OGH 10ObS64/15g

OGH10ObS64/15g30.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter (Senat gemäß § 11a ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch lic. iur. Michael Pérez, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 13. April 2015, GZ 8 Rs 34/15a‑49, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 9. September 2014, GZ 16 Cgs 29/14t‑35, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00064.15G.0630.000

 

Spruch:

Dem Rekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 186,84 EUR (darin 31,14 EUR USt) an Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Das das Klagebegehren auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1. Juli 2013 abweisende Urteil des Erstgerichts vom 9. September 2014 wurde dem Kläger am 1. Oktober 2014 zugestellt. Am 26. Oktober 2014 gab der Kläger ein von ihm selbst unterschriebenes Schreiben zur Post, in dem er erklärte, gegen das Urteil Berufung zu erheben und die Gewährung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang zu beantragen.

Das Erstgericht stellte dem Kläger das Schreiben unter Anschluss des Formulars ZPForm 1 (Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Vermögensbekenntnis) zur Verbesserung binnen zwei Wochen zurück. Es wies darauf hin, dass die Berufung von einem Rechtsanwalt oder einem sachkundigen Vertreter entsprechend der Rechtsmittelbelehrung unterschrieben sein müsse oder unter Anschluss des ausgefüllten Vermögensbekenntnisses die Bewilligung der Verfahrenshilfe mit kostenloser Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt werden könne. Bei nicht rechtzeitiger Verbesserung werde das Rechtsmittel zurückgewiesen werden. Der Verbesserungsauftrag wurde dem Kläger am 31. Oktober 2014 zugestellt.

Am 18. November 2014 langte beim Erstgericht ein am 17. November 2014 zur Post gegebenes ausgefülltes Formular ZPForm 1 ein. Daraufhin forderte das Erstgericht den Kläger auf, binnen 14 Tagen verschiedene Nachweise zu den Angaben im Vermögensbekenntnis vorzulegen. Belege wurden vom Kläger mit einem am 28. November 2014 zur Post gegebenen Schreiben vorgelegt, worauf das Erstgericht mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 die Verfahrenshilfe in vollem Umfang bewilligte.

Der mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 14. Jänner 2015 bestellte Verfahrenshelfer, dem das Urteil des Erstgerichts am 20. Jänner 2015 zugestellt worden war, brachte am 17. Februar 2015 im Elektronischen Rechtsverkehr die verbesserte Berufung ein.

Das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück. Der Kläger hätte den Verfahrenshilfeantrag bis zum Ende der vom Erstgericht gesetzten zweiwöchigen Verbesserungsfrist (14. November 2014) vorlegen müssen. Da die Verbesserung erst am 17. November 2014 zur Post gegeben worden sei, sei das Urteil infolge Ablaufs der Rechtsmittelfrist in Rechtskraft erwachsen, woran auch die vom Erstgericht später bewilligte Verfahrenshilfe nichts ändere.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, den Beschluss des Berufungsgerichts ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht die Fortsetzung des Berufungsverfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Die beklagte Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist jedenfalls zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO); er ist jedoch nicht berechtigt.

Die klagende Partei weist in ihrem Rekurs auf die Rechtsprechung hin, nach der ein Schriftsatz nicht mehr wegen Verspätung zurückgewiesen werden darf, wenn eine weitere (auch gesetzwidrig erteilte) Verbesserungsfrist eingehalten wird.

Diese Ansicht entspricht zwar der älteren Rechtsprechung, nicht aber der aktuellen.

1. War bei Überreichung eines Schriftsatzes eine Frist einzuhalten, ist im Fall eines Verbesserungsauftrags zwingend eine ‑ im richterlichen Ermessen gelegene ‑ Verbesserungsfrist zu setzen (§ 84 Abs 3 Satz 1 ZPO). Bleibt der Verbesserungsauftrag innerhalb der gesetzten Frist erfolglos, ist der Schriftsatz bei Formmängeln zurückzuweisen (6 Ob 255/03y mwN; 4 Ob 206/12s; Kodek in Fasching/Konecny 2 §§ 84, 85 ZPO Rz 223).

2. Nach der älteren Rechtsprechung darf ein Schriftsatz dann nicht mehr wegen Verspätung zurückgewiesen werden, wenn eine ‑ wenn auch gesetzwidrig erteilte ‑ weitere Frist eingehalten wurde (1 Ob 255/67 = SZ 41/18; 10 ObS 93/91 = SSV‑NF 5/67; 3 Ob 160/01b; RIS‑Justiz RS0036251; Kodek in Fasching/Konecny 2 §§ 84, 85 ZPO Rz 260 mit gewisser Kritik und vorsichtiger Ablehnung entgegenstehender Argumente in Rz 293 f).

3. Diese Rechtsprechung wurde zuletzt nicht mehr aufrecht erhalten.

3.1. In der Entscheidung 3 Ob 106/09y trug der Oberste Gerichtshof der Kritik von Gitschthaler (siehe nun Gitschthaler in Rechberger, ZPO4 §§ 84‑85 Rz 21/2) Rechnung und wies ‑ obiter ‑ darauf hin, dass die unter 2. zitierte Rechtsprechung nur mit Gründen des Vertrauensschutzes gerechtfertigt werden könne; sie sei nicht unproblematisch, weil jedenfalls dann, wenn die Verlängerung erst nach bereits eingetretenem Ablauf der Verbesserungsfrist bewilligt worden sei, in die Rechtskraft der Entscheidung und damit auch in die Rechtsstellung des Rechtsmittelgegners nachteilig eingegriffen werde (RIS‑Justiz RS0036251 [T10]).

In der Entscheidung 3 Ob 106/09y war allerdings die Verbesserungsfrist nicht erstreckt worden, weshalb der Revisionsrekurs jedenfalls verspätet war.

3.2. Der Entscheidung 8 Ob 113/10s (= SZ 2010/148 = RIS‑Justiz RS0036251 [T11]; RIS-Justiz RS0126392) lag ein Verbesserungsauftrag mit einer Verbesserungsfrist von 14 Tagen zugrunde; am letzten Tag der Frist wurde ein Antrag auf Fristerstreckung gestellt, der nach Fristablauf ‑ gesetzwidrig ‑ bewilligt wurde. Nach dem Obersten Gerichtshof ist bei dieser Sachlage der erst während der weiteren Verbesserungsfrist verbesserte Revisionsrekurs als verspätet zurückzuweisen; die Bedachtnahme auf eine gesetzwidrige Fristverlängerung wäre nur dann aus Gründen des Vertrauensschutzes zu billigen, wenn sie noch vor Ablauf der ursprünglichen Frist erfolgte.

Dieser Entscheidung ist Gitschthaler (in Rechberger , ZPO 4 §§ 84‑85 Rz 21/2) insoweit entgegengetreten, als die Unerstreckbarkeit der Verbesserungsfrist und der Umstand außer Acht gelassen werden, dass innert der maßgeblich (ersten) Frist eine Verbesserung nicht erfolgte und somit (unter Umständen) Rechtskraft eingetreten sei.

3.3. Die Entscheidung 4 Ob 206/12s bekräftigt, dass bei einem unzulässigen Antrag auf Fristverlängerung der Fristablauf weder unterbrochen noch gehemmt wird (RIS‑Justiz RS0124824 [T3], RS0126392 [T1]).

4. Zwar beziehen sich die genannten Entscheidungen auf die (unzulässige) Erstreckung der Verbesserungsfrist; die dahinter stehende Wertung muss aber auch auf einen Fall wie den vorliegenden übertragen werden.

4.1. Wenn sogar ein vor Fristablauf gestellter, aber erst nach Fristablauf positiv erledigter Antrag auf Fristverlängerung den Eintritt der Rechtskraft nicht zu verhindern vermag, muss dies erst recht für den Fall gelten, dass innerhalb der Frist kein Erstreckungsantrag gestellt wird, sondern das Gericht selbst eine weitere Verbesserungsfrist setzt.

4.2. Die von Jakusch (in Angst 2 § 58 EO Rz 3) dafür, dass eine gesetzwidrig bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als wirksam zu betrachten sei, vertretene Ansicht wird darauf gestützt, dass eine die Rechtskraft durchbrechende Entscheidung vorliegt, die zu akzeptieren ist, solange sie nicht im Rechtsmittelweg beseitigt wird.

An einer solchen die Rechtskraft wiederum beseitigenden, anfechtbaren Entscheidung fehlt es im vorliegenden Fall.

5. Insgesamt ist somit der jüngeren Rechtsprechung zu folgen, wonach die nach Ablauf einer (unerstreckbaren) Verbesserungsfrist erfolgte Verbesserung auch dann nichts mehr an der eingetretenen Rechtskraft ändert, wenn das Gericht unrichtigerweise erneut eine Verbesserungsfrist setzt.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) abhängt, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Kläger angesichts seiner angespannten Einkommensverhältnisse den Ersatz der Hälfte der Rekurskosten zuzusprechen (RIS‑Justiz RS0085871). Diesem Kostenzuspruch steht der Umstand, dass der Kläger Verfahrenshilfe genießt, nicht entgegen (RIS‑Justiz RS0126140).

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