OGH 10ObS66/11w

OGH10ObS66/11w21.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Christoph H*****, vertreten durch Dr. Hannes Pflaum, Dr. Peter Karlberger, Dr. Manfred Wiener, Mag. Wilfried Opetnik und Mag. Petra Rindler, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld (Revisionsinteresse 4.431,65 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. März 2011, GZ 7 Rs 125/10v-11, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Der Kläger bezog als Vater der am 4. 4. 2003 geborenen mj Johanna von der beklagten Partei Kinderbetreuungsgeld vom 1. 1. 2004 bis 31. 10. 2004 in Höhe von 4.431,65 EUR.

Mit Bescheid vom 12. 1. 2010 widerrief die Beklagte die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes und verpflichtete den Kläger zum Ersatz von 4.431,65 EUR mit der Begründung, der nach § 8 KBGG für das Jahr 2004 maßgebliche Gesamtbetrag seiner Einkünfte hätte die (damals geltende) Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR um 257,59 EUR überstiegen.

Das Erstgericht wies das auf Abstandnahme von der Rückforderung gerichtete Klagebegehren ab und verurteilte den Kläger zum Ersatz der zu Unrecht bezogenen 4.431,65 EUR.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung auf:

1.1. Nach § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung gelten für Anspruchsüberprüfungen der Kalenderjahre 2002 bis 2007 nur Fälle einer geringfügigen und zugleich unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze als Härtefälle (siehe § 49 Abs 15 KBGG). Die Ansicht der Vorinstanzen, es liege eine wenngleich geringfügige, aber keine unvorhersehbare Überschreitung der Zuverdienstgrenze vor, weil dem Kläger bei objektiv zumutbarer Sorgfalt möglich gewesen wäre, die Höhe seiner Einkünfte verlässlich zu beurteilen, steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0124751). Da die Vorhersehbarkeit des Überschreitens der Zuverdienstgrenze (auch bei rückwirkender Antragstellung) jeweils nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden kann (RIS-Justiz RS0124751 [T2]), stellt diese Frage keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.

1.2. Dass bei rückwirkender Antragstellung, eine verlässliche Beurteilung der Einkunftshöhe nur bei Vorliegen des Jahreslohnzettels möglich sein sollte (also monatliche Lohnzettel nicht ausreichten), lässt sich aus dem zitierten Erkenntnis des VfGH vom 26. 2. 2009, G 128/08, nicht ableiten.

1.3. Es steht ausdrücklich fest, dass den Mitarbeitern der Beklagten die Höhe der maßgeblichen Einkünfte nicht schon im Zeitpunkt der rückwirkenden Auszahlung bekannt war, sondern sie davon erstmals am 19. 2. 2008 (durch eine elektronische Mitteilung des Bundesrechenzentrums) Kenntnis erlangten.

2. Der Revisionswerber erachtet die mit der Novelle BGBl I 2007/76 geschaffene „Einschleifregelung“ des § 8a KBGG infolge Ungleichbehandlung von Bezugsberechtigten als verfassungswidrig (aus welcher Regelung folgt, dass für Bezugszeiträume vor dem 1. 1. 2008 der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld und/oder Zuschuss in voller Höhe zurückzufordern ist, während bei einem Bezug ab 1. 1. 2008 das Kindergeld bzw der Zuschuss nur in jener Höhe nicht gebührt, der der Überschreitung der Zuverdienstgrenze entspricht - Ehmer ua, Kinderbetreuungsgeldgesetz 149). Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sind aber gerade im Sozialversicherungsbereich Stichtagsregelungen in Anpassung an die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten unvermeidlich, mögen sie auch in Einzelfällen Härten mit sich bringen. Eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung verstößt nicht grundsätzlich gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, weil es im Wesen einer Änderung materiellrechtlicher Bestimmungen liegt, dass Rechtsfälle je nach dem für maßgeblich erklärten zeitlichen Sachverhaltselement unterschiedlich nach der alten oder neuen Rechtslage behandelt werden. Es steht daher auch grundsätzlich in der rechtspolitischen Freiheit des Gesetzgebers, festzulegen, wann eine neue, den Versicherten begünstigende Bestimmung zu gelten hat (RIS-Justiz RS0117654). Einer Rechtfertigung der Wahl des Stichtags bedarf es idR nicht. Es müssen besondere Gründe gegeben sein, warum gerade ein bestimmter Stichtag unsachlich ist (VfGH 24. 2. 2011, V 76/10 mwN; RIS-Justiz RS0117654). Derartige Gründe lagen dem Erkenntnis des VfGH vom 24. 2. 2011, V 76/10, zu Grunde, mit dem die Aufhebung der Wortfolge „und gilt für Geburten nach dem 31. 12. 2001“ in § 4 der KBGG-Härtefälle-Verordnung, BGBl II 2001/405 idF BGBl II 2004/91 erfolgte. Die Aufhebung fand ihren Grund darin, dass angesichts der ansonsten intendierten und verwirklichten Gleichstellung von Karenzgeld und Kinderbetreuungsgeld für Geburten ab 1. 7. 2000 kein sachlicher Grund dafür zu erkennen war, dass die Bezieherinnen von Karenzgeld generell (somit auch für Geburten ab dem 1. 7. 2000) von der Härtefälle-Verordnung ausgeschlossen und einem strengeren Rückforderungsregime unterworfen sein sollten, als Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld.

Im vorliegenden Fall zeigt der Revisionswerber jedoch keinen vergleichbaren Grund für die von ihm behauptete Unsachlichkeit auf, sondern beschränkt sich auf das Vorbringen, aus der fehlenden Anwendbarkeit des § 8a KBGG ergäben sich für ihn Nachteile im Vergleich zu jenen Kinderbetreuungsgeldbezieher/Innen, für die § 8a KBGG schon in Geltung stehe. Allein daraus ist aber eine Gleichheitswidrigkeit des § 8a KBGG nicht ableitbar.

3.1. Der Revisionswerber erachtet es ferner als mit dem Gleichheitssatz unvereinbar, dass die Rückforderung - wie er vorbringt - nur bei zufällig im Rahmen von Stichproben ausgewählten Fällen erfolge. Wie bereits das Berufungsgericht dargelegt hat, erwächst einer Partei nach der Rechtsprechung des VfGH aber kein Recht daraus, dass die Behörde in anderen Fällen Fehlverhalten nicht geahndet hat (hier eine Rückforderung zu Unrecht bezogenen Kinderbetreuungsgeldes unterlassen hat), wäre das Ergebnis doch ein Anspruch auf die Nichtanwendung des Gesetzes trotz gegebener Tatbestandsmäßigkeit (VfGH 30. 9. 1991, B 1361/90, VfSlg 12796; VfGH 25. 9. 2000, B 2405/98, VfSlg 15903).

3.2. Begründet - wie oben in Punkt 3.1. dargelegt - die stichprobenweise Auswahl von Rückforderungsfällen an sich keine Gleichheitswidrigkeit, ist auch das weitere vom Revisionswerber ins Treffen geführte Argument nicht stichhältig, eine Diskriminierung zufolge der stichprobenweise Rückforderung liege darin, dass er ein Mann sei und männliche Kinderbetreuungsgeldbezieher eine Minderheit darstellten. Da er selbst vorbringt, die stichprobenweise Auswahl von Rückforderungsfällen werde ohne Rücksicht auf das Geschlecht der Kinderbetreuungsgeldbezieher/innen vorgenommen, ist diese Argumentation zudem widersprüchlich.

Die außerordentliche Revision ist aus diesen Gründen als unzulässig zurückzuweisen.

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