OGH 13Os106/83

OGH13Os106/831.9.1983

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.September 1983 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Maresch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Erich A wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs 1 und 2 StGB über die von der Staatsanwaltschaft und vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht Innsbruck vom 19.April 1983, GZ 20 Vr 3506/81-73, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Felzmann, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Fuchs und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Ersten Generalanwalts Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Strafe auf 3 1/2 (dreieinhalb) Jahre erhöht.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung gegen das Strafausmaß hierauf verwiesen.

Im übrigen wird seiner Berufung nicht Folge gegeben. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 13.August 1952 geborene Tankwart Erich A wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen - abweichend von der auf das Verbrechen der Notzucht nach § 201 Abs 1 und 2 StGB lautenden Anklage - des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs 1 und 2 StGB

schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, am 21.Juli 1980 in Stams (Tirol) Elfriede B, indem er sie zu Boden warf, sie würgte und ihr mehrere Faustschläge versetzte, ihr die Kleider vom Körper riß und den Mund zuhielt, zum außerehelichen Beischlaf genötigt zu haben. Die Tat hatte eine Verstauchung der Halswirbelsäule, eine Gehirnerschütterung, einen Bluterguß im Bereich des linken Auges, eine Schwellung im Bereich des linken Unterkiefers, Schleimhautverletzungen im Mund, Hämatome an beiden Beinen, Blutunterlaufungen am Nacken, am Rücken und an den Unterarmen, Hautabschürfungen am ganzen Körper und eine psychoreaktive Störung zur Folge; all das bewirkte eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, sohin eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB ).

An die Geschwornen waren neun Fragen gestellt worden. Sie verneinten die Hauptfrage 1 nach dem Verbrechen der Notzucht (§ 201 Abs 1 und 2 StGB ) mit sieben Nein- gegen eine Ja-Stimme und bejahten die auf das Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs 1 und 2 StGB

gerichtete Eventualfrage 4 im Verhältnis von sieben Ja gegen eine Nein-Stimme. Die zur Eventualfrage 4 gehörende Zusatzfrage 5 nach dem Vorliegen einer ohne Absicht auf das Verbrechen zugezogenen vollen Berauschung wurde einstimmig verneint. Die übrigen (Eventualund Zusatz-) Fragen konnten unbeantwortet bleiben. Die Staatsanwaltschaft erhebt Nichtigkeitsbeschwerde aus § 345 Abs 1 Z 8 und 9 StPO., Erich A aus § 345 Abs 1 Z 5 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft:

Unter § 345 Abs 1 Z 9 StPO vermeint die Staatsanwaltschaft, der Wahrspruch hätte zur Einleitung eines Moniturverfahrens nach § 332 StPO Anlaß geben müssen. Die Geschwornen hätten nämlich die Hauptfrage 1 nach dem Verbrechen der Notzucht (§ 201 Abs 1 und 2 StGB ) im Verhältnis von sieben Nein- gegen eine Ja-Stimme deshalb verneint, weil es Elfriede B schließlich doch gelungen sei, sich aus der Gewalt des Angeklagten zu befreien und ihm zu entkommen. Dabei sei den Geschwornen ein Denkfehler unterlaufen: B habe den Täter erst wegstoßen können, als er mit seinem Geschlechtsteil in ihre Scheide eingedrungen war, das Verbrechen der Notzucht also bereits vollendet hatte.

Aus der Tatsache, daß die Zeugin den Angeklagten während des Vollzugs des Beischlafs wegzustoßen vermocht habe, hätten die Geschwornen den falschen Schluß gezogen, daß dies ein Kriterium für die Beurteilung ihrer Widerstandsunfähigkeit bilde. Der Wahrspruch ist nach § 345 Abs 1 Z 9 StPO nichtig (siehe § 349 StPO.), wenn er infolge Undeutlichkeit, Unvollständigkeit oder eines inneren Widerspruchs kein verläßliches Bild von der Meinung der Geschwornen gibt und daher als Grundlage für ein Urteil unbrauchbar ist.

Der Wahrspruch ist undeutlich, wenn sein Sinn nicht klar ist, unvollständig, wenn eine Frage zu Unrecht nicht beantwortet wurde, in sich widersprechend, wenn er mit den Denkgesetzen im Widerspruch steht, z.B. weil zwei einander ausschließende Fragen bejaht worden sind. Keiner dieser Mängel ist gegeben. Nach dem Akteninhalt hat auch keiner der Geschwornen ein bei der Abstimmung unterlaufenes Mißverständnis behauptet (§ 332 Abs 4 StPO.), sodaß das Moniturverfahren nicht einzuleiten war.

Nur der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß die Lösung der Frage, ob das Opfer widerstandsunfähig gemacht oder zum Beischlaf genötigt wurde, in den Bereich der den Geschwornen allein vorbehaltenen Beweiswürdigung gehört (siehe §§ 337, 351 StPO.). Die Entscheidung der Geschwornen ist insoweit nicht anfechtbar. Soweit sich die Staatsanwaltschaft auf die Niederschrift der Geschwornen (§ 331 Abs 3 StPO.) bezieht und in diesem Zusammenhang behauptet, die dort enthaltenen Erwägungen würden den Irrtum der Geschwornen zeigen, so ist ihr zu erwidern, daß die im § 345 Abs 1 Z 9 StPO. bezeichneten Mängel nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes aus dem Wahrspruch selbst hervorgehen müssen (aus der 'Antwort' - siehe § 340 Abs 2

StPO.).

Die Rechtsbelehrung rügt die Staatsanwaltschaft als unvollständig (§ 345 Abs 1 Z 8 StPO.), weil in ihr nicht erörtert worden sei, in welchem Zeitpunkt das Opfer einer Notzucht widerstandsunfähig sein müsse. Wenn auch Elfriede B während und nach der Ausübung des Geschlechtsverkehrs Abwehrhandlungen setzen habe können, so sei sie doch im entscheidenden Zeitpunkt unmittelbar vor dem Beginn des Beischlafs widerstandsunfähig gewesen. Die Erwägungen der Geschwornen (§ 331 Abs 3 StPO.) ließen einen diesbezüglichen Irrtum der Laienrichter mittelbar erkennen, weil weder die Bezugnahme auf die Zeugenaussage B noch das Teilgeständnis des Angeklagten eine Begründung für die Annahme bloßer Willensbeugung bieten könnten. Auch dieser Einwand greift nicht durch. In unmißverständlicher und auch für juristische Laien faßbarer Weise bringt die Rechtsbelehrung (S. 1 und 2) zum Ausdruck, daß das Verbrechen der Notzucht vorliege, wenn vor dem außerehelichen Beischlaf das Opfer widerstandsunfähig gemacht wird. Der Begriff der Widerstandsunfähigkeit wird in übereinstimmung mit Lehre und Rechtsprechung erklärt. Weiters wird ausgeführt, daß bloße Willensbeugung, die keine Widerstandsunfähigkeit bedeute, für den Tatbestand der Notzucht nicht hinreiche, sondern jenem der Nötigung zum Beischlaf zu unterstellen sei. Ein Fehler haftet der Rechtsbelehrung nicht an. Soweit aber die Beschwerde der Anklagebehörde erneut auf die Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO.) Bezug nimmt und daraus einen Irrtum der Geschwornen mittelbar ableiten will, ist auf den Wortlaut des § 345 Abs 1 Z 8 StPO zu verweisen: Er stellt auf unrichtige Belehrungen gemäß §§ 321, 323, 327 StPO ab. Damit ist die angezogene Nichtigkeit scharf abgegrenzt, ihre Rückführung auf die im § 331 Abs 3 StPO. geregelte Erwägungsniederschrift verbietet sich (RiZ 1972 S. 165 f., letzter Absatz).

Zur Beschwerde des Angeklagten:

Als Verfahrensmangel rügt der Beschwerdeführer die Abweisung der von ihm in der letzten Hauptverhandlung gestellten Anträge auf Einvernahme des Zeugen Alois C, des kriminologischen Sachverständigen Dr. Gert D und eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Germanistik.

Der Zeuge C hätte über das angebliche frühere Sexualleben der Elfriede B Auskunft geben sollen. Zutreffend hat sich der Schwurgerichtshof auf den Standpunkt gestellt, daß nur der Vorfall vom 21.Juli 1980, nicht aber ein zurückliegendes Sexualverhalten des Tatopfers für die Sachentscheidung von Bedeutung ist. Es kann auf sich beruhen, ob sich das Mädchen bei anderen Gelegenheiten Annäherungsversuchen gegenüber nicht ablehnend verhalten hat oder selbst Anschluß an das andere Geschlecht gesucht hat. Strafrechtlich relevant ist allein, ob es sich am 21.Juli 1980 gegen den geschlechtlichen Angriff des Beschwerdeführers wehrte oder nicht. Für diese Frage konnte aber aus der Aussage des Alois C schon nach dem Inhalt des Beweisantrags nichts gewonnen werden. Ebensowenig bedurfte es der Einvernahme des kriminologischen Sachverständigen Dr. Gert D, der darüber hätte aussagen sollen, ob sich aus den Verletzungen und aus den körperlichen Gegebenheiten bei Opfer und Täter Schlußfolgerungen auf eine strafrechtlich relevante Gewaltanwendung des Beschwerdeführers ziehen ließen. Auch insoweit kann der abweislichen Begründung des Schwurgerichtshofs beigetreten werden. Für eine solche Beweiserhebung bestand kein Anlaß, weil für die Lösung der Frage, ob und welche Gewalt gegen das Mädchen angewendet wurde, die vorhandenen Beweisergebnisse, nämlich die ärztlichen Untersuchungen und die Aussagen der beiden Beteiligten, hinreichten. Dabei kann auch noch auf die geständige Verantwortung des Beschwerdeführers vor der Gendarmerie (S. 39 bis 51) und in der ersten Hauptverhandlung (S. 119, 120) verwiesen werden. Die strafrechtliche Relevanz indessen, auf welche die Beschwerde ausdrücklich abhebt, ist eine Rechtsfrage, deren Beantwortung nicht in die Kompetenz eines Sachverständigen fällt.

Ob die in seinem Geständnis vor dem Landesgendarmeriekommando enthaltene Ausdrucksweise dem üblichen Redestil des Beschwerdeführers und seiner sprachlichen Bildung gemäß war, bedurfte nicht der Prüfung mit Hilfe germanistischen Sachverstands. Genug daran, daß der Nichtigkeitswerber die Gewaltanwendung gegen das Mädchen zur Brechung von dessen ernstlichem Widerstand zugegeben hat ('ich muß dann wie ein Tier über das Mädchen hergefallen sein', 'ich muß dann über das ahnungslose Mädchen hergefallen sein', 'ich versuchte, sie wehrunfähig zu machen').

Auf diese seine Verantwortung vor der Gendarmerie hat sich der Beschwerdeführer sogar noch in der Hauptverhandlung am 16.April 1981 mit der Erklärung bezogen, er halte sie aufrecht, sie stamme von ihm (S. 120). Darnach erübrigt sich jedes Wort zu dem Antrag auf Beiziehung eines Germanisten.

Da keiner der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe vorliegt, waren

beide Beschwerden zu verwerfen.

Zu den Berufungen:

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 202 Abs 2 StGB zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe und wertete bei der Strafzumessung drei einschlägige Vorstrafen (wegen § 83 StGB und §§ 287/83 StGB ), die massive Gewaltanwendung durch längere Zeit und die hiedurch bei Elfriede B bewirkte (jahre-) lange psychoreaktive Gesundheitsstörung als erschwerend; mildernd waren hingegen die volle Schadensgutmachung und die durch eine neurotische Störung und geringe Intelligenz gekennzeichnete Persönlichkeit des Angeklagten.

Während die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung die Erhöhung der Strafe beantragt, strebt der Angeklagte mit seiner Berufung die Herabsetzung der Strafe unter gleichzeitiger bedingter Nachsicht an. Nur der Berufung der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu. Der Anklagebehörde ist nämlich zuzugeben, daß der Unwert der Tat zufolge der schweren psychischen Schäden, an denen das Opfer noch immer zu leiden hat (Gutachten S. 251, 388), sehr hoch angesetzt werden muß (§ 32 Abs 2 StGB ) und jedenfalls - entgegen der Meinung des Angeklagten - mit der Subsumtion des Sachverhalts unter den die schwere Verletzungsfolge (die schon bei einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsstörung vorliegt) als straferhöhend normierenden ersten Strafsatz des § 202 Abs 2

StGB nicht zur Gänze abgegolten ist.

Allerdings kann bei der überprüfung des Strafmaßes auch an der vom Angeklagten hervorgekehrten Tatsache nicht ganz vorbeigegangen werden, daß er durch sein (in der Hauptverhandlung freilich völlig entwertetes) Geständnis bei der Gendarmerie (S. 39 ff.) und seine immerhin noch teilweise geständige Verantwortung vor dem Geschwornengericht (S. 350 ff.) einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung geleistet hat (§ 34 Z 17 StGB ). Die Einlassungen vor der Gendarmerie beinhalten auch das Zugeständnis jenes Charaktermangels, nämlich der erhöhten Aggressivität im betrunkenen Zustand, der den Vorstrafen wegen Körperverletzungen zugrundeliegt (§ 71 StGB ). Deshalb kann man aber die Vorstrafen nicht als geringfügig abtun, vielmehr muß die ebenfalls auf demselben Charaktermangel beruhende, zu 15 Vr 567/72 des Landesgerichts Innsbruck wegen § 85 lit a StG. ergangene Verurteilung, die zu der zu U 369/72 des Bezirksgerichts Silz erlassenen Strafverfügung im Verhältnis des § 265 StPO alt (§ 31 StGB ) stand, als weitere einschlägige Vorstrafe gewertet werden. Gerade diese Neigung zur Gewalttätigkeit ließ aber in dem zur Tatzeit wieder erheblich alkoholisierten Berufungswerber den Plan zur Ausführung des gegenständlichen, schweren und brutalen Sittlichkeitsattentats auf ein sich seiner Begleitung anvertrauendes Mädchen reifen.

Es kann somit keine Rede von einer unbesonnenen, nur durch eine verlockende Gelegenheit begünstigten Tat sein.

Legt man die so korrigierten Strafzumessungsgründe auch unter besonderer Würdigung der vollständigen zivilrechtlichen Schadensgutmachung der Entscheidung zugrunde, scheint das nur mit einem Viertel der Höchststrafe geschöpfte Strafausmaß zu gering. Bei einer so schwerwiegenden Tat ist nämlich auch zu bedenken, daß, wie der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, das erst vor wenigen Jahren in Kraft getretene Strafgesetzbuch erklärtermaßen mit lebensnahen Strafdrohungen ausgestattet wurde (13 Os 127/81, 13 Os 150/81, 13 Os 184/81, 13 Os 102/82, 13 Os 89/83) und daher innerhalb der (nach der Schwere der Tat auf mehrere Tatbestände aufgesplitterten) Strafrahmen der einzelnen Delikte gegen die Sittlichkeit tat- und täterbezogene Strafen auszumessen sind. Es war daher in Stattgebung der Berufung des öffentlichen Anklägers mit einer maßvollen Erhöhung der Strafe vorzugehen, worauf der Angeklagte mit seinem Herabsetzungsbegehren zu verweisen war. Sein Berufungsantrag auf bedingte Strafnachsicht scheitert an der zwei Jahre übersteigenden Strafdauer (§ 43 Abs 2, erster Halbsatz, StGB ).

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