OGH 13Os19/96(13Os20/96)

OGH13Os19/96(13Os20/96)10.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. April 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner und Dr. Rouschal als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Petschnigg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Asmir S***** wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 17. November 1995, GZ 31 Vr 1787/95-42, sowie über dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen dieses Urteil in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Angeklagten wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 17. November 1995, GZ 31 Vr 1787/95-42, bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Asmir S***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er Taten begangen hat, die ihm im Zustand der Zurechnungsfähigkeit als Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (A) und als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (B) zuzurechnen wären. Darnach hat er zwischen 8.Mai und 14. Juni 1995 Helga Z***** mehrmals durch die Äußerung, er werde sie umbringen, falls sie seinen Befehlen (unter anderem den Fernseher abzuschalten, das Zigarettenrauchen zu unterlassen, Wäsche zu bügeln, das Herbeiholen der Polizei zu unterlassen) nicht gehorche, ihr bei den Morddrohungen mehrmals ein ca 30 cm langes Küchenmesser an Körper bzw Hals anhielt oder damit drohte, ein solches Messer sofort herbeizuholen, durch gefährliche Drohung mit dem Tode zu Handlungen und Unterlassungen genötigt (A) und sie am 15.Juni 1995 durch die Äußerung, er werde sie "kaltmachen", wobei er ihr ein Küchenmesser an den Hals hielt, gefährlich mit dem Tode bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen (B).

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte unmittelbar nach Verkündung Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (17.November 1995, S 265). Die schriftliche Urteilsausfertigung wurde dem Verteidiger am 12. Dezember 1995 zugestellt (Übernahme durch eine Angestellte des berufsmäßigen Parteienvertreters; RSa bei S 289). Am 26.Jänner 1996 brachte dieser zugleich mit der Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Rechtsmittelausführung beim Urteilsgericht ein (ON 47).

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Der Antrag wird damit begründet, daß der Konzipient des Verteidigers unmittelbar nach Rückkehr von der Hauptverhandlung den Handakt des Verteidigers mit 18.Dezember 1995 kalendierte. Der Posteinlauf in der Verteidigerkanzlei wird grundsätzlich von der Kanzleileiterin als erfahrenster Angestellten unmittelbar nach Übergabe durch den Postzusteller bearbeitet, wobei die Poststücke geöffnet, mit einem Eingangsvermerk versehen und Fristen in den Kalender eingetragen werden. Anschließend werden alle Poststücke mit den betreffenden Akten dem Anwalt vorgelegt.

Am Tag der Zustellung der Urteilsausfertigung beschäftigte sich die Kanzleileiterin mit der Ausscheidung (erledigter) Akten sowie dem Posteinlauf. Als sie den Umschlag mit der Urteilsausfertigung des gegenständlichen Verfahrens ungeöffnet zur Hand nahm, läutete es an der Eingangstüre zur Kanzlei. Da an diesem Tag der elektrische Türöffner reparariert wurde, mußte die Kanzleileiterin auch die Eingangstür zur Kanzlei öffnen und legte vorher den Umschlag mit der Urteilsausfertigung ungeöffnet zur Seite, wodurch dieser in der Folge in einen auszuscheidenden Akt geriet und weder geöffnet noch bearbeitet sondern mit diesem Akt abgelegt wurde.

Nach einer weiteren Kalendierung wegen des erwarteten Eingehens der Urteilsausfertigung stellte der Konzipient anläßlich einer Akteneinsicht beim Erstgericht am 15.Jänner 1996 fest, daß diese bereits am 12.Dezember 1995 zugestellt worden war. Bei einer Nachsuche, die auch die am Zustelltag ausgeschiedenen (durch EDV in Evidenz gehaltenen) Akten umfaßte, wurde schließlich der die Urteilsausfertigung enthaltende ungeöffnete Umschlag in einem abgelegten Akt aufgefunden.

Ein derartiges Versehen ist der ansonsten verläßlichen Kanzleileiterin während ihrer sechzehnjährigen Tätigkeit nicht unterlaufen.

Dieser Wiedereinsetzungssachverhalt ist durch die vom Erstgericht und dem Obersten Gerichtshof eingeholten Berichte (ON 50 des Vr-Aktes, ON 6 des Os-Aktes) nachgewiesen.

Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO (idF BGBl 1993/526) ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, wenn nachgewiesen wird, daß es auf Grund eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses unmöglich war, die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, daß dem Beschuldigten oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

Schon bisher hat die Rechtsprechung vereinzelte Versehen einer Kanzleileiterin eines Verteidigers als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 364 Abs 1 Z 1 StPO beurteilt (Mayerhofer/Rieder, StPO3, § 364 E 40 bis 45). Im dargestellten Verhalten der Kanzleileiterin ist ein solches gelegen. Nach Aufhören des Hindernisses am 15.Jänner 1996 wurde der Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht (am 26.Jänner 1996, siehe oben) gestellt und die versäumte Prozeßhandlung sogleich nachgeholt (ON 47; § 364 Abs 1 Z 2 und 3 StPO).

Dem Angeklagten war somit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung zu bewilligen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Gegen das Urteil wendet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 5 a, 9 lit und b sowie 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie ist jedoch nicht im Recht.

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet, die Ernstlichkeit der Drohung und ihre Eignung, dem Bedrohten begründete Besorgnisse einzuflößen, sei mangelhaft begründet, tatsächlich wären die Äußerungen des Angeklagten milieubedingt und ein bloßes Ritual zur Durchsetzung seines Anspruches auf die Stellung eines Hausherrn gewesen, wie es seiner Mentalität als Jugoslawe entsprochen habe.

Gerade diese Umstände hat das Erstgericht jedoch in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen (US 8 f), gestützt auf die als glaubwürdig erkannte Aussage des Tatopfers und mit Rücksicht auf die Begleitumstände der Taten (Ansetzen eines Küchenmessers an Körper und Hals des Opfers bzw Herausreißen des Telefonsteckers bei dessen Versuch, die Polizei zu verständigen, dessen Verfolgung, als es auf die Straße floh, wo es vom Angeklagten gewürgt wurde; US 5 f und die dort zitierten Beweismittel) die Annahme milieubedingter Unmutsäußerungen jedoch wohlbegründet abgelehnt.

Soweit im Rahmen der Mängelrüge die Unterlassung von Feststellungen behauptet wird, kann der Hinweis genügen, daß entscheidende Bedeutung nur jenen Tatsachen zukommt, die für das Erkenntnis überhaupt maßgebend sind. Die Nichtigkeitsbeschwerde vermag formelle Begründungsmängel solcher entscheidungsrelevanter Tatsachen nicht nachzuweisen, sondern stellt im übrigen lediglich Erwägungen zum Beweiswert der Aussage des Tatopfers an, die im schöffengerichtlichen Verfahren in die Kompetenz des Tatgerichtes fallen.

Auch die Tatsachenrüge (Z 5 a) beschäftigt sich mit (unzulässigen) Überlegungen zur Beweiswürdigung des Schöffengerichtes und versucht auf diese Art, den Standpunkt des Angeklagten im Rechtsmittelverfahren zum Durchbruch zu verhelfen. Sie versucht erneut, Argumente gegen die Ernstlichkeit der dem Angeklagten vorgeworfenen Todesdrohungen vorzubringen, vermag jedoch nicht, auf die Aktenlage begründete erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu wecken oder Anhaltspunkte dafür zu liefern, das Erstgericht habe seine Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung vernachlässigt (Mayerhofer/Rieder, aaO, § 281 Z 5 a E 2 bis 4).

Auch mit dem Hinweis auf EvBl 1975/36 kann für den Angeklagten nichts gewonnen werden, beschäftigt sich diese Entscheidung des Obersten Gerichtshofes doch lediglich mit Sinngehalt und Eignung einer als typische Wiener Redensart verstandenen Äußerung, die weder in ihrem Inhalt noch in ihren Begleitumständen der vorliegenden gleich ist.

Den Erwägungen zur Rechts- und Subsumtionsrüge (Z 9 lit a und b, 10) muß vorangestellt werden, daß die strafprozessualen Vorschriften das strikte Festhalten an den vom Erstgericht festgestellten Tatsachen und den Nachweis rechtsirriger Beurteilung des Sachverhaltes erfordern, wobei dieser Argumentation der gesamte Urteilssachverhalt ohne jede Änderung oder Verkürzung zugrunde zu legen ist. Die Rügen der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes (wie zum Teil auch jene der Maßnahme) lassen dies jedoch außer acht.

Die Feststellung des Sinngehaltes und der Tragweite einer Äußerung sind tatsächlicher Natur (siehe insbesondere auch die von der Beschwerde bereits zitierte Entscheidung EvBl 1975/36). Diese Feststellungen hat das Erstgericht sowohl im Spruch als auch in den Gründen der angefochtenen Entscheidung getroffen (auch zur Tatfrage der Absicht bei § 107 Abs 1 und 2 StGB; US 1 f, 5 f, 9 f). Diese Feststellungen negieren die Rechtsrügen, indem sie neuerlich die Äußerungen des Angeklagten als bloß milieubedingt und damit dem festgestellten Sinngehalt sowie der mit dem vom Gesetz geforderten Vorsatz abgegebenen Erklärungen bei entsprechender Eignung und Ernstlichkeit leugnend darzustellen versucht.

Des weiteren wird im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit b) vorgebracht, der Angeklagte sei den eindeutigen Urteilsfeststellungen zuwider (US 2, 4, 7, 9 ff) bei Tatbegehung diskretions- und dispositions-, somit schuldfähig gewesen. Die Beschwerde verläßt jedoch auch in diesem Zusammenhang den Boden der tatrichterlichen Feststellungen und verfehlt damit bereits formalrechtlich ihr Ziel.

Dasselbe Schicksal teilt auch die Subsumtionsrüge (Z 10). Sie vernachlässigt die Feststellungen zur Todesdrohung und verweist, wie bereits im sonstigen Vorbringen zur Rechtsrüge, auf die Ausführungen zur Mängel- (Z 5) und Tatsachenrüge (Z 5 a). Damit werden aber Tatumstände zum völlig anders gelagerten Nichtigkeitsgrund der Z 10 weder ausdrücklich noch durch deutliche Hinweisung (§ 285 a Z 2 StPO) angeführt.

Die Rüge zur Maßnahme (Z 11) geht richtigerweise davon aus, daß die Gefährlichkeitsprognose als in das Ermessen der Tatrichter gestellte Frage nur mit Berufung angefochten werden kann (Mayerhofer/Rieder, aaO, § 433 E 1 bis 4). Auch sie verläßt zur Frage der Schuldfähigkeit und der Anlaßtat die Basis der erstgerichtlichen Feststellungen und erweist sich damit als ebensowenig den Verfahrensgesetzen entsprechend ausgeführt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit teils als offenbar unbegründet, teils als nicht prozeßordnungsgemäß dargestellt schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z 1 und 2 iVm § 285 a Z 2 StPO), weswegen die Entscheidung über die mit ihr verbundene Berufung in die Kompetenz des zuständigen Oberlandesgerichtes fällt (§ 285 i StPO).

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