Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit 1993 bei einem Unternehmen mit Sitz in Wien als Servicemechaniker beschäftigt und dabei für die Bundesländer Steiermark und Kärnten zuständig. Dieses Unternehmen besitzt keine Niederlassungen in den Bundesländern. Da dem Kläger auch am Sitz des Unternehmens in Wien kein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, richtete er sich im ersten Stock seiner ca 110 m2 großen Maisonettewohnung, die er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin bewohnt, ein ca 12 m2 großes Büro ein. Er erhält dort von seiner Arbeitgeberin telefonisch seine Einsatzaufträge betreffend die Wartung, Reparatur und Schulung an Blutanalyseautomaten. Der Kläger ist überwiegend im Außendienst tätig und übt ca 80 bis 90 % seiner Arbeitstätigkeit außerhalb seines Wohnbereiches aus.
Das Erdgeschoß der Wohnung des Klägers mit einer Wohnfläche von ca 55 m2 besteht aus Küche, Wohnzimmer, Vorraum und einem kleinen Bad mit WC. Im gleich großen Obergeschoß befinden sich zwei Schlafzimmer, wovon eines als Gästezimmer verwendet wird, ein großes Bad mit WC und das Büro. Verbunden werden die Räumlichkeiten des Obergeschoßes und des Erdgeschoßes durch eine Treppe. Der Kläger benützt diese Treppe sicher zu mehr als 50 % dazu, um vom Erdgeschoß in das Büro bzw vom Büro in das Erdgeschoß zu gelangen. Im geringeren Ausmaß verwendet er die Treppe für private Zwecke, um die übrigen im ersten Stock gelegenen Räume zu erreichen.
Am 4. 4. 2000 wurde ein Arbeitskollege des Klägers von einem Kunden wegen eines technischen Problems angerufen. Da der Arbeitskollege des Klägers gerade bei einem anderen Kunden beschäftigt war, ersuchte er den Kläger telefonisch, die Mängelbehebung für ihn zu übernehmen. Der Kläger erklärte sich damit einverstanden und versuchte zunächst von seinem Büro aus, das beim Kunden aufgetretene Problem telefonisch zu lösen. Da dies jedoch nicht möglich und sein persönliches Erscheinen notwendig war, begab er sich über die die beiden Geschoße verbindende Holztreppe in das Erdgeschoß, weil er sofort zum Kunden fahren wollte. Der Kläger, der an den Füßen noch Schlapfen trug und in der einen Hand einen Laptop sowie in der anderen Hand eine Aktentasche trug, verlor auf der Treppe das Gleichgewicht, konnte sich aber mangels freier Hände nicht am Geländer abstützen. Er versuchte noch die letzten Stufen hinunterzuspringen, um nicht auf der Stiege zu stürzen und schlug schließlich mit der linken Ferse auf einer der letzten Stufenkanten auf.
Der Kläger erlitt dabei einen Bruch des linken Fersenbeines. Der unfallbedingte Krankenstand dauerte bis 6. 8. 2000. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt seit 7. 8. 2000 10 vH.
Mit Bescheid vom 5. 9. 2000 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls des Klägers vom 4. 4. 2000 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen ab.
Das Erstgericht stellte ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt gegenüber der Beklagten das Unfallereignis vom 4. 4. 2000 als Arbeitsunfall fest und wies das auf Gewährung einer Versehrtenrente gerichtete Mehrbegehren ab.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass der Ausgangspunkt bzw Endpunkt des Weges für Wegunfälle nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG zur bzw von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte nicht genannt werde. Grundsätzlich könne der Versicherungsschutz dann, wenn sich in einem Haus Wohnung und betrieblich genützte Räume in verschiedenen Geschoßen befinden, nicht einsetzen, bevor die betrieblich genutzten Räume betreten werden. Gemischt genützte Räume zählten nur dann zu den Betriebsräumlichkeiten, wenn sie im wesentlichen Umfang auch für betriebliche Zwecke genutzt werden. Da die Erdgeschoß und Obergeschoß verbindende Treppe in der Wohnung des Klägers zu mehr als 50 % betrieblich genutzt werde, nämlich um in das Büro oder vom Büro in das Erdgeschoß zu gelangen, stelle der Sturz des Klägers auf dieser Treppe einen Arbeitsunfall dar. Mangels Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenbegründenden Ausmaß von 20 vH bestehe aber kein Anspruch auf Versehrtenrente.
Das Berufungsgericht gab der gegen die Stattgebung des Feststellungsbegehrens gerichteten Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das Ersturteil insoweit mit der Maßgabe, dass gegenüber der beklagten Partei festgestellt werde, dass der Bruch des linken Fersenbeines des Klägers Folge des Arbeitsunfalles vom 4. 4. 2000 sei. Das Berufungsgericht erachtete die Feststellung des Erstgerichtes, dass die Treppe in der Wohnung des Klägers zu mehr als 50 % dazu verwendet werde, um in das Büro oder vom Büro in das Erdgeschoß zu gelangen, und sie nur im geringeren Umfang privat genutzt werde, um die übrigen Räume zu erreichen, für unbedenklich.
In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht im Wesentlichen aus, dass die Rechtsprechung zum nicht geschützten Arbeitsweg innerhalb eines gemischt genützten Hauses oder einer eben solchen Wohnung, die den Unfallversicherungsschutz erst mit dem Betreten der Arbeitsräume oder des wesentlich betrieblichen Zwecken dienenden Teils des Gebäudes (Treppe) beginnen lasse, jeweils die Grenzziehung zur privaten Sphäre vor Augen habe. Im Anlassfall habe der Kläger nicht beabsichtigt, seine Arbeitstätigkeit aufzunehmen, sondern es sei diese Tätigkeit mit dem vom Kläger mit dem Kunden geführten Telefonat bereits begonnen worden. Der nachfolgende Weg des Klägers vom Büro über die überwiegend zum Erreichen des Büros genutzte Treppe mit Laptop - also auch bei Beförderung des Arbeitsgerätes - und Aktentasche erscheine einem vernünftigen Menschen im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Telefongespräch als Ausübung der Außendiensttätigkeit des Klägers und sei von ihm auch in dieser Intention gesetzt worden. Dass er der Meinung gewesen sei, damit den Interessen seiner Arbeitgeberin zu dienen, verstehe sich von selbst. Das Berufungsgericht gehe daher anders als das Erstgericht nicht nur von einem geschützten Wegunfall auf einer überwiegend auch betrieblichen Zwecken dienenden Treppe mit der Absicht, eine Arbeitstätigkeit auszuüben, aus, sondern von einem Unfall nach Aufnahme der geschützten Erwerbstätigkeit und bei Beförderung des Arbeitsgerätes (§ 175 Abs 2 Z 5 ASVG), zumal das Tragen des Laptops und der Aktentasche den Kläger auch gehindert habe, sich am Treppengeländer festzuhalten.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die beklagte Partei macht in ihren Revisionsausführungen geltend, der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung SSV-NF 12/24 darauf hingewiesen, dass zwischen einem Wegunfall nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG und einem Arbeitsunfall nach § 175 Abs 1 ASVG zu unterscheiden sei. Der Versicherungsschutz für den betrieblich bedingten Weg des Klägers habe nicht bereits in der Wohnung, sondern erst an der Außenfront des Wohnhauses begonnen. Der vom Kläger innerhalb des Hauses zurückgelegte Weg sei noch kein betrieblicher Weg im Sinn des § 175 Abs 1 ASVG, weil Tätigkeiten wie das Anziehen, Herrichten und Mitnehmen der Aktentasche und des Laptops udgl zu den gewöhnlichen Vorbereitungshandlungen von versicherten Dienstnehmern vor bzw im Zuge des Antritts des Arbeitsweges gehörten. Ein Unfall innerhalb des Hauses (zB im Treppenhaus oder auf der Kellertreppe) rechne noch zum häuslichen Bereich und sei insbesondere deshalb nicht versichert, weil der häusliche Bereich im Allgemeinen dem Versicherten besser als anderen Personen bekannt sei und damit für ihn eine Gefahrenquelle darstelle, für die er selbst verantwortlich sei. Da im Falle des Sturzes des Klägers von der Wohnungstreppe die betrieblichen Momente keinesfalls (wesentlich) stärker in den Vordergrund treten als bei einem sonstigen Antritt des Arbeitsweges, beginne der Versicherungsschutz erst an der Außenfront des Hauses und es liege somit kein Arbeitsunfall vor.
Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:
Nach § 175 Abs 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Arbeitsunfälle sind gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG auch Unfälle, die sich auf einem mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeitsstätte ereignen.
Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung beginnt bzw endet der Versicherungsschutz für Wegunfälle gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG an der Außenfront des Wohnhauses, also in der Regel an dem ins Freie führenden Haustor oder Garagentor (SSV-NF 12/24, 3/148, 2/17 mwN; RIS-Justiz RS0084826; Tomandl, SV-System 13. ErgLfg 296; vgl dazu auch die weiteren Judikatur- und Literaturnachweise bei M. Ritzberger-Moser in ihrer Anmerkung zu DRdA 1996/20, 236; in diesem Sinne auch die von der beklagten Partei für ihre Rechtsansicht zitierte Literaturstelle Podzun, Der Unfallsachbearbeiter 070/3 ff sowie die Entscheidung des deutschen Bundessozialgerichtes BSGE 2/41, 239 ff). Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, sind die innerhalb des Wohnhauses zurückgelegten Wege des Versicherten schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht als Weg "zur oder von der Arbeitsstätte" anzusehen (§ 175 Abs 2 Z 1 ASVG). Der Versicherte ist innerhalb des Wohnhauses auch nicht den für einen Arbeitsweg typischen Gefahren ausgesetzt, gegen die er in der Unfallversicherung geschützt werden soll, sondern es gehen die Gefahren auf die Umstände des Privatbereichs zurück, die dem Versicherungsschutz im Allgemeinen nicht unterliegen (SSV-NF 12/24, 10/47, 6/144, 5/75 ua; RIS-Justiz RS0084866).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der beklagten Partei darin zu folgen, dass ein Wegunfall des Klägers im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG nicht vorliegt (vgl auch jüngst 10 ObS 275/01s).
Diese für Unfälle auf einem Weg zu einer außerhalb des Wohnhauses gelegenen Arbeitsstätte (Wegunfall im Sinn des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG) entwickelten Grundsätze können aber auf den Weg des Klägers deshalb nicht unmittelbar angewendet werden, weil sich Arbeitsstätte und Wohnbereich im selben Gebäude befinden (SSV-NF 2/2 = ZAS 1989/2 [Gitter]; Resch, Der praktische Fall: Zum Unfallversicherungsschutz eines selbständigen Künstlers, DRdA 1993, 502 ff [504]; Schwerdtfeger in Lauterbach4, Unfallversicherung Rz 462 zu § 8 SGB VII; BSGE 11/57, 267 ff; 12/38, 165 ff ua). Wie der erkennende Senat in der Entscheidung SSV-NF 2/2 (= ZAS 1989/2 [Gitter]) näher dargelegt hat, begründen die bloße Absicht, eine betriebliche Tätigkeit auszuüben oder der Gang zu einer beabsichtigten betrieblichen Arbeit noch keinen Versicherungsschutz. Befinden sich Wohnung und Arbeitsstätte in jeweils in sich abgeschlossenen verschiedenen Geschoßen eines mehrgeschoßigen Hauses mit einer durchgehenden Treppe, so beginnt der Schutz der Unfallversicherung grundsätzlich erst an der Tür der Arbeitsstätte. Vielfach ist jedoch eine strenge Trennung zwischen dem privaten und dem betrieblichen Bereich nicht möglich, weil Teile eines Gebäudes sowohl privaten als auch betrieblichen Zwecken dienen. Solche gemischt genutzten Räume sind nur dann den Betriebsräumlichkeiten zuzuzählen, wenn sie im wesentlichen Umfang auch für betriebliche Zwecke benutzt werden. Befinden sich in einem Haus neben nur dem betrieblichen Bereich und nur dem persönlichen Bereich zuzuzählenden Räumen auch gemischt genutzte Räume, so beginnt der Versicherungsschutz, wenn der rein persönliche Bereich verlassen wird und ein wesentlich betrieblichen Zwecken dienender Teil des Gebäudes betreten wird. Unfälle auf der Treppe eines Hauses, in dem sich zugleich Wohnung und Betriebsstätte befinden, fallen daher nur dann in den Schutzbereich der Unfallversicherung, wenn sie in rechtlich wesentlichem Umfang für betriebliche Zwecke benutzt wurde. In diesem Fall folgt der Unfallversicherungsschutz für diese gemischt genutzten Räume unmittelbar aus § 175 Abs 1 ASVG (Resch aaO ua). An diesen Grundsätzen hat der erkennende Senat auch in der Folge festgehalten (SSV-NF 3/16, 3/146, 5/31 ua; RIS-Justiz RS0084609, RS0084463, RS0084671 mwN; vgl auch für den deutschen Rechtsbereich:
Schwerdtfeger aaO Rz 255 f zu § 8 SGB VII; Krasney in Brackmann, Handbuch der SV, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII Rz 61 zu § 8; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII Rz 202 zu § 8 ua; BSGE 11/57, 267 ff, 12/38, 165 ff). Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlass, von diesen in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen abzugehen.
Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen ist anders als im Fall der erst jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 275/01s davon auszugehen, dass die Treppe, auf der sich der Unfall ereignete, nicht mehr zu den ausschließlich dem persönlichen Lebensbereich des Klägers zuzurechnenden Teile der Wohnung gehört, sondern die Benutzung der Treppe für Betriebszwecke doch so wesentlich ist, dass der Kläger beim Betreten der Treppe den persönlichen Lebensbereich bereits verlassen hatte. Hatte der Kläger aber damit schon die betriebliche Sphäre erreicht, war im Zusammenhang mit seiner Absicht, eine versicherte Tätigkeit auszuüben, der Weg bereits in einem so erheblichen Maß betriebsbezogen, dass er dieser (betrieblichen) Tätigkeit unbedenklich zugerechnet werden kann (vgl BSGE 12/38, 165 ff). Der Unfall des Klägers stand somit unter Unfallversicherungsschutz im Sinn des § 175 Abs 1 ASVG. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichtes, wonach ein Unfallversicherungsschutz auch deshalb zu bejahen sei, weil sich der Unfall nach Aufnahme der geschützten Erwerbstätigkeit und bei Beförderung des Arbeitsgerätes (§ 175 Abs 2 Z 5 ASVG) ereignet habe.
Die Revision musste daher erfolglos bleiben.
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