European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0130OS00088.19V.1211.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch B sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alexander G***** jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 und 13 FinStrG (A) sowie nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG (B), jeweils idF vor BGBl I 2019/62, schuldig erkannt.
Danach hat er im Amtsbereich des Finanzamts Landeck Reutte als Einzelunternehmer vorsätzlich und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Abgabenhinterziehungen einen nicht bloß geringfügigen abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen, wobei er bereits zwei solche Taten begangen hatte (US 8),
A) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten, nämlich durch die Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen, Abgabenver-kürzungen
1. an Umsatzsteuer bewirkt und (zu 2) zu bewirken versucht, und zwar
a) für das Jahr 2012 um 5.133,06 Euro,
b) für das Jahr 2013 um 5.392,60 Euro,
c) für das Jahr 2014 um 6.922,09 Euro und
2. für das Jahr 2015 um 7.774,05 Euro sowie
3. an Einkommensteuer bewirkt und (zu 4) zu bewirken versucht, und zwar
a) für das Jahr 2012 um 21.554,16 Euro,
b) für das Jahr 2013 um 22.501,09 Euro,
c) für das Jahr 2014 um 27.386,13 Euro und
4. für das Jahr 2015 um 34.672,59 Euro sowie
B) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung an Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Jänner bis November 2016 um 4.831,05 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die unter Hinweis auf die Aufhebung des § 38 FinStrG durch BGBl I 2019/62 den Entfall der genannten Qualifikation anstrebt.
§ 4 Abs 2 FinStrG ordnet (anders als § 61 StGB) grundsätzlich die Anwendung des Tatzeitrechts an, es sei denn, die im Urteilszeitpunkt geltende Rechtslage wäre für den Täter günstiger. Zwischengesetze, also Normen
, die zum Zeitpunkt der Tat noch nicht und bei Urteilsfällung erster Instanz nicht mehr dem Rechtsbestand angehörten, haben bei diesem Vergleich außer Betracht zu bleiben (RIS‑Justiz RS0114587, Lässig in WK2 FinStrG § 4 Rz 7 mwN).
Bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist die jeweilige Rechtslage in ihrer Gesamtauswirkung zu betrachten (RIS‑Justiz RS0118096 und RS0119085, Lässig in WK² FinStrG § 4 Rz 5). Er hat nicht abstrakt, sondern streng fallbezogen zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0119085 [T1]), weil nach dem Gesetz das für den Täter günstigere Recht anzuwenden ist. Fragen der Strafbemessung im konkreten Fall innerhalb des Bereichs der gesetzlichen Strafdrohung haben dabei jedoch außer Betracht zu bleiben (RIS‑Justiz RS0091928 und RS0091850 [T2]; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 61 Rz 9; Höpfel in WK² StGB § 61 Rz 14).
Nach den tatrichterlichen Feststellungen (insbesondere US 8) erfüllen sämtliche vom Schuldspruch A erfasste Taten die Tatbestandselemente des im Zeitpunkt der Taten geltenden § 38 FinStrG idF BGBl I 2012/112 (zu A/1 und A/3) und idF BGBl I 2015/163 (zu A/2 und A/4). Die Grundtatbestände (§ 33 Abs 1 und § 33 Abs 2 lit a FinStrG) blieben während des gesamten hier interessierenden Zeitraums unverändert.
§ 33 Abs 5 erster Satz FinStrG in der zu sämtlichen Tatzeitpunkten geltenden Fassung BGBl I 2013/14 bedrohte die Abgabenhinterziehung mit einer Geldstrafe (§ 16 FinStrG) bis zum Zweifachen des strafbestimmenden Wertbetrags (§ 53 Abs 1 FinStrG). Daneben sah Abs 5 letzter Satz des § 33 FinStrG in der angeführten Fassung die Verhängung einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren nach Maßgabe des § 15 FinStrG vor.
Die letztgenannte, seit 1. Jänner 2011 unverändert in Geltung stehende Norm (idF BGBl I 2010/104) sieht in Abs 2 vor, dass in den Fällen, in denen nicht zwingend eine Freiheitsstrafe auszusprechen ist, nur dann auf eine Freiheitsstrafe erkannt werden darf, wenn dies spezial‑ oder generalpräventive Gründe verlangen.
Bei gewerbsmäßiger Begehung erweiterte § 38 FinStrG in den Tatzeitfassungen (BGBl I 2012/112 und BGBl I 2015/163) – soweit hier von Bedeutung – für Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung die Geldstrafdrohung auf das Dreifache des strafbestimmenden Wertbetrags (§ 38 Abs 1 erster Satz FinStrG) und die angedrohte Freiheitsstrafe (§ 15 FinStrG) auf maximal drei Jahre (§ 38 Abs 1 zweiter Satz erster Fall FinStrG).
Mit Inkrafttreten des Art 4 des EU‑FinAnpG 2019 BGBl I 2019/62 am 23. Juli 2019 wurde § 38 FinStrG ersatzlos aufgehoben und die in § 33 Abs 5 FinStrG vorgesehene Freiheitsstrafe auf bis zu vier Jahre erhöht. Die Absicht, sich (oder einem Verband, als dessen Entscheidungsträger der Täter handelte) durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine nicht nur geringfügige fortlaufende Einnahme zu verschaffen, wurde als Erschwerungsgrund in § 23 Abs 2 FinStrG aufgenommen (vgl 644 BlgNR 26. GP 41).
Ausgehend von der Strafdrohung des § 33 Abs 5 FinStrG idgF, der neben der unverändert gebliebenen Geldstrafdrohung bis zum Zweifachen des strafbestimmenden Wertbetrags nunmehr die Verhängung einer Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren vorsieht, ist daher die Normenlage zum Urteilszeitpunkt – in ihrer fallkonkreten Gesamtauswirkung – nicht günstiger als die Normenlage zur Tatzeit. Denn § 38 FinStrG idF BGBl I 2012/112 und idF BGBl I 2015/163 erweiterte zwar die Geldstrafdrohung für Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung auf das Dreifache des strafbestimmenden Wertbetrags, erhöhte aber die diesbezüglich angedrohte – und gegenüber der Geldstrafe das schwerer wiegende Übel darstellende (zu dieser Wertung vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 44 f;
RIS‑Justiz RS0115529; Lässig in WK2 StGB § 19 Rz 31 mwN) – Freiheitsstrafe (nur) auf maximal drei Jahre. Dass neben der zu verhängenden Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe lediglich dann erkannt werden darf, wenn dies spezial- oder generalpräventive Gründe verlangen (§ 15 Abs 2 FinStrG, vgl Lässig in WK2 FinStrG § 15 Rz 6), und dass nunmehr gewerbsmäßige Begehung einen Erschwerungsgrund darstellt, sind Aspekte der Strafbemessung und solcherart – wie dargelegt – für den nach § 4 Abs 2 FinStrG anzustellenden Günstigkeitsvergleich nicht von Bedeutung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 288 Abs 1 StPO zu verwerfen.
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass im Schuldspruch B das Strafgesetz zum Nachteil des Angeklagten unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG werden durch dort pönalisiertes Verhalten in Bezug auf Voranmeldungszeiträume begangen, sodass sachverhaltsmäßig hinsichtlich jedes solchen Zeitraums (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) eine selbständige Tat vorliegt (RIS‑Justiz RS0118311 und RS0124712). Da die Feststellungen nicht erkennen lassen, ob (gegebenenfalls wann) Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben worden sind und ob hinsichtlich jedes einzelnen Entrichtungszeitraums abgabenrechtliche Pflichten verletzt wurden und eine Umsatzsteuerverkürzung von mehr als Null bewirkt wurde (RIS‑Justiz RS0124713; Lässig in WK² FinStrG Vor Rz 13), schaffen sie somit keine hinreichende Subsumtionsbasis für den Schuldspruch B (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO).
Daher war das angefochtene Urteil im Schuldspruch B sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufzuheben und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht Innsbruck zu verweisen (§ 288 Abs 2 Z 3 iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Hinzugefügt sei, dass das Erstgericht die vom Schuldspruch A/1 und A/3 umfassten Taten – ersichtlich (vgl US 8) verfehlt, jedoch dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichend (§ 290 Abs 1 StPO) – nicht § 38 Abs 1 FinStrG in der zur Tatzeit geltenden Fassung BGBl I 2012/112, sondern in der (weder zur Zeit der Tat noch des Urteils in Kraft gestandenen) Fassung BGBl I 2015/163 unterstellte. Diese verfehlte Subsumtion bietet jedoch mangels eines darin gelegenen konkreten Nachteils für den Angeklagten (vgl Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22 f) keinen Anlass zu amtswegigem Vorgehen.
Aufgrund der hier getroffenen Klarstellung ist das Erstgericht bei der Fällung seines Urteils im zweiten Rechtsgang insoweit an seinen eigenen Ausspruch über das anzuwendende Strafgesetz nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0129614 [T1]).
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