European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0130OS00096.18V.1010.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im beide Angeklagten betreffenden Ausspruch des Verfalls (von zusammen 111.821,36 Euro) aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Für die ihnen jeweils zur Last liegenden Vergehen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall (teils iVm § 12 zweiter Fall) StGB sowie des Diebstahls nach §§ 127 und 15 StGB werden unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 148 erster Fall StGB
Ingrid M***** zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und
Bernhard W***** zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren
verurteilt.
Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird die über Ingrid M***** verhängte Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die vom 9. Jänner 2018, 18:45 Uhr, bis zum 21. März 2018, 21:00 Uhr, erlittene Vorhaft auf die über Bernhard W***** verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.
Im Umfang der Aufhebung des Verfallserkenntnisses wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit seiner Berufung, soweit sie sich gegen den Strafausspruch und gegen den von der Aufhebung betroffenen Teil des Verfallserkenntnisses wendet, wird der Angeklagte Bernhard W***** auf die diesbezügliche Entscheidung verwiesen.
Der Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird teilweise Folge gegeben und der Ausspruch, den Angeklagten Bernhard W***** zur Leistung von 72.000 Euro an Brigitte I***** zu verpflichten, ersatzlos aufgehoben.
Der Berufung im Übrigen wird nicht Folge gegeben.
Dem Angeklagten Bernhard W***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – Ingrid M***** und Bernhard W***** (zu A I und A II 2, W***** auch zu A II 1) des „Verbrechens“ (richtig: Vergehens) des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall (teils iVm § 12 zweiter Fall) StGB sowie (zu B) des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127 und 15 StGB schuldig erkannt.
Danach haben in G*****
(A) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung solcher Taten längere Zeit hinduch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, andere durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, die diese oder Dritte am Vermögen schädigten, wobei sie durch die Taten einen 5.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführten, und zwar
(I) Ingrid M***** und Bernhard W*****, indem sie von ihnen eingesetzte Spendenwerber dazu bestimmten, gegenüber potentiellen Förderern (wahrheitswidrig) vorzugeben, sie würden Spenden für nachgenannte gemeinnützige Vereine sammeln und das gespendete Geld käme tatsächlich diesen Organisationen zugute, eine Vielzahl von Personen zur Übergabe von Bargeld, nämlich
(1) vom Februar 2011 bis zum August 2012 zusammen 27.015,60 Euro für den Ö***** sowie
(2) vom Juni 2014 bis zum Jänner 2015 zusammen 12.805,76 Euro für den „Verein zur R*****“ und für den Verein „M*****“ und
(II) indem sie tatsächlich nicht existierende Geschäftsmodelle vortäuschten und eine „rasche und hochverzinste Rückgabe des Investitionsbetrages“ vorgaben, und zwar
(1) Bernhard W***** am 1. und am 23. September 2014 Fred We***** zur Übergabe von 6.000 Euro und von 3.000 Euro sowie
(2) Ingrid M***** und Bernhard W***** im einverständlichen Zusammenwirken am 16. September 2013 Brigitte I***** zur Übergabe von 100.000 Euro, weiters
(B) Ingrid M***** und Bernhard W***** im einverständlichen Zusammenwirken Gewahrsamsträgern des Unternehmens „In*****“ fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz teils weggenommen, teils dies versucht, und zwar
(1) am 1. August 2015 Waren im Wert von 224,25 Euro sowie
(2) am 7. November 2015 Waren im Wert von 126,88 Euro.
Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 (richtig) lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Bernhard W*****.
Rechtliche Beurteilung
1. Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Schon die zu A II getroffenen Feststellungen tragen die rechtliche Annahme eines (die Qualifikation nach § 147 Abs 2 StGB begründenden) 5.000 Euro übersteigenden Schadens. Die Konstatierungen zur (bloßen) Höhe des durch die (weiteren) Betrugstaten laut Schuldspruch A I (darüber hinaus) bewirkten Schadens beantworten daher – bei (wie hier nach dem Urteilssachverhalt) die Wertgrenze des § 147 Abs 3 StGB nicht übersteigender Summe der Schadensbeträge (§ 29 StGB) – nicht die Frage nach der rechtlichen Kategorie einer oder mehrerer strafbarer Handlungen.
Indem sich die Mängelrüge (Z 5) ausschließlich gegen letztere Konstatierungen richtet, verfehlt sie somit von vornherein den – im Ausspruch des Gerichts über entscheidende (nämlich für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsame) Tatsachen gelegenen – Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung (RIS‑Justiz RS0117499).
Soweit das diesbezügliche Vorbringen (inhaltlich) als Kritik am – Wertersatz für durch die Taten laut Schuldspruch A I erlangte Vermögenswerte umfassenden – Verfallserkenntnis verstanden werden könnte (der Sache nach Z 11 erster Fall iVm Z 5), hat es infolge der Aufhebung desselben auf sich zu beruhen.
Die Tatsachenrüge (Z 5a) behauptet „erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen“, ohne die aus ihrer Sicht bedenklichen Feststellungen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und die ihren Einwand tragenden Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO) konkret zu bezeichnen. Damit entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0119310 [T5] und RS0124172 [T3], jüngst 13 Os 53/18w).
Die gegen den Schuldspruch A II gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) hält nicht am Urteilssachverhalt fest, sondern entwickelt ihre Argumentation aus davon– eigenständig beweiswürdigend – abweichenden Hypothesen und Auffassungen. Sie bringt damit den geltend gemachten (materiellen) Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS‑Justiz RS0099810).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).
2. Zur amtswegigen Maßnahme:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das angefochtene Urteil in zweifacher Hinsicht mit – nicht geltend gemachter – materieller Nichtigkeit (nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) behaftet ist, die zum Nachteil beider Angeklagter wirkt und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
2.1. Zum Verfallsausspruch:
Das Erstgericht erklärte „gemäß § 20 Abs 1 und Abs 3 StGB“ nachstehende „aus den Betrugshandlungen erlangte Erlös[e]“ für verfallen, und zwar
„bezüglich Ingrid M***** und Bernhard W*****“ 27.015,60 Euro (aus A I 1), 12.805,76 Euro (aus A I 2) und 72.000 Euro (aus A II 2) – insgesamt somit 111.821,36 Euro – sowie
bei Bernhard W***** allein 9.000 Euro (aus A II 1).
Da diese Aussprüche – ausschließlich – Wertersatz für nicht sichergestellte oder beschlagnahmte Vermögenswerte betreffen, sind sie (der Sache nach nur) als Verfallsaussprüche nach § 20 Abs 3 StGB aufzufassen (vgl 14 Os 147/14w; 15 Os 55/15z; 11 Os 76/17m ua).
Auch der Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) darf– wie die dem Verfall unterliegenden Vermögens- (§ 20 Abs 1 StGB) und Ersatzwerte (§ 20 Abs 2 StGB) selbst – nur dem tatsächlichen Empfänger mittels Verfall abgenommen werden. Sind Vermögenswerte mehreren Personen zugekommen, ist bei jedem Empfänger nur der dem jeweils tatsächlich rechtswidrig erlangten Vermögenswert entsprechende Betrag für verfallen zu erklären. Kumulativ- oder Solidarhaftung – wie sie das Erstgericht in Ansehung der Ingrid M***** und des Bernhard W***** aussprach – ist daher verfehlt (RIS‑Justiz RS0129964).
2.2. Zu den Strafaussprüchen:
Das Schöffengericht ging zwar zutreffend davon aus, dass der Strafrahmen – in Ansehung beider Angeklagter – (unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB) nach § 148 erster Fall StGB (idgF) zu bilden sei (US 2, 24). Indem es aber– obwohl dieser Strafsatz eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorsieht – (jeweils) einen „Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren“ annahm (US 24), hat es die Strafbefugnis überschritten. Dass die ausgemessenen Strafen innerhalb des zutreffenden Rahmens liegen, ändert daran nichts (RIS‑Justiz RS0099957).
Die vorstehend (zu 2.1. und zu 2.2.) aufgezeigte materielle Nichtigkeit (Z 11 erster Fall) führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich (§ 288 Abs 2 Z 3, § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).
In Ansehung des Verfallsausspruchs (2.1.) hat das Erstgericht die zur Entscheidung in der Sache selbst erforderlichen Feststellungen – nämlich dazu, welcher von beiden Angeklagten welche (Teile der) fraglichen Vermögenswerte tatsächlich empfangen hat (RIS‑Justiz RS0129964) – nicht getroffen. Insoweit war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz zurückzuverweisen (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO), wobei im Sinn des letzten Satzes des § 445 Abs 2 StPO der Vorsitzende des Schöffengerichts als Einzelrichter zuständig ist (15 Os 146/17k, RIS‑Justiz RS0100271, vgl auch RS0117920).
Hingegen waren die Strafen (2.2.) vom Obersten Gerichtshof neu zu bemessen (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).
3. Zur Strafneubemessung:
Sie war bei beiden Angeklagten in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 148 erster Fall StGB vorzunehmen.
Erschwerend waren jeweils das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen verschiedener Art, die Tatwiederholung sowie die mehrfache Qualifikation im Schuldspruch A, bei W***** darüber hinaus drei auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafen sowie der Umstand, dass er der Urheber der von beiden begangenen strafbaren Handlungen gewesen ist und M***** hierzu verführt hat, mildernd ein – bei M***** nahezu umfassendes, bei W***** nur auf den Diebstahl (B)bezogenes – reumütiges Geständnis und der Umstand, dass es teils beim Versuch geblieben ist, bei M***** darüber hinaus, dass sie bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Taten mit ihrem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch stehen, sie diese unter Einwirkung eines Dritten (nämlich des W*****) verübt sowie den Schaden (durch Rückzahlung von insgesamt 28.000 Euro an I*****) teilweise gutgemacht hat.
Ausgehend davon (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) und mit Blick auf den Umstand, dass der Betrugsschaden jeweils ein Vielfaches der Qualifikationsgrenze des § 147 Abs 2 StGB erreicht (§ 32 Abs 3 StGB; Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 64), erweisen sich auf der Grundlage der Schuld der Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) die im Spruch genannten Freiheitsstrafen als angemessen.
Schon aufgrund des Verschlechterungsverbots (§ 290 Abs 2 StPO; vgl Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 47) war die über M***** verhängte Strafe – wie im Ersturteil – gemäß § 43 Abs 1 StGB (zur Gänze) bedingt nachzusehen.
Die (teil-)bedingte Nachsicht der über W***** verhängten Strafe kam hingegen nicht in Betracht. Im Hinblick auf die neuerliche Delinquenz trotz bereits nachdrücklich verspürten Haftübels ist die bloße Androhung weiteren Vollzugs allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen nicht geeignet, ihn von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten.
Die Anrechnung der – bis zur erstinstanzlichen Urteilsfällung erlittenen (Lässig, WK‑StPO § 400 Rz 1 und 3) – Vorhaft folgt aus § 38 Abs 1 Z 1 StGB.
Mit seiner Berufung, soweit sie sich gegen den von der Kassation erfassten Teil des Verfallsausspruchs wendet, war der Angeklagte auf die diesbezügliche Aufhebung, soweit sie sich gegen den Ausspruch über die Strafe wendet, auf die Strafneubemessung zu verweisen.
4. Zur Berufung im Übrigen:
4.1. Der Bernhard W***** allein betreffende Ausspruch des Verfalls eines Geldbetrags von 9.000 Euro gemäß § 20 Abs 3 StPO wird von der (insoweit als „Beschwerde“ bezeichneten) Berufung – ohne inhaltliche Argumentation – nur nominell bekämpft. Sie versagt in diesem Punkt, weil der für verfallen erklärte Geldbetrag jenem Vermögenswert entspricht, den W***** – nach den unbedenklichen Feststellungen des Erstgerichts – durch die vom Schuldspruch A II 1 erfassten Taten erlangt hat (US 17), und Gründe für ein Unterbleiben des Verfalls (§ 20a StGB) nicht vorliegen (zur Zulässigkeit der Anordnung des Verfalls bei gleichzeitigem Zuspruch an den Privatbeteiligten [4.2.] siehe RIS‑Justiz RS0129916).
4.2. Das Erstgericht verpflichtete den Angeklagten W*****, dem Privatbeteiligten Fred We***** 9.000 Euro sowie (zur ungeteilten Hand mit der Angeklagten Ingrid M*****) der Privatbeteiligten Brigitte I***** 72.000 Euro jeweils binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Die dagegen angemeldete, insoweit argumentationslos bleibende Berufung des Angeklagten W***** geht – soweit es ersteren Zuspruch betrifft – auch in diesem Punkt fehl. Nach den unbedenklichen Feststellungen des Erstgerichts (US 17 f) hat der genannte Privatbeteiligte nämlich durch die vom Schuldspruch A II 1 erfassten Taten des Angeklagten – gemäß § 1295 ABGB zu ersetzende – Schäden in dieser Höhe erlitten. Die entsprechende Ersatzforderung hat der Angeklagte übrigens ausdrücklich anerkannt (ON 96 S 24). Der Zuspruch erfolgte daher zu Recht (§ 366 Abs 2 erster Satz iVm § 369 Abs 1 StPO).
In Ansehung des Zuspruchs an I***** ist die Berufung hingegen berechtigt. Hat doch diese Privatbeteiligte in der Hauptverhandlung (zuletzt) ausdrücklich erklärt, nicht von W***** (sondern allein von M*****) Schadenersatz zu fordern (ON 95 S 41; vgl dagegen ihre frühere Prozesserklärung ON 4 S 9). Einen privatrechtlichen Anspruch, über den zu entscheiden gewesen wäre (§ 366 Abs 2 erster Satz StPO), hat sie gegen diesen Angeklagten daher gar nicht geltend gemacht (§ 69 Abs 1 erster Satz StPO). Dies führte zur ersatzlosen Aufhebung des insoweit (dennoch) ergangenen Zuspruchs.
Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)