BVwG W111 2271063-1

BVwGW111 2271063-18.8.2023

B-VG Art133 Abs4
B-VG Art14 Abs7a
SchPflG 1985 §6
SchUG §3 Abs1 lita
SchUG §5
SchUG §70 Abs1
SchUG §71 Abs1
SchUG §71 Abs2 lita
Schulreifeverordnung §1
Schulreifeverordnung §2
Schulreifeverordnung §3
Schulreifeverordnung §4
Schulreifeverordnung §5
Schulreifeverordnung §6
Schulreifeverordnung §7

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W111.2271063.1.00

 

Spruch:

 

W111 2271063-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., über die Beschwerde des mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die erziehungsberechtigte Mutter XXXX , gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Wien vom 03.03.2023, Zl. 9131.203/0003-Präs3a2/2023, zu Recht:

 

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Entscheidung der Schulleiterin der Volksschule XXXX , vom 23.01.2023 wurde im Rahmen der Schülereinschreibung festgestellt, dass der Beschwerdeführer (in Folge: BF) die Schulreife im Sinne des § 6 Abs. 2b SchPflG aufweise. Er habe die erste Schulstufe als ordentlicher Schüler zu besuchen.

2. Am 27.01.2023 erhob der BF - im Wege seiner erziehungsberechtigten Mutter - gegen diese Entscheidung Widerspruch und brachte zusammengefasst vor, dass er nicht schulreif sei, da er eine kurze Aufmerksamkeitsspanne habe und sich nicht länger als 15 bis 20 Minuten konzentrieren könne. Daher wäre er nicht in der Lage, dem Unterricht über 50 Minuten zu folgen und seinen Bewegungsdrang zu unterdrücken. Die sprachliche Kompetenz sei zudem durch einen stark ausgeprägten Sigmatismus eingeschränkt. Außerdem vollende er erst kurz vor Schuleintritt das sechste Lebensjahr, weswegen sich das Vorschuljahr sehr positiv auf seine geistige und körperliche Entwicklung auswirken würde. Es seien noch diverse andere Gründe gegeben, welche jedoch zum Schutz der Privatsphäre des BF nicht näher erläutert würden. Ebenso bestätige seine behandelnde Kinderärztin im Rahmen eines Befundes die nicht vorhandene Schulreife des BF. Die Eltern seien überdies bei der Schuleinschreibung nicht miteinbezogen worden. Beigelegt wurde das betreffende Befundschreiben vom 18.01.2023.

3. In weiterer Folge holte die belangte Behörde intern ein pädagogisches Gutachten der zuständigen Schulqualitätsmanagerin zur Überprüfung ein. Im Endergebnis führte sie aus, dass der BF bei der persönlichen Vorstellung am 23.01.2023 in allen für die Schulreife relevanten Bereichen durchschnittlich bis überdurchschnittlich abgeschnitten habe. Die Entscheidung der Schulleiterin sei nachvollziehbar und fachlich korrekt.

4. In einer E-Mail vom 22.02.2023 nahm der BF zum Gutachten im Wesentlichen dahingehend Stellung, dass zunächst weder eine Frist von drei Tagen zur Erstattung einer Stellungnahme noch die fünftägige Widerspruchsfrist angemessen sei. Insofern sei es auch nicht möglich gewesen, einen ausführlicheren Befund der behandelnden Ärztin des BF oder ein psychologisches Gutachten beizulegen. Der BF sei noch nicht sozial/emotional reif, es sei ihm laut eigener Aussage sehr schwer gefallen sich zu konzentrieren und ruhig zu sein. Zudem weise er eine niedrige Frustrationstoleranz, eine emotionale Unreife, eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit sowie weitere Defizite auf.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Widerspruch ab (Spruchpunkt I.). Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde wurde ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass sich aus dem pädagogischen Gutachten zweifelsfrei ergebe, dass der BF schulreif sei und daher im Schuljahr 2023/24 die 1. Schulstufe als ordentlicher Schüler zu besuchen habe. Da der BF laut dem besagten Gutachten in allen für die Schulreife relevanten Bereichen durchschnittlich bis überdurchschnittlich abgeschnitten habe, wäre eine Einschulung in die Vorschulklasse nach Ansicht der belangten Behörde nicht von Vorteil, sondern würde im Gegenteil sogar eine Unterforderung des BF nach sich ziehen und letztlich dazu führen, dass der BF nicht entsprechend seinen Begabungen und Möglichkeiten beschult würde. Bei der Widerspruchsfrist von fünf Tagen handle es sich um eine gesetzliche Frist (§ 71 Abs. 1 und 2 SchUG), die von der Behörde nicht verändert werden könne.

6. Dagegen erhob der BF die am 06.04.2023 rechtzeitig ergangene – jedoch nicht unterschriebene -Beschwerde, in welcher auf das Wesentlichste zusammengefasst ausgeführt wurde, dass der BF nicht die sozial-emotionale Reife für den Schuleintritt in die 1.Klasse besitze. Das eingeholte Gutachten stelle keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung der belangten Behörde dar, zumal im Zuge dessen der BF nicht einer persönlichen Begutachtung unterzogen worden sei. Der BF besuche keinen Kindergarten und befinde sich in häuslicher Erziehung. Der BF verfüge nur über eine geringe Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsfähigkeit, eine emotionale Reife und Frustrationstoleranz seien nicht gegeben. Durch die gegebene Betreuung könne die Mutter den BF nach seiner Begabung fördern und ihm den nötigen Raum zur freien Entfaltung bieten. Ebenfalls würde das Vorschuljahr dem BF die notwendige Zeit verschaffen, um die Diskrepanz zwischen kognitiven und sozial-emotionalen Fähigkeiten zu minimieren. Der Ist-Zustand seiner aktuellen sozial-emotionalen Fähigkeiten sei momentan unzureichend.

7. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 26.04.2023, eingelangt am 02.05.2023, die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass die Tatsache, wonach der BF laut pädagogischem Gutachten bereits zum 15.02.2023 in allen für die Schulreife relevanten Bereichen durchschnittliche bis überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt habe, den logischen Schluss nahelege, dass die festgestellte Schulreife zum Beginn des Schuljahres 2023/24 - daher mehr als ein halbes Jahr später - umso stärker ausgeprägt bzw. weiterhin vorliegend sein würde. Die Bedenken der Erziehungsberechtigten würden daher nicht nachvollziehbar erscheinen.

8. Nach Vorhalt durch das Bundesverwaltungsgericht wurde mit Eingabe vom 13.06.2023 die Unterschrift nachgereicht und ein Empfehlungsschreiben für ein Vorschuljahr einer Psychologin vom 24.05.2023 sowie ein weiterer Arztbrief vom 05.06.2023 vorgelegt.

9. Am 25.07.2023 wurde von der Amtssachverständigen XXXX ein Gutachten - basierend auf einer persönlichen Begutachtung des BF - erstattet. Zusammenfassend wird in diesem Gutachten ausgeführt, dass der BF aus schulpsychologischer Sicht über die kognitive Reife, eine altersadäquate sprachliche Kompetenz sowie eine ausreichende körperliche und sozial-emotionale Reife verfüge, um dem Lehrplan der 1. Klasse Volksschule folgen zu können. Darüber hinaus sei die Kindsmutter in einem ausführlichen Beratungsgespräch über die Begutachtungsergebnisse informiert worden.

10. Mit Schreiben vom 02.08.2023 brachte die Amtssachverständige eine zu ihrem Gutachten ergänzende Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der am XXXX geborene mj. BF wird im Schuljahr 2023/24 schulpflichtig.

Am 23.01.2023 erfolgte die Schuleinschreibung des BF bei der Schulleiterin der Volksschule XXXX .

Zum Zeitpunkt der Schülereinschreibung waren die Grunddispositionen zum Erlernen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen beim BF ausreichend entwickelt. Er konnte zwei- und dreisilbigen Wörtern nachklatschen sowie zwei, drei, und vier sinnfreie Silben nachsprechen. Das Merken einer Zahlenfolge/Wortfolge (je 4 Zahlen/ 4 Wörter) und das Nachsprechen eines zweizeiligen Reimes wurden fehlerfrei bewältigt, Anlaute im Vergleich konnten vom BF richtig zugeordnet werden. Der BF konnte sämtliche Körperteile an sich und an anderen erkennen, benennen und zeigen. Dabei kannte er auch jene Körperteile, die wenigen Kindern geläufig sind (z.B.: Ellbogen und Ferse). Alle Grund- und Mischfarben wurden vom BF erkannt und benannt, Fehlersuchbilder wurden bewältigt, eine sechsteilige Bilderreihe (Memory) konnte er - mit einem Fehler- aus dem Gedächtnis nachlegen. Der BF kannte die Begriffe „mehr-weniger-gleich“ und konnte sie richtig anwenden. Das Ordnen nach der Größe (6 Dinge) wurde von ihm bewältigt. Das Zählen gelang dem BF bis 20, das Weiterzählen ab 4 und das Zurückzählen von 10. Er konnte eine rhythmische Reihe, bestehend aus 3 unterschiedlichen Elementen, fortsetzen. Würfelbilder wurden von ihm erkannt und benannt, eine altersadäquate Simultanauffassung von 4 lag vor. Der BF ging an die Aufgabenstellungen selbstbewusst, neugierig und bereitwillig heran. Konzentration, Aufmerksamkeit und Ausdauer schienen altersentsprechend entwickelt. Das Verständnis von Arbeitsaufträgen war gegeben und die Aufgaben wurden vom BF in angemessenem Tempo, ohne Hilfestellung, entsprechend umgesetzt. Eine Konzentrationsspanne von ca. 15 Minuten entspricht jedenfalls dem durchschnittlichen Wert eines Schulanfängers. Von keinem Schulanfänger wird erwartet, sich durchgehend 50 Minuten konzentrieren zu können, auch ein durchgehendes Sitzen von 50 Minuten ist Schulanfängern nicht möglich, wobei dies auch nicht der schulischen Realität entspricht.

Der BF zeigte sich gesprächsbereit und drückte sich eloquent aus. Er verfügt über einen großen Wortschatz und drückte sich sowohl in der Spontansprache als auch beim Nacherzählen einer Bildgeschichte im Vergleich zur Altersgruppe auffallend gut aus. Bei der Lautbildung hatte der BF Probleme mit den s-Lauten (Sigmatismus/Lispeln). Sigmatismus ist im Alter von 3-6 Jahren durchaus noch im Bereich der normalen Sprachentwicklung. Gleichwohl wurde bei der Einschreibung die Empfehlung ausgesprochen, einen Logopäden zu konsultieren. Der Wortschatz, die Ausdrucksfähigkeit und das Sprachverständnis sind dadurch aber nicht eingeschränkt.

Im Bereich der grob- und feinmotorischen Entwicklung erreichte der BF ein durchschnittliches Ergebnis. Der BF ist ein körperlich normal entwickelter Bub. Folgende Übungen gelangen ihm: Ball werfen und fangen, auf einem Bein hüpfen (links und rechts), einbeiniges Stehen (je 10 Sekunden). Der BF ist Rechtshänder, seine Stifthaltung war nahezu adäquat (drei Finger), das Schneiden entlang einer gekrümmten Linie sowie das Bemalen einer Form unter Einhaltung der Begrenzungen gelang exakt. Die Linienführung innerhalb von Grenzen gelang durchschnittlich, bei der Ausführung der Grapheme seines Namens benötigte der BF etwas Unterstützung, konnte diese aber gut annehmen und sofort umsetzen.

In Bezug auf die sozialkommunikativen und personalen Kompetenzen fielen die Ergebnisse des BF altersentsprechend aus. Er konnte sich problemlos von der Mutter lösen und alleine in den zur Schulreifefeststellung vorbereiteten Raum mitgehen. Hierbei ging er an die Aufgabenstellungen selbstbewusst und neugierig heran und konnte sich altersentsprechend konzentrieren. Seine Ausdauer war ebenso seinem Alter entsprechend. Er konnte Spielregeln einhalten und Arbeitsaufträge selbstständig umsetzen, weiters zeigte er sich gesprächsbereit und freute sich über Lob. Gesprächsregeln wurden von ihm ebenfalls eingehalten.

Zum Zeitpunkt der Schülereinschreibung entsprach der BF mit seinen Ergebnissen der Schülereinschreibung einem durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen Schulanfänger.

Zum Untersuchungszeitpunkt 18.07.2023 (anlässlich der Erstellung Amtssachverständigengutachtens) wurde mit seiner Mutter erhoben, dass der BF einen altersadäquaten Geh- und Sprechbeginn aufweist. Der BF befand sich in häuslicher Erziehung für das letzte Kindergartenjahr. Des Weiteren berichtete hierbei die Mutter, dass sich der BF seit 17.07.2023 in logopädischer Betreuung befinde und eine klinisch-psychologische Diagnostik bei der XXXX geplant sei, legte aber diesbezüglich keine Befunde oder Unterlagen vor. Der BF verfügt über eine durchschnittliche kognitive Gesamtbegabung (WISC-V) und weist eine altersentsprechende phonologische Bewusstheit auf, die kurzfristige akustische Merkfähigkeit ist ebenso altersentsprechend einzustufen. Er kann Dinge adäquat benennen und verfügt über ein mengen- und zahlenbezogenes Vorwissen. Sehr gut gelangen dem BF die Größenvergleiche. Elementare Farben sind gesichert, die geometrische Grundformen wurden von ihm benannt und konnten wiedergegeben werden. Das kontinuierliche Zählen erfolgte bis 100, die simultane Mengenerfassung ist bei 5 Einheiten gesichert. Eine Schwäche (unterdurchschnittlicher Wert) ergibt sich im verbalen Schlussfolgern. Alle weiteren erhobenen Bereiche (allgemeines Faktenwissen, visuell-räumliches Schlussfolgern, simultane Verarbeitung, konzeptuelles Denken und die Fähigkeit zur Klassenbildung, visuelles Arbeitsgedächtnis, visuelle Diskrimination und Konzentration) sind innerhalb der Altersnorm aktualisiert. Das Instruktions- und Aufgabenverständnis ist gegeben, er verfügt über eine rasche Auffassungsgabe und eine altersadäquate Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung.

Er weist einen Sprachfehler (s, sch) auf. Gesamtbetrachtet verfügt der BF über eine altersgemäße sprachliche Ausdrucksfähigkeit und Sprachverständnis. Er zeigt zudem ein altersadäquates Faktenwissen im Index für Sprachverständnis (WISC-V).

Die Stifthaltung beim BF ist korrekt. In den schulischen Vorläuferfähigkeiten zeigen sich leichte Unsicherheiten im Bereich der Grafomotorik. Die Stellenbestimmung wird von rechts nach links gelöst. Insgesamt weist der BF hinsichtlich der grob- und feinmotorischen Geschicklichkeit aus schulpsychologischer Sicht ausreichende Fähigkeiten auf.

Der BF weist altersgemäße sozial-kommunikative und personale Kompetenzen auf. In der Begutachtungssituation zeigte er sich kontaktbereit, neugierig, redefreudig und am Testmaterial interessiert, die Trennung von der Mutter gelang problemlos. Er war zur Mitarbeit motiviert, zeigte sich anstrengungsbereit und freute sich über positive Rückmeldungen. Er fragte oftmalig zur Rückversicherung nach. Ein selbstständiges Arbeiten ist möglich.

Die sozial-emotionale Reife ist gegeben.

Es liegen keine medizinischen Gründe vor, die dem Besuch der Schule entgegenstehen oder den Schulbesuch zu einer für das Kind unzumutbaren Belastung werden lassen.

Eine Beschulung nach dem Lehrplan der 1. Schulstufe ist möglich.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde, der Beschwerde und dem hg. Gerichtsakt, insbesondere aus dem schulpsychologischen Gutachten der Amtssachverständigen XXXX .

Sowohl das von der belangten Behörde eingeholte pädagogische Gutachten als auch das schulpsychologische Gutachten zeigen, dass der BF über eine ausreichende sozial-emotionale Kompetenz verfügt. In der Begutachtungssituation bei der Amtssachverständigen zeigte sich der BF – wie festgestellt – unter anderem kontaktbereit, neugierig, redefreudig und am Testmaterial interessiert, wobei insbesondere die Trennung von der Mutter problemlos gelang. Instruktions- und Aufgabenverständnis sind auch gegeben. Dieser Befund deckt sich auch mit der Stellungnahme zur Schulreifefeststellung des BF bzw. dem pädagogischen Gutachten aus dem Administrativverfahren, woraus ebenfalls hervorgeht, dass sich der BF bei der Schulreifefeststellung problemlos von der Mutter lösen konnte und selbstbewusst und neugierig an die Aufgabenstellungen heranging, ebenso zeigte er sich gesprächsbereit und freute sich über Lob.

Diese schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen können durch das Vorbringen des BF nicht entkräftet werden. Zwar wird nicht verkannt, dass in beiden Gutachten hervorkommt, dass der BF Probleme mit den s-Lauten (Sigmatismus/Lispeln) hat und – laut schulpsychologischem Gutachten – leichte Schwächen im Bereich der Grafomotorik und beim verbalen Schlussfolgern aufweist. Hinsichtlich der Probleme mit den s-Lauten wurde schon im Gutachten vom 15.02.2023 nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass Sigmatismus im Alter von 3-6 Jahren durchaus noch im Bereich der normalen Sprachentwicklung ist, dadurch aber der Wortschatz, die Ausdrucksfähigkeit und das Sprachverständnis nicht eingeschränkt sind. In einer Gesamtbetrachtung stehen sohin die angesprochenen Umstände einer Beschulung nach dem Lehrplan der 1. Schulstufe nicht entgegen, da der BF insgesamt über eine altersgemäße sprachliche Ausdrucksfähigkeit und Sprachverständnis verfügt.

Wenn vorgebracht wird, der BF verfüge nur über eine geringe Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsfähigkeit, ist wiederum auf die diesbezüglich nachvollziehbaren und insofern deckungsgleichen Ausführungen in den beiden Gutachten zu verweisen, wonach der BF eine altersadäquate Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung aufweist. Zumal schon laut dem Gutachten vom 15.02.2023 eine Konzentrationsspanne von ca. 15 Minuten dem durchschnittlichen Wert eines Schulanfängers entspricht und von keinem Schulanfänger erwartet wird, sich durchgehend 50 Minuten konzentrieren zu können. Auch ein durchgehendes Sitzen von 50 Minuten ist Schulanfängern nicht möglich, wobei dies auch nicht der schulischen Realität entspricht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens - abgesehen vom Nachweis, dass es mit den Denkgesetzen oder mit den Erfahrungen des täglichen Lebens im Widerspruch steht - nur durch das Gutachten eines anderen Sachverständigen, das dem Gutachten auf gleichem fachlichen Niveau entgegentritt, entkräftet werden (vgl. etwa VwGH 08.04.2014, 2012/05/0004; 28.02.2012, 2009/04/0267, mwN). Der BF ist mit den vorgelegten Arztbriefen bzw. dem psychologischen Empfehlungsschreiben den schlüssigen und weitestgehend kongruenten Ausführungen in den beiden genannten Gutachten nicht auf gleichem fachlichem Niveau entgegengetreten und entkräftet so die daraus gezogenen Schlüsse nicht. Zu bedenken ist hinsichtlich des Empfehlungsschreibens für ein Vorschuljahr seitens einer Psychologin, dass darin nicht hinreichend nachvollziehbar dargelegt wird, wie die Psychologin zu den ihre betreffende Bewertung tragenden Erwägungen gelangt ist, insbesondere worin sie konkret die im Schreiben geäußerten Defizite im sozial-emotionalen Verhalten des BF begründet sieht. Insofern geht aus dem Schreiben auch nicht hervor, auf welcher konkreten Basis die Psychologin zur Beurteilung kommt, wonach der BF „die Schulreife noch nicht erreicht“ hätte, bzw. wie die Schulreife überhaupt überprüft worden wäre.

Hinsichtlich der vorgelegten Arztbriefe ist zu bemerken, dass zunächst in Bezug auf jenen Brief vom 18.01.2023, nicht ersichtlich ist, worauf die Beurteilung gründet, dass der BF – wenn auch nur zum damaligen Stand – die „Zeichen der Schulreife“ noch nicht entwickelt habe. Es wird darin lediglich lapidar auf „Aufmerksamkeit, Konzentration, Fähigkeit über länger als 20 Min. sitzen bleiben zu können etc.“ verwiesen, weitere Ausführungen sind dem Arztbrief nicht zu entnehmen. Was jenen Arztbrief vom 05.06.2023 anbelangt, so ist zunächst auszuführen, dass dieser zwar nunmehr eine Anamnese beinhaltet, jedoch im darin angestellten Befund darauf hingewiesen wird, erst nach Abklärung durch eine entwicklungsdiagnostische Testung eine Aussage „über die Schulreife“ machen zu können, weswegen von daher schon der Brief nicht geeignet ist, die Ausführungen der Sachverständigen zu entkräften. Soweit im Brief auf eine sprachliche Entwicklungsverzögerung und etwaige Aufmerksamkeitsdefizite (der BF sei außerstande, länger als 10-15 Minuten die Aufmerksamkeit zu halten) Bezug genommen wird, ist wiederum auf die obigen Erwägungen zu den Problemen mit den s-Lauten bzw. zur durchschnittlichen 15-minütigen Konzentrationsspanne eines Schulanfängers zu verweisen. Am Rande ist dabei zu bemerken, dass nicht hinreichend nachvollziehbar ausgeführt wird, wie die Ärztin zur Diagnose der sprachlichen Entwicklungsverzögerung beim BF gelangt, bzw. worin diese konkret bestehen würde.

Festzuhalten ist, dass sofern in dem vorgelegten Empfehlungsschreiben und den Arztbriefen die Schulreife des BF verneint wird, es sich bei der Beurteilung, ob eine Schulreife vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt, deren Beantwortung dem erkennenden Gericht obliegt und dessentwegen sich diese Einschätzungen als nicht beachtlich erweisen (vgl. etwa VwGH 29.10.2015, 2012/07/0044, wonach ein Sachverständiger Tatsachen klarzustellen und auf Grund seiner Sachkenntnisse deren allfällige Ursachen oder Wirkungen festzustellen hat; er muss aber immer im Bereich der Tatsachen bleiben und darf nicht Rechtsfragen lösen).

Darüber hinaus ergibt sich aus der Aktenlage kein Hinweis auf ein medizinisches Hindernis, welches dem Schulbesuch entgegensteht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.1. Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1.1. Die im gegenständlichen Fall maßgeblichen Bestimmungen lauten wie folgt:

Gemäß Art. 14 Abs. 7a B-VG beträgt die Schulpflicht zumindest neun Jahre und es besteht auch Berufsschulpflicht.

Gemäß § 3 Abs. 1 lit. a Schulunterrichtsgesetz (SchUG), BGBl. Nr. 472/1986, idgF, ist als ordentlicher Schüler nach Maßgabe des § 5 leg. cit. aufzunehmen, wer die gesetzlichen Aufnahmsvoraussetzungen für die betreffende Schulart und Schulstufe erfüllt.

Gemäß § 5 Abs. 2 SchUG hat über die Aufnahme der angemeldeten Aufnahmsbewerber der Schulleiter zu entscheiden, wobei für die Aufnahme in die Vorschulstufe und die 1. Stufe der Volksschule das Schulpflichtgesetz 1985 (SchPflG) gelten.

Gemäß § 70 Abs. 1 SchUG finden, soweit zur Durchführung von Verfahren andere Organe als die Schulbehörden berufen sind, die allgemeinen Verfahrensbestimmungen des AVG keine Anwendung und sind in den nachstehend angeführten Angelegenheiten die Absätze 2 bis 4 anzuwenden:

a) Aufnahme in die Schule und Übertritt in eine andere Schulart oder eine andere Form oder Fachrichtung einer Schulart (§§ 3 bis 5, 29 bis 31),

[…]

Gemäß § 71 Abs. 1 SchUG ist gegen Entscheidungen in den Angelegenheiten des § 70 Abs. 1 Widerspruch an die zuständige Schulbehörde zulässig. Der Widerspruch ist schriftlich (in jeder technisch möglichen Form, nicht jedoch mit E-Mail) innerhalb von fünf Tagen bei der Schule, im Falle der Externistenprüfungen bei der Prüfungskommission, einzubringen.

Gemäß § 71 Abs. 2 lit. a SchUG ist gegen die Entscheidung, dass die Einstufungs-, Aufnahms- oder Eignungsprüfung nicht bestanden worden ist (§§ 3, 8, 28 bis 31), ein Widerspruch an die zuständige Schulbehörde zulässig.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Schulpflicht (Schulpflichtgesetz 1985 [SchPflG]), BGBl. Nr. 76/1985, in der geltenden Fassung, lauten (auszugsweise):

„Aufnahme in die Volksschule zu Beginn der Schulpflicht

§ 6. (1) Die schulpflichtig gewordenen Kinder sind von ihren Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten zur Schülereinschreibung bei jener Volksschule anzumelden, die sie besuchen sollen. Hiebei sind die Kinder persönlich vorzustellen.

[…]

(2) Die Aufnahme der schulpflichtig gewordenen Kinder in die Volksschule hat in der Regel auf Grund der Schülereinschreibung für den Anfang des folgenden Schuljahres zu erfolgen.

(2a) Die Aufnahme der schulpflichtig gewordenen Kinder, die schulreif sind, hat in die erste Schulstufe zu erfolgen.

(2b) Schulreif ist ein Kind, wenn

1. es die Unterrichtssprache so weit beherrscht, dass es dem Unterricht in der ersten Schulstufe ohne besondere Sprachförderung zu folgen vermag, und

2. angenommen werden kann, dass es dem Unterricht in der ersten Schulstufe zu folgen vermag, ohne körperlich oder geistig überfordert zu werden.

(2c) Zur Feststellung der Schulreife gemäß Abs. 2b Z 1 ist § 4 Abs. 2a des Schulunterrichtsgesetzes anzuwenden.

(2d) Ergeben sich anlässlich der Schülereinschreibung Gründe für die Annahme, dass das Kind die Schulreife gemäß Abs. 2b Z 2 nicht besitzt, oder verlangen die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten eine Überprüfung der Schulreife, hat der Schulleiter zu entscheiden, ob das Kind die Schulreife gemäß Abs. 2b Z 2 aufweist. Der zuständige Bundesminister hat durch Verordnung die näheren Festlegungen über das Vorliegen der Schulreife gemäß Abs. 2b Z 2 zu treffen.

(2e) Die Aufnahme schulpflichtiger, jedoch gemäß Abs. 2b Z 1 nicht schulreifer Kinder hat nach Maßgabe der Testung gemäß § 4 Abs. 2a des Schulunterrichtsgesetzes

1. in Deutschförderklassen oder

2. je nach Vorliegen oder Nichtvorliegen der Schulreife gemäß Abs. 2b Z 2 in die erste Schulstufe oder in die Vorschulstufe in Verbindung mit besonderer Sprachförderung in Deutschförderkursen

zu erfolgen. Die Aufnahme schulpflichtiger, jedoch auch gemäß Abs. 2b Z 2 nicht schulreifer Kinder hat in die Vorschulstufe zu erfolgen.

[…]“

Die Verordnung des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung über die näheren Festlegungen betreffend das Vorliegen der Schulreife (Schulreifeverordnung), BGBl. II Nr. 300/2018, lautet wie folgt:

„Schulreife

§ 1. (1) Die Schulreife eines Kindes gemäß § 6 Abs. 2b Z 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985, liegt vor, wenn es dem Unterricht der ersten Schulstufe zu folgen vermag, ohne körperlich oder geistig überfordert zu werden. Dies setzt ausreichende kognitive Reife und Grunddispositionen zum Erlernen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen, ein altersgemäßes Sprachverständnis sowie eine altersgemäße sprachliche Ausdrucksfähigkeit und die für die erfolgreiche Teilnahme am Unterricht der ersten Schulstufe erforderliche körperliche und sozial-emotionale Reife voraus.

(2) Die Kriterien gemäß Abs. 1 sind entsprechend den Festlegungen der §§ 2 bis 5 zu überprüfen.

Kognitive Reife und Grunddispositionen zum Erlernen der Kulturtechniken

§ 2. Die kognitive Reife und Grunddispositionen zum Erlernen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen sind ausreichend entwickelt, wenn das Kind

1. über phonologische Bewusstheit verfügt,

2. rasch und sicher vertraute Objekte benennen kann,

3. über ein mengenbezogenes Vorwissen verfügt,

4. über ein zahlenbezogenes Vorwissen verfügt sowie

5. ein altersgemäßes Aufmerksamkeits- und Konzentrationsverhalten zeigt.

Sprachliche Kompetenz

§ 3. Für die Überprüfung der sprachlichen Kompetenz sind ein altersgemäßes Sprachverständnis sowie eine altersgemäße sprachliche Ausdrucksfähigkeit zu berücksichtigen.

Körperliche Reife

§ 4. Für die Überprüfung der körperlichen Reife sind allgemeine körperliche Fähigkeiten zur Erfüllung schulischer Aufgaben sowie die dafür maßgebliche grob- und feinmotorische Geschicklichkeit zu berücksichtigen.

Sozial-emotionale Reife

§ 5. Eine ausreichende sozial-emotionale Reife liegt vor, wenn das Kind insbesondere über die für die erfolgreiche Teilnahme am Unterricht der ersten Schulstufe erforderlichen

1. sozialkommunikativen Kompetenzen sowie

2. personalen Kompetenzen

verfügt.

Verweisungen

§ 6. Soweit in dieser Verordnung auf Bundesgesetze verwiesen wird, sind diese in der mit dem Inkrafttreten der jeweils letzten Novelle dieser Verordnung geltenden Fassung anzuwenden.

Inkrafttreten

§ 7. Diese Verordnung tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung im Bundesgesetzblatt in Kraft.“

3.1.2. Die zitierten Bestimmungen des Schulpflichtgesetzes bauen auf der grundsätzlichen, in der Bundesverfassung (Art 14 Abs. 7a B-VG) verankerten Schulpflicht auf.

Aus der Aktenlage ergibt sich zweifelsfrei das Gesamtbild, dass beim mj. BF eine ausreichende kognitive Reife und ausreichende Grunddispositionen zum Erlernen der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen, ein altersgemäßes Sprachverständnis sowie eine altersgemäße sprachliche Ausdrucksfähigkeit und die für die erfolgreiche Teilnahme am Unterricht der ersten Schulstufe erforderliche körperliche und sozial-emotionale Reife vorliegen.

Demnach sind die in der Schulreifeverordnung aufgelisteten Voraussetzungen der Schulreife zur Gänze gegeben und ist der BF als schulreif zu qualifizieren.

Wenn in diesem Zusammenhang eine Überforderung des BF im Falle der Beschulung nach dem Lehrplan der 1. Schulstufe vorgebracht wird, ist auf die nach § 17 Abs. 5 SchUG gesetzlich eingeräumte Möglichkeit hinzuweisen, innerhalb der Vorschulstufe und der ersten drei Schulstufen der Volksschule während des Unterrichtsjahres in die nächsthöhere oder nächstniedrigere Schulstufe zu wechseln, wenn dadurch der Lernsituation des Schülers eher entsprochen wird und eine Unter- oder Überforderung in körperlicher oder geistiger Hinsicht nicht zu befürchten ist.

Somit hat die belangte Behörde den Widerspruch im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet.

Ein gesonderter Abspruch über die aufschiebende Wirkung erübrigt sich angesichts der erfolgten Sachentscheidung. Abgesehen davon stellte der BF keinen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

3.2. Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen, weil eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung erwarten lässt (siehe Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 13 mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie VfGH 18.06.2012, B 155/12; EGMR Tusnovics v. Austria, 07.03.2017, 24.719/12). Außerdem ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (siehe VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127; 27.03.2019, Ra 2019/10/0017, jeweils mwN).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.03.1992, 5 Ob 105/90; vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

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