OGH 10ObS22/14d

OGH10ObS22/14d25.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr.

Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Claudia Gründel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Dr. Gernot Nachtnebel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2013, GZ 10 Rs 116/13x‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00022.14D.0325.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beantwortung jener Fragen, die vom Rechtsmittelgericht, das die Aufhebung verfügt hat, auf der Grundlage des gegebenen Sachverhalts bereits abschließend entschieden wurden, kann auch aufgrund neuer Tatsachen nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Abschließend erledigte Streitpunkte ‑ wie hier das Vorliegen eines Rückforderungstatbestands nach § 107 Abs 1 ASVG ‑ können somit im fortgesetzten Verfahren nicht mehr aufgerollt werden. Diese inhaltliche Beschränkung gilt auch nach Aufhebungsbeschlüssen wegen des Vorliegens von Feststellungsmängeln. Die Verfahrensergänzung ist auf den durch die Aufhebung betroffenen Teil einzugrenzen. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes wird nur für Tatsachen anerkannt, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im vorangegangenen Rechtsgang entstanden sind (10 ObS 55/13f ua; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 511 ZPO Rz 1 f; E. Kodek in Rechberger , ZPO 3 § 496 Rz 5 jeweils mwN; RIS‑Justiz RS0042031 ua). Ein abschließend erledigter Streitpunkt erlaubt also im fortgesetzten Verfahren ‑ von dem hier nicht vorliegenden Ausnahmefall abgesehen ‑ kein neues Prozessvorbringen (vgl Klauser/Kodek , ZPO 17 § 496 E 66a ff mwN). Es liegt somit auch die vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vor.

2. Gemäß § 107 Abs 1 ASVG hat der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger bzw Leistungsempfänger den Bezug durch bewusst unwahre Angaben, bewusste Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Ob ein Rückforderungstatbestand nach § 107 Abs 1 ASVG vorliegt, kann nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (10 ObS 160/13x mwN). Für das Vorliegen der Rückforderungstatbestände der bewusst unwahren Angaben und der bewussten Verschweigung maßgebender Tatsachen genügt nach der Rechtsprechung bedingter Vorsatz (10 ObS 369/01i, SSV‑NF 16/13; 10 ObS 161/02b, SSV‑NF 16/63 ua). Bedingter Vorsatz liegt vor, wenn der Handelnde nicht nur mit der Möglichkeit einer unberechtigten Leistungsgewährung ernstlich rechnen muss, sondern diese Möglichkeit auch bewusst billigend in Kauf nimmt. Bewusst unwahre Angaben über die für den Leistungsanspruch relevanten Tatsachen setzen die Kenntnis eines rechtlich maßgeblichen Sachverhalts voraus (vgl 10 ObS 90/11z, SSV‑NF 25/89). Der Rückforderungstatbestand „unwahre Angaben“ liegt jedenfalls dann vor, wenn die Behörde in einem Antragsformular eine rechtserhebliche Frage stellt und diese Frage unrichtig oder unvollständig beantwortet wird. Da die Angaben zur Geltendmachung eines Leistungsanspruchs im Antragsformular die Behörden in die Lage versetzen sollen, ihrerseits zu beurteilen, ob ein Anspruch besteht, ist das Risiko eines Rechtsirrtums, aus dem ein Antragsteller meint, die darin gestellten Fragen nicht vollständig oder richtig beantworten zu müssen, von ihm zu tragen (vgl VwGH 15. 5. 2013, 2011/08/0388 mwN zum vergleichbaren Rückforderungstatbestand des § 25 Abs 1 AlVG).

2.1 Nach den maßgebenden Feststellungen und Ausführungen des Erstgerichts in seiner Beweiswürdigung war dem Kläger sehr wohl bewusst, dass im Hinblick auf die getrennten Wohnsitze der Ehegatten jeweils bei seiner entsprechenden formularmäßigen Befragung ein „gemeinsamer Haushalt“ nicht gegeben war. Die unrichtige Angabe erfolgte deshalb, weil der Kläger eine solche Antwort als vorteilhaft empfand, einen höheren Leistungsbezug („Familienrichtsatz statt Einzelrichtsatz“) zu erwirken. Dem Kläger war daher die Unrichtigkeit seiner Angaben gegenüber der beklagten Partei bewusst. Soweit er demgegenüber in seiner außerordentlichen Revision damit argumentiert, dass seine unrichtigen Angaben auf „einer vertretbaren Rechtsansicht“ beruhten, entfernt er sich zum einen in unzulässiger Weise von dem von den Tatsacheninstanzen festgestellten Sachverhalt und zum anderen würde ihn auch ein von ihm inhaltlich geltend gemachter Rechtsirrtum nicht exkulpieren. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage davon ausgingen, dass der Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 erster Fall ASVG („bewusst unwahre Angaben“) im vorliegenden Fall erfüllt ist, kann darin jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden.

3. Gemäß § 107 Abs 3 Z 2 ASVG kann der Versicherungsträger bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände, insbesondere in Berücksichtigung der Familien‑, Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Empfängers, die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrags in Teilbeträgen zulassen. § 89 Abs 4 Satz 2 ASGG ermöglicht auch dem Arbeits‑ und Sozialgericht für den Fall, dass dem Kläger eine Rückersatzpflicht an den Beklagten auferlegt wird, die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien‑, Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen; insoweit kann das Gericht die Zahlung auch in Raten anordnen.

3.1 Soweit der Revisionswerber geltend macht, eine Rückersatzpflicht des Versicherten müsse aus Billigkeitserwägungen ausgeschlossen sein, wenn der Versicherte nicht einmal über das Existenzminimum verfüge, ist ihm entgegenzuhalten, dass § 89 Abs 4 ASGG im Gegensatz zu § 107 Abs 3 Z 1 ASVG keine gänzliche oder teilweise Nachsicht der Rückzahlungspflicht ermöglicht ( Neumayr in ZellKomm 2 § 89 ASGG Rz 23 mwN). Exekutionsrechtliche Beschränkungen der Rückzahlungsverpflichtung des Versicherten sind, wie bereits das Berufungsgericht angemerkt hat, vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Auch eine Aufrechnung mit von Versicherungsträgern zu Unrecht erbrachten, vom Anspruchsberechtigten rückzuerstattenden Leistungen nach § 103 Abs 1 Z 2 ASVG ist gemäß § 103 Abs 2 ASVG auch gegen den pfändungsfreien Teil einer Forderung ‑ bis zu der in Abs 2 selbst festgelegten Grenze ‑ zulässig (RIS‑Justiz RS0013254, RS0110621). Auch wenn die eingeschränkte finanzielle Situation des Klägers nicht verkannt wird, erscheint die festgesetzte Höhe der Raten nicht unbillig hoch.

Die Revision des Klägers war daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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