OGH 10ObS184/21p

OGH10ObS184/21p22.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, dieHofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Thunhart sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1. R*, und 2. U*, beide *, beide vertreten durch Dr. Christian Stocker, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, Haidingergasse 1, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückersatz von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. September 2021, GZ 9 Rs 20/21 h‑13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. Oktober 2020, GZ 59 Cgs 58/20y‑9, abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00184.21P.0222.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das klagestattgebende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 670,39 EUR (darin 111,73 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 460,40 EUR (darin 76,73 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Das Revisionsverfahren betrifft die Frage, wie die in der MuKiPassV nach „Lebenswochen“ bestimmten Fristen für die Durchführung der Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung als Voraussetzung des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld zu berechnen sind.

[2] Das gemeinsame Kind des Erstklägers und der Zweitklägerin wurde am Montag, 2. 7. 2018, geboren. Die zweite Mutter‑Kind-Pass‑Untersuchung des Kindes wurde am Montag, 20. 8. 2018, vorgenommen.

[3] Die Zweitklägerin bezog nach dem Ende des Wochengeldbezugs Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens von 28. 8. 2018 bis 1. 7. 2019. Im Anschluss daran bezog der Erstkläger Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens von 2. 7. 2019 bis 31. 8. 2019.

[4] Mit den Bescheiden vom 27. 2. 2020 verpflichtete die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Erstkläger und die Zweitklägerin zum Rückersatz des Kinderbetreuungsgeldes in der Höhe von jeweils 1.300 EUR, weil die fristgerechte Durchführung der Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen nicht nachgewiesen worden sei.

[5] Die Kläger begehren mit ihren dagegen erhobenen und zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Klagen die Feststellung, dass der Rückersatzanspruch der Beklagten nicht berechtigt sei, zumal sämtliche Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen rechtzeitig durchgeführt worden seien.

[6] Die Beklagte wendete ein, dass die zweite Untersuchung des Kindes spätestens in der siebenten Woche nach der Geburt, sohin bis Sonntag, 19. 8. 2018 erfolgen hätte müssen, sodass die am Montag, 20. 8. 2018 vorgenommene Untersuchung verspätet sei.

[7] Das Erstgericht gab der Klage statt und sprach aus, dass die Beklagte keinen Rückersatz des Kinderbetreuungsgeldes beanspruchen könne, weil das Ende der nach Lebenswochen bestimmten Frist nach § 902 ABGB auf jenen Tag falle, welcher seiner Benennung nach dem Tag der Geburt entspreche, wodurch die Untersuchung des Kindes am Montag noch rechtzeitig gewesen sei.

[8] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil infolge Berufung der Beklagten dahin ab, dass das Klagebegehren abgewiesen und die Kläger zum Rückersatz von jeweils 1.300 EUR verpflichtet wurden. Die Dauer einer Altersstufe richte sich nicht nach § 902 ABGB, sondern ende an jenem Tag, der dem dem Geburtstag entsprechenden Tag vorangehe, weshalb die siebente Lebenswoche des Kindes bereits am Sonntag, 19. 8. 2018, geendet habe und die Untersuchung verspätet erfolgt sei. Die Revision wurde nicht zugelassen.

[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die – nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete – außerordentliche Revision der Kläger.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zulässig und auch berechtigt:

1. Zur Zurückweisung der Revisionsbeantwortung der Beklagten

[11] Die Beklagte erhielt die Mitteilung, dass ihr die Revisionsbeantwortung nach § 508a Abs 2 ZPO freigestellt werde, am 21. 12. 2021. Nach § 39 Abs 4 ASGG sind die Vorschriften über die Hemmung von Rechtsmittelfristen während der verhandlungsfreien Zeit nach § 222 ZPO in diesem Verfahren nicht anzuwenden, wodurch die Frist für die Revisionsbeantwortung am 18. 1. 2022 endete. Obwohl die Revisionsbeantwortung nach § 507a Abs 3 Z 2 ZPO beim Revisionsgericht einzubringen war, hat die Beklagte sie beim Erstgericht eingebracht, worauf sie erst am 24. 1. 2022 und damit nach Fristablauf beim Revisionsgericht einlangte (RS0124533 [T1]).

[12] Die Revisionsbeantwortung ist daher als verspätet zurückzuweisen.

2. Zur Durchführung der Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen

[13] 2.1. Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in voller Höhe besteht nach § 24c KBGG nur, wenn die in der MuKiPassV vorgesehenen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen durchgeführt werden. Werden diese Untersuchungen nicht bis zu den vorgegebenen Zeitpunkten nachgewiesen, reduziert sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld gemäß § 24a Abs 4 KBGG für jeden Elternteil um 1.300 EUR. Nach § 7 Abs 3 MuKiPassV ist die zweite Untersuchung „in der vierten, fünften, sechsten oder siebenten Lebenswoche“ vorzunehmen.

[14] 2.2. Dabei handelt es sich um eine materiell‑rechtliche Frist, weil das Gesetz an sie die materielle Rechtsfolge des teilweisen Verlusts des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens knüpft (10 ObS 160/20g; siehe auch 10 ObS 90/20p; RS0132835). Soweit sich dieKläger auf §§ 32, 33 AVG berufen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass diese Regelungen nur für verfahrensrechtliche Fristen gelten, auf materiell‑rechtliche Fristen aber weder unmittelbar noch analog angewendet werden können (VfGH A 5/68 VfSlg 5814/1968; VfGH B 454/79 VfSlg 8906/1980; Hengstschläger/Leeb, AVG § 32 Rz 6).

[15] 2.3. Mangels abweichender Sondervorschriften richtet sich der Ablauf einer materiell‑rechtlichen Frist nach den allgemeinen Regeln in §§ 902 f ABGB, die auch auf verwaltungsrechtliche Fristen gelten (RS0117587; P. Bydlinski in KBB6 § 902 ABGB Rz 1). Nach § 902 Abs 1 ABGB ist eine durch Gesetz bestimmte Frist – soweit keine abweichenden Regelungen bestehen – so zu berechnen, dass bei einer nach Tagen bestimmten Frist der Tag nicht mitgezählt wird, auf den das Ereignis fällt, von dem der Fristenlauf beginnt. Nach § 902 Abs 2 ABGB fällt das Ende einer nach Wochen bestimmten Frist deshalb auf jenen Tag der letzten Woche, welcher nach seiner Benennung dem Tag des fristauslösenden Ereignisses entspricht.

[16] 2.4. Die Fristberechnung nach § 902 ABGB entspricht inhaltlich den Regeln in Art 3 und 4 des Europäischen Übereinkommens über die Berechnung von Fristen (BGBl 1983/254). Nach Punkt 8 des Explanatory Report ist das Übereinkommen aber auf die Frage, wann ein bestimmtes Alter erreicht ist, nicht anzuwenden, weil es sich dabei um keine „Frist“ im Sinn des Übereinkommens handelt. Auch § 902 Abs 2 ABGB ist nach ganz herrschender Meinung nicht auf die Berechnung von Altersstufen anzuwenden, bei denen der Tag der Geburt mitzurechnenist (Aichberger‑Beig in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 903 ABGB Rz 9; Reischauer in Rummel/Lukas 4 § 902 ABGB Rz 6; Kolmasch in Schwimann/Kodek 5 §§ 902 f ABGB Rz 43; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 902 Rz 13).

[17] 2.5. Dieses Verständnis liegt auch den Materialien des KBGG zugrunde, die ausdrücklich darauf hinweisen, dass das dritte Lebensjahr bereits mit dem dem dritten Geburtstag vorangehenden Tag endet (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP  60). Auch der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass § 902 Abs 2 ABGB und die entsprechenden Regeln des Europäischen Fristenberechnungsübereinkommens auf die Fristen des KBGG, die auf die Vollendung von Lebensmonaten abstellen, nicht anwendbar sind, weshalb der Tag der Geburt mitzurechnen ist (10 ObS 148/14h SSV‑NF 29/59; 10 ObS 160/20g).

[18] 2.6. Nach § 7 Abs 3 MuKiPassV ist die zweite Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung nicht etwa spätestens „sieben Wochen nach der Geburt“, sondern spätestens „in der (…) siebenten Lebenswoche“ vorzunehmen, wodurch es sich um keine Wochenfrist nach der Geburt, auf die § 902 Abs 2 ABGB anzuwenden wäre, sondern um eine Altersstufe handelt, in der die Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung durchgeführt werden muss. Eine Lebenswoche endet deshalb bereits an dem Tag, der nach seiner Benennung dem dem Geburtstag entsprechenden Tag vorangeht.

3. Daraus ergibt sich für den hier zu beurteilenden Fall:

[19] 3.1. Ausgehend von der Geburt des Kindes am Montag, 2. 7. 2018, endete die siebente Lebenswoche daher bereits am Sonntag 19. 8. 2018. Das Berufungsgericht, das die Durchführung der zweiten Mutter‑Kind‑Pass-Untersuchung als verspätet qualifizierte, hat aber nicht beachtet, dass die Rechtsfolgen der Nichterfüllung einer Verbindlichkeit oder eines Versäumnisses, wenn der für die Abgabe einer Erklärung oder für eine Leistung bestimmte letzte Tag auf einen Sonntag oder anerkannten Feiertag fällt, nach § 903 Satz 3 ABGB erst mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags eintreten.

[20] 3.2. Die Anwendung des § 903 Satz 3 ABGB wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass es sich um eine Frist handelt, die sich nach einer Altersstufe bestimmt. § 903 Satz 3 ABGB wäre nur dann nicht anwendbar, wenn das Gesetz oder der Verordnungsgeber etwas anderes vorsehen würde (RS0028167). Derartiges lässt sich aber weder aus dem KBGG noch aus der MuKiPassV ableiten. Der Grundgedanke des § 903 Satz 3 ABGB, der verhindern will, dass jemand entweder an einem Ruhetag tätig werden muss oder die ihm eingeräumte Frist nicht vollständig ausnützen kann, gilt auch für die Durchführung der Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen, die an Sonn- und Feiertagen typischerweise gar nicht angeboten werden.

[21] 3.3. Nichts anderes würde sich aus Art 5 des hier nicht einschlägigen (siehe Punkt 2.4.) Europäischen Übereinkommens über die Berechnung von Fristen ergeben, wonach sich eine Frist, wenn ihr letzter Tag auf einen Sonntag fällt, dahin verlängert, dass sie den nächstfolgenden Werktag einschließt.

4. Ergebnis

[22] Auch wenn der letzte Tag der siebenten Lebenswoche des Kindes auf den Sonntag, 19. 8. 2018, fiel, erstreckte sich die nach § 7 Abs 3 MuKiPassV für die zweite Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung vorgesehene Frist nach § 903 Satz 3 ABGB noch bis zum darauffolgenden Montag. Die zweite Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung am 20. 8. 2018 war deshalb rechtzeitig, weshalb der von der Beklagten geltend gemachte Anspruch auf Rückforderung des Kinderbetreuungsgeldes nicht zu Recht besteht.

[23] Der Revision der Kläger ist somit Folge zu geben und in Abänderung des Berufungsurteils das Ersturteil wiederherzustellen.

[24] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG, wobei der Kostenersatzanspruch der Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens umfasst (RS0085833).

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