VOG §1 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:W265.2231217.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg, vom 04.05.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 22.01.2020 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG). Dabei gab er an, dass sein minderjähriger Sohn im Jahr 2017 unter Drogeneinfluss von seinem Betreuer sexuell missbraucht worden sei. Nun benötige er selbst auch ein bis zwei Jahre Psychotherapie und habe die Behandlung am 10.12.2019 begonnen.
Seinem Antrag legte er eine Stellungnahme seiner Psychotherapeutin vom 14.01.2020 bei, aus welcher hervorgeht, dass der Beschwerdeführer als alleinerziehender Vater, während die Kindesmutter wieder verheiratet sei und zwei Kinder in Rumänien habe, zusätzlich mit dem Trauma, welches seine Kinder und er erlebt hätten belastet sei. Er sei von Schuldgefühlen geplagt, dass er dem Betreuer vertraut und nicht seine pädophilen Neigungen erkannt habe. Der Beschwerdeführer habe zahlreiche PTSB Symptome: depressive Symptomatik, Schlafprobleme, zahlreiche psychosomatische Beschwerden, Appetitlosigkeit, er rauche zu viel, habe Angst um seine Kinder und um die Existenz, weil er derzeit auch arbeitslos sei. Der Beschwerdeführer brauche dringend eine Psychotherapie um sein Leben und auch das seiner sehr bedürftigen Kinder in den Griff zu bekommen und auch die weitere Fähigkeit zu erlernen seine Kinder als alleinerziehender Vater weiter auf den richtigen Weg zu bringen.
Mit Schreiben vom 21.01.2020 bewilligte die österreichische Gesundheitskasse hinsichtlich der am 10.12.2019 gestarteten Psychotherapie die Inanspruchnahme von 60 Sitzungen.
Vorgelegt wurde des Weiteren das Urteil des XXXX vom XXXX , XXXX , mit welchem der Täter wegen Begehung der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (§ 206 Abs. 1 StGB) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (§ 212 Abs. 1 Z 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt wurde. Dabei nahm der Täter in zumindest neun Angriffen geschlechtliche Handlungen an dem minderjährigen Sohn, geb. 06.03.2009, des Beschwerdeführers vor, indem er einen Oralverkehr an ihm durchführte, dessen entblößten Penis betastete, diesen mit der Hand umfasste, manuell stimulierte und zeitgleich an sich selbst Handonanie durchführte, seinen eigenen Penis an dessen Penis rieb, dessen Brustwarze leckte, seinen Finger in den Anus einführte, von hinten auf die Höhe des Hinterns wiederholt geschlechtsverkehrsnachahmende Stoßbewegungen ausführte, dessen Anus leckte, über dessen Gesäß onanierte, seinen Penis zwischen dessen Pobacken rieb und auf dessen Penis, Bauch und Pobacken ejakulierte.
Aus dem Verwaltungsakt des Sohnes des Beschwerdeführers ist ersichtlich, dass sein Sohn an den Krankheitsbildern F43.2 und F43.24 leidet. Seine Psychotherapie habe am 12.09.2018 begonnen und er werde zwei bis drei Jahre Therapie benötigen.
Mit Parteiengehör vom 30.03.2020 teilte die belangten Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung abzuweisen und gab ihm die Möglichkeit binnen vier Wochen Stellung nehmen zu können. Da er kein unmittelbares Opfer im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG sei, lasse sich eine allfällige Anspruchsberechtigung nach dem VOG in seinem Fall anhand der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu den Schockschäden nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien ableiten, jedoch sei den vorliegenden Aktenunterlagen keine psychische Gesundheitsschädigung seines Sohnes zu entnehmen, die einer schwersten Verletzung, welche im Zeitpunkt der Nachricht entweder akute Lebensgefahr oder die konkrete Gefahr dauernder Pflegebedürftigkeit berge, gleichzusetzen wäre.
Eine Stellungnahme langte vom Beschwerdeführer nicht sein.
Hingegen brachte eine weitere Stellungnahme der Psychotherapeutin zum Sohn des Beschwerdeführers in dessen Verfahren Kenntnisse über den Stand der Psychotherapie des Sohnes. Und zwar teile die Psychotherapeutin in ihrem Schreiben vom 23.04.2020 mit, dass die Therapie noch bis zum Sommer gehen werde, da für den Patienten am 19.02.2020 noch 30 Stunden medizinisch bewilligt worden seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.05.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung gemäß § 1 Abs. 1 VOG ab und begründete die Entscheidung wie im Parteiengehör vom 30.03.2020.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 19.05.2020 das Rechtsmittel der Beschwerde und führte darin aus, was er noch mit der Beschwerde erreichen könne, wenn sein Antrag abgelehnt worden sei und nur möglich wäre, wenn sein Sohn tot oder schwer behindert wäre. Aufgrund seiner PTBS Symptomatik nach dem Verbrechen, welche seinem Sohn passiert seien, seien ihm von der Krankenkasse 60 Stunden bewilligt worden und er habe gehofft, dass das Sozialministeriumservice die restlichen Kosten übernehmen könne. Er habe bereits einige Stunden an Psychotherapie in Anspruch genommen und hätten ihm diese sehr geholfen sich zu stabilisieren und von den Schuldgefühlen zu befreien. Er habe sich darauf konzentriert für seine Kinder da zu sein und habe lernen können sie besser zu beschützen. Obwohl er arbeitslos sei, seien die Kosten für die Psychotherapie abgelehnt worden. Er habe nicht einmal die gerichtlich genehmigte Entschädigung von EUR 1.000,- bekommen, weil der Täter kein Geld habe, obwohl dessen Eltern sehr vermögend seien. Wenn sein Sohn Opfer von einem Wiederholungstäter geworden sei, welcher das zweite Mal in Haft sitze, sollte die Entschädigung in jedem Fall höher sein, damit er wenigstens bessere Bedingungen für seinen Sohn schaffen könne und seine psychotherapeutische Behandlung und die Anwaltskosten bezahlen könne. Die Hilfeleistung nach dem VOG sei mit bürokratischen Einschränkungen verbunden. Er brauche psychotherapeutische Hilfe, damit er seinen Sohn weiter unterstützen und begleiten könne, dass er mit möglichst geringem Schaden davonkomme.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger.
Der am 06.03.2009 geborene Sohn des Beschwerdeführers wurde in der Zeit vom 16.06.2017 bis 14.02.2018 in zumindest neun Angriffen sexuell missbraucht, indem der Täter jeweils einen Oralverkehr an ihm durchführte, dessen entblößten Penis betastete, diesen mit der Hand umfasste, manuell stimulierte und zeitgleich an sich selbst Handonanie durchführte, seinen eigenen Penis an dessen Penis rieb, dessen Brustwarze leckte, seinen Finger in den Anus einführte, von hinten auf die Höhe des Hinterns wiederholt geschlechtsverkehrsnachahmende Stoßbewegungen ausführte, dessen Anus leckte, über dessen Gesäß onanierte, seinen Penis zwischen dessen Pobacken rieb und auf dessen Penis, Bauch und Pobacken ejakulierte.
Der Sohn erlitt dabei eine Anpassungsstörung mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens (F43.2 und F43.24) und nimmt seit 12.09.2018 Psychotherapie in Anspruch, welche im Sommer 2020 abgeschlossen sein wird. Die psychische Erkrankung seines Sohnes erreicht keine schwere psychische und seelische Verletzung oder Traumatisierung, sodass von einer „schwersten Verletzung“ gesprochen werden muss.
Der Beschwerdeführer ist alleinerziehender Vater und zeigt Symptome einer PTBS. Er begann am 10.12.2019 eine Psychotherapie.
Der Beschwerdeführer leidet an keiner psychischen Gesundheitsschädigung, deren Ursache allein in den psychischen Schädigungen seines Sohnes liegt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellung zur österreichischen Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers basiert auf dem Akteninhalt.
Dem Akt liegt auch das Urteil des XXXX vom XXXX ein, mit welchem der Täter wegen der – unter anderem – an dem Sohn des Beschwerdeführers durchgeführten Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt wurde.
Die Gesundheitsschädigungen, an welchen der Sohn des Beschwerdeführers verbrechenskausal leidet, ergeben sich aus der Beantwortung seiner Psychotherapeutin von seitens der belangten Behörde gestellten Fragen mit Stellungnahme vom 19.11.2018, welche im Verwaltungsakt ebenfalls einliegend ist. Die psychischen Gesundheitsschädigungen des Sohnes stellen keine schwersten Verletzungen dar. Die Dauer der Psychotherapie erstreckte sich auf zweieinhalb Jahre. Dazu nahm die Psychotherapeutin in einem Schreiben vom 23.04.2020 Stellung. Durch die Therapie haben sich Verbesserungen im Gesundheitszustand des Sohnes des Beschwerdeführers ergeben. Sie empfiehlt jedoch eine präventive Behandlung, da es sich bei ihm noch um ein Kind handelt und dies seine zukünftige Persönlichkeitsentwicklung positiv beeinflussen könnte, damit das Opfer später nicht zum Täter wird. Auch spielt bei der Therapie das Gefühl des im-Stich-gelassen-werden durch die Mutter eine Rolle.
Die Feststellung zu PTBS-Symptomen beim alleinerziehenden Beschwerdeführer selbst basieren auf der Stellungnahme seiner (derselben) Psychotherapeutin vom 14.01.2020. Dass diese jedoch nur an dem Umstand liegen, dass sein Sohn sexuell missbraucht wurde, ist aus der Stellungnahme nicht abzuleiten. So spielen beim Beschwerdeführer mehrere Umstände zusammen. Die Psychotherapeutin führt nachvollziehbar aus, dass der Beschwerdeführer als alleinerziehender Vater zusätzlich mit dem Trauma seiner Kinder – ein Missbrauch der Tochter stand auch im Raum – belastet ist. Die Kindesmutter ist wieder verheiratet und hat weitere zwei Kinder in Rumänien. Zudem leidet er an Existenzängsten, da er derzeit arbeitslos ist. Dass seine psychische Gesundheitssituation auf die erlittenen Verbrechen seines Sohnes zurückzuführen sind, konnte daher nicht festgestellt werden. Zusammenfassend hielt die Psychotherapeutin damit übereinstimmend fest, dass der Beschwerdeführer Psychotherapie benötige, um sein Leben und das seiner Kinder in den Griff zu bekommen. Auch müsse er in der Therapie die Fähigkeit erlernen seine Kinder als alleinerziehender Vater weiter auf den richtigen Weg zu bringen.
Im Übrigen lag bei seinem Sohn kein Verletzungsgrad vor, welcher geeignet gewesen wäre, beim Vater einen Schockschaden bzw. eine Belastungsreaktion im Sinn von krankheitswerten seelischen Schmerzen im Sinne der Judikatur des OGHs auszulösen. Zu diesbezüglich weiteren Ausführungen wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes lauten auszugsweise:
„Kreis der Anspruchsberechtigten
§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder
2. durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder
3. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.
…
Hilfeleistungen
§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:
…
2. Heilfürsorge
a) ärztliche Hilfe,
b) Heilmittel,
c) Heilbehelfe,
d) Anstaltspflege,
e) Zahnbehandlung,
f) Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit (§ 155 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955);
...
Heilfürsorge
§ 4. (1) Hilfe nach § 2 Z 2 ist nur für Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 zu leisten. Opfer, die infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 eine zumutbare Beschäftigung, die den krankenversicherungsrechtlichen Schutz gewährleistet, nicht mehr ausüben können, sowie Hinterbliebene (§ 1 Abs. 4) erhalten Heilfürsorge bei jeder Gesundheitsstörung.
…
(5) Erbringt der Träger der Krankenversicherung auf Grund der Satzung dem Opfer oder dem Hinterbliebenen einen Kostenzuschuß für psychotherapeutische Krankenbehandlung infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1, so sind die Kosten für die vom Träger der Krankenversicherung bewilligte Anzahl der Sitzungen, die das Opfer oder der Hinterbliebene selbst zu tragen hat, bis zur Höhe des dreifachen Betrages des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung zu übernehmen. Sobald feststeht, dass der Träger der Krankenversicherung einen Kostenzuschuss erbringt, kann vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auch eine Direktabrechnung der Kosten mit dem Psychotherapeuten unter Bevorschussung des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung vorgenommen werden, in diesem Fall ist der geleistete Kostenzuschuss vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zu vereinnahmen. Eine Kostenübernahme bis zum angeführten Höchstausmaß erfolgt auch, sofern der Träger der Krankenversicherung Kosten im Rahmen der Wahlarzthilfe erstattet.
…“
Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger und erfüllt damit die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen nach dem Verbrechensopfergesetz.
Einer der Tatbestände nach § 1 Abs. 1 VOG ist jedoch nicht erfüllt.
Wie die belangte Behörde richtigerweise davon ausging, ist der Beschwerdeführer selbst kein unmittelbares Opfer einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG.
Da der Beschwerdeführer als Vater des Opfers naher Angehöriger ist, gelangt allenfalls der für Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz ebenso anspruchsbegründende Tatbestand des § 1 Abs. 1 Z 2 VOG, welcher an die bürgerlich-rechtlichen Kriterien knüpft, zur Anwendung. Demgemäß ist die entsprechende Judikatur zu Schockschäden der Zivilgerichte heranzuziehen.
Nach ständiger Rechtsprechung des OGH gebührt nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten „Schockschaden“ mit Krankheitswert Schmerzengeld, weil diese „Dritten“ durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind. Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, die die Erstverletzung verhindern soll, sondern aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheinen muss, einen Schockschaden herbeizuführen (s. RIS-Justiz RS0116865, RS0116866, RS0117794).
(Vermeintliche) Schockschäden naher Angehöriger mit (behauptetem) Krankheitswert sind jedenfalls nur dann ersatzfähig, wenn die Verletzungshandlung - im Rahmen einer typisierten Betrachtung - in hohem Maße geeignet erschien, einen solchen Schockschaden herbeizuführen, was insbesondere bei schwersten Verletzungen naher Angehöriger in Frage kommen kann (RIS-Justiz RS0031111 [T22]).
Der Ersatz des Schockschadens mit Krankheitswert wird über Tötungsdelikte hinaus insbesondere auch bei schwerster Verletzung naher Angehöriger bejaht (RIS-Justiz RS0116865 [T9, T11], RS0031111 [T13, T18]). Schwerste Verletzungen sind solche, bei denen die Nachricht auf den nahen Angehörigen typischerweise ähnlich wie eine Todesnachricht wirkt (RIS-Justiz RS0116865 [T9]). Die Verletzungen des Opfers müssen im Zeitpunkt der Nachricht von einer solchen Schwere sein, dass entweder akute Lebensgefahr oder die konkrete Gefahr dauernder Pflegebedürftigkeit besteht (RIS-Justiz RS0127926, RS0031111 [T32]). Andere schwere Verletzungen sind hingegen nicht als haftungsbegründend anzuerkennen. Die Rechtsprechung hält insoweit an den engen Grenzen der Ersatzfähigkeit von Schockschäden fest (OGH 13.06.2012, 2 Ob 136/11f mwN). Keine „schwerste“ Verletzung lag hingegen bei einem posttraumatischen Belastungssyndrom vor (OGH 12.06.2006, 2 Ob 53/05s).
Grundsätzlich ist auch der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen eine Tathandlung, die bei der unmittelbar betroffenen Person schwere psychische und seelische Verletzungen oder Traumatisierungen herbeiführen kann und in der Folge auch bei nahen Angehörigen Schockschäden und Belastungsreaktionen im Sinne von krankheitswertigen seelischen Schmerzen auslösen kann. Nicht anders als bei Körperverletzungshandlungen sind jedoch nicht sämtliche Missbrauchshandlungen geeignet, Ansprüche von nahen Angehörigen auszulösen. Vielmehr gilt es hier die Art der Verletzungshandlung, die Schwere der Tat und die konkreten Folgen einzubeziehen (vgl. OGH 24.01.2019, 9 Ob 1/19s).
Die Frage, ob die physische oder psychische Beeinträchtigung des Opfers ein solches Ausmaß erreicht, dass nach den diesbezüglichen Kriterien Schadenersatz für die dadurch ausgelöste seelische Gesundheitsschädigung eines nahen Angehörigen zuerkannt werden kann, entzieht sich aber einer allgemeinen Aussage des Obersten Gerichtshofes. Entscheidend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalles (RIS-Justiz RS0116865 [T13]).
Im gegenständlichen Fall ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts die hohe Erheblichkeitsschwelle im Sinne der Judikatur des OGH zu Schockschäden nach § 1325 ABGB nicht erreicht. Der Sohn des Beschwerdeführers erlitt durch die Tathandlungen eine Anpassungsstörung mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens, wodurch eine zweieinhalb jährige Psychotherapie erforderlich wurde. Dass der Sohn des Beschwerdeführers jedoch eine lebenslange Psychotherapie aufgrund der sexuellen Missbräuche benötigen würde, geht aus den Stellungnahmen der ihn behandelnden Psychotherapeutin nicht hervor. Sie empfiehlt zwar eine weitere Behandlung, führt dazu jedoch begründend aus, dass dies aus präventiven Gründen nötig wäre, da es um ein Kind gehe und die zukünftige Persönlichkeitsentwicklung damit positiv beeinflusst werden könne, sodass das Opfer später nicht zum Täter werde. Eine Schwere der Tat, welche vergleichbar wäre mit dem Bestehen akuter Lebensgefahr oder der konkreten Gefahr dauernder Pflegebedürftigkeit liegt damit gegenständlich nicht vor.
Darüber hinaus konnte nicht festgestellt werden, dass die psychischen Symptome des Beschwerdeführers, welche eine Psychotherapie erforderlich erscheinen lassen, infolge der Verletzungen durch die sexuellen Missbräuche seines Sohnes aufgetreten sind. Es sprechen jedenfalls einige Indizien dagegen. Die Psychotherapeutin führt wie in der Beweiswürdigung bereits dargelegt auch andere Gründe für die Symptome des Kindesvaters an. So ist er als alleinerziehender Vater per se bereits besonderen Belastungen ausgesetzt. Hinzu kommt, dass ihn Existenzängste aufgrund seiner aktuellen Arbeitslosigkeit plagen. Die Psychotherapeutin beschreibt den Zweck der Therapie damit, sein Leben und das seiner Kinder in den Griff zu bekommen, sowie auch die Fähigkeit zu erlernen seine Kinder als alleinerziehender Vater auf den richtigen Weg zu bringen. Darin ist kein Schockschaden, welcher im kausalen Zusammenhang mit der Nachricht über die sexuellen Missbräuche seines Sohnes steht. Dagegen spricht auch, dass er die Psychotherapie erst am 10.12.2019, sohin über ein Jahr später als sein Sohn begann. Ein Schockschaden nach § 1 Abs. 1 Z 2 VOG tritt nach Ansicht des erkennenden Gerichtes unmittelbar nach der Nachricht über die Schädigung naher Angehöriger ein und nicht derart lange Zeit später. Selbst wenn jedoch von dem Vorliegen eines kausal auf die Verletzungen seines Sohnes zurückzuführenden Schockschadens auszugehen wäre, wäre dieser nicht ersatzfähig, da dies zur Voraussetzung hätte, dass sein Sohn selbst schwerste Verletzungen erlitten hätte. Dies trifft hier nicht zu: Die festgestellte Anpassungsstörung mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens mit einer zweieinhalb Jahre nach sich ziehenden Dauer einer Psychotherapie könnte nicht als eine solche „schwerste" Verletzung qualifiziert werden (vgl. OGH 12.06.2006, 2Ob53/05s).
Die grundsätzlichen Voraussetzungen für Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz gemäß § 1 Abs. 1 VOG liegen damit nicht vor.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
3. wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Im vorliegenden Fall wurde eine Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht für nicht erforderlich erachtet, zumal für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt durch Aktenstudium des vorgelegten Fremdaktes, insbesondere auch der Beschwerde, zu klären war. Alle aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes notwendigen Unterlagen befanden sich im verwaltungsbehördlichen Fremdakt. Ansonsten waren im gegenständlichen Fall rechtliche Fragen zu klären. Damit liegt ein besonderer Grund vor, welcher auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR eine Einschränkung des Grundrechts auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zulässt. Im Fall Faugel (EGMR 20.11.2003, 58647/00 und 58649/00) wurde ein solch besonderer Grund, der von der Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung entbindet, etwa dann angenommen, wenn in einem Verfahren ausschließlich rechtliche oder höchst technische Fragen zur Diskussion stehen. Dem Bundesverwaltungsgericht liegt auch kein Beschwerdevorbringen vor, das mit der beschwerdeführenden Partei mündlich zu erörtern gewesen wäre und konnte daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Hat das Erkenntnis nur eine geringe Geldstrafe zum Gegenstand, kann durch Bundesgesetz vorgesehen werden, dass die Revision unzulässig ist.
Die Revision ist im gegenständlichen Fall gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, da es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der mit BGBl. I Nr. 58/2013 am 01.04.2013 in Kraft getretenen Bestimmung des § 1 Abs. 1 Z 2 VOG betreffend Schockschäden Dritter mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert fehlt. Höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Schockschäden mit Krankheitswert gibt es lediglich vom OGH, welcher auf die bürgerlich-rechtliche Bestimmung des § 1325 ABGB Bezug nimmt und im gegenständlichen Fall zwar, insbesondere aufgrund der ausdrücklichen Anordnung in § 1 Abs. 1 Z 2 VOG: „nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien“, zur Orientierung herangezogen werden kann und auch wurde. Zu sexuellen Missbräuchen im Speziellen wurde jedoch auch seitens des OGH noch nicht umfassend judiziert.
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