OGH 13Os113/04

OGH13Os113/043.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. November 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Diewok als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerhard G***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 aF StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 21. November 2003, GZ 24 Hv 156/03k-45, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Gerhard G***** wurde des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 aF StGB (I) und des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt. Danach hat er

I. in der Nacht zum 28. Mai 2002 in W***** Alexandra R***** mit schwerer, gegen sie gerichteter Gewalt, nämlich durch Verabreichen von Benzodiazepinen in hohen Dosen in Verbindung mit Alkohol, zur Duldung des Beischlafs genötigt;

II. am 19. Februar 2003 (zu ergänzen:) in A***** die Gendarmeriebeamten GI Markus S***** und RI Jürgen E***** mit Gewalt an seiner Vorführung zum Bezirksgericht Hall in Tirol zu hindern versucht, indem er die Wohnungstüre gegen den Oberkörper des GI S***** und mit den Händen "wild um sich schlug".

Rechtliche Beurteilung

Die aus Z 1a, 2, 3, 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Zu I:

Da Z 1a nur auf die Vertretung des Angeklagten während der Hauptverhandlung abstellt, die Zeugin R***** in der Hauptverhandlung jedoch nicht vernommen, vielmehr deren Befragung durch den Untersuchungsrichter nach § 252 Abs 1 Z 2a StPO vorgeführt wurde, liegt der Nichtigkeitsgrund nicht vor.

Nach § 162a Abs 1 StPO ist dem Verteidiger Gelegenheit zu geben, sich an der Vernehmung zu beteiligen und Fragen an den Zeugen zu stellen. Mangelnde Vertretung des Beschuldigten durch einen Verteidiger macht die Einvernahme jedoch keineswegs zu einem nichtigen Akt, weshalb auch die aus Z 2 vorgetragene Kritik versagt. Übrigens war der Beschuldigte im Vernehmungszeitpunkt noch nicht durch einen Verteidiger vertreten, weshalb § 162a Abs 1 StPO nicht verletzt wurde.

Zwar kann ein Urteil erfolgreich aus Z 3 angefochten werden, wenn überhaupt kein Protokoll über die Hauptverhandlung geführt oder dieses nicht vom Vorsitzenden und vom Schriftführer unterschrieben wurde; angebliche (vorliegend nicht konkret bezeichnete) Protokollierungsmängel aber unterliegen keiner Nichtigkeitssanktion. Dem Verteidiger hätte es zudem freigestanden, zur Wahrung der Rechte des Angeklagten die Feststellung einzelner Punkte im Protokoll (§ 271 Abs 1 dritter Satz StPO) oder die Verlesung einzelner Stellen nach § 271 Abs 2 StPO zu verlangen.

Unter dem Aspekt der Nichtigkeitsgründe ebensowenig von Bedeutung ist der Umstand, dass dem Verteidiger erst mehrere Monate nach Urteilsverkündung (wenngleich noch vor Zustellung einer Urteilsausfertigung) eine Abschrift des Protokolls übermittelt wurde. Begründungsmängel in Hinsicht auf die der Vorführung (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO) der Aussage der Zeugin R***** zugrunde liegende Sachverhaltsannahme, dass diese bei ihrer kontradiktorischen Vernehmung erklärt hat, sich der Aussage in der Hauptverhandlung unter Berufung auf § 152 Abs 1 Z 2a StPO zu entschlagen (s dazu Bd I, S 417), macht die Beschwerde ebensowenig geltend wie erhebliche Bedenken dagegen (11 Os 34/04, 12 Os 104/03, 14 Os 87/03, 14 Os 149/03, 14 Os 154/03, 13 Os 148/03; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 40 ff). Die Behauptung, Alexandra R***** sei trotz der nach § 162a StPO erfolgten Abhörung nicht entschlagungsberechtigt gewesen, widerspricht § 152 Abs 1 Z 2a StPO.

Angesichts der Erklärung der Zeugin R*****, auf ihr Entschlagungsrecht in der Hauptverhandlung nicht verzichten zu wollen, stand deren neuerlicher Abhörung das im § 152 Abs 1 Z 2a StPO normierte Beweisverbot entgegen (Z 4). Weder wurde bei der Antragstellung behauptet (Bd II, S 37-39, 63), dass die Zeugin nicht unmissverständlich erklärt hatte, von ihrem Entschlagungsgrecht nach § 152 Abs 1 Z 2a StPO Gebrauch machen zu wollen, noch dargetan, weshalb sie trotz ihrer Entschlagungserklärung zur Aussage bereit sein werde (vgl 13 Os 71/03, 14 Os 139/03, 13 Os 50/04). Bloße Erkundungsbeweisführung hätte die "Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Auflösung der Tabletten Tranxilium zum Beweis dafür, dass der Angeklagte der Zeugin diese Tabletten nicht verabreicht hat" (Bd II, S 63) bedeutet, weil bei der Antragstellung nicht dargetan wurde, warum diese Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse (WK-StPO § 281 Rz 327, 330). Gleichermaßen Erkundungscharakter trug das Begehren auf Einvernahme der ermittelnden Beamten "zu den vorgefundenen Gläsern(,) zur Frage, welche Substanzen an den Gläsern festgestellt wurden und weiters zum Beweis dafür, dass der Angeklagte der Zeugin diese Tabletten nicht verabreicht hat" (Bd II, S 63), entbehrt er doch eines Hinweises darauf, dass überhaupt nach Gläsern oder anhaftenden Substanzen gesucht wurde.

Nicht weniger spekulativ war der Antrag auf Einvernahme der Eltern des Tatopfers zur Frage, "welche Tabletten und Suchtmittel im Haushalt sind" und, "dass die Zeugin diese durchaus zu Hause eingenommen haben kann und zum Beweis dafür, dass der Angeklagte unschuldig ist" (Bd II, S 63).

Warum die Feststellung, wonach der Angeklagte der Zeugin Benzodiazepine in hohen Dosen verabreichte (US 7), die Überlegung, wonach aus der am 30. Mai 2002 der Zeugin abgenommenen Blutprobe auf eine Konzentration von Benzodiazepinen im Tatzeitpunkt zu schließen sei, welche in Kombination mit Alkohol zu einer zumindest vorübergehenden Bewusstlosigkeit führen könne, nach Denkgesetzen und grundlegender Lebenserfahrung ausschließen sollte (WK-StPO § 281 Rz 439), ist nicht nachzuvollziehen. Gleiches gilt für die angeblich widersprüchlichen Feststellungen, R***** habe die Benzodiazepine zwischen ca 00.15 Uhr "bis entweder kurz vor oder kurz nach dem Anruf des Vaters um 01.00 Uhr" eingenommen, nach diesem Anruf sei es zu einem Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten gekommen, welchen Vorgang das Opfer "aufgrund der massiven Einschränkung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit" nicht mehr habe willentlich zu beeinflussen vermocht und der Angeklagte habe sein Opfer schließlich mit seinem PKW nach Hause gebracht (US 6 bis 8). Unerfindlich ist auch, warum sich aus der Schlussfolgerung des Sachverständigen, bei Einnahme der festgestellten Mengen an Benzodiazepin in Verbindung mit Alkohol sei mit dem Eintritt einer Bewusstlosigkeit zu rechnen, erhebliche Bedenken gegen die dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen ergeben sollten (Z 5a). Mit dem Hinweis auf Erinnerungslücken des Tatopfers werden solche ebensowenig geweckt.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) geht nicht von den getroffenen Feststellungen aus und solcherart ins Leere (vgl im Übrigen Schick in WK2 § 201 Rz 17, der die Einstufung der Betäubung als schwere Gewalt treffend primär im überraschenden Herbeiführen eines Zustandes der Bewusstlosigkeit sieht, der das Opfer unfähig macht, Widerstand zu leisten).

Zu II:

Erkundungscharakter trug das Begehren auf "Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand und zur Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten am 19. Februar 2003 sowie Einholung des Arztberichtes vom 19. Februar 2003 über die Behandlung des Angeklagten im Krankenhaus Innsbruck zur Frage der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten" (Bd II, S 41), weil bei der Antragstellung keinerlei Aufschluss darüber gegeben wurde, welche Tatumstände zu einer derartigen Schlussfolgerung hätten Anlass geben können, zumal der der Amtshandlung beigezogene Sprengelarzt keine Bedenken gegen die Vorführung geäußert und der Richter des Bezirksgerichtes Hall in Tirol, dem der Angeklagte hernach vorgeführt worden war, in einem Amtsvermerk festgehalten hatte, dieser habe sich zwar anfänglich aggressiv verhalten, jedoch keine Anzeichen einer Krankheit oder Schwäche gezeigt (Bd I, S 283, ON 15 des Aktes 3 U 366/02t des BG Hall in Tirol).

Erhebliche Bedenken am Vorliegen des biologischen Schuldelementes ergeben sich aus den Aussagen der in der Hauptverhandlung vernommenen Gendarmeriebeamten nicht (Z 5a).

Die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits in nichtöffentlicher Sitzung (§ 285d Abs 1 StPO) hat die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die Berufungen zur Folge (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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