OGH 13Os120/07g

OGH13Os120/07g7.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. November 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mirko S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über den Antrag des Angeklagten Mirko S***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Jugendschöffengericht vom 6. April 2007, GZ 033 Hv 52/07f-153, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung wird bewilligt.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des Mitangeklagten Ranko S***** und einen rechtskräftigen Teilfreispruch des Mirko S***** enthält, wurde Mirko S***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB (I/A/1/a), des Verbrechens nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I/A/1/b), siebener Vergehen nach § 28 Abs 1 SMG (I/A/2) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (II.) schuldig erkannt.

Danach hat er in Salzburg

I. den bestehenden Vorschriften zuwider

A/1 gewerbsmäßig in Beziehung auf ein Suchtgift, dessen Menge zumindest das 25-fache der Grenzmenge (§ 28 Abs 4 Z 3 iVm Abs 6 SMG) ausgemacht hat,

a. im Zeitraum von Oktober 2005 bis Oktober 2006 den abgesondert verfolgten Goran D***** durch Bestellung der entsprechenden Suchtgiftquanten zur Veranlassung von mehreren Lieferungen Heroin von Serbien durch ein anderes Land nach Österreich, sohin zur Aus- und Einfuhr von insgesamt 1.555 Gramm Heroin, bestimmt;

b. im Zeitraum von März 2006 bis Oktober 2006 durch Übergabe von insgesamt 1.270 Gramm Heroin an im Urteilstenor namentlich genannte Personen in zahlreichen Angriffen Suchtgift in Verkehr gesetzt;

A/2 285 Gramm Heroin mit dem Vorsatz erworben, es in Verkehr zu setzen;

II. in der Zeit von Mitte August bis 20. Oktober 2006, wenn auch nur fahrlässig, einen „Totschläger", mithin eine verbotene Waffe (§ 17 Abs 1 Z 6 WaffG), unbefugt besessen.

Gegen dieses Urteil meldete der Verteidiger des Angeklagten unmittelbar nach dessen Verkündung in der Hauptverhandlung vom 6. April 2007 „Berufung wegen Strafe" an (S 297/XI).

Die dreitägige Frist des § 284 Abs 1 StPO zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde endete am 10. April 2007 (§ 6 Abs 2 StPO). Am 11. April 2007 wurde beim Landesgericht Salzburg eine schriftliche Erklärung des Angeklagten Mirko S*****, gegen das Urteil „das Rechtsmittel der Berufung und der Nichtigkeit" einzulegen, überreicht (ON 155).

In einem am 13. April 2007 beim Erstgericht eingebrachten (auch eine Beschwerde gegen den im Anschluss an die Urteilsverkündung gefassten Beschluss des Schöffengerichtes auf Fortsetzung der über Mirko S***** verhängten Untersuchungshaft und einen weiteren Enthaftungsantrag enthaltenden), als „Rechtsmittelerklärung" bezeichneten Schriftsatz führte der Verteidiger des Angeklagten aus, in der mündlichen Rechtsmittelanmeldung nach Urteilsverkündung sei „auch die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde umfasst, nachdem der Angeklagte dieses Rechtsmittel in Ausführung nach schriftlicher Urteilszustellung begehrt. Diese allumfassende Rechtsmittelerklärung der Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung und Haftbeschwerde wird wiederholt" (ON 156).

Gleichzeitig wurde mit gesondertem Schriftsatz unter Nachholung „ggf. versäumter Erklärungshandlung" die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Jugendschöffengericht vom 6. April 2007, GZ 033 Hv 52/07f-153, begehrt. Nach dem Vorbringen diktierte der Verteidiger die „Rechtsmittelerklärung" unmittelbar nach der Hauptverhandlung und übergab den Schriftsatz der äußerst verlässlichen und seit Jahren in der Kanzlei tätigen (geprüften) Rechtsanwaltsanwärterin Mag. Ulrike O***** am Vormittag des 10. April 2007 mit dem Auftrag, diesen anlässlich der Verrichtung einer für den Nachmittag des selben Tages in einer anderen Causa anberaumten Verhandlung in der Einlaufstelle des Landesgerichtes Salzburg zu überreichen. Weil Mag. O***** - für sie unvorhersehbar - erst kurz vor dem Verhandlungstermin von dessen Abberaumung in Kenntnis gesetzt wurde, vergaß sie darauf, die zuvor in die bezughabende Verhandlungsakte eingelegte Rechtsmittelerklärung zu Gericht zu bringen oder zur Postabfertigung weiterzuleiten. Erst als der Verteidiger sie am 11. April 2007 um Übergabe des mit der Einlaufstampiglie versehenen Schriftsatzes zwecks Einreihung in die Kanzleiakte ersuchte, erkannte die Rechtsanwaltsanwärterin ihren Fehler mit Bestürzung und informierte ihren Arbeitgeber. Ein solches Versehen ist während der mehrjährigen Tätigkeit der Mag. O***** als Rechtsanwaltsanwärterin in der Anwaltskanzlei noch nicht vorgekommen. Diese Erklärung wurde durch den Verteidiger und Mag. O***** unterfertigt.

Vorauszuschicken ist zunächst, dass es zwar bei der Anmeldung eines Rechtsmittels weder auf die Wortwahl noch auf die Einhaltung einer bestimmten Form ankommt, jedoch deutlich und bestimmt erklärt werden muss, dass die Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet wird. Entgegen der Ansicht des Angeklagten ist dies bei der unmittelbar nach Urteilsverkündung erfolgten Äußerung des Verteidigers: „Berufung wegen Strafe" gerade nicht der Fall. Ebensowenig ist aus dieser Erklärung aber ein Verzicht auf die Nichtigkeitsbeschwerde abzuleiten (Ratz, WK-StPO § 284 Rz 7 f).

Rechtliche Beurteilung

Das Wiedereinsetzungsbegehren ist berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Wiedereinsetzungswerber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten des Vertreters sind diesem (und deren Verschulden wiederum dem Vertretenen) zuzurechnen (RIS-Justiz RS0101272).

Das Verschulden eines Kanzleiangestellten steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht entgegen, wenn es sich um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts der Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war und dem Verteidiger nicht die Verletzung der von ihm zu erwartenden Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss (13 Os 19/96; RIS-Justiz RS0101310; RIS-Justiz RS0101329). Sowohl der Oberste Gerichtshof (RIS-Justiz RS0101420; zuletzt 15 Os 47/04) als auch der Verwaltungsgerichtshof (AnwBl 1993, 370) setzen im Wiedereinsetzungsbereich den Konzipienten dem Kanzleiangestellten (und nicht dem Rechtsanwalt) gleich.

Nach gleichfalls einhelliger Judikatur darf der Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass der einem Kanzleiangestellten (oder - wie hier - einer bereits geprüften Rechtsanwaltsanwärterin) für einen bestimmten Tag angeordnete, bloß manipulative Vorgang der Postaufgabe eines Schriftstückes tatsächlich erfolgt. Einer weiteren Kontrolle bedarf es nicht (AnwBl 1991, 582).

Ausgehend vom nicht widerlegten Vorbringen des Wiederaufnahmswerbers war für den Verfahrenshilfeverteidiger, Rechtsanwalt Dr. Peter L*****, demnach die einmalige - wenn auch schwere und kaum nachvollziehbare - Fehlleistung seiner seit mehreren Jahren bei ihm beschäftigten und stets zuverlässigen Rechtsanwaltsanwärterin Mag. Ulrike O***** ein unvorhersehbarer, demnach unabwendbarer Umstand, an dem ihm angesichts der ausreichenden Vorsorge für die rechtzeitige Anmeldung kein Verschulden trifft und der es ihm unmöglich machte, innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde anzumelden.

Die Wiedereinsetzung wurde innerhalb von 14 Tagen nach Aufhören des Hindernisses beantragt. In dem - wenn auch undeutlichen - Vorbringen des Wiedereinsetzungsantrags (ON 157) in Verbindung mit der „Rechtsmittelerklärung" (ON 156) ist der Wille des Angeklagten, die versäumte Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde nachzuholen, zu erkennen.

Die Voraussetzungen des § 364 StPO sind damit erfüllt. Bleibt anzumerken, dass die Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Verteidiger des Angeklagten am 3. August 2007 (S 317/XI) fallbezogen den durch die - mit Bewilligung der Wiedereinsetzung wirksam gewordene - Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde ausgelösten Lauf der vierwöchigen Frist des § 285 Abs 1 StPO nicht beeinflusst.

Stichworte