OGH 13Os135/16a

OGH13Os135/16a3.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Jänner 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jorda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Orhan A***** und andere Beschuldigte wegen Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB, AZ 12 St 56/16h der Staatsanwaltschaft Feldkirch, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Samir J***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 11. November 2016, AZ 6 Bs 310/16p (ON 173 der Ermittlungsakten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00135.16A.0103.000

 

Spruch:

 

Samir J***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde dieses Beschuldigten wird abgewiesen.

 

Gründe:

Das Landesgericht Feldkirch verhängte mit Beschluss vom 9. März 2016 (ON 9 S 3) über den am 6. März 2016 festgenommenen (ON 7 S 1) Samir J***** die Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 6 StPO. Insoweit ging es von der Prämisse aus, dass die Haftgründe der Verdunkelungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 StPO sowie der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und d StPO nicht auszuschließen seien.

Nach mehrmaliger Haftfortsetzung beantragte der Beschuldigte am 13. Oktober 2016 seine Enthaftung (ON 150), worauf das Landesgericht Feldkirch am 17. Oktober 2016 eine Haftverhandlung durchführte (ON 152), in der es die Fortsetzung der Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 6 StPO beschloss, weil die Haftgründe der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO sowie der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und d StPO nicht auszuschließen seien (ON 153).

Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Innsbruck der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 6 StPO (§ 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und d StPO) fort (ON 173).

Dabei ging das Beschwerdegericht – gestützt auf DNA‑Untersuchungen, ein diesbezügliches Gutachten des Instituts für gerichtliche Medizin der medizinischen Universität Innsbruck und mehrere Zeugenaussagen – vom dringenden Verdacht aus, Samir J***** habe am 6. März 2016 in Lustenau einen anderen vorsätzlich zu töten versucht, indem er mehrfach mit einem Messer auf den zuvor bereits durch Faustschläge und Tritte schwer verletzten Sami M***** einstach.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Oberlandesgericht den dringenden Verdacht des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde des Samir J***** geht fehl:

Die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nach ständiger Judikatur nur nach Maßgabe der Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (14 Os 38/00, EvBl 2000/193, 813; RIS‑Justiz RS0110146, RS0112012 [T6] und RS0114488 [insbesondere T2]).

Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Beschwerde, indem sie aus den vom Oberlandesgericht zur Begründung herangezogenen Beweismitteln in Verbindung mit spekulativen Ansätzen anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse ableitet.

Umstände, die einen Haftgrund (bloß) nicht annehmen lassen, sind keineswegs schon solche, die ihn auch auszuschließen vermögen. Insoweit müssen vielmehr die von § 173 Abs 6 StPO verlangten „bestimmten Tatsachen“ hinzutreten, die das Vorliegen aller in § 173 Abs 2 StPO angeführten Haftgründe als geradezu unmöglich erscheinen lassen (vgl 15 Os 22/00, EvBl 2000/146, 613; RIS‑Justiz RS0113412 und RS0113413).

Die diesbezügliche Prognoseentscheidung, also die rechtliche Annahme, es sei nicht auszuschließen, dass einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gründe vorliege (§ 173 Abs 6 StPO), prüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens darauf, ob sich diese als willkürlich, also nicht oder nur offenbar unzureichend begründet, darstellt (13 Os 173/08b, SSt 2008/103; 14 Os 74/15m, EvBl 2015/159, 1109; Kier in WK 2 GRBG § 2 Rz 47; vgl auch RIS‑Justiz RS0117806).

Da die Beschwerde Willkür in der Prognoseentscheidung nicht behauptet, entzieht sie sich somit einer inhaltlichen Erwiderung.

Zur Frage der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) muss eine Grundrechtsbeschwerde konkret darlegen, worin dem Beschwerdegericht insoweit ein Beurteilungsfehler unterlaufen sein soll (15 Os 173/11x, RIS‑Justiz RS0116422 [T1]), welchem Kriterium die gegenständliche Beschwerde nicht entspricht.

Ihr zuwider rechtfertigen Schwierigkeit und Umfang der bisherigen Ermittlungen, nämlich die Vernehmung von 39 Zeugen und drei im Ausland aufhältigen Mitbeschuldigten sowie die Einholung mehrerer Gutachten (vgl BS 11), im Hinblick auf das Gewicht des Haftgrundes (§ 173 Abs 6 StPO) die Überschreitung der Sechsmonatsfrist des § 178 Abs 2 StPO sehr wohl.

Der Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) nicht zu folgen.

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