European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129164
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
B e g r ü n d u n g :
[1] I. Die Bezeichnung der ursprünglich beklagten Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse war gemäß § 23 Abs 1 und § 538t Abs 1 ASVG von Amts wegen auf Österreichische Gesundheitskasse zu berichtigen.
[2] II. Die Klägerin bezog aus Anlass der Geburt ihrer Tochter am 20. 10. 2017 pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto (Variante: 365 Tage) für den Zeitraum von 18. 12. 2017 bis 19. 10. 2018 in Höhe von 10.367,28 EUR. Im Zeitraum von 1. 1. 2018 bis 30. 9. 2018 flossen ihr insgesamt 18.616,82 EUR an Provisionen zu, die einkommensteuerpflichtig, aber nicht sozialversicherungspflichtig waren.
[3] Der individuelle Grenzbetrag gemäß § 8b Abs 1 KBGG beträgt 20.488,06 EUR.
[4] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des gesamten an die Klägerin ausgezahlten Kinderbetreuungsgeldes wegen der Überschreitung des individuellen Grenzbetragsgemäß § 8b Abs 1 KBGG. Entscheidend ist die Beurteilung, ob die der Klägerin im Zeitraum 1. 1. 2018 bis 30. 9. 2018 zugeflossenen Provisionen maßgebliche Einkünfte im Sinn des § 8 KBGG seien; gegebenenfalls, ob die in § 8 Abs 1 Z 1 KBGG vorgesehene Erhöhung um 30 % zur Anwendung komme.
[5] Die Klägerin ist Angestellte eines Versicherungsunternehmens und verkauft für dieses Versicherungen. Sie erhielt bis zum Beginn des Mutterschutzes ein Grundgehalt sowie Provisionen und Zulagen. Für einen aufrecht bestehenden Versicherungsvertrag erhält sie immer dann, wenn der Versicherungsnehmer eine Prämienzahlung leistet, einen anteiligen Betrag als Provision. Die Auszahlung der Provisionen ist vom aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses unabhängig; die Klägerin würde auch nach dessen Beendigung einen Teil der Provision weiter ausgezahlt erhalten. Die Klägerin nahm nach dem Mutterschutz Karenzurlaub in Anspruch und übte von Beginn des Mutterschutzes bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz keine selbständige oder unselbständige Berufstätigkeit aus.
[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
[7] Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht widerrief der Beklagten die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung.
[8] Es qualifizierte die der Klägerin zugeflossenen Provisionen steuerrechtlich als Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit gemäß § 25 EStG. Die Provisionen seien das Entgelt für den dauerhaften Vermittlungserfolg. Es handle sich nicht um sonstige Bezüge im Sinn des § 67 EStG. Die Provisionen seien daher bei der Ermittlung der Zuverdienstgrenze zu berücksichtigen. Dass von ihnen keine Sozialversicherungsbeiträge abgezogen würden, ändere nichts daran, dass es sich um zu versteuernde Bezüge handle.
[9] Zur Höhe der maßgeblichen Einkünfte sei zunächst die Lohnsteuerbemessungsgrundlage der im Anspruchszeitraum bezogenen Einkünfte zu ermitteln, dieser Betrag sodann um 30 % zu erhöhen und auf einen Jahresbetrag umzurechnen, sodass der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte im Jahr 2018 32.097,55 EUR betragen habe. Da die Klägerin den individuellen Grenzbetrag um 11.609,49 EUR überschritten habe, müsse sie das bezogene Kinderbetreuungsgeld von 10.367,28 EUR zurückzahlen.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist nicht zulässig.
[11] 1.1. Die Klägerin macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, das Berufungsgericht habe die Entscheidung 10 ObS 34/13t (SSV‑NF 27/50) missachtet. Demnach seien Einkünfte, die aus einer Betätigung gezogen würden, die vor Beginn des Anspruchszeitraums beendet worden sei, nicht in die Berechnung des Grenzbetrags nach dem KBGG einzubeziehen. Ein solcher Fall liege hier vor.
[12] 1.2. Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dargetan.
[13] 1.3. § 8 Abs 1 Z 1 KBGG regelt die Ermittlung der für die Zuverdienstgrenze maßgeblichen Einkünfte, soweit im Gesamtbetrag Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25 EStG 1988) enthalten sind. § 8 Abs 1 Z 2 KBGG regelt die Ermittlung des Gesamtbetrags im Fall von anderen maßgeblichen Einkünften, konkret von Einkünften nach §§ 21 bis 23 EStG. Das sind Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 21 EStG 1988), aus selbständiger Arbeit (§ 22 EStG 1988) und aus Gewerbebetrieb (§ 23 EStG 1988), sohin jeweils aus selbständiger Tätigkeit (vgl nur Burger‑Ehrnhofer, KBGG und FamZeitBG³ § 8 KBGG Rz 35).
[14] 1.4. Die Entscheidung 10 ObS 34/13t (SSV‑NF 27/50) behandelt die Berechnung der maßgeblichen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG. Nach der in jenem Fall zur Anwendung kommenden Bestimmung des § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 idF vor BGBl I 2011/139 hatten jene Einkünfte (aus selbständiger Tätigkeit) bei der Berechnung des maßgeblichen Einkommens außer Ansatz zu bleiben, die aus einer bereits vor Beginn des Anspruchszeitraums beendeten Betätigung gezogen wurden. Mit BGBl I 2011/139 erhielt § 8 Abs 1 Z 2 KBGG eine neue Fassung, die in Satz 3 bis 5 dieser Bestimmung die Abgrenzung der während des Anspruchszeitraums angefallenen Einkünfte regelt.
[15] 1.5. Die grundsätzliche Möglichkeit, einen zeitlichen Zuordnungsnachweis zu erbringen, wurde durch diese Novellierung nicht berührt (10 ObS 144/19b). Die in § 8 Abs 1 Z 2 KBGG vorgesehene Möglichkeit einer Abgrenzung, in welchem Ausmaß Einkünfte vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraums angefallen sind, ist – auch hinsichtlich der nach BGBl I 2011/139 geltenden Rechtslage – eine das sonst geltende Zuflussprinzip durchbrechende Ausnahmeregelung (vgl 10 ObS 144/19b zur Rechtslage vor BGBl I 2011/139).
[16] 1.6. Eine § 8 Abs 1 Z 2 KBGG für Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit entsprechende Möglichkeit der (zeitlichen) Abgrenzung von Einkünften ist in § 8 Abs 1 Z 1 KBGG für Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit bereits grundsätzlich nicht vorgesehen. Nach dieser Bestimmung ist vielmehr von jenen Einkünften auszugehen, die während des Anspruchszeitraums (hier: 1. 1. 2018 bis 30. 9. 2018) erzielt werden und gemäß § 19 EStG 1988 diesem Anspruchszeitraum zuzuordnen sind, ohne dass es eine Ausnahme vom Zuflussprinzip gäbe.
[17] 2.1. Das Berufungsgericht qualifizierte die Provisionseinkünfte der Klägerin als Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit. Dem hält die außerordentliche Revision nichts entgegen. Schon aus diesem Grund wird mit dem auf die Abgrenzung von selbständigen Einkünften gemäß § 8 Abs 1 Z 2 KBGG Bezug nehmenden Vorbringen keine erhebliche Rechtsfrage im Hinblick auf die Ermittlung der maßgeblichen Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Tätigkeit gemäß § 8 Abs 1 Z 1 KBGG aufgezeigt. Auch die behauptete Divergenz des berufungsgerichtlichen Urteils zur Entscheidung 10 ObS 34/13t (SSV‑NF 27/50) liegt nicht vor, weil in diesem Fall Einkommen aus selbständiger, im vorliegenden Fall solches aus nichtselbständiger Arbeit, zu beurteilen ist. Dass es sich bei den Provisionen um Bezüge im Sinn des § 67 EStG 1988 handle, wird in der außerordentlichen Revision nicht mehr behauptet.
[18] 2.2. Bezüglich der zeitlichen Einordnung des Gesamtbetrags der Einkünfte nach § 8 Abs 1 Z 1 KBGG kommt, wie ausgeführt, das im Einkommenssteuerrecht geltende Zuflussprinzip zur Anwendung. Demnach gelten gemäß § 19 EStG Einnahmen aus jenem Kalenderjahr, in dem sie zugeflossen sind, als bezogen (10 ObS 27/14i; 10 ObS 136/12s SSV‑NF 26/85; RS0129025 [T2]). Unter „Zufluss“ ist die Erlangung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verfügungsmacht zu verstehen (§ 19 EStG 1988). Entscheidend ist demnach die tatsächliche Zahlung bzw bei bei Überweisung des Arbeitslohns auf das Arbeitnehmer-Konto die objektive Verfügungsmöglichkeit, die mit der Gutschrift auf dem Konto gegeben ist (10 ObS 27/14i; 10 ObS 136/12s SSV‑NF 26/85). Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht nicht abgegangen.
[19] 2.3. Die – eine Aufweichung des Zuflussprinzips begründende (Burger-Ehrnhofer, KBGG³ § 8 Rz 26) – Regel des § 19 Abs 1 Z 1 EStG 1988, wonach regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die kurze Zeit vor oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zugeflossen sind, als in diesem Kalenderjahr bezogen gelten, kommt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, weil derartige Zahlungen nicht vorliegen.
[20] 2.4. Es trifft zu, dass das KBGG die Zielsetzung verfolgt, das Kinderbetreuungsgeld nur jenen Eltern(‑teilen) zu gewähren, die bereit sind, die Berufstätigkeit im Hinblick auf die Kinderbetreuung einzuschränken, wofür die „Zuverdienstgrenze“ als Maßstab zu sehen ist (vgl RS0124063 [T38]). Das im Gesetz vorgesehene Abstellen auf das Zuflussprinzip bringt es aber mit sich, dass Einnahmen in einem Kalenderjahr als bezogen gelten können, in dem der Elternteil seine Berufstätigkeit bereits im Hinblick auf die Kinderbetreuung eingeschränkt hat. Dieser Umstand vermag die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision aber nicht zu begründen:
[21] 2.5. Der Verfassungsgerichtshof beurteilte das Abstellen auf das im Einkommenssteuerrecht geltende Zuflussprinzip im Zusammenhang mit der Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte iSd § 8 KBGG nicht als unsachlich. Auch vor dem Hintergrund, dass die Höhe des maßgeblichen Einkommens oft nicht vorhersehbar sei, hegte er keine Bedenken gegen das Abstellen auf den Zufluss (VfGH, 26. 2. 2009, G 128/08 ua [ErwGr 2.3.1.]; vgl 10 ObS 27/14i).
[22] 3. Soweit die Revisionswerberin darauf verweist, dass von den ihr zugeflossenen Provisionen keine Sozialversicherungsbeiträge abzuführen seien, weshalb das Berufungsgericht die in § 8 Abs 1 Z 1 S 3 KBGG angeordnete Erhöhung um 30 % nicht hätte vornehmen dürfen, wird damit ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, wenn der Gesetzgeber (neben dem Zufluss „sonstiger Bezüge“ in Form des 13. und 14. Monatsgehalts) auch den Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen als typisch betrachtet und durch eine pauschale Erhöhung des Ausgangsbetrags um 30 % berücksichtigt (VfGH, 26. 2. 2009, G 128/08 ua [ErwGr 2.3.1.]).
[23] 4. Die Entscheidung des Berufungsgerichts weicht von den dargestellten Grundsätzen nicht ab. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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