OGH 10ObS53/15i

OGH10ObS53/15i30.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Mag. Johann Juster, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. März 2015, GZ 10 Rs 13/15b‑47, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00053.15I.0630.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der Kläger ist seit 1982 gelernter Landmaschinenmechaniker. Im Jahr 2000 schloss er eine Ausbildung zum Werkmeister für Maschinenbau ab. Dabei handelt es sich um eine theoretische Fachausbildung für Personen mit abgeschlossener Lehrausbildung, die zur Lehrlingsausbildung berechtigt. Sie ersetzt die Fachprüfung der Berufsreifeprüfung und die Meister‑ oder Befähigungsprüfung.

Aufgrund seines eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls ist der Kläger nicht mehr in der Lage, als Landmaschinenmechaniker in Werkstätten oder als Betriebsschlosser zu arbeiten, er kann aber unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch Tätigkeiten als Werkmeister für Maschinenbau im administrativen, planenden und leitenden Bereich ausüben. Weiters ist ihm eine Tätigkeit als Qualitätsprüfer in der Elektro‑ oder Elektronikindustrie und in der Metallverarbeitung (Kleinteile) zumutbar. Mindestanforderung für den Beruf des Qualitätsprüfers ist eine Lehrausbildung in einem Metall‑, Elektro‑ oder Elektronikberuf; darüber hinaus sind technisches Verständnis, Reaktionsfähigkeit auf Innovationen, Flexibilität, Management‑ und Kommunikationsfähigkeit wichtig. Im Beruf des Qualitätsprüfers kann der Kläger seine Kenntnisse in der Metallbearbeitung und hinsichtlich administrativer Tätigkeiten (Führen von Aufzeichnungen, Messprotokollen, Verhandlungen mit Vorgesetzten und der Erzeugerabteilung) verwerten aber auch seine Kenntnisse und Fähigkeiten beim Lesen von Plänen und sein Verständnis für technische Zusammenhänge einsetzen.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Invaliditätspension gerichtete Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

1. Nach § 255 Abs 1 ASVG gilt ein Versicherter als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Bei einem Versicherten, der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in mehreren erlernten Berufen tätig war, liegt daher nach ständiger Rechtsprechung Invalidität nur dann vor, wenn seine Arbeitsfähigkeit nicht nur im zuletzt ausgeübten, sondern in jedem dieser Berufe auf weniger als die Hälfte der eines gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist (RIS‑Justiz RS0084523 [T5]). Genießt ein Versicherter mehrfachen Berufsschutz, verfügt er über vielfältigere Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten als ein nur in einem Beruf tätig gewesener. Er darf daher in alle Berufssparten verwiesen werden, auf die sich sein Berufsschutz erstreckt (10 ObS 168/91, SSV‑NF 5/65).

Die Prüfung der Verweisbarkeit eines Versicherten hat von den bei ihm tatsächlich vorhandenen bzw von den von ihm im Rahmen einer zumutbaren Nachschulung zusätzlich erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten auszugehen. Einem Versicherten mit höherem Ausbildungsstand steht daher ein Verweisungsfeld offen, das einem Versicherten mit geringerer beruflicher Ausbildung möglicherweise erst nach Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zugänglich ist (10 ObS 15/01f, SSV‑NF 15/31).

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, bei der Beurteilung der Verweisbarkeit des Klägers seien nicht nur die von ihm im Lehrberuf als Landmaschinenmechaniker erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sondern auch die von ihm im Rahmen seiner beruflichen Weiterbildung zum Werkmeister für Maschinenbau erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten heranzuziehen, steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang (vgl 10 ObS 2312/96i, 10 ObS 174/88, SSV‑NF 2/72 ua).

2. Nach den im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen hatte der Kläger bereits im Alter von 13 Jahren eine Quetschverletzung der rechten Hand erlitten, als deren Folge eine konzentrische Bewegungseinschränkung im rechten Handgelenk und eine eingeschränkte Langfingerbeweglichkeit verblieben ist. Ob seine letzte berufliche Tätigkeit im Hinblick auf eine wegen der Behinderung zur Auszahlung gelangte öffentliche Förderung und die behinderungsbedingte besondere Gestaltung des Arbeitsplatzes nicht den allgemeinen Bedingungen am Arbeitsmarkt entsprach oder (doch) berufsschutzerhaltend war, kann dahingestellt bleiben. Wie bereits oben ausgeführt ist der Kläger nämlich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf die Tätigkeiten eines Werkmeisters für Maschinenbau und eines Qualitätsprüfers verweisbar.

3. Auch mit seinen Ausführungen zu § 255 Abs 7 ASVG zeigt der Revisionswerber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf:

Nach dieser Bestimmung gilt ein Versicherter als invalid iSd des § 255 Abs 1 bis 4 ASVG auch dann, wenn er bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, dennoch aber mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hat. Die Rechtsansicht, der Vorinstanzen, auch § 255 Abs 7 ASVG komme auf den Kläger nicht zur Anwendung, weil er trotz seiner Behinderung noch in der Lage sei, ohne besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers eine Verweisungstätigkeit im Rahmen seines erlernten Berufs auszuüben, ist zutreffend.

Auch der Pensionsanspruch nach § 255 Abs 7 ASVG setzt nämlich voraus, dass der Versicherte auch am Stichtag weiterhin unter den Bedingungen des Arbeitsmarktes objektiv betrachtet nicht einsetzbar ist (vgl Neumayr , Zumutbare Beschäftigung im Arbeitslosen‑ und Pensionsversicherungsrecht, DRdA 2005, 471 [486]).

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