichen Zusammenwirken (zu 3) im Urteil namentlich genannten Personen fremde bewegliche Sachen, nämlich überwiegend Schmuck und Bargeld, Amel J***** in einem 3.000 Euro und Adel M***** in einem 50.000 Euro übersteigenden Wert, durch Einbruch in deren Wohnhäuser weggenommen, indem sie Türen und Fenster aufbrachen und Amel J***** in einem Fall durch Nachsperre des Türschlosses (1/a) in das Gebäude eindrang.

Rechtliche Beurteilung

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung vom 12. Juni 2014 keine Rechtsmittelerklärung abgegeben (ON 84 S 31). Der letzte Tag der dreitägigen Frist für die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung (§§ 284 Abs 1, 294 Abs 1 StPO) war der 16. Juni 2014.

Die am 17. Juni 2014 ‑ sohin verspätet ‑ im elektronischen Rechtsverkehr eingebrachte Anmeldung der „Berufung wegen Nichtigkeit, Strafe und Berufung über die privatrechtlichen Ansprüche“ des Adel M***** (ON 90) wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Juli 2014 gemäß § 285a Z 1 StPO zurückgewiesen (ON 91).

Am 6. August 2014 beantragte der Verteidiger des Genannten ‑ unter gleichzeitiger Wiederholung der verspäteten (unrichtig bezeichneten) Prozesshandlung ‑ die

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur

Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung (ON 94).

Nach dem Antragsvorbringen wurde die Rechtsmittelanmeldung von der in der Kanzlei des Verteidigers mit der Strafsache befassten Rechtsanwältin sofort nach entsprechender Auftragserteilung durch den Angeklagten am 16. Juni 2014 diktiert und ‑ nach Überprüfung der Anmeldefrist ‑ dem in der Kanzlei tätigen Rechtsanwaltsanwärter übergeben, welcher den Schriftsatz, versehen mit einem neonfarbenen Post‑It mit dem handschriftlich fett und mit Rotstift angebrachten Vermerk !!ACHTUNG ABFERTIGEN FRIST!! auf den Tisch der mit der Abfertigung betrauten Kanzleiangestellten gelegt hat.

Das Ende der Frist zur Anmeldung von Nichtigkeitbeschwerde und Berufung war ‑ wie seit Jahren in der Kanzlei praktiziert ‑ unmittelbar nach Rückkehr von der Hauptverhandlung am 12. Juni 2014 vom Rechtsanwaltsanwärter im Kanzleikalender vermerkt worden. Abgelenkt durch ein Gespräch mit der Rechtsanwältin hatte der Genannte jedoch dabei nicht bemerkt, dass die Sekretärin währenddessen den Kalender zur Eintragung einer anderen Frist auf den 17. Juni 2014 umgeblättert und nicht auf die vom Rechtsanwaltsanwärter bereits aufgeschlagene Kalenderseite des 16. Juni 2014 zurückgeblättert hatte, und aus diesem Grund irrtümlich den 17. Juni 2014 als letzten Tag der Frist eingetragen. Der Schriftsatz wurde sodann von der Kanzleiangestellten ‑ im Vertrauen auf die Richtigkeit der Eintragung ‑ erst am Morgen dieses Tages elektronisch bei Gericht eingebracht.

Der Verteidiger

habe erst am 24. Juli 2014 durch Zustellung des oben genannten Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Juli 2014 (vgl den Rückschein ON 1 S 58) Kenntnis von der Verfehlung seiner Mitarbeiter erlangt.

Der Rechtsanwaltsanwärter sei seit mehr als drei Jahren in der Kanzlei des Verteidigers tätig und verrichte seine Arbeit ‑ auch im Bereich des Fristenwesens ‑ stets sorgfältig, kompetent und gewissenhaft. Dies träfe gleichermaßen auf die mit der Einbringung der Rechtsmittelanmeldung bei Gericht betraute, langjährig in der Kanzlei beschäftigte Kanzleiangestellte zu. Beiden sei ein derartiger Fehler noch niemals unterlaufen.

Die Richtigkeit des Vorbringens wurde durch eine Kopie der relevanten Seite aus dem Kanzleikalender bescheinigt.

Das Wiedereinsetzungsbegehren ist berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Wiedereinsetzungswerber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten des Vertreters sind diesem (und deren Verschulden wiederum dem Vertretenen) zuzurechnen (RIS‑Justiz RS0101272). Sowohl der Oberste Gerichtshof (RIS‑Justiz RS0101329 [T16]) als auch der Verwaltungsgerichtshof (AnwBl 1993, 370) setzen im Wiedereinsetzungsbereich den Konzipienten dem Kanzleiangestellten (und nicht dem Rechtsanwalt) gleich.

Ein einmaliges Versehen einer sonst verlässlichen, entsprechend ausgebildeten Kanzleikraft stellt nach ständiger Judikatur ein unvorhersehbares Ereignis im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO dar (RIS‑Justiz RS0101310, RS0101329), wobei fallbezogen weder dem Angeklagten noch seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades ‑ wie beispielsweise die Verletzung von Organisations- oder Kontrollpflichten (13 Os 120/07g, SSt 2007/85; jüngst 14 Os 19/14x, 14 Os 29/14t) ‑ zur Last liegt.

Da die Wiedereinsetzung innerhalb von 14 Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses beantragt (§ 364 Abs 1 Z 2 StPO) und die versäumte schriftliche Verfahrenshandlung zugleich mit dem Antrag nachgeholt (§ 364 Abs 1 Z 3 StPO) wurde, war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ zu bewilligen.

Zu den Nichtigkeitsbeschwerden:

Inhaltlich ausschließlich gegen den Schuldspruch 1 richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Amel J*****, gegen die Annahme der Qualifikationen des § 128 Abs 2 StGB und des § 130 StGB die aus den Gründen der Z 5 und (nominell) der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Adel M*****. Ihnen kommt keine Berechtigung zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Amel J*****:

Dem Einwand widersprüchlicher und offenbar unzureichender Begründung (Z 5 dritter und vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter ihre Überzeugung von der Täterschaft dieses Beschwerdeführers hinsichtlich der dem Schuldspruch 1 zugrunde liegenden, am 28. November 2013 begangenen Einbruchsdiebstähle ‑ Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend und keineswegs widersprüchlich ‑ aus einer vernetzten Betrachtung einer Reihe von Indizien, nämlich aus dem Ergebnis der Rufdatenrückerfassung, aus der hervorgeht, dass das von Amel J***** verwendete Mobiltelefon am Tattag um 15:00 Uhr in Wien, um 15:24 Uhr in Baden und unmittelbar nach den Tatzeitpunkten um 18:31 Uhr rund 10 km von den Tatorten entfernt (sohin gar wohl in deren Nähe) eingeloggt war, im Verein mit dem Umstand, dass sowohl modus operandi als auch die Art der Diebsbeute bei diesen Taten und den ‑ von den Angeklagten zugestandenen ‑ (Einbruchs-)Diebstählen vom 12. und 13. Dezember 2014 (3/a und b) ident waren, sowie der als unglaubwürdig erachteten Verantwortung des Beschwerdeführers abgeleitet (US 15).

Eines zwingenden Schlusses bedarf es dazu nicht (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 449). Mit Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (Art 6 Abs 2 MRK) wird im Übrigen keiner der von der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO bezeichneten Fehler behauptet (RIS‑Justiz RS0117445).

Der Vorwurf von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zufolge unterlassener Auseinandersetzung mit „wesentlichen Umständen ..., welche gegen die Schuld des Angeklagten sprechen“, erschöpft sich zunächst in den Behauptungen, der Beschwerdeführer habe das in Rede stehende Mobiltelefon am 25. November 2013 angeschafft und nur sieben Tage lang ‑ demzufolge bei seiner Festnahme nicht mehr ‑ verwendet und seine Handys nie abgeschaltet, bezieht sich damit zum einen nicht auf entscheidende Tatsachen und lässt zum anderen den erforderlichen Aktenbezug vermissen (RIS‑Justiz RS0124172).

Soweit sich der Beschwerdeführer ‑ nominell gleichfalls unter dem Aspekt unvollständiger Begründung ‑ gegen die beweiswürdigenden Erwägungen zum ausschließlich den Mitangeklagten Adel M***** betreffenden, Schuldspruch 2 (US 16) wendet,

fehlt ihm die erforderliche

Legitimation (§ 282 Abs 1 StPO;

Ratz, WK‑StPO § 282 Rz 27, RIS-Justiz RS0099257 [T3]).

Unvollständig im Sinn der Z 5 zweiter Fall ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§§ 13 Abs 3 zweiter Satz, 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 421). Demgegenüber ist die urteilsmäßige Erörterung des Prozessvorbringens der Parteien im Gesetz nicht vorgesehen, aus welchem Grund der Einwand, die Tatrichter hätten Ausführungen des „Erstprivatbeteiligtenvertreters“ unberücksichtigt gelassen, nach denen die Versicherung an die Geschädigte Afrodita H***** (1/a) keine Ersatzzahlungen geleistet habe, weil an der Türe keine Einbruchsspuren nachweisbar waren und auch ein eingeholtes Sachverständigengutachten keine diesbezüglichen Schlüsse zugelassen habe, schon im Ansatz fehlgeht (RIS-Justiz RS0118316 [T12]).

Davon abgesehen spricht die Rüge insoweit mit Blick auf die gemäß § 29 StGB zu bildende

Subsumtionseinheit keine

entscheidende Tatsache an, weil sie der Sache nach bloß die Feststellung kritisiert, nach der der Beschwerdeführer den dem Schuldspruch 1/a zugrunde liegenden Diebstahl durch Einbruch (§ 129 Z 1 StGB) begangen hat, die ‑ die Annahme der Qualifikation nach § 129 StGB für sich tragenden ‑ Urteilsannahmen zu den Schuldsprüchen 1/b und 3/a und b aber nicht in Frage stellt.

Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung (§ 130 zweiter Fall StGB) oder die Beteiligung an einer kriminellen Organisation als deren Mitglied (§ 278a StGB) wurde dem Beschwerdeführer nicht angelastet (im Übrigen ‑ der Fehlinterpretation der Mängelrüge zuwider ‑ auch nicht im Rahmen der Strafbemessung als erschwerend gewertet; US 22 f), womit sich auch der Vorwurf diesbezüglicher widersprüchlicher Ausführungen im Urteil nicht auf entscheidende Tatsachen bezieht.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Adel M*****:

Entgegen der Kritik der Mängelrüge sind die Feststellungen zu einem auf die Wertqualifikation des § 128 Abs 2

StGB bezogenen

Vorsatz des Angeklagten (US 11 iVm US 20) nicht undeutlich im Sinn der Z 5 erster Fall.

Zur Klarstellung sei in diesem Zusammenhang festgehalten, dass bei aufgrund des Zusammenrechnungs-grundsatzes des §

29 StGB schadensqualifiziertem Diebstahl das Überschreiten der jeweils aktuellen Wertgrenze keineswegs schon im Zeitpunkt der ersten Tat vom

Vorsatz umfasst sein muss (Ratz in WK² §

29 Rz 6, 10).

Dem Einwand fehlender oder (offenbar) unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der diesbezüglichen Konstatierungen zuwider wurden diese auf logisch nachvollziehbare und empirisch einwandfreie Überlegungen gestützt (US 20).

Die Ableitung der Urteilsannahmen zur Gewerbsmäßigkeit aus der mehrfachen Tatbegehung, der professionellen Vorgangsweise des Beschwerdeführers, seinen (tristen) Einkommens- und Vermögensverhältnissen und seiner insoweit geständigen Verantwortung anlässlich seiner zweiten Vernehmung (US 20) ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) gleichermaßen nicht zu beanstanden.

Die nominell erhobene Subsumtionsrüge (Z 10) blieb unausgeführt und entzieht sich daher einer meritorischen Erledigung.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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