OGH 10ObS57/01g

OGH10ObS57/01g3.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Lang (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ilse M*****, vertreten durch Mag. Dr. Ferdinand Bruckner, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Dr. Karl-Renner-Promenade 14 - 16, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Krankengeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Dezember 2000, GZ 8 Rs 354/00p-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Mai 2000, GZ 34 Cgs 309/99i-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zurückgewiesen.

Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 8. 11. 1999 sprach der beklagte Träger der Krankenversicherung aus, dass der Klägerin anlässlich ihrer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ab 21. 2. 1998 das Krankengeld bis 26. 8. 1999 gebühre. Die Klägerin sei auf Grund ihrer unselbständigen Erwerbstätigkeit als Angestellte vom 19. 1. 1998 bis 26. 2. 1998 bei der beklagten Partei krankenversichert gewesen. Seit 21. 2. 1998 befinde sich die Klägerin arbeitsunfähig im Krankenstand. Gemäß § 139 Abs 1 und 2 ASVG iVm § 31 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei habe die Klägerin Anspruch auf Leistung des Krankengeldes für die Höchstdauer von 78 Wochen, somit für den Zeitraum vom 27. 2. 1998 bis 26. 8. 1999.

Das auf die Weitergewährung des Krankengeldes im gesetzlichen Ausmaß über den 26. 8. 1999 hinaus gerichtete Klagebegehren wies das Erstgericht ab. Nach seinen Feststellungen befand sich die Klägerin wegen einer bei einem Unfall am 20. 2. 1998 erlittenen Muskelläsion ab 21. 2. 1998 im Krankenstand. Sie war wegen dieser Verletzung im Zeitraum vom 22. 2. 1998 bis 26. 8. 1999 "arbeitsunfähig". Während dieses Krankenstandes kamen weitere Erkrankungen der Klägerin hinzu, und zwar am 26. 8. 1999 eine akute virale Gastroenteritis. Letztere Erkrankung führte zu einem stationären Krankenhausaufenthalt der Klägerin in der Zeit vom 26. 8. 1999 bis 6. 9. 1999. Bereits während dieses Krankenhausaufenthaltes klagte die Klägerin auch über Beschwerden im linken Handgelenk, wegen der sie sich am 13. 9. 1999 einer Infiltrationsbehandllung unterziehen musste. Am 25. 8. 1999 stellte die Klägerin bei der beklagten Partei einen Pensionsantrag. Bei dieser Gelegenheit erklärte sie gegenüber der beklagten Partei nicht, dass sie wieder arbeitsfähig sei.

In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf die durchgehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zum Ablauf der Schutzfrist des § 122 ASVG kein Anspruch auf Krankengeld über den 26. 8. 1999 hinaus bestehe, weil der Eintritt eines (neuen) Versicherungsfalles der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit die vorherige Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zur Voraussetzung habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin unter Hinweis auf die seiner Ansicht nach zutreffende rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes nicht Folge.

In der Revision macht die Klägerin Mangelhaftigkeit bzw Nichtigkeit des Verfahrens geltend und beantragt, die Urteile der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn abzuändern oder sie hilfsweise aufzuheben.

Die Beklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Unter den Revisionsgründen der Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Verfahrens releviert die Klägerin ein bereits in der Berufung erstattetes Vorbringen. Das Berufungsgericht hat dazu Stellung genommen und eine Mangelhaftigkeit (und damit auch eine Nichtigkeit) des Verfahrens verneint. Eine vom Berufungsgericht verneinte Mangelhaftigkeit bzw Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz kann aber nach ständiger Rechtsprechung auch in Sozialrechtssachen im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (vgl SSV-NF 7/74; 1/36 mwN uva).

In der Rechtsrüge macht die Klägerin vor allem Feststellungsmängel zur Frage, ob sie innerhalb der dreiwöchigen Schutzfrist arbeitsunfähig geblieben sei oder die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt habe, geltend. Nach ihrer Ansicht sei aus der Bestimmung des § 122 Abs 2 Z 1 (gemeint wohl: Z 2) ASVG auch nicht ableitbar, dass der Eintritt der Arbeitsfähigkeit notwendige Voraussetzung für das Entstehen eines Anspruches auf Krankengeld sei.

Diesen Ausführungen kommt im Sinne der beschlossenen Aufhebung Berechtigung zu.

Gemäß § 120 Abs 1 Z 2 ASVG tritt der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit mit dem Beginn der durch die Krankheit herbeigeführten Arbeitsunfähigkeit ein. Aus dieser gesetzlichen Definition ergibt sich bereits, dass zum Eintritt des Versicherungsfalles der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zur Krankheit selbst der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ("... Beginn der durch eine Krankheit ... herbeigeführten Arbeitsunfähigkeit ...")

erforderlich ist. Die Arbeitsunfähigkeit kann nur beginnen, wenn sie vorher nicht schon bestanden hat (vgl Nott, Die Leistungen der Krankenversicherung (ASVG) nach dem Ende der Versicherung, VersRdSch 1967, 22 ff und 53 ff [58]).

Der Versicherte hat gemäß § 122 Abs 1 ASVG Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung, wenn der Versicherungsfall a) während der Versicherung oder b) vor dem auf das Ende der Versicherung nächstfolgenden Arbeitstag eingetreten ist. Für Versicherungsfälle, die nach dem Ende der Versicherung oder nach Ablauf des im Abs 1 lit b bezeichneten Zeitraumes eingetreten sind, sind gemäß § 122 Abs 2 Z 2 ASVG Leistungen an Personen zu gewähren, die innerhalb der letzten 12 Monate vor dem Ausscheiden aus der durch eine Beschäftigung (ein Lehr- oder Ausbildungsverhältnis) begründeten Pflichtversicherung mindestens 26 Wochen oder unmittelbar vorher mindestens 6 Wochen versichert waren und sogleich nach dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung erwerbslos geworden sind, wenn der Versicherungsfall während der Erwerbslosigkeit und binnen drei Wochen nach dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung eintritt. War der Versicherte im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Pflichtversicherung infolge Krankheit arbeitsunfähig, oder bestand zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf Wochengeld, so beginnt die Frist von drei Wochen erst ab dem Erlöschen des Anspruches auf Krankengeld (Anstaltspflege) bzw Wochengeld zu laufen.

Pflichtversicherte sowie aus der Pflichtversicherung Ausgeschiedene nach § 122 Anspruchsberechtigte haben aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vom vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit an Anspruch auf Krankengeld (§ 138 Abs 1 ASVG). Der Krankengeldanspruch besteht für ein und denselben Versicherungsfall bis zur Dauer von 26 Wochen, auch wenn während dieser Zeit zu der Krankheit, die die Arbeitsunfähigkeit zuerst verursachte, eine neue Krankheit hinzugetreten ist. Wenn der Anspruchsberechtigte innerhalb der letzten 12 Monate vor dem Eintritt des Versicherungsfalles mindestens sechs Monate in der Krankenversicherung versichert war, verlängert sich für diese Personen, ausgenommen für die nach § 122 Abs 2 Z 2 bis 4 Anspruchsberechtigten, die Dauer auf bis zu 52 Wochen (§ 139 Abs 1 ASVG). Gemäß Abs 2 dieser Bestimmung kann die Höchstdauer des Krankengeldanspruches durch die Satzung bis auf 78 Wochen erhöht werden. Die beklagte Partei hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Ist der Krankengeldanspruch - wie im vorliegenden Fall - wegen Ablaufs der Höchstdauer erschöpft (Aussteuer), entsteht ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit gemäß § 139 Abs 4 ASVG erst wieder, wenn der Erkrankte durch mindestens 13 Wochen in einer den Anspruch auf Krankengeld eröffnenden gesetzlichen Krankenversicherung oder durch mindestens 52 Wochen in einer sonstigen gesetzlichen Krankenversicherung versichert war.

Im vorliegenden Fall war der Krankengeldanspruch der Klägerin für den als Folge des Unfalls vom 20. 2. 1998 unbestritten eingetretenen Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit im Sinn des § 139 Abs 1 und 2 ASVG mit Ablauf der Höchstdauer (26. 8. 1999) erschöpft. Dass die Klägerin unter den erwähnten Voraussetzungen des § 139 Abs 4 ASVG einen neuen Anspruch auf Krankengeld auf Grund derselben Krankheit erworben hätte, wird auch von ihr nicht behauptet. Die Klägerin war allerdings nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid der beklagten Partei bereits im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Pflichtversicherung mit 26. 2. 1998 infolge Krankheit arbeitsunfähig, sodass gemäß § 122 Abs 2 Z 2 ASVG die dreiwöchige Schutzfrist erst ab dem Erlöschen des Anspruches auf Krankengeld (26. 8. 1999) zu laufen begonnen hat. Es fehlen aber ausreichende Feststellungen für die Beurteilung, ob bei der Klägerin die im § 122 Abs 2 Z 2 ASVG genannten Voraussetzungen (Vorversicherungszeiten, Erwerbslosigkeit ...) vorliegen und ob in der in dieser Bestimmung vorgesehenen Dreiwochenfrist ein neuer Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge einer anderen Krankheit (= anderer regelwidriger Körper- oder Geisteszustand), für den die Voraussetzungen neuerlich zu prüfen sind, eingetreten ist. Es steht nicht fest, ob die Klägerin innerhalb der Dreiwochenfrist ihre Arbeitsfähigkeit zunächst wiedererlangt und auf Grund einer anderen Krankheit wieder verloren hat. So steht insbesondere auch nicht fest, ob die Beschwerden an der Hand bereits ab dem Zeitpunkt, in dem die Klägerin erstmalig darüber klagte, eine Arbeitsunfähigkeit bedingten bzw ob sie nach der Entlassung aus dem Krankenhaus weiterhin arbeitsunfähig war. Die "Feststellung" der Arbeitsunfähigkeit durch das Erstgericht deckt nur den Zeitraum bis 26. 8. 1999.

Im fortzusetzenden Verfahren wird zu beachten sein, dass die Frage, ob "Arbeitsunfähigkeit" vorliegt, eine Rechtsfrage ist. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates liegt Arbeitsunfähigkeit im Sinn des § 120 Abs 1 Z 2 ASVG vor, wenn der Erkrankte nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der Wegfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ist daher anzunehmen, wenn der Versicherte in der Lage ist, seine arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit wieder aufzunehmen, ohne dass dadurch eine Schädigung der Gesundheit oder eine Verschlechterung seines Zustandes zu erwarten ist (SSV-NF 5/19 mwN ua). In Schutzfristfällen ist dabei auf die Tätigkeit abzustellen, die Gegenstand des Arbeitsvertrages war, durch den die letzte vor der Schutzfrist liegende Versicherung begründet wurde. Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren ausreichende Feststellungen zu treffen haben, die die Beurteilung zulassen, ob im maßgeblichen Zeitraum vom 25. 8. 1998 bis zum Ablauf der dreiwöchigen Schutzfrist nach dem Erlöschen des Anspruches auf Krankengeld eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin vorlag bzw in welchem Zeitpunkt und in welcher Dauer gegebenenfalls ihre Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt war bzw ab wann gegebenenfalls neuerlich Arbeitsunfähigkeit eintrat.

Sollte sich auf Grund der ergänzenden Feststellungen ergeben, dass ein Anspruch der Klägerin auf Krankengeld zu Recht besteht, so wird bei der neuerlichen Entscheidung auch auf die normierte Höchstdauer dieses Anspruches (§ 139 ASVG) Bedacht zu nehmen sein (SSV-NF 1/35).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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