European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00057.16D.0607.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Die 1943 geborene Klägerin stellte am 11. 6. 2013 bei der nunmehr beklagten Gebietskankenkasse den Antrag auf Kostenübernahme einer Krankenbehandlung an der in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Umwelt‑Spezialklinik Neukirchen. Sie brachte vor, sie leide unter zahlreichen Krankheitsbildern, die auf eine Bleivergiftung zurückzuführen seien.
Mit Bescheid vom 26. 6. 2013 wurde dieser Antrag im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass erfolgsversprechende Behandlungsmöglichkeiten auch in Österreich in einem angemessenen Zeitraum zur Verfügung stehen. Eine Diagnoseerhebung oder Krankenbehandlung im Ausland sei weder notwendig noch zweckmäßig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren auf Übernahme der Kosten einer umfassenden Abklärung des Gesundheitszustands der Klägerin an der in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Umwelt‑Spezialklinik Neukirchen. Die Klägerin brachte im Wesentlichen vor, die Frage, ob bei ihr infolge der Verwendung eines Bleiwasserrohrs eine Bleivergiftung oder lediglich eine erhöhte Bleibelastung bestehe, habe im Vorverfahren 35 Cgs 85/11w des Landesgerichts Klagenfurt nicht zufriedenstellend geklärt werden können. Die vom Gerichtssachverständigen aufgezählten Möglichkeiten, eine Bleivergiftung festzustellen, seien nicht ausgeschöpft worden. Die von der beklagten Gebietskrankenkasse genannten medizinischen Einrichtungen in Österreich habe sie schon erfolglos kontaktiert. Zum Unterschied von den österreichischen Krankenanstalten bestünden in der Umwelt-Spezialklinik umfangreichere Möglichkeiten für eine Diagnoseerstellung und auch für zweckentsprechende (alternative) Therapien.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es traf umfangreiche Feststellungen, aus denen Folgende hervorzuheben sind:
„Die Klägerin leidet unter zahlreichen unterschiedlichen Krankheitsbildern. Unter anderem wurde bei ihr eine arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz, ein Zustand nach Myokardinfarkt, eine Mitra/Insuffizienz Grad 2, eine Angststörung mit Panikattacken, ein Zustand nach Gastritis, nach Niereninsuffizienz und nach transitorisch ischämischen Attacken etc diagnostiziert. Zur Abklärung ihrer zahlreichen Gesundheitsbeschwerden hat die Klägerin sämtliche diagnostischen Möglichkeiten der Medizin in Österreich vielfältig genutzt, wie zB internistische, psychiatrische, neurologische, radiologische und laborchemische Untersuchungen. Die von ihr bereits in Anspruch genommenen Einrichtungen der Vertragspartner der beklagten Partei in Österreich stehen ihr weiterhin frei zur Verfügung. In Österreich bestehen auch viele medizinische Einrichtungen, die für die Diagnose und Behandlung einer akuten oder chronischen Bleivergiftung geeignet sind. Für die Gesundheitsbeschwerden der Klägerin ist das von ihr über 30 Jahre lang täglich zu sich genommene Leitungswasser mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht verantwortlich. Bei der Klägerin ist zwar von einer Umweltbelastung mit Blei auszugehen. Auch bei allen gesunden Personen besteht jedoch ein 'Hintergrundbelastungswert' mit Blei, der im Referenzbereich für beruflich nicht exponierte Personen liegt. Zwischen dem Referenzbereich für beruflich nicht exponierte Personen und toxischen Dosen besteht ein breiter Sicherheitsfaktor. Eine Intoxikation ist objektiv durch klinische Parameter und Auffälligkeiten, die eine Vergiftung nachweisen, feststellbar. Bei der Klägerin konnten in der Vergangenheit nie erhöhte Bleispiegel im Blut oder im Harn oder eine Hemmung der hämoglobinbildenden Enzyme festgestellt bzw gemessen werden. Es ist auch keines der bei der Klägerin aufgetretenen Krankheitsbilder für eine Bleiintoxikation typisch. Selbst bei Bleiwerten von über 500 Mikrogramm pro Liter Blei im Blut (bei berufsbedingter Bleibelastung) wären diese Krankheitsbilder nicht durch die Bleiwerte verursacht worden. Bei der Klägerin fehlt die Indikation für jegliche Therapien zur Bleiausleitung.
Bei der Spezialklinik Neukirchen in der Bundesrepublik Deutschland handelt es sich um eine Akutklinik zur Behandlung von Allergien, Haut‑ und Umwelterkrankungen. Es werden in eigenen Labors umweltanalytische Tests, mikrobiologische Diagnostik der Haut und der Darmflora, Untersuchungen der Nahrungs- und Inhalationsallergene, Auswertungen der zellulären Immunfunktion, Stoffwechsel‑ und neurohormonelle Tests vorgenommen. Auf der Basis dieser Untersuchungsergebnisse werden individuell abgestimmte Therapiemaßnahmen durchgeführt.
Auch im Bereich der Ganzheits‑(Alternativ‑/Umwelt‑)medizin bestehen in Österreich viele Behandlungsmöglichkeiten und Angebote alternativer Heilmethoden. Für Alternativmethoden gibt es keine wissenschaftliche Prüfung. Es ist davon auszugehen, dass die bei der Klägerin jahrelang angewendeten alternativmedizinischen Methoden zu keinen zufriedenstellenden Ergebnissen geführt haben.“
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Rechtlich billigte es die Ansicht des Erstgerichts, die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme im Ausland lägen nicht vor, weil eine entsprechende Diagnoseerstellung und Behandlung jederzeit in den in Österreich gelegenen Gesundheitseinrichtungen möglich sei. Ein behandlungsbedürftiger Zustand im Zusammenhang mit einer Bleiintoxikation, der im Rahmen einer ausreichenden und zweckmäßigen Krankenbehandlung diagnostiziert und behandelt werden müsste, liege ebenfalls nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1.1 Nach Art 20 Abs 1 VO (EG) 883/2004 muss, soweit die Verordnung nichts anderes bestimmt, ein Versicherter, der sich zur Inanspruchnahme von Sachleistungen in einen anderen Mitgliedstaat begibt, die Genehmigung des zuständigen Trägers einholen. Ein Versicherter, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, erhält Sachleistungen, die vom Träger des Aufenthalts‑ oder Wohnorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob er nach diesen Rechtsvorschriften versichert wäre. Die erforderliche Genehmigung darf gemäß Art 20 Abs 2 VO (EG) 883/2004 nicht verweigert werden, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitzustands und des voraussichtlichen Verlaufs ihrer Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann.
1.2 Art 20 Abs 2 der VO (EG) 883/2004 begründet (ähnlich wie zuvor Art 22 Abs 1 lit c VO [EWG] 1408/71) somit für den Versicherten einen Anspruch auf jene Sachleistung, die der Versicherungsträger des Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt (sogenannte aushelfende Sachleistungserbringung).
1.3 Voraussetzung für ein Recht auf grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen zu Lasten der eigenen Versicherung ist stets, dass die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Leistungen nach dem nationalen Recht der Sozialen Sicherheit vorliegt. Es soll allein Sache der Mitgliedstaaten sein, den Umfang des Krankenversicherungsschutzes für die Versicherten zu bestimmen. Diese Voraussetzung ist sachgemäß, weil das soziale Sicherungsniveau der einzelnen Unionsbürger jeweils vom sozialen Sicherungssystem abhängt, in dem sie Mitglied sind. Dieses Sicherungsniveau soll nicht dadurch erhöht werden können, dass die Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat beschafft werden (10 ObS 26/14t, SSV‑NF 28/23).
2.1 Auch für Auslandsbehandlungen gilt der Maßstab des § 133 Abs 2 ASVG. Auch die Auslandsbehandlung muss daher ausreichend und zweckmäßig sein, darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (10 ObS 179/12i, SSV‑NF 27/42). Voraussetzung für eine Kostenübernahme für eine Krankenbehandlung im Ausland ist immer, dass eine ausreichende und zweckmäßige Behandlung im Inland nicht oder in Anbetracht des Gesundheitszustands und voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit nicht in medizinisch vertretbarer Zeit gewährt werden kann.
2.2 Diese Voraussetzungen sind im zu beurteilenden Fall nach den – für den Obersten Gerichtshof bindenden – Tatsachenfeststellungen nicht gegeben, da zur Abklärung des Gesundheitszustands der Klägerin im Hinblick auf deren unterschiedliche gesundheitlichen Beschwerden in Österreich zahlreiche diagnostische Einrichtungen bzw Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die von der Klägerin in der Vergangenheit auch bereits vielfältig genutzt wurden und ihr weiterhin zur Verfügung stehen. Solange der Krankenversicherungsträger im Inland eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stellt, hat er seiner Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen und besteht kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls aufwendigeren Therapie im Ausland (RIS‑Justiz RS0106772). Ein Rechtsanspruch auf die jeweils weltbeste medizinische Versorgung besteht nicht (RIS‑Justiz RS0073059).
3. Der festgestellte Sachverhalt ist eindeutig so zu verstehen, dass lediglich die von der Klägerin bisher in Anspruch genommenen alternativmedizinischen Behandlungen offenbar ohne zufriedenstellenden Erfolg geblieben sind. Das Revisionsvorbringen, sämtliche (auch schulmedizinische) in Österreich vorhandene Diagnosemethoden wären „erfolglos“ geblieben bzw hätten nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen geführt (weshalb eine Diagnoseerstellung im Ausland notwendig sei), entfernt sich somit vom festgestellten Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0043312).
4. Auch was die Kostenübernahme im Hinblick auf die von der Klägerin weiterhin behauptete (aber nicht feststellbare) Bleivergiftung betrifft, weicht die Rechtsansicht der Vorinstanzen von der bisherigen Rechtsprechung zur Notwendigkeit einer Krankenbehandlung im Ausland nicht ab, zumal feststeht, dass es in Österreich viele medizinische Einrichtungen gibt, die für die Diagnose (und Behandlung) von Bleivergiftungen geeignet sind.
5. Den weiteren Revisionsausführungen ist noch entgegenzuhalten, dass dann, wenn der Versicherte aufgrund störender Symptome nach seinem subjektiven Empfinden das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung äußert, es dem Arzt obliegt, festzustellen, wann eine Störung ein solches Ausmaß erreicht hat, dass Behandlungsbedürftigkeit medizinisch geboten ist (10 ObS 99/08v, SSV‑NF 23/2 mwN; Felten/Mosler, SV‑Komm, [23. Lfg] § 133 ASVG Rz 27). Diese liegt vor, wenn der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern. Die Notwendigkeit der
Krankenbehandlung ist dabei stets losgelöst vom Erfolg bzw Nichterfolg der tatsächlichen
Krankenbehandlung ex ante zu beurteilen (10 ObS 99/08v, SSV‑NF 23/2 mwN; RIS‑Justiz RS0117777 [T1 und T2]). Auch mit diesen Grundsätzen steht die Beurteilung der Vorinstanzen im Einklang, eine Diagnose eines Zustands im Zusammenhang mit einer Bleiintoxikation, der im Rahmen einer ausreichenden und zweckmäßigen Krankenbehandlung behandelt werden müsste bzw aus der Sicht des Arztes ärztliches Tätigwerden in Form von Diagnose und Therapie erforderlich machen würde, liege bei der Klägerin nicht vor.
6. Letztlich gelingt es der Klägerin auch nicht mit dem Vorbringen, sie sei in Österreich von zahlreichen Krankenhäusern und Ärzten abgewiesen bzw weiterverwiesen worden, eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung bzw eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen; dies trifft auch auf die Hinweise auf Feststellungen aus anderen Gerichtsverfahren zu.
7. Das Berufungsgericht hat den in der Berufung geltend gemachten erstinstanzlichen Verfahrensmangel, der darin liegen soll, dass zusätzlich zum arbeitsmedizinisch- internistischen Sachverständigengutachten kein Sachverständigengutachten aus dem Gebiet der Umweltmedizin eingeholt wurde, verneint. Ein bereits verneinter erstinstanzlicher Verfahrensmangel kann in der Revision nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963).
Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
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