Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die in Ansehung der rechtskräftigen Abweisung des Klagebehrens für den Zeitraum vom 28. 1. bis 30. 1. 2008 unberührt bleiben, werden im Übrigen dahin abgändert, dass das Urteil des Erstgerichts zu lauten hat:
„Der Anspruch der klagenden Partei auf Krankengeld besteht vom 31. 1. bis 20. 2. 2008 dem Grunde nach zu Recht.
Der beklagten Partei wird aufgetragen, bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids der klagenden Partei eine vorläufige Zahlung von 200 EUR binnen 14 Tagen zu erbringen."
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 371,52 EUR (davon 61,92 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bis 31. 12. 2007 bei einem Unternehmen tätig. In den ersten vier Wochen danach war sie arbeitslos. Sie bezog kein Arbeitslosengeld. Infolge einer akuten Erkrankung war die Klägerin vom 28. 1. 2008 bis 20. 2. 2008 krank. Sie bezog vom 29. 1. bis 30. 1. 2008 Arbeitslosengeld.
Mit Bescheid vom 11. 4. 2008 lehnte die beklagte Partei den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld anlässlich ihrer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit für den Zeitraum vom 28. 1. bis 20. 2. 2008 ab, weil der Versicherungsfall erst nach Ablauf der dreiwöchigen Schutzfrist nach dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung eingetreten sei.
Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Zahlung des Krankengelds im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum vom 28. 1. bis 20. 2. 2008 gerichtete Klagebegehren ab.
Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich führte es aus, die Klägerin sei nach Ablauf der Dreiwochen-Frist des § 138 Abs 1 ASVG arbeitsunfähig geworden, sodass sie keinen Anspruch auf Krankengeld habe. Die von der Klägerin behauptete echte Gesetzeslücke liege nicht vor, weil der Gesetzgeber der 66. ASVG-Novelle die Einschränkung auf die ersten drei Wochen der Anspruchsberechtigung gewollt habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Der Gesetzgeber habe in § 138 Abs 1 ASVG idF des SRÄG 2006 ausdrücklich und gewollt für den Anspruch auf Krankengeld die Schutzfrist von drei Wochen für aus der Pflichtversicherung ausgeschiedene nach § 122 ASVG Anspruchsberechtigte beibehalten. Die von der Klägerin behauptete Gesetzeslücke liege nicht vor. Das Berufungsgericht teile auch nicht verfassungsrechtliche Bedenken der Klägerin an der unterschiedlichen Behandlung von Kranken und Gesunden oder von Sachleistungen und Geldleistungen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Auslegung der differenzierten Schutzfristen von drei bzw sechs Wochen in den §§ 122 und 138 ASVG Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht vorliege.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungsantrag.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.
Die Revisionswerberin führt aus, ihr Begehren richte sich auf Gewährung von Krankengeld für den Zeitraum 31. 1. 2008 bis 20. 2. 2008. Damit ist klargestellt, dass sich der Abänderungsantrag im Rechtsmittel auf diesen Zeitraum bezieht und die Bestätigung der Abweisung des Klagebegehrens für die Zeit vom 28. bis 30. 1. 2008 von der Revisionswerberin nicht bekämpft wird.
Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts führe dazu, dass von § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG erfasste kranke Arbeitslose ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe entgegen Sinn und Zweck der Bestimmung ab der vierten Woche nach Beendigung des Dienstverhältnisses kein Krankengeld erhalten. Der Gesetzgeber der 66. ASVG-Novelle habe zwar die Schutzfrist für die Geldleistung Krankengeld für drei Wochen beibehalten wollen. Er habe aber nicht das Ziel verfolgt, allgemein die Geldleistung Krankengeld zu beschränken oder zu kürzen, sondern im bisher gewährten Ausmaß beizubehalten. Daher sei davon auszugehen, dass ihm im Hinblick auf kranke Arbeitslose nach § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG ein redaktioneller Fehler unterlaufen sei. Er habe offenbar übersehen, dass durch die Einfügung der Dreiwochen-Schutzfrist im § 138 Abs 1 ASVG diese als speziellere Norm der Ausnahme in der generellen Norm nach § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG vorgehe und damit eine Gruppe von kranken Arbeitslosen vom Gesetzeswortlaut her von der finanziellen Unterstützung ausgeschlossen werde. Da dieser Ausschluss vom Gesetzgeber offenbar nicht intendiert gewesen sei, könne diese nunmehr so entstandene Lücke im Gesetz (nämlich die fehlende aber gewollte Ausnahmeregelung) nur als Irrtum des Gesetzgebers und damit als regelwidrige Gesetzeslücke im weiteren Sinn bezeichnet werden. Diese planwidrige Lücke im weiteren Sinn sei durch eine teleologische Auslegung zu schließen und das Krankengeld für die Fälle des § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG auch über die allgemein normierte Schutzfrist hinaus zu gewähren.
Hierzu wurde erwogen:
1. Es ist unstrittig, dass die Klägerin aufgrund ihrer unselbstständigen Erwerbstätigkeit vom 1. 10. 2001 bis 31. 12. 2007 bei der beklagten Partei in der Krankenversicherung pflichtversichert war (s Bescheid der beklagten Partei vom 11. 4. 2008).
2. Mit der 66. ASVG-Novelle (Art 1 des SRÄG 2006, BGBl I 2006/131) wurde im § 122 Abs 2 Z 2 ASVG der Ausdruck „drei Wochen" jeweils durch den Ausdruck „sechs Wochen" ersetzt und im § 138 Abs 1 ASVG nach dem Ausdruck „Anspruchsberechtigte" der Ausdruck „ ,diese jedoch nur in den ersten drei Wochen dieser Anspruchsberechtigung" eingefügt. Diese Änderungen sind mit 1. 7. 2006 in Kraft getreten (§ 628 Abs 1 ASVG).
3. Die geänderten Bestimmungen lauten auszugsweise:
„Für Versicherungsfälle, die nach dem Ende der Versicherung oder nach Ablauf des im Abs 1 lit b bezeichneten Zeitraumes eintreten, sind Leistungen, und zwar auch für Familienangehörige, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu gewähren:
1. ...
2. an Personen, die innerhalb der letzten 12 Monate vor dem Ausscheiden aus der durch eine Beschäftigung (ein Lehr- oder Ausbildungsverhältnis) begründeten Pflichtversicherung mindestens 26 Wochen oder unmittelbar vorher mindestens sechs Wochen versichert waren und sogleich nach dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung erwerbslos geworden sind, wenn der Versicherungsfall während der Erwerbslosigkeit und binnen sechs Wochen nach dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung eintritt. War der Versicherte im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Pflichtversicherung infolge Krankheit arbeitsunfähig oder bestand zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf Wochengeld, so beginnt die Frist von sechs Wochen erst ab dem Erlöschen des Anspruches auf Krankengeld (Anstaltspflege) bzw Wochengeld zu laufen. Die Frist von sechs Wochen verlängert sich
a) ...
b) um jenen Zeitraum, um den die Dauer des Anspruchsverlustes auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gemäß den §§ 10, 11 bzw 25 Abs 2 AlVG über die Frist von sechs Wochen hinausgeht
...".
„Pflichtversicherte sowie aus der Pflichtversicherung ausgeschiedene nach § 122 Anspruchsberechtigte, diese jedoch nur in den ersten drei Wochen dieser Anspruchsberechtigung, haben aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vom vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit an einen Anspruch auf Krankengeld."
4. Durch die Verlängerung der Schutzfrist nach dem Ausscheiden aus der gesetzlichen Krankenversicherung von drei auf sechs Wochen sollte den Gesetzesmaterialien zufolge die Erbringung von dringenden ärztlichen Leistungen für jene Patientinnen und Patienten sichergestellt werden, die rückwirkend in einen neuen Versicherungsschutz (nämlich nach § 40 AlVG) einbezogen werden, weil die Anspruchsprüfung mit der e-card bereits zum Zeitpunkt der Leistungsinanspruchnahme erfolgt, während bei der Verwendung der Krankenscheine erst im Zug der Abrechnung die Anspruchsprüfung durch die Versicherungsträger durchgeführt wurde. Durch die Einfügung in § 138 Abs 1 ASVG sollte „für die Geldleistung Krankengeld die bisherige Schutzfrist von drei Wochen beibehalten" werden bzw „die Dauer der Schutzfrist für einen allfälligen Anspruch auf Krankengeld unverändert" bleiben (RV 1408 BlgNR 22. GP 4).
5. Die Klägerin erfüllt die Mindestvoraussetzungen für den Schutzfristfall gemäß § 122 Abs 2 Z 2 ASVG.
6. Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig gelöst haben, erhalten für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld (§ 11 AlVG). Der Tatbestand des § 11 AlVG wurde mit der 50. ASVG-Novelle (Art II Z 9 BGBl 1991/676) als Grund für die Verlängerung der (damals dreiwöchigen) Schutzfrist des § 122 Abs 2 Z 2 ASVG berücksichtigt.
7. Es ist nach der Aktenlage unstrittig, dass die Klägerin wegen Selbstkündigung in den ersten vier Wochen ihrer Arbeitslosigkeit - also bis zum 28. 1. 2008 - aufgrund der Sperrfrist des § 11 AlVG kein Arbeitslosengeld bezog und im Sinn des § 122 Abs 4 ASVG erwerbslos war.
8. In Bezug auf den Schutzfristfall des § 122 Abs 2 Z 2 ASVG bedeutet die durch die 66. ASVG-Novelle eingefügte Einschränkung der Anspruchsberechtigung in § 138 Abs 1 ASVG, dass - wie nach bisheriger Rechtslage - für den Krankengeldanspruch die Schutzfrist drei Wochen beträgt. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit (der Versicherungsfall) muss während dieser Frist eingetreten sein, damit ein Krankengeldanspruch entsteht (vgl 10 ObS 57/01g = SSV-NF 15/40).
9. Eine Verlängerung dieser dreiwöchigen Frist aus den in § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG angeführten Tatbeständen sieht das Gesetz nicht ausdrücklich vor. Die Regelung des § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG erfasst nach Wortlaut und Stellung im Gesetz nur die Verlängerung der sechswöchigen Schutzfrist. Demnach hätte die Klägerin, die unstreitig am 28. Tag nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses krankheitsbedingt arbeitsunfähig wurde und gemäß § 11 AlVG keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte, keinen Anspruch auf Krankengeld. Eine Erstreckung der Norm des § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG im Weg der Analogie (§ 7 ABGB) ist jedoch geboten:
10. Eine Lücke im Rechtssinn ist dann gegeben, wenn das Gesetz, gemessen an seiner Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und seine Ergänzung nicht einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (4 Ob 193/06w = SZ 2006/173; 8 Ob 23, 24/93 = SZ 67/21 mwN; RIS-Justiz RS0008866). Ob dies der Fall ist, ist aufgrund der Rechtsordnung einschließlich aller auch als Auslegungskriterien heranzuziehenden Maßstäbe zu beurteilen. Eine teleologische Lücke liegt vor, wenn die - mit Hilfe der Interpretationsregeln ermittelte - ratio legis (das höhere Rechtsprinzip) in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung (der Werttendenz) einer gesetzlichen Norm auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert (4 Ob 193/06w = SZ 2006/173; 4 Ob 7/04i = SZ 2004/33 mwN; F. Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 7 Rz 2).
11. Auch wenn der Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses nicht der Tag des Endes der Pflichtversicherung sein muss (vgl § 11 Abs 1 ASVG), hat die Erweiterung der Schutzfrist auf sechs Wochen zur Folge, dass der Verlängerungstatbestand des § 11 AlVG in § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG praktisch keinen Anwendungsbereich hat, kommt doch in diesem Fall eine Verlängerung auf mehr als sechs Wochen kaum in Betracht. Dass der Gesetzgeber die Norm jedoch insoweit unverändert gelassen hat, ist ein klarer Hinweis darauf, dass er den mit der Norm verfolgten Zweck der Sicherstellung des Krankenversicherungsschutzes über die „Grundschutzfrist" hinaus nicht aufgeben wollte. Aus den oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien zur 66. ASVG-Novelle geht hervor, dass der Gesetzgeber in Bezug auf den Krankengeldanspruch die bisherige Rechtslage beibehalten wollte.
12. Diese Umstände sprechen nach Auffassung des Senats für die Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke, die im Weg der Gesetzesanalogie geschlossen werden muss: Es treffen die dem § 122 Abs 2 lit b ASVG zugrunde liegenden Wertungen - Aufrechthaltung des Versicherungsschutzes für nach § 122 Abs 2 Z 2 ASVG Anspruchsberechtigte, die in bestimmten Fällen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe haben und deshalb nicht vom Krankenversicherungsschutz des § 40 AlVG erfasst sind - nach der Interessenlage der Betroffenen nicht nur für Sachleistungsansprüche, sondern gerade auch für den Geldleistungsanspruch Krankengeld zu. Dass der Gesetzgeber bewusst eine Verlängerung der für den Krankengeldanspruch von § 122 Abs 2 Z 2 ASVG erfasster Personen normierten dreiwöchigen Schutzfrist ausschließen wollte, ist nach den Gesetzesmaterialien und der gewählten Regelungstechnik nicht zu erkennen. Eine Einschränkung des Krankengeldanspruchs des genannten Personenkreises gegenüber der bisherigen Rechtslage verfolgte der Gesetzgeber nicht.
In analoger Erstreckung des § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG ist § 138 Abs 1 ASVG dahin zu ergänzen, dass sich die dreiwöchige Schutzfrist um jenen Zeitraum verlängert, um den die Dauer des Anspruchsverlusts auf Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe gemäß §§ 10, 11 bzw 25 Abs 2 AlVG über die Frist von drei Wochen hinausgeht.
13. Nach alldem ist der Anspruch der Klägerin, die am letzten Tag der analog zu § 122 Abs 2 Z 2 lit b ASVG verlängerten Schutzfrist unstreitig krankheitsbedingt arbeitsunfähig wurde, auf Krankengeld vom vierten Tag ihrer Arbeitsunfähigkeit an bis zu deren unstrittigen Ende zu bejahen.
14. Gemäß § 89 Abs 2 ASGG war mit Grundurteil zu entscheiden und der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung aufzutragen.
15. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.
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