OGH 10Ob27/23b

OGH10Ob27/23b28.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Stefula, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A*, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 9.300 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die Rekurse der klagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 4. April 2023, GZ 22 R 15/23v‑28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 6. Dezember 2022, GZ 11 C 128/21y‑24, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00027.23B.0928.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb im April 2017 einen von der Beklagten produzierten Pkw *, Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) *, als Gebrauchtwagen (Kilometerstand ca 94.500) um 31.000 EUR (Verkäuferin war nicht die Beklagte). Die Erstzulassung dieses Fahrzeugs war im September 2014. In dem Fahrzeug ist ein 3.0 l‑V6‑Dieselmotor mit 150 kW/204 PS verbaut. Das Fahrzeug ist mit dem Motortyp EA897 ausgestattet, bei dem zwischen 17 und 33 Grad Celsius eine volle Abgasrückführung erfolgt und darunter und darüber die Ausrampung beginnt (sukzessive stufenweise Reduktion der Abgasrückführung).

[2] Das Fahrzeug des Klägers hatte im Jahr 2014 eine Typengenehmigung und hat sie bis zum Schluss der Verhandlung ohne jegliches Softwareupdate. Ein Thermofenster ist bei einer Thermokraftmaschine notwendig; die Frage ist nur in welchem Temperaturbereich die Abgasrückführung voll wirksam ist. Alle EU5‑ und EU6‑Dieselmotorhersteller haben ein ähnliches Thermofenster verbaut.

[3] Der Kläger hätte kein Fahrzeug gekauft, das nicht den EU-Abgasnormen entspricht, dies auch nicht zu einem günstigeren Preis.

[4] Der Kläger begehrt die Zahlung von 9.300 EUR und die Feststellung der Haftung für jeden zukünftigen Schaden, der ihm aus dem Kauf des Fahrzeugs und der unzulässigen Abschalteinrichtung im verbauten Dieselmotor zukünftig entsteht. Im erworbenen Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung („Thermofenster“) verbaut. Die Beklagte und sämtliche an dieser Vorgehensweise beteiligten Repräsentanten und Organe hätten rechtswidrig und schuldhaft und darüber hinaus absichtlich, arglistig, sittenwidrig und im Wissen um die Schädigung der zukünftigen Fahrzeugkäufer gehandelt. Als schädigender Dritter hafte die Beklagte für den überteuerten Kaufpreis. Der Kläger hätte für das Fahrzeug maximal einen um 30 % geringeren Kaufpreis gezahlt, um das manipulierte Fahrzeug zu erwerben. Dies entspreche auch dem objektiven Minderwert, der – bei Offenlegung der Manipulation – für das Fahrzeug zum Ankaufszeitpunkt gezahlt worden wäre. Da der Schaden auch darin bestehe, dass der Kläger aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung entweder mit einem Softwareupdate rechnen müsse, sodass Schäden im Bereich des Abgasrückführsystems, insbesondere AGR‑Ventil, AGR‑Kühler, Injektoren, die Folge seien, oder ohne Softwareupdate ein Zulassungsentzug drohe, werde ein Feststellungsbegehren betreffend die Haftung der beklagten Partei für zukünftige Schäden aus dem Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung erhoben.

[5] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Sie sei am Kaufvertragsabschluss nicht beteiligt gewesen noch habe sie Kenntnis davon gehabt. Die EG‑Typengenehmigung sei nach wie vor wirksam und auch ein Entzug der Zulassung sei nicht zu befürchten. Der Kläger habe das Fahrzeug seit dem Erwerb ohne Einschränkungen nutzen können. Thermofenster dienten dazu, plötzliche und unvorhersehbare Motorschäden zu vermeiden, die sich durch regelmäßige Wartungsmaßnahmen gerade nicht verhindern ließen. Die genaue Bedeutung des Thermofensters sei dem deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) offengelegt und von diesem als zulässig erachtet worden, sodass der Beklagten allenfalls aufgrund eines entschuldbaren Rechtsirrtums nicht einmal ein fahrlässiger Verstoß gegen unionsrechtliche Bestimmungen zum Vorwurf gemacht werden könne.

[6] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Der Kläger habe durch den Ankauf des Fahrzeugs bis zum Schluss der Verhandlung keinen Nachteil in seinem Vermögen erlitten. Selbst wenn im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden wäre, die eine Wertminderung zur Folge haben könnte, habe sich ein allenfalls dem Kläger entstehender Schaden letztlich (noch) nicht realisiert, weil er zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung noch im Besitz des Fahrzeugs gewesen sei und ihm ein künftiger Verkauf zu marktüblichem Preis noch immer offen stehe (jedenfalls „nicht auszuschließen“ sei).

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Schadenersatzansprüche könnten auch in Abgasmanipulationsfällen objektiv-abstrakt auf Basis des gemeinen Werts zum Schädigungszeitpunkt berechnet werden. Dass der Kläger das Fahrzeug uneingeschränkt nutze und dass bislang kein Typengenehmigungsentzug erfolgt sei, ändere nichts daran, dass der Kläger das Fahrzeug im Fall des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu teuer erworben und damit einen (objektiv-abstrakt berechneten) Schaden in Höhe des objektiven Minderwerts erlitten hätte. Anders als bei reinen Vermögensschäden (etwa aufgrund von Beratungsfehlern) sei der hier geltend gemachte Schadenersatzanspruch mit dem Eingriff in ein konkret geschütztes Rechtsgut (das Eigentum des Klägers) verbunden. Aufgrund des beim Fahrzeug verbauten Thermofensters liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Mit den Parteien sei aber die Beweislastverteilung hinsichtlich eines mangelnden Verschuldens der Beklagten an der Schutzgesetzverletzung zu erörtern und es seien nötigenfalls ergänzende Feststellungen zu treffen, ob aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung die vom Kläger behaupteten zukünftigen Schäden möglich seien. Den Rekurs ließ das Berufungsgericht zu, weil denkbar sei, dass der Oberste Gerichtshof seine Rechtsprechung zur Schadensberechnung im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH nicht aufrecht erhalten werde.

[8] Dagegen richten sich die Rekurse beider Streitteile mit dem Antrag auf Entscheidung in der Sache selbst; hilfsweise werden jeweils Aufhebungsanträge gestellt.

[9] Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung die Abweisung der Klagebegehren, hilfsweise den Rekurs des Klägers zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Rekurse sind zulässig, weil die Frage, ob der vom Kläger geforderte Geldersatz zusteht, einer Klarstellung bedarf. Sie sind jedoch nicht berechtigt.

[12] 1. Vorauszuschicken ist, dass die Streitteile die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht in Zweifel ziehen, dass auf den gegenständlichen Motor die Verordnung (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (VO 715/2007/EG ) anwendbar ist. Sie bezweifeln auch nicht, dass das in dem vom Kläger gekauften Fahrzeug implementierte „Thermofenster“ eine volle Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 17 und 33 Grad Celsius zulässt, weswegen eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt und es nicht darauf ankommt, ob diese notwendig ist, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist.

[13] Auf diese Fragen ist daher nicht weiter einzugehen.

[14] 2. Das Berufungsgericht ließ den Rekurs zur Frage zu, ob der objektive Minderwert des Fahrzeugs aufgrund des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung ein ersatzfähiger Schaden sei.

[15] 2.1. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass der Oberste Gerichtshof im Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a aussprach, dass der Geldersatz in Form der Zug‑um‑Zug‑Abwicklung gegenüber dem Hersteller eines mit unzulässiger Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs – jedenfalls in dem Fall, dass eine (geeignete) Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch Reparatur des Fahrzeugs nicht angeboten wird – verlangt werden kann (Rz 35; ebenso 6 Ob 150/22k Rz 45; 10 Ob 17/23g Rz 30). Ein solcher Anspruch folgt dem Zweck der übertretenen Normen, (auch) das Vertrauen eines Käufers auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung davor zu schützen, dass die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs eingeschränkt ist und sich das Vermögen des Erwerbers des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs infolge unrichtiger Übereinstimmungsbescheinigung nicht entsprechend den objektiv berechtigten Verkehrserwartungen oder einem von diesen Verkehrserwartungen abweichenden Willen des Erwerbers zusammensetzt (Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 29; 10 Ob 17/23g Rz 25).

[16] 2.2. Dies schließt allerdings die Geltendmachung eines Minderwerts des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs nicht aus. Die Regelungen zur Übereinstimmungsbescheinigung stellen nach dem EuGH eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Hersteller und dem individuellen Erwerber des Fahrzeugs her, woraus sich nach dem EuGH der Schutzgesetzcharakter der übertretenen Normen ergibt (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 82). Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass sich das rechtswidrige Handeln des Herstellers in einer Aufklärungspflichtverletzung erschöpft, weil eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung den Inhalt haben muss, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung den einschlägigen unionsrechtlichen Normen entspricht (Art 3 Z 36 Rahmen‑RL RL 2007/46/EG ) und Zulassung, Verkauf und Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (dieses Inhalts) zulässig wäre (Art 26 Rahmen‑RL RL 2007/46/EG ). Selbst eine wahrheitsgemäße Aufklärung durch den Hersteller könnte an der objektiven Rechtswidrigkeit des Inverkehrbringens des dem Art 5 VO 715/2007/EG widersprechenden Fahrzeug nichts ändern, weil der Erwerber gegen den Hersteller einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausgestattet ist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 89).

[17] 2.3. Der Kläger brachte im vorliegenden Verfahren vor, dass er für das Fahrzeug 30 % weniger als den (tatsächlich gezahlten) Kaufpreis gezahlt hätte, um das „manipulierte“ Fahrzeug zu erwerben; dies entspreche auch dem objektiven Minderwert, der – bei Offenlegung der Manipulation – für das Fahrzeug zum Ankaufszeitpunkt gezahlt worden wäre.

[18] 2.4. Da es in diesem Fall nicht um eine Rückgängigmachung der Vermögensverfügung bloß aufgrund einer Aufklärungspflichtverletzung geht, sondern unionsrechtlich vorgegeben ist, dass der Schaden bereits in der Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit liegen kann, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84), steht die im vorliegenden Verfahren getroffene Feststellung, dass der Kläger das Fahrzeug bei entsprechender Aufklärung (nicht nur nicht um den gezahlten Preis, sondern gar) nicht erworben hätte, dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen.

[19] 2.5. Die vom Berufungsgericht in der Zulassungsbegründung geäußerten Zweifel an der Ersatzfähigkeit des Schadens sind somit nicht berechtigt.

3. Zum Rekurs des Klägers:

[20] 3.1. Der Kläger macht geltend, dass hinsichtlich der subjektiven Tatseite kein Erörterungsbedarf bestehe und das Berufungsgericht das Ersturteil nicht aufheben hätte dürfen, weil die Beklagte keine Beweismittel zu ihrem diesbezüglichen Vorbringen angeboten habe.

[21] Entgegen der Auffassung des Klägers (und des Berufungsgerichts) hat die Beklagte nicht nur Vorbringen zum Fehlen eines Verschulden erstattet (ON 20 Seiten 3 f; ON 21 Seiten 2 ff), sondern auch Beweismittel dazu angeboten (ON 21 Seite 3). Unabhängig davon traf das Erstgericht dazu keine Feststellungen, sodass die Entscheidung des Berufungsgerichts schon wegen des Vorliegens sekundärer Feststellungsmängel nicht korrekturbedürftig ist. Anders als im Verfahren 10 Ob 2/23a beschränkte sich das Vorbringen der Beklagten im vorliegenden Verfahren nicht bloß darauf, ein vorsätzliches Handeln in Abrede zu stellen, sondern sie behauptete ausdrücklich, nicht einmal fahrlässig gehandelt zu haben, weil sie einem Rechtsirrtum unterlegen sei, sodass auch nicht von einem Zugeständnis auszugehen ist.

[22] 3.2. Soweit der Kläger überdies das Vorliegen sekundärer Feststellungsmängel in Abrede stellt, weil die Beklagte objektiv rechtswidrig gehandelt habe und es an der Beklagten gelegen wäre, ein fehlendes Verschulden darzulegen, lässt er außer Acht, dass die Beklagte entsprechendes Vorbringen erstattete.

4. Zum Rekurs der Beklagten:

[23] 4.1. Hinsichtlich der im Rekurs in Abrede gestellten Ersatzfähigkeit des vom Kläger geltend gemachten Schadens wird auf die obigen Ausführungen verwiesen (ErwGr 2.1. ff).

[24] 4.2. Die Beklagte verneint überdies das Vorliegen eines Schadens, weil eine aufrechte Typengenehmigung vorliege, sodass sich ein Schaden noch nicht realisiert habe.

[25] Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeugkäufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der EuGH allerdings an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG‑Typengenehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84). Der EuGH bejaht damit abschließend den Eintritt eines objektiv‑abstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Kaufvertrags (Maderbacher, Angemessener Schadenersatz in Abgasfällen, VbR 2023/63, 77). Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liegt das – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend einen Schaden im Sinn des § 1293 ABGB bildende – geringere rechtliche Interesse in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit (Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 22).

[26] Dass ein Schadenseintritt im vorliegenden Fall zu verneinen wäre, weil das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Klägers entsprochen hätte, behauptet die Beklagte – nach den getroffenen Feststellungen zutreffend – nicht.

[27] 4.3. Soweit die Beklagte auf dem Standpunkt steht, dass die übertretenen Normen des Unionsrechts keine Schutzgesetze darstellen würden, die den einzelnen Erwerber eines Fahrzeugs schützten, übergeht dies die gegenteilige Rechtsprechung des EuGH (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG). Ihre – auf Kletečka (Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen vor und nach EuGH C‑100/21 , ÖJZ 2023/64, 388) zurückgehende – Argumentation, dass sich aus der zitierten Entscheidung des EuGH ergebe, dass dieser nur bestimmte, im vorliegenden Fall nicht geltend gemachte Schäden im Blick habe, ist nicht zutreffend, weil der EuGH für die „Modalitäten“ des Schadenersatzanspruchs auf das nationale Recht verweist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 92). Dementsprechend nimmt der Oberste Gerichtshof – wie auch der Bundesgerichtshof (BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 28, 41) – an, dass dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bereits mit dem Erwerb ein ersatzfähiger Schaden entstanden sein kann (Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a Rn 22 ff).

[28] Die Unsicherheit hinsichtlich der Nutzbarkeit des Fahrzeugs liegt auch im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den übertretenen Normen (Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 28). Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist überholt; auch der Bundesgerichtshof nimmt nun aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben an, dass dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bereits mit dem Erwerb ein ersatzfähiger Schaden entstanden sein kann (BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 28 ff), der in dem Betrag liegt, um den der Käufer den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat (BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 40).

[29] 4.4. Die Ausführungen im Rekurs, wonach die Beklagte kein Verschulden am Vorliegen der Abschalteinrichtung treffe, wiederholen im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen, ändern aber nichts daran, dass dazu keine Feststellungen getroffen wurden, die die Beurteilung erlauben, ob bzw inwiefern die Beklagte ein Verschulden daran trifft, ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung hergestellt und in Verkehr gebracht zu haben. Der Kläger hat das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten nicht nur substantiiert bestritten (ON 21 Seiten 4 f), sondern behauptete schon in der Klage ein vorsätzliches Handeln der Beklagten, sodass von einem Zugeständnis des mangelnden Verschuldens durch ihn keine Rede sein kann.

[30] 5. Die Rekurse thematisieren das erhobene Feststellungsbegehren oder konkret seine Aufhebung nicht, sodass eine Überprüfung dieses selbständigen Punkts insofern nicht stattzufinden hat. Für das weitere Verfahren wird insofern auf die Entscheidung 10 Ob 17/23g (Rz 26 ff) verwiesen.

[31] 6. Die Fragen, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt und die Beklagte objektiv rechtswidrig gehandelt hat, stellen abschließend erledigte Streitpunkte dar, die auch aufgrund neuer Tatsachen nicht mehr in Zweifel gezogen werden können (RS0042031). Die Rechtssache ist aber hinsichtlich des Verschuldens der Beklagten noch nicht spruchreif. In diesem Zusammenhang sind im weiteren Verfahren folgende Grundsätze zu beachten:

[32] 6.1.1. Eine Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung setzt ein „Verschulden“ im Sinn (zumindest) einer vorzuwerfenden Sorgfaltswidrigkeit voraus (RS0026351), es kommt aber zu einer Beweislastumkehr (RS0026351 [T7]): Der Schädiger hat nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein „Verschulden“ trifft (RS0112234 [T1]; RS0026351 [T1]). Allfällige Negativfeststellungen gehen daher zu Lasten der Beklagten.

[33] 6.1.2. Die Beklagte stützte sich in diesem Zusammenhang darauf, dass sie unverschuldet von der Zulässigkeit der Abschalteinrichtung ausgegangen sei, weil sie auf die Richtigkeit der Vorgangsweise des zuständigen deutschen Kraftfahrt‑Bundesamts (KBA) vertrauen habe dürfen; eine spätere gerichtliche Interpretation der einschlägigen Vorschrift durch den EuGH vermöge an der zum Genehmigungszeitpunkt vertretbaren Einschätzung der beklagten Partei nichts zu ändern.

[34] Nach § 2 ABGB kann sich niemand damit entschuldigen, dass ihm ein gehörig kundgemachtes Gesetz nicht bekannt sei. Das Gesetz ist daher ohne Rücksicht auf die Kenntnis der davon Betroffenen anzuwenden. Daraus ist aber nicht zu folgern, dass eine solche Unkenntnis für sich allein schon ein Verschulden bedeuten muss. Die Unkenntnis verwaltungsrechtlicher Vorschriften begründet ein Schadenersatzansprüche auslösendes Verschulden nur dann, wenn die im besonderen Fall gebotene Aufmerksamkeit außer Acht gelassen wurde (RS0008651). Zwar ist jedermann verpflichtet, sich Kenntnis von den ihn nach seinem Lebenskreis betreffenden Gesetzesvorschriften zu verschaffen. Die Verletzung dieser Pflicht führt aber nur dann zu einem Verschuldensvorwurf, wenn mindestens leichte Fahrlässigkeit vorliegt, wenn also bei Anwendung gehöriger Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen die Rechtskenntnis in zumutbarer Weise erlangt hätte werden können (RS0013253). Ein Rechtsirrtum ist nach der Rechtsprechung dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlag und die Beteiligten auf Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften (RS0008651 [T9]). Im gegebenen Zusammenhang wäre überdies erforderlich, dass der relevante Sachverhalt (hier: die konkrete Abschalteinrichtung) der Behörde – aus der Sicht der Beklagten – bekannt war (vgl 2 Ob 152/21y Rz 57), und zwar ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten vor ihrer Entscheidung, weil nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestehen kann.

[35] 6.1.3. Zur Beurteilung, ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, bedarf es somit Feststellungen darüber, zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des gegenständlichen Fahrzeugs) aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse welche der Beklagten zurechenbare Person darauf vertrauen durften und auch konkret darauf vertraut haben, dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig war.

[36] 6.1.4. Sollte sich dabei ergeben, dass die Beklagte einem Rechtsirrtum unterlag, der nicht durch ein Vertrauen auf eine behördliche Entscheidung gerechtfertigt war (etwa weil bis zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Entscheidung ergangen ist oder der Behörde nicht die konkrete Abschalteinrichtung mit sämtlichen zur Beurteilung erforderlichen Parametern offengelegt worden war), wäre weiters zu prüfen, ob die Beklagte – wie sie außerdem behauptete (ON 21 Seite 5) – die Kenntnis der (richtigen) Rechtslage bei Anwendung gehöriger Sorgfalt überhaupt in zumutbarer Weise erlangen hätte können (vgl RS0013253). Das wäre etwa zu verneinen, wenn sie einem Rechtsirrtum unterlag und dieser auch bei hypothetischer Einholung einer behördlichen Entscheidung unter vollständiger und wahrheitsgemäßer Offenlegung des maßgeblichen Sachverhalts nicht ausgeräumt worden wäre, weil die Behörde die unrichtige Rechtsansicht der Beklagten geteilt hätte.

[37] 6.2. Unterlag die Beklagte im Sinn der vorstehenden Ausführungen einem entschuldbaren Rechtsirrtum (was auch die Berechtigung der weiters geltend gemachten Anspruchsgrundlagen einer arglistigen Irreführung im Sinn des § 874 ABGB und einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung beseitigen würde), wären die Klagebegehren abzuweisen. Läge hingegen kein entschuldbarer Rechtsirrtum vor oder verblieben diesbezügliche Zweifel, wäre das Leistungsbegehren dem Grunde nach berechtigt.

[38] 6.2.1. Hinsichtlich der Höhe des zustehenden Ersatzanspruchs wäre zu berücksichtigen, dass nach dem Vorbringen des Klägers der Kaufpreis dem Wert des vereinbarten (mängelfreien) Fahrzeugs entsprach (oben ErwGr 2.4.), was von der Beklagten nicht bestritten wurde. Die Berechnung des Schadenersatzanspruchs anhand der Differenz zwischen dem Wert des mängelfreien Fahrzeugs und jenem des mangelhaften Fahrzeugs (§ 1323 ABGB; vgl RS0030236; siehe auch BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 40, 6. Juli 2021, VI ZR 40/20 Rn 19) oder unter Anwendung der relativen Berechnungsmethode, wonach sich der vereinbarte Preis zum geänderten Preis so verhalten muss wie der Wert der Sache ohne Mangel zum Wert der Sache mit Mangel (so 5 Ob 100/22z Rz 18), würde daher im vorliegenden Fall zum selben Ergebnis führen.

[39] 6.2.2. Im vorliegenden Fall sind allerdings primär die unionsrechtlichen Anforderungen an die Ersatzleistung zu beachten: Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, wonach die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der VO 715/2007/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen und nationale Vorschriften dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90, 93), ist jedenfalls ein angemessener Schadenersatzbetrag zu gewähren, den der Bundesgerichtshof innerhalb einer Bandbreite von 5 % (aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität als Untergrenze) und 15 % (aus Gründen unionsrechtlicher Verhältnismäßigkeit als Obergrenze) des Kaufpreises annimmt (BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rn 73 ff). Dabei wird durchaus in Kauf genommen, dass potenziell umweltschädigende Fahrzeuge nicht aus dem Verkehr gezogen, sondern weiter verwendet werden.

[40] 6.2.3. Diese Vorgaben können auch für das österreichische Recht übernommen werden, sodass das Erstgericht den zu ersetzenden Betrag im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen-)Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen hätte. Dem Einwand, dass ein Ersatz von (höchstens) 15 % dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht entspreche (so Maderbacher, VbR 2023, 80), ist – jedenfalls für das österreichische Recht – zu entgegnen, dass dem Kläger, der das Fahrzeug bei Kenntnis des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erworben hätte, auch der Anspruch auf Zug‑um‑Zug‑Abwicklung zur Verfügung stünde; dieser würde den unionsrechtlichen Vorschriften, die überhaupt gegen den (Weiter‑)Betrieb eines mit unzulässiger Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs sprechen, noch mehr zur Durchsetzung verhelfen.

[41] Ein allfälliges Parteivorbringen, dass Fahrzeuge auch nach Kenntnis des „Abgasskandals“ (insbesondere am Gebrauchtwagenmarkt) zum gleichen Preis wie vor dieser Kenntnis gehandelt wurden, wäre bei der Ermittlung des Schadenersatzbetrags nach § 273 Abs 1 ZPO aufgrund der genannten unionsrechtlichen Vorgaben, einen angemessenen Betrag zu ermitteln, ohne Bedeutung und somit auch kein Grund für die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

[42] Stünde aber das Nichtvorliegen eines Minderwerts fest oder wäre dies unstrittig, wäre dies ein Grund dafür, den zu zahlenden Betrag im unteren Bereich der Bandbreite festzusetzen.

[43] 6.3. Hinsichtlich des vom Kläger erhobenen Feststellungsbegehrens wird einerseits die Entscheidung 10 Ob 17/23g (Rz 26 ff) zu beachten sein, nach der mit einem allfälligen Softwareupdate verbundene Schäden im Bereich des Abgasrückführsystems die Gültigkeit der EG‑Typengenehmigung oder der Übereinstimmungsbescheinigung nicht in Frage stellen und keine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit der Fahrzeugnutzung mit sich bringen und somit nicht vom Schutzzweck der hier gegenständlichen unionsrechtlichen Schutzgesetze erfasst sind.

[44] Für den vom Feststellungsbegehren weiters als zukünftiger Schaden erfassten Entzug der Zulassung haftet die Beklagte andererseits ebenso wenig, weil das Risiko des Entzugs der Zulassung bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt. Dadurch wird letztlich jener Zustand hergestellt, der bei Kenntnis vom Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegen würde. Aufgrund der Entscheidung des Erwerbers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs, das Fahrzeug in seinem Vermögen zu behalten und nicht die nach österreichischem Recht mögliche Zug-um-Zug-Abwicklung, sondern den Ersatz des Minderwerts zu begehren, geht er das Risiko des – von ihm als möglich angesehenen – Zulassungsentzugs vielmehr bewusst ein. Der Umstand, dass sich dieses Risiko in weiterer Folge verwirklicht, ist daher nicht zusätzlich zum dadurch geminderten Wert des Fahrzeugs bei Vertragsabschluss ersatzfähig, sondern damit bereits abgegolten. Welche anderen, noch nicht abgegoltene und derzeit nicht bezifferbare Schäden aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten eintreten könnten, lässt sich dem Vorbringen des Klägers (bislang) nicht entnehmen.

[45] 7.1. Die aufhebende Entscheidung des Berufungsgerichts ist somit zu bestätigen.

[46] 7.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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