European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140NS00027.17G.0523.000
Spruch:
Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Landesgericht für Strafsachen Wien zuständig.
Gründe:
Mit beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 154 Hv 6/17g eingebrachten Strafantrag vom 10. Jänner 2017 (AZ 403 St 161/16d) legt die Staatsanwaltschaft Wien Hagop H***** als Vergehen der Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB beurteilte Taten zur Last.
Danach soll er fremde bewegliche Sachen beschädigt (I) und verunstaltet (II) und dadurch an den Sachen einen 5.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt haben, und zwar
(I) in Wien am 11. Juni 2016 den Außenspiegel eines Polizeifahrzeugs, indem er mit einem Rundholz gegen den Spiegel schlug, wodurch dieser zerbrach und ein noch festzustellender Schaden entstand;
(II) durch Besprühen und Bemalen mit Farbe
A) in Wien am 28. April 2016 im einverständlichen Zusammenwirken mit einem abgesondert verfolgten Mittäter eine Wand am rechten Ufer des Donaukanals, wodurch ein Schaden in Höhe von 700 Euro entstand;
B) in Graz
von 7. März bis 22. Juni 2016 sowie zu noch festzustellenden Zeitpunkten (vorwiegend vermutlich im Mai 2016) in 37 Fällen Fassaden, verschiedene Türen, Einfahrts- und Garagentore, Zähler-, Strom‑(verteiler)- und Schalt‑(verteiler‑)kästen, Mauern, Fenster, Verkehrs- und Werbetafeln, eine Fensterbank, eine Spiegelsäule, ein Brückengeländer und einen Tank, wodurch – soweit bereits bezifferbar – ein jeweils zwischen 30 und 2.800 Euro liegender Schaden in Höhe von insgesamt 18.019,80 Euro entstand.
Mit (rechtswirksamem) Beschluss vom 12. Jänner 2017, GZ 154 Hv 6/17g‑13, sprach der mit dem Strafantrag angerufene Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO die örtliche Unzuständigkeit dieses Gerichts aus und überwies die Sache in der Folge dem Landesgericht für Strafsachen Graz (§ 38 StPO). In der Begründung vertrat er die Ansicht, dass die Zusammenrechnungsvorschrift des § 29 StGB (bloß) zu Punkt II/B des Strafantrags die Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichts begründe (§ 126 Abs 1 StGB iVm § 31 Abs 4 Z 1 StPO), weil „nur dort … die mutmaßliche Schadenshöhe die Wertgrenze von 5.000 Euro“ übersteige, „was die Subsumtion unter § 126 Abs 1 Z 7 StGB und des dort angeführten Strafsatzes zur Folge“ habe. Die dem Angeklagten zu I und II/A des Strafantrags angelasteten Taten wären demgegenüber „vom Bezirksgericht zu beurteilen (zumal ein beschädigter Außenspiegel eines Kraftfahrzeuges keinen Schaden von mehr als 4.300 Euro zur Folge haben kann)“. Aufgrund des zu II/B ausschließlich in Graz gelegenen Tatorts sei daher – ungeachtet der Führung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Wien – das Landesgericht für Strafsachen Graz zur Verfahrensführung zuständig (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO).
Mit Übersendungsnote vom 30. März 2017 legte das Landesgericht für Strafsachen Graz den Akt (im Wege des Oberlandesgerichts Graz; vgl aber § 38 letzter Satz StPO) dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt vor (ON 17 f). Es erachte sich unter Bezugnahme auf seinen ebenfalls rechtswirksamen Beschluss vom 27. Februar 2017, GZ 14 Hv 19/17b‑16, gleichfalls als örtlich unzuständig, weil nach § 29 StGB alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten gleichartigen Vermögensstraftaten, mögen sie auch weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen, bei der rechtlichen Beurteilung zu einer Einheit zusammenzufassen seien, womit eine vom Tatort abhängige getrennte Betrachtung der einerseits in Wien und andererseits in Graz begangenen Straftaten nicht zu erfolgen habe, die Zusammenrechnungsvorschrift des § 29 StGB vielmehr für alle Anklagepunkte des Strafantrags die Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichts begründe. Mit Blick auf § 37 Abs 2 dritter Satz StPO habe das Landesgericht für Strafsachen Wien seine örtliche Unzuständigkeit daher zu Unrecht ausgesprochen.
Die Staatsanwaltschaft beantragte am 10. März 2017 ein Vorgehen nach § 38 StPO (ON 16 S 4).
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO hat der Einzelrichter des Landesgerichts den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung zu prüfen und im Fall seiner örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit „gemäß § 450“ StPO vorzugehen. § 450 StPO regelt zwar lediglich das Vorgehen des Bezirksgerichts bei sachlicher Zuständigkeit des Landesgerichts. Der undifferenzierte Verweis kann aber nur im Sinn einer Verpflichtung zum Ausspruch (auch) der örtlichen Unzuständigkeit mit (anfechtbarem) Beschluss verstanden werden ( Oshidari , WK‑StPO § 38 Rz 7; Birklbauer/Mayrhofer , WK‑StPO § 213 Rz 49).
Primärer Anknüpfungspunkt für die
örtliche Zuständigkeit im Hauptverfahren gegen Erwachsene und junge Erwachsene (vgl betreffend Jugendstrafsachen § 29 JGG, der für junge Erwachsene nicht gilt; Schroll in WK² JGG § 29 Rz 1) ist – soweit gegenständlich relevant – der Ort, an dem die Straftat ausgeführt wurde (§ 36 Abs 3 erster Satz StPO).
Nach § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im Fall gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist gemäß § 37 Abs 2 erster Satz StPO unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig. Den Fall, dass für die gemeinsame Verfahrensführung mehrere untereinander gleichrangige Gerichte in Frage kommen, regelt § 37 Abs 2 StPO im zweiten und dritten Satz dahin, dass insoweit grundsätzlich die frühere Straftat zuständigkeitsbegründend wirkt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist – unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge der Taten – dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO). Der dritte Satz des § 37 Abs 2 StPO normiert somit eine – der Verfahrensökonomie dienende – Ausnahme zum zweiten Satz dieser Bestimmung, lässt aber den ersten Satz unberührt (RIS‑Justiz RS0124935, RS0125227).
Das Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB fällt aufgrund der Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen in die sachliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts (§ 30 Abs 1 StPO), bei Vorliegen einer der Qualifikationen des § 126 StGB hingegen angesichts der dort normierten Strafdrohung von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe in jene des Einzelrichters des Landesgerichts (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO).
Hängt die Höhe der Strafdrohung – wie hier im Fall des § 126 Abs 1 Z 7 StGB – von der ziffernmäßig bestimmten Höhe des Schadens ab, den die Handlung verursacht, werden zufolge § 29 StGB alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten gleichartigen Straftaten, mögen sie auch weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen (und jede für sich rechtlich verschiedener Art sein), bei der rechtlichen Beurteilung zu einer Einheit zusammengefasst. Die Zusammenrechnung bestimmt den Strafrahmen und die (urteilsmäßige) Bezeichnung der strafbaren Handlung, nach der sich auch die sachliche Zuständigkeit richtet
(RIS-Justiz
RS0114927; Ratz in WK² StGB § 29 Rz 6).
Die örtliche Zuständigkeit ist bei Subsumtionseinheiten zwar hinsichtlich jeder der nach dem eben Gesagten zusammenzufassenden (real konkurrierenden) Straftaten nach den Kriterien des § 36 StPO zu ermitteln. Bezugspunkt für die sodann nach § 37 Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO vorzunehmende Beurteilung, welches Gericht für das wegen aller Straftaten gemeinsam zu führende Hauptverfahren örtlich zuständig ist, ist aber jeder einzelne deren Tatorte (weil an jedem eine Ausführungshandlung gesetzt wurde; § 36 Abs 3 StPO), es sei denn die Qualifikation, die die sachliche Zuständigkeit eines höherrangigen Gerichts nach sich zieht, wäre nach der Verdachtslage durch eine einzige dieser Straftaten verwirklicht worden. Ergibt sich das Überschreiten einer qualifikationsbegründenden Wertgrenze hingegen nur durch Zusammenrechnung, kommt es demnach auch nicht darauf an, welche der dem Angeklagten zur Last gelegten Tathandlungen hiefür letztlich ausschlaggebend war (vgl zur unter dem hier interessierenden Aspekt vergleichbaren Bestimmung des § 26 StPO, Nordmeyer, WK‑StPO § 26 Rz 8/1 mwN; [zur alten Rechtslage] dagegen RIS‑Justiz RS0096552). Eine vom Landesgericht für Strafsachen Wien der Sache nach vorgenommene Bildung mehrerer, vom Tatort real konkurrierender gleichartiger Straftaten abhängiger Subsumtionseinheiten kommt schon nach dem Wortlaut des § 29 StGB nicht in Frage.
Vorliegend wurde durch keine der im Strafantrag angeführten Sachbeschädigungen für sich betrachtet ein 5.000 Euro übersteigender Schaden herbeigeführt. Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen ergibt sich daher mit Blick auf die zu I und II/A des Strafantrags in Wien, somit im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Wien, begangenen Taten dessen Zuständigkeit, weil die Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht das Ermittlungsverfahren geführt hat (§ 37 Abs 2 dritter Fall StPO).
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