European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129905
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
[1] Strittig ist im Verfahren die Auslegung des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG, nämlich die Frage, was unter der tatsächlichen Ausübung einer kranken‑ und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit während der letzten 182 Tage unmittelbar vor Bezugsbeginn zu verstehen ist.
[2] Die Tochter des Klägers wurde am 1. 5. 2019 geboren. Der Kläger beantragte am 10. 5. 2019 die Gewährung eines Familienzeitbonus für seine Tochter im Umfang von 28 Tagen für den Zeitraum von 20. 5. 2019 bis 16. 6. 2019. Dem Kläger wurde von seinem Dienstgeber für den Bezugszeitraum gemäß § 47b des auf das Dienstverhältnis des Klägers unstrittig anwendbaren Oberösterreichischen Landes‑Vertragsbedienstetengesetzes, oö LGBl 1994/10, eine Vaterschaftsfrühkarenz im Ausmaß von 80 Stunden gewährt.
[3] Im Zeitraum der letzten 182 Tage vor dem Beginn des Bezugszeitraums am 20. 5. 2019 erhielt der Kläger von seinem Dienstgeber zwei Tage Sonderurlaub von 2. 5. 2019 bis 3. 5. 2019 und weitere 80 Stunden Sonderurlaub im Zeitraum von 6. 5. 2019 bis 19. 5. 2019. Während dieser Sonderurlaube bestand das Dienstverhältnis des Klägers aufrecht fort. Er bezog weiter sein Gehalt und war weiterhin sozialversichert. Der Dienstgeber führte die Sozialversicherungsbeiträge unverändert ab.
[4] Mit Bescheid vom 28. 6. 2019 lehnte die Beklagte die Gewährung des beantragten Familienzeitbonus mit der Begründung ab, dass der Kläger infolge der Gewährung von Sonderurlauben von mehr als 14 Tagen die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG nicht erfülle.
[5] Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Zuerkennung eines Familienzeitbonus für seine Tochter in Höhe von 22,60 EUR täglich für den Zeitraum von 20. 5. 2019 bis 16. 6. 2019. Seine Erwerbstätigkeit sei durch die Inanspruchnahme von Sonderurlaub nicht unterbrochen worden.
[6] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger 2 + 14 Tage an Sonderurlauben konsumiert habe, sodass eine mehr als 14‑tägige Erwerbslücke im Sinn des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG am Ende des Beobachtungszeitraums vorliege.
[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Kläger habe während der Sonderurlaube weiter sein Entgelt aus dem aufrechten Dienstverhältnis bezogen und sei weiter sozialversichert gewesen. Es liege daher keine im Sinn des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG schädliche Unterbrechung der Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum vor.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es führte unter detaillierter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aus, dass für die Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG das Bestehen eines aufrechten Dienstverhältnisses und das Bestehen einer Versicherungspflicht in der Kranken‑ und Pensionsversicherung genüge. Beide Voraussetzungen seien während der Sonderurlaube des Klägers erfüllt gewesen. Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob die Konsumation eines bezahlten und sozialversicherungspflichtigen Sonderurlaubs als „tatsächliche Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit“ im Sinn des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG anzusehen sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
[9] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die vom Kläger nicht beantwortete Revision der Beklagten, mit der diese die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
[11] Auch in der Revision hält die Beklagte an ihrer Rechtsansicht fest, dass für die Ausübung einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG nicht das Bestehen einer Sozialversicherungspflicht allein genüge, vielmehr müsse eine Erwerbstätigkeit tatsächlich, also physisch ausgeübt werden. Nur kurzfristige Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit – bis zu 14 Tagen – seien zulässig, darüber hinaus nur solche Unterbrechungen, während derer der Dienstnehmer gesetzlich gezwungen sei, die Erwerbstätigkeit nicht auszuüben, insbesondere daher Erholungsurlaub und Krankheit. Die Inanspruchnahme von Sonderurlaub sei kein solcher Fall und sei daher als Unterbrechung der Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG zu werten. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts führe dazu, dass privilegierte Gruppen, die Anspruch auf Sonderurlaub hätten, gegenüber gewöhnlichen Dienstnehmern in unsachlicher, den Gleichheitssatz verletzender Weise bessergestellt würden.
[12] Dem kommt keine Berechtigung zu:
[13] Zur Anspruchsberechtigung des Klägers nach dem FamZeitbG:
[14] Anspruch auf den Familienzeitbonus hat ein Vater (Adoptivvater, Dauerpflegevater) für sein Kind (Adoptivkind, Dauerpflegekind) ua gemäß § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG, sofern er ua in den letzten 182 Tagen unmittelbar vor Bezugsbeginn durchgehend eine in Österreich kranken‑ und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt sowie in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Tagen nicht anspruchsschädigend auswirken.
[15] Nach der Absicht des Gesetzgebers sollen erwerbstätige Väter, die sich direkt nach der Geburt ihres Kindes intensiv und ausschließlich der Familie widmen, eine finanzielle Unterstützung, den Familienzeitbonus, erhalten (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 1). Anspruchsberechtigt sind nur Väter, die sich in Familienzeit befinden und die alle anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, zu denen auch die Erfüllung des Erwerbstätigkeitserfordernisses vor Bezugsbeginn gemäß § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG gehört. Als Familienzeit versteht man gemäß § 2 Abs 4 FamZeitbG den Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen, in dem sich ein Vater aufgrund der kürzlich erfolgten Geburt seines Kindes ausschließlich seiner Familie widmet und dazu die Erwerbstätigkeit – zu diesem Begriff verweist § 2 Abs 4 FamZeitbG ausdrücklich auf § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG – unterbricht, keine andere Erwerbstätigkeit ausübt, keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sowie keine Entgeltfortzahlung aufgrund von oder Leistungen bei Krankheit erhält. Ergänzt wird § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG durch § 2 Abs 7 FamZeitbG: Nach dieser Bestimmung gelten als der Ausübung einer kranken‑ und pensions-versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem VKG, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes.
[16] Zum Erwerbstätigkeitserfordernis des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG führten die Gesetzesmaterialien aus (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2):
„Das Erwerbstätigkeitserfordernis entspricht im Grunde jenem nach § 24 Abs. 1 Z 2 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) iVm § 24 Abs. 2 erster Satz KBGG. Diese Erwerbstätigkeit muss im relevanten 182‑Tage‑Zeitraum – wie auch jene nach dem KBGG – tatsächlich (also Tag für Tag) und durchgehend ausgeübt werden, der Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (zB Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Weiterbildungsgeld, Bildungsteilzeitgeld etc) vernichtet den Anspruch. Ausnahme: Unterbrechung der Erwerbstätigkeit innerhalb der 182 Tage für maximal 14 Tage.“
[17] Zum Erwerbstätigkeitserfordernis nach § 24 Abs 1 Z 2 iVm § 24 Abs 2 erster Satz KBGG:
[18] Das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens wurde mit der Novelle zum KBGG BGBl I 2009/116 geschaffen. § 24 KBGG lautete in der Fassung dieser Novelle auszugsweise wie folgt:
„§ 24 (1) Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nach diesem Abschnitt hat ein Elternteil (Adoptivelternteil, Pflegeelternteil) für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind), sofern
1. …
2. dieser Elternteil in den letzten 6 Kalendermonaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig gemäß Abs. 2 war, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht anspruchsschädigend auswirken und
3. …
(2) Unter Erwerbstätigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes versteht man die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG), BGBl. Nr. 221, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter‑Karenzgesetz (VKG), BGBl. Nr. 651/1989, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes.“
[19] In den Gesetzesmaterialien wurde zum Erwerbstätigkeitserfordernis ausgeführt (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 16):
„Zusätzlich steht das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld nur vor der Geburt tatsächlich erwerbstätigen Eltern offen. Dabei muss es sich um eine in Österreich sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit handeln, eine Selbstversicherung, freiwillige Weiterversicherung, Mitversicherung etc. reicht nicht aus. Irrelevant ist, ob die Erwerbstätigkeit in Österreich ausgeübt wird, sofern die Sozialversicherungspflicht in Österreich bestehen bleibt (Entsendung) und alle anderen Anspruchsvoraussetzungen (zB Lebensmittelpunkt in Österreich) erfüllt sind.
Die Erwerbstätigkeit muss durchgehend in den letzten sechs Monaten vor Geburt tatsächlich ausgeübt werden. Sehr geringfügige Unterbrechungen (das sind solche von bis zu 14 Tagen) sind zulässig, um Härtefälle zu vermeiden. Keine Unterbrechung der tatsächlichen Ausübung der Erwerbstätigkeit stellen Zeiten des Erholungsurlaubes oder der Krankheit dar (unter der Voraussetzung, dass die Sozialversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt, wie es etwa bei arbeitsrechtlicher Entgeltfortzahlung der Fall ist).“
[20] Mit der Novelle des KBGG, BGBl I 2011/139, wurde § 24 Abs 1 Z 2 KBGG dahin ergänzt, dass der anspruchsberechtigte Elternteil im Beobachtungszeitraum auch keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten durfte. In § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG wurde der Ausdruck „dieser Erwerbstätigkeit“ jeweils durch die Wortfolge „dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit“ ersetzt. Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP 4) sollte durch diese Ergänzung eine Missbrauchsbekämpfung durch Verhinderung von (kurzfristiger) Scheinerwerbstätigkeit in Österreich erfolgen (10 ObS 117/14z SSV‑NF 29/13).
[21] Mit dem FamZeitbG BGBl I 2016/53 wurde der Zeitraum von sechs Monaten in § 24 Abs 1 Z 2 und Abs 2 KBGG in einen Zeitraum von 182 Tagen verändert. In § 24 Abs 2 Satz 1 KBGG wurde nach dem Wort „sozialversicherungspflichtigen“ der in Klammern gesetzte Ausdruck „(kranken‑ und pensionsversicherungspflichtigen)“ eingefügt. In den Gesetzesmaterialien findet sich folgender Passus zu diesen Bestimmungen (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 10):
„Es wird eine Legaldefinition für den Begriff 'Sozialversicherungspflicht' im Sinne dieses Gesetzes festgelegt. Das Erwerbstätigkeitserfordernis ist somit unter anderem nur dann erfüllt, wenn eine gesetzliche Pflichtversicherung in der Kranken‑ und Pensionsversicherung vorlag. Es reicht daher eine geringfügige Beschäftigung mit Unfallversicherungspflicht nicht aus, um diese Anspruchsvoraussetzung zu erfüllen. Unverändert bleibt der Ausschluss bei Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung …. Die bisherige 6‑Monatsfrist für die Erfüllung der Zusatzvoraussetzung (das ist das Erwerbstätigkeitserfordernis und der Nichtbezug von Arbeitslosenversicherungsleistungen) wird auf Tage umgestellt. … In diesem Zeitraum von 182 Tagen muss tatsächlich (also eine faktisch an den Tag gelegte) Arbeits- bzw Erwerbstätigkeit ausgeübt worden sein oder eine dieser Tätigkeit gleichgestellte Zeit vorliegen. ...“
[22] Der Begriff der „tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit“ im Schrifttum:
[23] Sonntag (in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG3 § 24 Rz 10 ff) führt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung (10 ObS 57/12y SSV‑NF 26/59) aus, dass es für die tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit darauf ankomme, ob diese der Sozialversicherungspflicht unterlag, ob also aufgrund dieser Tätigkeit vom Versicherten bzw dem Dienstgeber Sozialversicherungsbeiträge geleistet wurden.
[24] Auch nach Burger‑Ehrnhofer (Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz3 § 24 KBGG Rz 3 ff) stellt der Gesetzgeber auf das Vorliegen einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ab, die nur dann vorliege, wenn eine Pflichtversicherung in der Kranken‑ und Pensionsversicherung vorliege. Unerheblich sei das Ausmaß der Beschäftigung.
[25] Holzmann‑Windhofer (in Holzmann‑Windhofer/Weißenböck, KBGG § 2 FamZeitbG, 282 ff) führt aus, dass die ausgeübte Erwerbstätigkeit eine Pflichtversicherung in der Kranken‑ und Pensionsversicherung auslösen muss, um den Anspruch auf Familienzeitbonus zu begründen. Die Erwerbstätigkeit müsse tatsächlich, also Tag für Tag, entsprechend der geltenden Wochenarbeitszeit und der Festlegung im Arbeitsvertrag, ausgeübt werden. Zwar würden Zeiten des Erholungsurlaubs und der Krankheit bei aufrechtem Dienstverhältnis – jeweils unter der Voraussetzung der Entgeltfortzahlung und des Weiterbestehens der Sozialversicherungspflicht – als Fortsetzung der Ausübung der Erwerbstätigkeit gelten, nicht jedoch zB ein Sonderurlaub gegen Entfall der Bezüge und Sozialversicherungspflicht (KBGG, 142).
[26] Reissner (Der Papamonat aus sozialrechtlicher Sicht – Anwendungsprobleme und künftiger Reformbedarf beim Familienzeitbonus, ASoK 2019, 402) vertritt, dass auch eine Pflichtversicherung in der Kranken‑ und Pensionsversicherung, die aufgrund einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit wegen aus dieser abgelehnter Ansprüche auf Entgeltfortzahlung, Kündigungsentschädigung etc besteht, den Anforderungen des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG genüge. Dies ändere sich erst bei Auslaufen dieser abgeleiteten Ansprüche, etwa bei einem Krankengeldbezug. Der Bezug einer Urlaubsersatzleistung sei inhaltlich gleich zu sehen wie der Bezug von Urlaubsentgelt im Sinn des § 6 UrlG beim Urlaubskonsum im aufrechten Dienstverhältnis und daher als Erwerbstätigkeit zu qualifizieren (ASoK 2019, 414 f).
[27] Rechtsprechung zum Begriff der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit:
[28] Die zu § 24 KBGG ergangene Rechtsprechung kann auch zur Auslegung von § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG herangezogen werden (10 ObS 38/19i SSV‑NF 33/43).
[29] § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG erfordert – ebenso wie § 24 Abs 2 KBGG – die tatsächliche Ausübung einer in Österreich kranken‑ und pensionsversicherungspflichtigen Tätigkeit (RS0128183). Abzustellen ist darauf, ob eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, die der Sozialversicherungspflicht unterlag, sodass aufgrund dieser Tätigkeit Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden mussten. Diese Voraussetzung ist etwa während der Ableistung des Präsenzdienstes nicht erfüllt (10 ObS 57/12y SSV‑NF 26/59, zu § 24 Abs 2 KBGG; 10 ObS 38/19i SSV‑NF 33/43 zu § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG).
[30] In mehreren bereits entschiedenen Konstellationen war nicht von einer „tatsächlichen“ Ausübung einer in Österreich kranken‑ und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit auszugehen:
[31] So fehlt es beim Bezug einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung wie dem Weiterbildungsgeld an einer solchen Erwerbstätigkeit (10 ObS 103/14s, SSV‑NF 28/61). Anders verhält sich dies beim Bezug von Bildungsteilzeitgeld (§ 12 AVRAG, §§ 6 Abs 1 Z 5, 26a AlVG), bei dem es sich zwar auch um eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung handelt, die aber bei aufrecht bestehendem Dienstverhältnis gewährt wird (10 ObS 153/15w SSV‑NF 30/21; ähnlich für Beihilfen nach dem AMSG 10 ObS 89/17m; RS0129814 [T1; T2]).
[32] In den Fällen des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung (10 ObS 164/17s SSV‑NF 32/27) oder einer Kündigungsentschädigung (10 ObS 32/19g SSV‑NF 33/25) wurde die Ausübung einer „tatsächlichen“ Erwerbstätigkeit mit der Begründung verneint, dass das – damals jeweils zunächst vorliegende – Dienstverhältnis bereits beendet war (zu beiden Entscheidungen wie ausgeführt kritisch Reissner, ASoK 2019, 414 f; zustimmend hingegen Blasl, Kündigungsentschädigung: Keine Beschäftigungszeit des § 24 KBGG, ASoK 2019, 385).
[33] Hingegen führt der Bezug von Krankengeld nach Erschöpfung der arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungspflicht auch während eines aufrechten Dienstverhältnisses dazu, dass keine „tatsächliche“ Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Sinn des § 24 Abs 2 Satz 1 KBGG mehr vorliegt (10 ObS 5/14d SSV‑NF 28/8 ua; RS0129362 [T1]). Ebenso fehlt es an einer „tatsächlichen“ Ausübung einer Erwerbstätigkeit im hier zu beurteilenden Sinn dann, wenn die Pflichtversicherung infolge Konsumierung eines unbezahlten Urlaubs wegfällt (10 ObS 25/18a SSV‑NF 32/25).
[34] Zur Auslegung des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG:
[35] Schon nach dem – für die Gesetzesauslegung primär maßgeblichen (§ 6 ABGB; 10 ObS 26/16w, SSV‑NF 30/35 mwH) – Wortlaut des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG muss der Anspruchswerber im Beobachtungszeitraum eine – selbständige oder unselbständige – Erwerbstätigkeit ausgeübt haben, die die Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung begründet.
[36] Daher ist der Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG nicht erfüllt, wenn
- keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (weil zB ein Dienstverhältnis schon beendet ist);
- wenn eine solche Erwerbstätigkeit zwar ausgeübt wird, durch sie aber keine Pflichtversicherung in der Kranken‑ und Pensionsversicherung ausgelöst wird (etwa bei einer bloß geringfügigen Beschäftigung mit Unfallversicherungspflicht: ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 10);
- oder wenn zwar eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, aber der Entgeltanspruch – und damit gemäß § 11 Abs 1 Satz 2 ASVG die Pflichtversicherung – geendet hat (etwa infolge einer Dienstverhinderung durch Krankheit, wenn kein Entgeltfortzahlungsanspruch [mehr] besteht, § 8 AngG, § 1154b ABGB, weitere Fälle nennt Julcher in SV‑Komm [178. Lfg] § 11 ASVG Rz 15; zu dieser Fallgruppe gehört auch der von Holzmann‑Windhofer, KBGG, 142 genannte Fall des Sonderurlaubs gegen Entfall der Bezüge und Sozialversicherungspflicht).
[37] Der Begriff „tatsächlich“ kann mehrere Bedeutungen haben, weil eine Tatsache zB einen wirklichen, einen nachweisbaren, einen bestehenden, einen wahren oder einen anerkannten Sachverhalt beschreiben kann. Es liegt daher ein unbestimmter und damit auslegungsbedürftiger Gesetzesbegriff vor (10 ObS 17/19a SSV‑NF 33/17; 10 ObS 50/19d SSV‑NF 33/68). Die Gesetzesauslegung darf bei der Wortinterpretation nicht stehen bleiben (RS0008788 ua). Der Sinn einer Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf deren Zweck zu erfassen (objektiv‑teleologische Interpretation). Die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe sind selbständig weiter und zu Ende zu denken (vgl RS0008836).
[38] Dass der Begriff „tatsächlich“ in § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG nicht im Sinn einer konkreten Ausübung einer Arbeitsleistung innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit und am vereinbarten Arbeitsort meint, ergibt sich, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, schon aus dem Umstand, dass Zeiten des Erholungsurlaubs und der Krankheit – unter der Voraussetzung, dass die Kranken‑ und Pensionsversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt – nach dem Willen des Gesetzgebers keine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum darstellen (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 16 zu § 24 Abs 2 KBGG).
[39] Weiters stellt das Familienzeitbonusgesetz nicht auf eine bestimmte Erwerbstätigkeit ab, sondern primär darauf, dass sich die anspruchsberechtigten Väter unmittelbar vor der Inanspruchnahme von Familienzeit (§§ 1, 2 Abs 1 Z 3 und Abs 4 FamZeitbG) im Erwerbsleben befanden und für die von ihnen ausgeübte Erwerbstätigkeit Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten waren. Damit unterscheidet sich das Familienzeitbonusgesetz entscheidend etwa von der Schwerarbeit, bei der es nach der Absicht von Gesetz‑ und Verordnungsgeber sehr entscheidend auf die „tatsächliche“ (physische) Ausübung einer Arbeitstätigkeit ankommt, soll diese Schwerarbeit sein (ausführlich zum Fall einer vom Dienst freigestellten Betriebsrätin 10 ObS 117/16b SSV‑NF 30/82).
[40] Die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht wird in der Änderung des § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG durch das BGBl I 2011/139 deutlich: Mit der Betonung, dass eine Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum „tatsächlich“ ausgeübt werden soll, wollte der Gesetzgeber vor allem zum Ausdruck bringen, Missbrauch durch die Ausübung einer bloßen Scheinerwerbstätigkeit in Österreich zu verhindern, wie dies in den oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien zu dieser Änderung ausdrücklich festgehalten wird (ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP 4). Genau diese Absicht des Gesetzgebers drückt sich auch in den von der Revisionswerberin für ihren Standpunkt in Anspruch genommenen Formulierungen aus, dass die Erwerbstätigkeit „tatsächlich (also Tag für Tag) und durchgehend ausgeübt“ und „faktisch an den Tag gelegt“ werden muss (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2 und 10). Diese Wertungen gelten auch für § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG. Eine darüber hinausgehende Bedeutung in dem von der Revisionswerberin gemeinten Sinn, dass nur eine „physische“ Arbeitstätigkeit im Rahmen des Arbeitsvertrags den Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG erfüllen könnte, kommt dem Begriff „tatsächlich“ in dieser Bestimmung aus den dargelegten Gründen nicht zu.
[41] Ergebnis: Für die Verwirklichung des Tatbestands des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG ist es – neben den weiteren in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen – erforderlich, dass im Beobachtungszeitraum der letzten 182 Tage unmittelbar vor Bezugsbeginn erstens eine – selbständige oder unselbständige – Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, und dass zweitens durch diese Erwerbstätigkeit die Pflichtversicherung in der Kranken‑ und Pensionsversicherung begründet wird.
[42] Anwendung auf den konkreten Fall:
[43] Zu Recht bejahten die Vorinstanzen den Anspruch des Klägers auf Familienzeitbonus, weil dieser im Beobachtungszeitraum durchgehend – auch während der Tage des ihm bewilligten Sonderurlaubs – als Vertragsbediensteter sozialversicherungspflichtig unselbständig erwerbstätig war.
[44] Dem Vertragsbediensteten kann gemäß § 47 Abs 1 oö L‑VBG auf sein Ansuchen aus wichtigen persönlichen oder familiären Gründen oder aus einem sonstigen besonderen Anlass ein Sonderurlaub gewährt werden. Für die Zeit des Sonderurlaubs behält der Vertragsbedienstete gemäß § 47 Abs 2 oö L‑VBG den Anspruch auf die vollen Bezüge. Eine, wie die Beklagte geltend macht, gleichheitswidrige „Privilegierung“ des Klägers durch diese Bestimmung liegt nicht vor: Abgesehen davon, dass es wie ausgeführt für die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG nicht auf eine „physische“ Ausübung der Erwerbstätigkeit ankommt, normiert § 47 oö L‑VBG nicht einen „Anspruch“ des Vertragsbediensteten, sondern regelt nur das Recht des Dienstgebers, dem Vertragsbediensteten über dessen Ersuchen einen bezahlten Sonderurlaub zu gewähren (arg: „kann“). Das Recht, einen Dienstnehmer über das Ausmaß des gesetzlichen Erholungsurlaubs gegen Fortzahlung des Entgelts vom Dienst freizustellen, steht auch anderen Dienstgebern offen.
[45] Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
[46] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 ASGG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)