OGH 13Os90/24w

OGH13Os90/24w18.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Prieth in der Strafsache gegen * C* wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 2, 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 25. Juli 2024, GZ 41 Hv 23/24d-35.3, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00090.24W.1218.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * C* des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 2, 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er vom 5. März 2015 bis zum 16. Juni 2023 in F* mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) Verantwortliche der P*, durch Täuschung über Tatsachen, nämlich des (weiteren) Bestehens einer (gemäß § 4a Abs 5 BPGG) einen Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 4 des BPGG begründenden Sehbehinderung, durch Verschweigen der eingetretenen wesentlichen Besserung, obwohl er kraft Gesetzes (§ 10 BPGG) zur Bekanntgabe einer solchen Änderung verpflichtet war (§ 2 StGB), zu monatlichen Überweisungen von Pflegegeld der Stufe 4 des BPGG, somit zu Handlungen verleitet, die die Pensionsversicherungsanstalt im 5.000 Euro übersteigenden Betrag von insgesamt 60.911,93 Euro am Vermögen schädigten.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Antrag des Angeklagten auf Vernehmung von vier namentlich angeführten Ärzten als „sachverständige Zeugen“ zum Beweis dafür, dass er „blind, zumindest höhergradig sehbehindert ist im Sinne des Bundespflegegesetzes während des angelasteten Tatzeitraumes“ (ON 30.2 S 13), zu Recht abgewiesen (ON 30.2 S 26). Dieser ging nämlich daran vorbei, dass Gegenstand eines Zeugenbeweises bloß sinnliche Wahrnehmungen über Tatsachen, nicht aber Schlussfolgerungen sind (RIS-Justiz RS0097545 und RS0097540 [T8]).

[5] Im Rechtsmittel nachgetragenes, den Antrag ergänzendes Vorbringen ist ebenso unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618) wie die Kritik an der Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses (RIS-Justiz RS0116749).

[6] Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (13 Os 138/03, SSt 2003/93; RIS-Justiz

RS0118316).

[7] Indem die Mängelrüge (Z 5) auf Expertenmeinungen „im Rahmen eines Sozialrechtsverfahrens ... am 25. 05. 2005“ und bei einer Untersuchung am 27. Juni 1995 rekurriert, zeigt sie – mangels Bezugnahme auf (im gegenständlichen Verfahren) entscheidende Tatsachen –kein derartiges Begründungsdefizit auf.

[8] Wo das Gesetz auf einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung mit Verfahrensergebnissen abstellt (Z 5 zweiter Fall und Z 5 fünfter Fall) ist der entsprechende Aktenbezug herzustellen (RIS-Justiz RS0124172 [T9]).

[9] Der – ohne Bekanntgabe der Fundstelle des Vorkommens eines diesbezüglichen Verfahrensergebnisses in der Hauptverhandlung – erhobene Vorwurf, das Erstgericht habe für den Angeklagten wesentlich günstigere Ergebnisse der Prüfung von Visus und Gesichtsfeld mit Stillschweigen übergangen, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

[10] Bei den Feststellungen zur subjektiven Tatseite hat das Erstgericht die leugnende Einlassung des Angeklagten erwogen, aber (mit eingehender Begründung) als unglaubwürdig beurteilt (US 7 ff, 12).

[11] Indem die Mängelrüge aus diesem Verfahrensergebnis anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Angeklagten günstigere Schlüsse ableitet als das Erstgericht, wendet sie sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[12] Konstatierungen, wonach sich der Angeklagte die Gewährung von Pflegegeld schon im Zuge der Antragstellung erschlichen hätte, sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Insoweit versagt die Rüge schon im Ansatz.

[13] Eine Tatsachenrüge (Z 5a) ist, soweit es ihr nicht (als Aufklärungsrüge) um den Verfahrensaspekt unterlassener Beweisaufnahme geht, nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie anhand konkreten Verweises auf in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismaterial (§ 258 Abs 1 StPO) bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswürdigung darlegt, welches von ihr angesprochene Verfahrensergebnis (Beweismittel) aus welchem Grund erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit welcher Feststellungen über entscheidende Tatsachen wecken soll (RIS-Justiz RS0117446 [insbesondere T18]).

[14] Indem die Beschwerde die gebotene Bezugnahme auf konkrete Beweismittel verabsäumt, wird sie diesen Anforderungen nicht gerecht. Ihr Verweis auf das zu Z 4 und 5 Vorgebrachte entspricht ebenso wenig der Strafprozessordnung (RIS-Justiz RS0115902).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[16] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[17] Hinzugefügt sei, dass die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zu Recht aufzeigt, dass dem Schuldspruch ein Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) anhaftet:

[18] Gewerbsmäßige Begehung nach § 70 Abs 1 Z 3 StGB setzt (unter anderem) voraus, dass der Täter bereits zwei „solche“ Taten begangen hat oder einmal wegen einer „solchen“ Tat verurteilt worden ist.

[19] Gegenständlich traf den Angeklagten, bei welchem spätestens ab dem 5. März 2015 keine Blindheit oder eine vergleichbare hochgradige Sehbehinderung mehr bestand (US 2), gemäß § 10 BPGG die Pflicht, den Eintritt der den Verlust des Anspruchs auf Pflegegeld begründenden maßgeblichen Verbesserung seiner Sehleistung (US 3) dem zuständigen Entscheidungsträger binnen vier Wochen anzuzeigen. Indem er dieser Verpflichtung nicht nachkam, sondern die gebotene Aufklärung bis zur Entziehung des Pflegegeldes mit Ablauf des Monats Juli 2023 mit Bescheid vom 16. Juni 2023 unterließ, verwirklichte er (unter Berücksichtigung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite, US 4 f) den Tatbestand des Betrugs durch Unterlassen (RIS‑Justiz RS0094297). Wäre der Angeklagte seiner Aufklärungspflicht nachgekommen, wären alle weiteren Auszahlungen verhindert worden.

[20] Unter wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld) gesetzte rechtswidrige Angriffe sind als tatbestandliche Handlungseinheit mit der Konsequenz nur einmaliger Tatbestandsverwirklichung zusammenzufassen (RIS-Justiz RS0122006 [T2]). Durch dasim Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit (zu dieser Rechtsfigur siehe 13 Os 1/07g [verst Senat], RIS-Justiz RS0122006 und RS0127374 sowie Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89) erfolgteUnterlassen einer Handlung, zu der er gesetzlich verpflichtet war, bewirkte der Angeklagte die ungerechtfertigte Auszahlung des Pflegegeldes in der Höhe von insgesamt 60.911,93 Euro (vgl dazu Kienapfel/Höpfel/ Kert AT17 Rz 38.65 sowie instruktivHauser, Schweigen als Täuschung: Gewerbsmäßiger Betrug durch Unterlassen der Aufklärungspflicht über längere Zeit? JSt 2024, 197 [203]).

[21] Die rechtliche Annahme des Erstgerichts, wonach der Angeklagte die Taten unter Erfüllung der Kriterien des § 70 Abs 1 Z 3 StGB begangen habe, lässt sich ausdenKonstatierungen somit nicht ableiten, andere die Subsumtion nach § 148 erster Fall StGB tragende Feststellungen enthält das Urteil ebenso wenig.

[22] Der aufgezeigte Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) wirkt jedoch – weil ohne Einfluss auf den auch durch § 147 Abs 2 StGB determinierten Strafrahmen – in concreto nicht zum Nachteil (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) des Angeklagten (vgl RIS-Justiz RS0100259 [insbesondere T2]). Daher sah sich der Oberste Gerichtshof insoweit nicht zu amtswegigem Vorgehen bestimmt. Bei der Entscheidung über die den Strafausspruch betreffende Berufung besteht angesichts der hier getroffenen Klarstellung (im Umfang der Fehlsubsumtion) keine Bindung an den fehlerhaften Schuldspruch (RIS-Justiz RS0118870), ebenso wenig bei der Ausstellung der Endverfügung und der Strafkarte durch das Erstgericht (RIS-Justiz RS0129614).

[23] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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