OGH 10Ob1/13i

OGH10Ob1/13i29.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M*****, geboren am 30. Jänner 2004, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung, Bezirke 1, 4‑9, 1060 Wien, Amerlingstraße 11), wegen Unterhaltsvorschuss, über die Revisionsrekurse der Minderjährigen und des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. September 2012, GZ 42 R 175/12i‑62, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 28. Februar 2012, GZ 2 Pu 167/11d‑57, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der Minderjährigen wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird dem Revisionsrekurs des Bundes dahin Folge gegeben, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Begründung

Die mj M*****, die serbische Staatsangehörige ist, ist das Kind von D***** und Z***** (vormals *****). Die Mutter der Minderjährigen ist am 7. 8. 2006 verstorben. Die Minderjährige befindet sich in Obsorge ihrer mütterlichen Großmutter, die österreichische Staatsbürgerin ist, in Wien. Der Vater ist mazedonischer Staatsbürger und geht in Österreich keiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach. Er ist für drei weitere in Deutschland lebende Kinder im Alter von 17, 16 und 13 Jahren sorgepflichtig und lebt derzeit vermutlich in Mazedonien. Da sein Aufenthaltsort unbekannt ist, bestellte das Erstgericht für ihn mit Beschluss vom 9. 11. 2011 einen Kurator (ON 45).

Mit weiterem Beschluss vom 7. 12. 2011 (ON 48) wies das Erstgericht das Begehren der Minderjährigen, den Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 84 EUR zu verpflichten, im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Einkommens‑ und Lebensverhältnisse des Vaters seien völlig unbekannt.

Am 23. 12. 2011 beantragte die Minderjährige die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG und brachte im Wesentlichen vor, eine Unterhaltsfestsetzung sei nicht möglich, weil die Einkommensverhältnisse des Vaters völlig unbekannt seien. Es sei aber auch nicht offenbar, dass der Vater zu keinerlei Unterhaltsleistungen imstande sei. Die Minderjährige sei Angehörige eines österreichischen Staatsbürgers. Österreichische Staatsbürger seien auch EU‑Bürger; es werde daher auch der einem Drittstaat angehörigen Minderjährigen die Angehörigkeit eines EU‑Bürgers vermittelt. Sollte dies deswegen anders beurteilt werden, weil im gegenständlichen Fall die Minderjährige Angehörige eines österreichischen Staatsbürgers sei, würde dies eine unzulässige Inländerdiskriminierung darstellen und wäre daher verfassungswidrig.

Das Erstgericht wies das Begehren der Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass in der konkreten Konstellation keine Rechtsgrundlage für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen an die Minderjährige als serbische Staatsangehörige bestehe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen teilweise Folge und bewilligte Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in der Höhe von jeweils 40 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. 12. 2011 bis 30. 11. 2016. Es ging bei seiner Entscheidung aufgrund ergänzender Feststellungen davon aus, dass die mütterliche Großmutter 2007 als Küchenhilfe tätig war, sie auch derzeit als Pflichtversicherte in das österreichische Sozialversicherungssystem integriert sei und der Durchschnittslohn in Mazedonien ca 350 EUR netto monatlich betrage.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Rekursgericht im Wesentlichen die Auffassung, nach der Regelung des § 2 Abs 1 Satz 1 UVG hänge der Anspruch des unterhaltsberechtigten Kindes, das Drittstaatsangehöriger sei und dessen gewöhnlicher Aufenthalt im Inland liege, auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen von der Staatsbürgerschaft und dem Beschäftigungsstatus seiner Eltern ab. Sei der im gemeinsamen Haushalt lebende Elternteil EWR‑Bürger oder Schweizer Staatsbürger, komme aufgrund des EWR‑Abkommens bzw des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz nach wie vor die VO (EWG) 1408/71 zur Anwendung, wenn ein Elternteil als tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer, Selbständiger oder Pensionist in das System der sozialen Sicherung in Österreich integriert sei, sofern auch ein grenzüberschreitender Bezug gegeben sei, der allerdings vom EuGH eher großzügig angenommen werde. Dies vermittle dem drittstaatsangehörigen Kind einen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach Art 3 VO (EWG) 1408/71 iVm § 2 Abs 1 UVG. Demgegenüber habe ein drittstaatsangehöriges Kind nach dem Wortlaut des § 2 Abs 1 UVG keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn der im gemeinsamen Haushalt lebende Elternteil Inländer sei. Letzteres stelle eine unzulässige Inländerdiskriminierung dar. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 2 Abs 1 Satz 1 UVG sei daher davon auszugehen, dass Unterhaltsvorschüsse nicht nur drittstaatsangehörigen Kindern zu gewähren seien, deren betreuender Elternteil Staatsbürger des EWR oder der Schweiz sei, in das inländische System der sozialen Sicherheit als tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer, Selbständiger oder Pensionist einbezogen sei und einen Wanderungstatbestand im Sinne der VO (EWG) 1408/71 gesetzt habe, sondern ‑ im Wege der Analogie ‑ auch drittstaatsangehörigen Kindern, deren betreuender Elternteil Inländer sei und als tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer, Selbständiger oder Pensionist in das österreichische System der sozialen Sicherheit einbezogen sei. Das bloße Fehlen eines Wanderungstatbestands könne eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.

Vorschüsse seien gemäß § 4 Z 2 UVG auch zu gewähren, wenn die Festsetzung des Unterhalts aus Gründen auf Seiten des Unterhaltsschuldners nicht gelinge, außer dieser sei nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung nicht imstande. Unterhaltsvorschüsse seien nach dieser Bestimmung vor allem dann zu gewähren, wenn der Unterhaltsschuldner ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ unbekannten Aufenthalts sei oder Ungewissheit über seine Lebensverhältnisse herrsche, weil in diesen Fällen der für die Unterhaltsbemessung relevante Sachverhalt nicht ermittelt werde könne. Der Bund habe den Beweis der Leistungsunfähigkeit des Vaters gar nicht angetreten. Ausgehend vom festgestellten Durchschnittseinkommen in Mazedonien erscheine unter Berücksichtigung des unterhaltsrechtlichen Existenzminimums und der weiteren Unterhaltspflichten des Vaters ein Unterhaltsanspruch der Minderjährigen in Höhe von höchstens 40 EUR monatlich realistisch. In diesem Umfang habe die Minderjährige Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 iVm § 6 Abs 2 Z 2 UVG.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs wegen Fehlens einer einschlägigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur gegenständlichen Fragestellung zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionsrekurse des Bundes und der Minderjährigen. Der Bund begehrte die Wiederherstellung des antragsabweisenden Beschlusses des Erstgerichts. Die Minderjährige bekämpft die Höhe der vom Rekursgericht gewährten Unterhaltsvorschüsse und begehrt die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 2 UVG in voller Höhe.

Es wurden keine Revisionsrekursbeantwortungen erstattet.

Der Revisionsrekurs des Bundes ist berechtigt, derjenige der Minderjährigen ist nicht berechtigt.

1. Zum Revisionsrekurs des Bundes:

In seinem Revisionsrekurs macht der Rechtsmittelwerber inhaltlich im Wesentlichen geltend, Grundvoraussetzung für die Anwendung der VO (EWG) 1408/71 sei das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts. Im vorliegenden Fall bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass die Großmutter der Minderjährigen jemals von ihrem Recht auf Freizügigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger im Sinne des Gemeinschaftsrechts Gebrauch gemacht hätte. Schon aus diesem Grund könne die VO (EWG) 1408/71 in Bezug auf die Großmutter der Minderjährigen keine Anwendung finden. Die VO (EWG) 1408/71 sei mit 1. 5. 2010 von der neuen Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 abgelöst worden. Durch den Eintrag in den Anhang I dieser VO seien österreichische Unterhaltsvorschüsse, die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als Familienleistungen qualifiziert worden seien, vom Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ausdrücklich ausgenommen worden. Schon aus diesem Grund könne das Begehren der Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen auch nicht mit Erfolg auf die seit 1. 5. 2010 geltende VO (EG) 883/2004 gestützt werden.

Hinsichtlich der Rechtsstellung des Vaters der Minderjährigen, der mazedonischer Staatsbürger sei, komme eine Anwendung der VO (EG) 859/2003 , welche die Geltung der VO (EWG) 1408/71 unter bestimmten Voraussetzungen auf Drittstaatsangehörige erweitere, in Betracht. Mit der VO (EG) 859/2003 seien aber Drittstaatsangehörige den EU‑ bzw EWR‑Bürgern nicht generell, sondern nur in Bezug auf grenzüberschreitende Bewegungen innerhalb der EU‑ bzw EWR‑Mitgliedstaaten gleichgestellt worden. Es entspreche daher der ständigen Rechtsprechung, dass drittstaatsangehörige Kinder bei reinem Inlandsbezug nicht in den persönlichen Geltungsbereich der VO (EWG) 1408/71 und der VO (EWG) 574/72 fallen, weshalb sie in diesem Fall keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse im Inland haben. An dieser Rechtslage für Drittstaatsangehörige habe sich auch durch die neue Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 keine Änderung ergeben. Im vorliegenden Fall könne sich die Minderjährige im Hinblick darauf, dass nach der Aktenlage nur eine Verbindung ihres Vaters zu einem Drittstaat bestehe, nicht mit Erfolg auf die Bestimmungen der VO (EG) 859/2003 berufen.

Schließlich liege auch die vom Rekursgericht angenommene Inländerdiskriminierung nicht vor. So gelte die VO (EG) 883/2004 seit 1. 6. 2010 auch im Verhältnis der EU‑Staaten zu Island, Norwegen und Liechtenstein und bestünde daher auch für Angehörige dieser Staaten kein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 UVG haben mj Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind, Anspruch auf Vorschüsse.

2. Mit 1. 5. 2010 wurden die VO (EWG) 1408/71 („Wanderarbeitnehmerverordnung“) von der neuen Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 und die Durchführungsverordnung VO (EWG) 574/72 von der neuen Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 abgelöst. Durch den Eintrag in den Anhang I der neuen Koordinierungsverordnung sind österreichische Unterhaltsvorschüsse, die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als Familienleistungen qualifiziert wurden, vom Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ausdrücklich ausgenommen worden. Dies bedeutet, dass seit 1. 5. 2010 Unterhaltsvorschüsse im Unionsrechtskontext nicht mehr auf Grundlage des Europäischen Koordinierungsrechts in Gestalt der VO (EG) 883/2004 zu beurteilen sind (10 Ob 88/10d mwN; RIS‑Justiz RS0125933). Schon aus diesem Grund kann das Begehren der Antragstellerin auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nicht mit Erfolg auf die Bestimmungen der VO (EG) 883/2004 gestützt werden.

3. Im Rechtssetzungsverfahren zur VO (EG) 883/2004 konnte zunächst kein Konsens über den Kommissionsvorschlag erzielt werden, Drittstaatsangehörige ‑ das sind Personen, die Staatsangehörige eines Staats sind, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist ‑ unmittelbar in den persönlichen Geltungsbereich einzubeziehen. Die Erstreckung auf Drittstaatsangehörige wurde daher einer separaten Verordnung vorbehalten. Mit der Verordnung (EU) 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2010 wurde die Anwendung der VO (EG) 883/2004 und VO (EG) 987/2009 auch auf Drittstaatsangehörige ausgedehnt, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter die beiden genannten Verordnungen fallen, sowie auf ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und sich in einer Lage befinden, die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betrifft. Die VO (EU) 1231/2010 ist am 1. 1. 2011 in Kraft getreten und hat die frühere Drittstaatsangehörigenverordnung VO (EG) 859/2003 abgelöst. Die Antragstellerin, die Angehörige eines Drittstaates (Serbien) ist, kann ihr Begehren auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen schon deshalb nicht mit Erfolg auf die VO (EU) 1231/2010 stützen, weil, wie bereits erwähnt, Unterhaltsvorschüsse vom Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ausgenommen sind. Darüber hinaus sind Drittstaatsangehörige auch nach der VO (EU) 1231/2010 EU‑Bürgern nicht generell gleichgestellt, sondern nur in Bezug auf grenzüberschreitende Bewegungen innerhalb der EU‑Mitgliedstaaten, wodurch ein Bezug von zumindest zwei Mitgliedstaaten hergestellt wird. Die Verbindung zu einem Drittstaat (hier: Serbien) und einem einzigen Mitgliedstaat (hier: Österreich) würde daher ebenfalls nicht ausreichen, um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt zu begründen. Es ist insoweit keine Änderung der bisherigen Rechtslage nach der VO (EG) 859/2003 eingetreten (vgl zu dieser Rechtslage: RIS‑Justiz RS0119548).

3.1 Nach Art 90 Abs 1 lit c der VO (EG) 883/2004 blieb die VO (EWG) 1408/71 für die Zwecke des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit sowie anderer Abkommen, die auf die Verordnung (EWG) 1408/71 Bezug nehmen, vorerst weiterhin in Kraft und behielt ihre Rechtswirkung, solange diese Abkommen nicht infolge der vorliegenden Verordnung geändert worden sind. Für diese Übergangszeit galt daher im Verhältnis zu den EWR‑Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen sowie zur Schweizerischen Eidgenossenschaft die VO (EWG) 1408/71 fort. Die VO (EG) 883/2004 über die Koordinierung der Vorschriften über die soziale Sicherheit und die diesbezügliche Durchführungsverordnung (EG) 987/2009 gelten nunmehr seit 1. 4. 2012 auch für Schweizer Staatsbürger und seit 1. 6. 2012 auch für Staatsbürger der EWR‑Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen, wenn diese Berührungspunkte mit einem EU‑Staat aufweisen (vgl Shubshizky , Erweiterte Anwendbarkeit und Änderung der Verordnung [EG] Nr. 883/2004, ASoK 2012, 314). Für Drittstaatsangehörige hat sich dadurch keine Änderung der Rechtslage ergeben.

4. Der Umstand, dass Unterhaltsvorschüsse seit 1. 5. 2010 nicht mehr unter die Koordinierungsvorschriften der neuen Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 fallen, bedeutet aber nicht, dass die Grundsätze des EU‑Rechts auf diese Leistung nicht mehr anzuwenden sind. Da Unterhaltsvorschüsse zweifellos als soziale Vergünstigungen in den Anwendungsbereich des AEUV fallen, sind darauf die Grundsätze dieses Vertrags anzuwenden ( Spiegel in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Art 1 VO 883/2004 Rz 77). Der EuGH hat ausdrücklich festgehalten, dass Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Koordinierungsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit dem sonstigen Unionsrecht zu überprüfen sind. Es kommt daher bei Unterhaltsvorschüssen aufgrund der unmittelbaren Wirkung des Art 18 AEUV das Gleichbehandlungsgebot gegenüber Unionsbürgern unverändert zur Anwendung ( Felten in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Art 67 VO 883/2004 Rz 7 mwN).

4.1 Art 18 AEUV, der ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsbürgerschaft innerhalb des Unionsrechts enthält, führt daher dazu, dass der Staatsbürgervorbehalt des Art 2 UVG unionsrechtswidrig ist (vgl M. Windisch‑Graetz , Neuerungen im Europäischen koordinierten Sozialrecht, DRdA 2011, 219 ff [221] mwN). Kinder mit der Staatsangehörigkeit eines EU‑Mitgliedstaats und gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich würden im Vergleich zu österreichischen Kindern in der gleichen Situation diskriminiert, weshalb in diesen Fällen das Staatsbürgerschaftskriterium im Lichte des Primärrechts (Art 18 AEUV) so zu lesen ist, dass Kinder mit der Staatsbürgerschaft eines EU‑Mitgliedstaats bei gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich nicht von österreichischen Unterhaltsvorschüssen ausgeschlossen werden dürfen ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 2 UVG Rz 10 mwN; § 1 UVG Rz 16 mwN). Aus diesem Grund hat auch der erkennende Senat bereits unter dem Regime der VO (EWG) 1408/71 bei reinen Inlandsfällen einen Vorschussanspruch von Kindern mit der Staatsbürgerschaft eines anderen EU‑Mitgliedstaats bejaht (vgl 10 Ob 76/08m, 10 Ob 43/08h ua; RIS‑Justiz RS0124262) und an dieser Rechtsprechungslinie auch seit der Geltung der neuen Koordinierungsverordung VO (EG) 883/2004 mit 1. 5. 2010 ausdrücklich festgehalten (vgl 10 Ob 14/10x = RIS‑Justiz RS0125925 ua).

4.2 Es liegt hier aber keine Fallkonstellation vor, bei der aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 18 AEUV (ex‑Art 12 EGV) ein Anspruch der drittstaatsangehörigen Antragstellerin auf österreichische Unterhaltsvorschüsse abgeleitet werden könnte. Obwohl der Wortlaut von Art 18 AEUV undifferenziert „Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit“ verbietet, ist dennoch davon auszugehen, dass sich grundsätzlich (dh, soweit nicht spezielle gemeinschaftsrechtliche Regelungen anderes vorsehen) Drittstaatsangehörige nicht auf Art 18 AEUV berufen können. Art 18 AEUV ist ‑ wie insbesondere auch die besonderen Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten ‑ eine die Inländergleichbehandlung für die Angehörigen der Union konstituierende Vorschrift, die Drittstaatsangehörige grundsätzlich ausschließt. Nur dort, wo das Unionsrecht vertragliche Bestimmungen oder sekundärrechtliche Vorschriften enthält, die den Drittstaatsangehörigen eine gemeinschaftsrechtlich begründete Rechtsposition verleihen, die auch den Schutz durch das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV einschließt, können sich Drittstaatsangehörige auf diese Bestimmung berufen (vgl Holoubek in Schwarze [Hrsg], EU‑Kommentar³ Art 18 AEUV Rz 36 f mwN; Kucsko‑Stadlmayer in Mayer , EU‑ und EG‑Vertrag Art 12 EGV Rz 22 mwN).

4.3 Da Unterhaltsvorschussleistungen von der VO (EG) 883/2004 ausdrücklich ausgenommen sind und in der VO (EU) 1231/2010 ein allgemeines Diskriminierungsverbot für Drittstaatsangehörige fehlt, kann sich die drittstaatsangehörige Antragstellerin für die von ihr begehrte Gewährung von Unterhaltsvorschüssen daher auch nicht mit Erfolg auf das Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV stützen.

5. Soweit das Rekursgericht unter Bezugnahme auf die im Verhältnis zu EWR‑Bürgern und Schweizer Staatsbürgern mittlerweile auch nicht mehr bestehende vorübergehende Weitergeltung der VO (EWG) 1408/71 eine unzulässige Inländerdiskriminierung zu erkennen meinte, vermag sich dem der erkennende Senat im Hinblick auf die drittstaatsangehörige Antragstellerin, für deren geltend gemachten Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse ab 1. 12. 2011 aus den bereits dargelegten Gründen eine Anwendung der VO (EWG) 1408/71 nicht mehr in Betracht kommt, nicht anzuschließen.

6. Der Antragstellerin steht daher nach dem hier allein zur Anwendung kommenden innerstaatlichen Recht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse zu, weil sie weder österreichische Staatsangehörige noch staatenlos ist (§ 2 Abs 1 UVG).

2. Zum Revisionsrekurs der Minderjährigen:

Da nach den dargelegten Ausführungen kein Anspruch der Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen besteht, erübrigt sich ein Eingehen auf die in ihrem Revisionsrekurs allein relevierte Frage der Höhe der Unterhaltsvorschüsse.

Es war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses des Bundes die antragsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

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