Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 10. Februar 2012, GZ 39 Hv 70/11k‑86, wurde Harald S***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und Abs 2 zweiter Satz StGB (I) sowie der Vergehen der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/136 (II/1) und der Geschenkannahme durch Amtsträger oder Schiedsrichter nach § 304 Abs 1 StGB idF BGBl I 2007/109 (II/2) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt. Bei der Strafzumessung wertete dieses Gericht (ua) „die Dauer des seit 18. Juni 2009 und damit seit mehr als zwei Jahren anhängigen Strafverfahrens“ als mildernd. Da zudem zwischen 19. Juli 2010 (Übermittlung des Aktes an die Staatsanwaltschaft) und 11. Jänner 2011 (Einlangen der Anklageschrift) ‑ somit für einen Zeitraum von mehr als fünf Monaten ‑ im Akt keine (über die Verfassung der Anklage hinausgehenden) „Aktivitäten“ festgestellt werden konnten, reduzierte der Schöffensenat „unter Berücksichtigung des besonderen Milderungsgrundes der langen Verfahrensdauer seit 18. 6. 2009“ die (ansonsten angemessene) Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten auf drei Jahre (US 60).
Die gegen dieses Urteil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Harald S***** hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 25. Februar 2013, GZ 17 Os 13/12h‑9, zurückgewiesen (ON 99). Der Berufung des Genannten gab das Oberlandesgericht mit Urteil vom 16. Mai 2013, AZ 7 Bs 90/13p, nicht Folge (ON 104). Hingegen setzte das Berufungsgericht in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren fest.
In seiner Begründung (US 12 f) führte das Oberlandesgericht ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ aus, dass der besondere Milderungsgrund der unverhältnismäßig langen Dauer des Verfahrens nicht in Betracht komme. Denn zwischen 19. Juli 2010 und 11. Jänner 2011 liege keine Untätigkeit vor, weil in diesem Zeitraum nicht nur die Verfassung der Anklageschrift, sondern auch die nach § 8 Abs 1 und 2 StAG verpflichtende Berichterstattung der Staatsanwaltschaft mit Vorhabensbericht an die Oberstaatsanwaltschaft und dessen Weiterleitung an das Bundesministerium für Justiz erfolgt sei. Unter Berücksichtigung, dass in keinem Zeitraum eine „Untätigkeit“ der Strafverfolgungsbehörden vorgelegen sei, sowie weiters des Umstands, dass es sich „um einen komplexen Straffall“ gehandelt habe (in welchem über Antrag der Staatsanwaltschaft umfangreiche Erhebungen des Landespolizeikommandos Vorarlberg [s insbesondere ON 44] und mehrere gerichtlich zu bewilligende Anordnungen der Durchsuchung und Auskunftserteilung erforderlich waren), zu dessen Aufklärung der großteils leugnende Angeklagte wenig beigetragen habe, sei daher nicht von einer ‑ den Milderungsgrund nach § 34 Abs 2 StGB herstellenden ‑ unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer auszugehen.
In seinem ‑ nicht auf ein Erkenntnis des EGMR gestützten (RIS-Justiz RS0122228) ‑ Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO reklamiert Harald S***** eine Verletzung des Art 6 MRK wegen überlanger Verfahrensdauer. Weiters erblickt er im Hinweis des Oberlandesgerichts auf seine leugnende Verantwortung einen Verstoß gegen „Art 90 B-VG (Selbstbezichtigungsverbot)“.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag geht schon deshalb fehl, weil die Sanktionsfrage betreffende Umstände, die nicht Gegenstand einer Sanktionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) sind, sondern ausschließlich in den Bereich der Berufung fallen, wie die Behauptung überlanger Verfahrensdauer (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 724), mit dem innerstaatlichen subsidiären Rechtsbehelf eines Erneuerungsantrags ohne vorherige Anrufung des EGMR nicht geltend gemacht werden können (RIS-Justiz RS0125371). Gleiches gilt auch für die behauptete Grundrechtsverletzung (aufgrund der Dauer der Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten) durch den Obersten Gerichtshof selbst.
Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach dargelegt, dass für den subsidiären Rechtsbehelf eines nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrags alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und Abs 2 MRK sinngemäß gelten (RIS-Justiz RS0122737). So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Diesem Erfordernis wird (ua) dann entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention5 § 13 Rz 19, 31).
Auch daran würde es dem vorliegenden Antrag gebrechen, weil gegen eine Verletzung des Beschleunigungsgebots (§ 9 Abs 1 StPO) im Bereich der Staatsanwaltschaft gerichtlicher Rechtsschutz erlangt werden kann, indem ein auf Verletzung des Beschleunigungsgebots gestützter Einspruch gemäß § 106 Abs 1 Z 1 StPO erhoben wird. Auf diesem Weg kann ein konkreter Auftrag des Gerichts erster oder (im Beschwerdefall) zweiter Instanz an die Staatsanwaltschaft erwirkt werden, dem Beschleunigungsgebot durch konkrete Maßnahmen, wie etwa einer gehörigen Fortführung, einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder einer Anklageerhebung Rechnung zu tragen. Diese Bindung der Staatsanwaltschaft an Aufträge des Gerichts aufgrund der Verletzung eines subjektiven Rechts lässt sich aus § 107 Abs 4 StPO ableiten. Gibt das Gericht dem Einspruch statt, hat die Staatsanwaltschaft, sofern sie diesem nicht schon entsprochen hat (§ 106 Abs 4 StPO), den entsprechenden Rechtsschutz herzustellen (vgl zum Ganzen 11 Os 53/11w, 15 Os 118/11h, RIS-Justiz RS0124006 [T2], RS0122737 [T28]).
Mangelnde Rechtswegausschöpfung liegt aber auch insoweit vor, als sich Harald S***** gegen den behaupteten siebenmonatigen Verfahrensstillstand zwischen Einbringung der Anklageschrift und dem Beginn der Hauptverhandlung nicht mit dem Rechtsbehelf des Fristsetzungsantrags nach § 91 GOG zur Wehr setzte.
Soweit der Erneuerungswerber eine Verletzung des „nemo-tenetur-Grundsatzes“ (Art 6 Abs 2 MRK, Art 90 Abs 2 B-VG) geltend macht, verkennt er, dass das Oberlandesgericht dessen mangelnde Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden keineswegs zu seinem Nachteil (als strafschärfend) berücksichtigt hat. Denn der in Rede stehende Ausspruch des Berufungsgerichts drückt ‑ entgegen der vom Erneuerungswerber gewählten Lesart ‑ nicht aus, dass schon allein die Bestreitung des Tatvorwurfs der Annahme des Milderungsgrundes des § 34 Abs 2 StGB entgegensteht, maW einem Angeklagten die leugnende Verantwortung per se als ein das Verfahren verzögerndes Verhalten anzulasten ist. Vielmehr hat das Oberlandesgericht lediglich ins Kalkül gezogen, dass die Verfahrensdauer im Hinblick auf die leugnende Einlassung des Angeklagten nicht unverhältnismäßig war, worin der geltend gemachte Verstoß nicht zu erblicken ist.
Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 und 3 StPO).
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