BVwG L501 1417529-1

BVwGL501 1417529-117.7.2014

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:L501.1417529.1.00

 

Spruch:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Irene ALTENDORFER als Einzelrichterin über die Beschwerde von Frau XXXX, StA. Irak, gegen den Bescheid vom 12.01.2011, Zl. 10 10.451-BAT, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005, BGBl I 2005/100 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in der Folge kurz bP), eine irakische Staatsangehörige kurdischer Abstammung und moslemischen Glaubens, stellte am 08.11.2010 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahmen vor den zuständigen Behörden begründete die bP ihren Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen mit einer Verfolgung durch ihre Familie, da sie gegen deren Willen ihren jetzigen Gatten geheiratet und dadurch Schande über ihre Familie gebracht habe. Kennengelernt habe sie ihren jetzigen Gatten im Sommer 2005 auf einer Hochzeitsfeier. Einige Zeit später habe er beim Vater um ihre Hand angehalten, welche ihm jedoch mit der Begründung, sie sei bereits dem Cousin versprochen, verwehrt worden sei. Ihre Eltern hätten sie hierauf zur Rede gestellt und gefragt, ob sie ihren jetzigen Mann zum Heiratsantrag ermuntert habe; sie habe dies verneint. Ihr jetziger Mann sei von ihren Brüdern und dem Cousin verprügelt worden, ihr seien unter der Drohung, dass "wenn sie so weitermache, würde er sie töten", von einem ihrer Brüder Zigaretten am Arm ausgedämpft worden. In weiterer Folge seien ihr Gatte und sie nach XXXX zu einer Tante ihres Mannes geflohen, wo sie nach islamischem Recht geheiratet und zwei Kinder bekommen hätten. Ihr Mann habe im Supermarkt eines Kurden gearbeitet, sie sei Hausfrau gewesen. Während ihres fünfjährigen Aufenthalts in XXXX habe sie mit ihrem Mann und den Kindern bei der Tante des Mannes gelebt, sie habe immer Angst vor einer Entdeckung gehabt und mit niemanden aus ihrer Familie aus XXXX in Kontakt gestanden. Eines Tages im Jahr 2010 habe ihr ihr Gatte von einem Anruf seines Onkels berichtet, der ihn aufgefordert habe, XXXX zu verlassen, da ihr Vater nunmehr wisse, dass sie in der Stadt leben und er sie entweder selbst oder durch einen Auftragsmörder töten würde. Während ihres Aufenthaltes bzw. bis zur Ausreise habe es diesbezüglich keine Hinweise gegeben.

Nachdem sie gemeinsam mit ihrem Gatten und einem ihrer Söhne den Irak legal verlassen habe, sei sie mit dem Kind schlepperunterstützt von Istanbul nach Österreich geflogen; ihr Gatte sei auf dem Landweg - versteckt in einem LKW - gefolgt; ihr zweiter Sohn sei aufgrund einer Krankheit im Herkunftsstaat verblieben.

Befragt, was sie für sich und ihren Sohn im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat befürchte, gab die bP an, sie fürchte um ihr Leben und das ihres Kindes.

I.2. Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.01.2011, Zl. 10 10.451-BAT, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der bP der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Beweiswürdigend wurde angeführt, dass das Vorbringen, mit den Eltern Schwierigkeiten gehabt zu haben, nachvollziehbar sei. Rechtlich gelangte das BAA zu dem Ergebnis, dass von Privatpersonen ausgehende Gefahren nicht auf den in der GFK genannten Gründen basieren würden, deshalb nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft geeignet seien. Aufgrund des Fehlens einer Glaubhaftmachung einer Furcht vor Verfolgung und der fehlenden Asylrelevanz im Vorbringen wäre daher der Antrag abzuweisen gewesen. Aufgrund der allgemeinen Lage wäre aber ein Abschiebungshindernis festzustellen.

Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurde das Ermittlungsverfahren und die Begründung als mangelhaft kritisiert sowie insbesondere vorgebracht, dass

eine Verfolgung aufgrund von Ehrverletzung befürchtet werden müsse,

die rechtliche Beurteilung unrichtig sei, da die gegenständliche Verfolgung eine politische und religiöse sei sowie aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolge.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.06.2014 wurde der bP die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme zu den übermittelten Länderfeststellungen innerhalb einer Frist von zwei Wochen abzugeben. Bis zum Entscheidungszeitpunkt langte keine schriftliche Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen (Sachverhalt):

II.1.1. Feststellungen zur Person

Die XXXX geborene bP ist irakische Staatsangehörige kurdischer Abstammung und moslemischen Glaubens. Sie ist im Jahr 2010 illegal nach Österreich eingereist und lebt gemeinsam mit ihrem Gatten XXXX und den drei mj. Kindern XXXX, als subsidiär Schutzberechtigte in Österreich. XXXX reiste gemeinsam mit seiner Mutter im Jahr 2010 in das Bundesgebiet ein, XXXX im Jahr 2012 nach einem entsprechenden Antrag bei der zuständigen Vertretungsbehörde in Istanbul und XXXX wurde in Österreich geboren.

II.1.2. Feststellungen zum Vorbringen

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die bP im Irak vor ihrer Ausreise einer individuellen Verfolgung aus den in der GFK genannten Gründen ausgesetzt war oder sie im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt wäre.

Die Schwierigkeiten mit den Eltern der Gattin waren im Ausmaß der geschilderten realen Vorkommnisse nachvollziehbar.

II.1.3. Feststellungen zur Lage im Irak

Laut Verfassung ist der Irak ein demokratischer Rechtsstaat mit allen Merkmalen der Gewaltenteilung. Im Irak wurde Ende 2010 eine Regierung der nationalen Einheit unter Premierminister Maliki (Rechtsstaatspartei) mit Beteiligung aller großen Parteienblöcke gebildet, die allerdings zunehmend von inneren Streitigkeiten gelähmt ist. Die Sicherheitsministerien hat Maliki noch nicht besetzt und erhält sich damit den direkten Einfluss auf den Sicherheitsapparat. Der schiitisch dominierten Regierung wird vorgeworfen, diese Religionsgruppe zu bevorzugen. Seit Ende Dezember 2012 gibt es in weiten Teilen des sunnitisch geprägten Nordens des Zentraliraks ausgeprägte Demonstrationen gegen die perzipierte Benachteiligung von Sunniten und Menschenrechtsverletzungen der Regierung. Die Entwicklung droht die Spaltung des Landes zu vertiefen.

Gespannt ist das Verhältnis der Zentralregierung zur Region Kurdistan. Die Zentralregierung hat keine Kontrolle oder Einfluss auf staatliche Entscheidungen im Gebiet der Region Kurdistan. Die in dem Verhältnis besonders relevanten Fragen der umstrittenen Gebiete einschließlich ihrer militärischen Verteidigung einerseits und der Kompetenzen im Bereich der Öl- und Gasexploration sowie -förderung andererseits sind weiterhin nicht einvernehmlich geregelt. Zudem betreibt die Kurdische Regionalregierung eine eigene Außenpolitik, auch zur Entwicklung in Syrien (mit seiner kurdischsprachigen Bevölkerung). Nach einem zwischenzeitlichen Rückzug der kurdischen Minister aus dem Kabinett hat sich Premier Maliki Ende April 2013 mit dem kurdischen Premierminister N. Barzani auf sieben Punkte geeinigt, um doch noch eine Verständigung herbeizuführen. Am 9. Juni 2013 fand eine Sitzung des irakischen Kabinetts unter Leitung von PM Maliki in Kurdistan statt.

Die Sicherheitslage im Irak hatte sich seit 2007 von Jahr zu Jahr verbessert, im Zuge der sunnitisch-schiitischen Konflikte hat sie sich aber seit 2013 wieder deutlich verschlechtert. Schwerpunkte terroristischer Aktivitäten bleiben Bagdad, der Zentralirak sowie die Städte Mossul und Kirkuk im Norden des Landes. Die Gewalt geht überwiegend von der sunnitischen Al-Qaida und ihrer irakischen Organisation "Islamischer Staat Irak" sowie von ba'athistischen Elementen aus; seit Frühjahr 2013 gibt es auch Hinweise auf ein Wiederaufleben schiitischer Milizen.

Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Region Kurdistan, oft benachteiligt. Verstöße gegen die Menschenrechte sind weit verbreitet. Besonders problematisch sind Folter und Defizite im Justizsystem sowie der Umgang mit Journalisten.

Die irakischen Sicherheitskräfte sind letztlich nicht in der Lage, landesweit den Schutz der

Bürger sicherzustellen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen noch immer nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos.

Erziehungs- und Gesundheitswesen im Irak sind notleidend. Auch die Grundversorgung, insbesondere mit Strom und Wasser, ist (jedenfalls außerhalb Kurdistans) noch immer unzureichend. Gleichzeitig verfügt der Irak über mehr als 100 Mrd. US-Dollar jährliche Einnahmen aus dem Ölexport und hatte auch 2012 einen Haushaltsüberschuss aufzuweisen. Hohe Korruption (Irak gehört zu den zehn korruptesten Ländern auf der Liste von Transparency International), aber auch mangelnde Professionalität der Verwaltung verhindern bislang einen nachhaltigen Wiederaufbau des Landes, zumal internationale Investoren und Helfer weiterhin durch die Sicherheitslage abgeschreckt werden. Von den vielen nach Syrien geflohenen Irakern kehren vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien etliche in den Irak zurück. Zudem sind seit Sommer 2012 Flüchtlingsströme von Syrern in den Irak zu verzeichnen, mit Stand Juni 2013 hielten sich 144.000 Syrer in der Region Kurdistan, 4000 im Zentralirak auf.

Allgemeine politische Lage

Die Verfassung

Gemäß der Verfassung, die das irakische Volk am 15.10.2005 in einem Referendum annahm, ist Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat. Der Islam ist Staatsreligion und eine (nicht die) Hauptquelle der Gesetzgebung.

Nach dem Gesetz über die Einrichtung von Regionen können sich seit 2008 mehrere Provinzen zu Regionen zusammenschließen. In der Verfassung (Artikel 117) wird die Region Kurdistan-Irak mit ihren Institutionen als eine Region des Bundesstaates Irak anerkannt.

Art. 19 Abs. 1 und Art. 86 ff. der Verfassung bezeichnen die Rechtsprechung als unabhängige Gewalt. Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts. Der Gerichtsaufbau bleibt den noch zu erlassenden Ausführungsgesetzen vorbehalten. Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem eklatanten Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Viele Juristen haben im Rahmen der "Entbaathifizierung" ihren Arbeitsplatz verloren, andere haben aus Furcht vor Anschlägen (v.a. der Al-Qaida im Irak) und persönlicher Verfolgung Ämter und Land verlassen. Unter den amtierenden Richtern sind noch einige, die bereits unter dem alten Regime im Amt waren. In der Realität ist die Unabhängigkeit der Rechtsprechung nicht vollends gewährleistet. Eine Reihe von Urteilen, etwa im August 2012 gegen den Vorsitzenden der Unabhängigen Wahlkommission wegen angeblicher Korruption oder der Haftbefehl gegen den führenden sunnitischen Politiker und Finanzminister Issawi wegen Terrorvorwürfen Anfang 2013 lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hinzu kommt, dass hohe Richter faktisch v.a. auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt werden.

Innenpolitische Lage

Traditionelle Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Zugehörigkeiten bestimmen die gesellschaftlichen und politischen Loyalitäten bzw. Konfliktlinien. Die wichtigsten ethnischreligiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65 % der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten / Süden des Landes bewohnen; (arabische) Sunniten (17 bis 22 %) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak (aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein der größte Teil der politischen Führung); und die vor allem im Norden des Landes lebenden Kurden (ca. 15 bis 20 %), überwiegend sunnitisch, aber auch jesidisch und in kleinen Teilen schiitisch. Entlang dieser Linien hat sich - mehr oder weniger kaschiert - die Parteienlandschaft gebildet.

Die dritten Parlamentswahlen fanden am 07. März 2010 statt. Sie waren im Großen und Ganzen frei und fair. Die 2012 ins Amt gekommene neue "Unabhängige Wahlkommission" wurde zwar gemäß Proporz ausgewählt, sie ist aber ausnahmslos mit Fachleuten besetzt.

Nach langen Verhandlungen wurde im Dezember 2010 die irakische Regierung gebildet, die Premierminister Maliki eine zweite Amtszeit erlaubte, obwohl seine Rechtsstaatspartei nicht mehr die meisten Stimmen bekam. Er regiert seitdem an der Spitze einer fragilen, alle maßgeblichen politischen Kräfte des Irak umfassenden Koalitionsregierung, die sich seit Dezember 2011 in einer schweren Krise befindet. Einige Minister der Iraqiya boykottieren seit Anfang 2013 das Kabinett, kurdische Minister und Sadristen hatten sich zwischenzeitlich angeschlossen, sind aber Ende April 2013 ins Kabinett zurückgekehrt. Insbesondere der Streit zwischen al-Maliki und dem Vorsitzenden der säkular-sunnitisch geprägten Irakischen Liste, Iyad Allawi drohte lange zu eskalieren, bis sich Allawi aus der irakischen Innenpolitik weitgehend zurückzog. Die Rolle des sunnitischen Gegenspielers Malikis hat Parlamentspräsident Nujaifi übernommen. Hochrangige sunnitische Mitglieder der Regierung wurden - zunächst im Frühjahr 2012 - wegen der Anschuldigung, in Attentate verstrickt zu sein, aus ihren Ämter gedrängt. Während der sunnitische Vize-Präsident Tariq Al-Haschemi, der am 9. September 2012 in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, seit Sommer 2012 im türkischen Exil lebt, ist der sunnitische Vize-Premier Salih Al-Mutlaq nach einer Aussöhnung mit Maliki im Juli 2012 in sein Amt zurückgekehrt. Im Dezember 2012 erging Haftbefehl wegen Terrorvorwürfen gegen Sicherheitskräfte des sunnitischen Finanzministers al-Issawi und später gegen ihn selbst, er zog sich in sunnitisches Stammesgebiet zurück. Auch eine Reihe weiterer Spitzenpolitiker, wie der frühere Führer der Erweckungsräte, Scheich Abu Risha, werden per Haftbefehl gesucht. Premierminister Maliki hat die Posten der Minister für Verteidigung, Inneres sowie Nationale Sicherheit noch immer nicht besetzt und übt damit faktisch selbst direkten Einfluss auf diese Ressorts aus. Die Parteien und Politiker verlieren sich in endlosen Bemühungen um Reformen und Versöhnung, ohne hierbei zu konkreten Ergebnissen zu gelangen. Wichtige Gesetzesvorhaben, wie das Amnestiegesetz, oder das Parteiengesetz, werden nicht verabschiedet. Fragen werden in Ausschüsse und Unterausschüsse oder informelle Verhandlungsrunden verlagert. Seit Juni 2013 gibt es in Folge eines symbolischen Treffen Malikis mit Nujaifi Anzeichen einer leichten Entspannung.

Die Regionalwahlen, die im April (in zwei Provinzen verlegt auf Juni) 2013 durchgeführt wurden, waren im Wesentlichen frei und fair. Sie waren gut vorbereitet, internationale Beobachtung war erwünscht. Im Vorfeld war allerdings die Tötung von mindestens 17Kandidaten verschiedener Parteien durch Attentate und terroristische Anschläge zu beklagen. Die Liste eines Scheichs des einflussreichen Dulaimi-Stammes, der zur Protestbewegung in Anbar gehört, wurde laut Pressemeldungen von der Wahlkommission wegen Anstiftung zu Gewalt verboten. Klagen gab es v.a. von zahlreichen Bürgern, deren Name nicht ins Wählerregister aufgenommen war.

Parteien der Regierungskoalition

Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften). Sie haben sich vor und nach den Wahlen zu Bündnissen zusammengeschlossen:

Rechtstaatsbündnis (State of Law)

Dem Rechtsstaatsbündnis unter Führung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki gehörten zum Zeitpunkt der Parlamentswahlen 2010 insgesamt neun verschiedene Parteien und Blöcke sowie zahlreiche unabhängige Einzelkandidaten an: Wichtigste Gruppierung ist die schiitische "Dawa"-Partei (übersetzt "Missionierung", "Ruf") von al-Maliki. Das Bündnis gibt sich betont überkonfessionell und national-irakisch, bildet aber die schiitische Mehrheit ab.

Irakische Nationale Allianz (INA)

Die Irakische Nationale Allianz (INA) ist ein Zusammenschluss der beiden großen schiitischen Parteien Islamic Supreme Council of Iraq, ISCI und der "Ahrar"-Partei des radikalen Schiitenpredigers Muqtada as-Sadr. Letztere wurde bei den Parlamentswahlen mit 40 Mandaten stärkste Partei und setzt nicht mehr auf militärischen Widerstand, sondern auf politischen Einfluss. Auch dieses hat inzwischen 16 weitere Gruppierungen, darunter auch sunnitische, aufgenommen.

Irakische Nationale Bewegung (Iraqiya)

Die Irakische Nationale Bewegung untersteht pro forma weiter der Führung des früheren säkular-schiitischen Premierministers Iyad Allawi, wird derzeit aber vor allem von dem sunnitischen Parlamentspräsidenten Usama al-Nujaifi angeführt, der als neuer Kopf der Bewegung gilt. Das Parteienbündnis ist eine säkular-zentralistische Sammelbewegung, die sunnitisch dominiert und anti-iranisch ausgerichtet ist. Ihr gehören ebenfalls insgesamt 18 Gruppierungen an.

Kurdische Allianz

Die Kurdische Allianz ist ein Zusammenschluss der beiden großen kurdischen Parteien KDP und PUK sowie zehn weiterer kleinerer Gruppierungen. Die KDP (Kurdische Demokratische Partei) des kurdischen Regionalpräsidenten Massoud Barzani kontrolliert die Provinzen Erbil und Dohuk im Norden des Kurdengebiets mit Grenzen zu Syrien, Türkei und Iran. Die PUK (Patriotische Union Kurdistans) mit Staatspräsident Dschalal Talabani als Parteichef übt die Kontrolle über die Provinz Sulaimaniya im Süden des Kurdengebiets mit Grenze zu Iran aus.

Parteien der Opposition

Neben einigen kleineren Parteienbündnissen sitzen auch zwei abgespaltene Gruppierungen im irakischen Abgeordnetenhaus: 2009 spaltete sich unter der Führung des früheren PUK- Funktionärs Nawchirwan Mustafa die neue Partei Goran ("Wandel") von der Kurdischen Allianz ab. Sie hat bei den Wahlen zum Kurdischen Regionalparlament im Juli 2009 auf Anhieb 24 % der Stimmen erlangt und kam bei den irakischen Parlamentswahlen im März 2010 auf insgesamt acht Mandate. Mit ebenfalls acht Mandaten haben sich Abgeordnete von Allawis Irakischer Liste als Weiße Iraqiya konstituiert.

Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen

Mit dem - allerdings sehr langsamen - Erstarken der Zivilgesellschaft gewinnen auch Menschenrechtsorganisationen etwas an Rückhalt. Derzeit existieren im gesamten Irak etwa 350 registrierte Nichtregierungsorganisationen (NROs) im Bereich Menschenrechte. Ein Gesetz zu NROs wurde am 25.01.2010 vom Parlament verabschiedet. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NROs. Sie unterliegen der Kontrolle durch das Staatsministerium für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft; zahlreiche unter ihnen berichten glaubhaft von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden "Besuchen" durch Vertreter des Ministeriums. NRO-Mitarbeiter werden auch unmittelbares Ziel von Terroranschlägen.

Die Präsenz von ausländischen NROs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor eher gering, da sich viele Organisationen nach den Anschlägen auf die VN 2003 und auf das Rote Kreuz 2005 aus dem Irak zurückgezogen haben und nur zögerlich zurückkehren. Dies gilt nicht für die Region Kurdistan-Irak, wo viele ausländische NROs ihre Arbeit aufgenommen haben.

Die Rolle der Sicherheitskräfte

Zu Beginn der Besatzungszeit hatte die Koalitionsübergangsverwaltung (Coalition Provisional Authority) die Polizei- und Streitkräfte des Saddam-Regimes vollständig aufgelöst. Die irakischen Sicherheitskräfte umfassen mittlerweile wieder ca. 250.000 Armee-Angehörige und ca. 340.000 Polizisten. Gegenwärtig sind die irakischen Sicherheitskräfte noch nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert, ohnehin gibt es kein Polizeigesetz. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen.

Sunnitische Stammesverbände ("Erwachungsrat", "Sahwa") werden teilweise von der Regierung finanziert. Gegen deren früheren nationalen Chef Abu Risha ist Anfang 2013 wegen Terrorvorwürfen Haftbefehl erlassen worden. Premierminister Maliki gründete daraufhin sog. "Neue Erweckungsräte", die finanzielle Unterstützung der Regierung erhalten. Sie sollen im Kampf gegen al-Qaida eingesetzt werden.

Die irakische Armee hat noch immer nicht ausreichend Fähigkeiten und Ausrüstung, um die See- und Lufthoheit zu gewährleisten. Premierminister Maliki hat im August 2012 angekündigt, die Anstrengungen in diese Richtung zu erhöhen.

Bereits seit Oktober 1991 üben kurdische Sicherheitskräfte (insbesondere die militärisch organisierten Peshmerga und die Sicherheitspolizei Asayish) de facto die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaymaniya und Dohuk aus, darüber hinaus in Teilen der Provinzen Diyala, Kirkuk und Niniveh (Mossul).

Seit Januar 2006 wird die Region Kurdistan-Irak von einer einheitlichen Regionalregierung verwaltet, nachdem sich die beiden großen kurdischen Parteien KDP und PUK über die Aufteilung der Macht geeinigt hatten. Allerdings waren die Sicherheitskräfte der beiden Parteien bis in die jüngste Zeit getrennt.

Ca. 20.000 Angehörige privater Sicherheitsunternehmen sind im Irak tätig. Die größten Unternehmen haben sich in der "Private Security Companies Association of Iraq" (PSCAI) zusammengeschlossen. Viele werden inzwischen von der irakischen Regierung als Personen- und Objektschützer eingesetzt. Die Firmen müssen sich bei der irakischen Regierung registrieren lassen und werden kontrolliert. Sie genießen keine Immunität.

Asylrelevante Tatsachen

Staatliche Repressionen

Staatliche Stellen begehen nach wie vor zahlreiche Menschenrechtsverletzungen. Die Mehrzahl der Verantwortlichen ist trotz erkennbarem Willen einiger zuständiger Regierungsmitglieder nicht in der Lage oder bereit, die Ausübung der in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten.

Politische Opposition

Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten von Einschüchterungen durch staatliche oder paramilitärische Elemente, die z.B. davon abschrecken sollen, neue politische Bewegungen ins Leben zu rufen. In der Region Kurdistan-Irak beklagt die oppositionelle Partei Goran zwar staatliche Diskriminierung ihrer Mitglieder und Wähler (Entfernung aus dem Staatsdienst), sie hat aber ohne Einschränkung Zugriff auf die staatliche Parteien- und Abgeordnetenfinanzierung.

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung vom 15.10.2005 (Art. 38 C und 39) sieht die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung vor und stellt die nähere Ausgestaltung durch ein einfaches Gesetz in Aussicht. In der Realität ist die Versammlungs- und Meinungsfreiheit aber durch das seit dem 07.11.2004 geltende Gesetz zur Verteidigung der nationalen Sicherheit, das die Möglichkeiten zur Verhängung des Ausnahmezustands (bis zu 60 Tage) regelt, eingeschränkt.

Hinsichtlich der sunnitischen Massenproteste in den nordwestlichen Provinzen Zentraliraks mit Schwerpunkt in Ramadi, Provinz Anbar, Samarra und Kirkuk sowie in der Provinz Ninive seit Ende Dezember 2012 ergibt sich ein gemischtes Bild des Handelns der Sicherheitskräfte: Einerseits halten sich zentrale und lokale Sicherheitskräfte häufig zurück und lassen die Demonstranten über Monate gewähren. Auf der anderen Seite gibt es Medienberichte über Attentate auf Anführer der Demonstrationsbewegung, wobei unklar ist, wer hinter diesen Taten steht. Neben mehrmaligen Warnschüssen der Sicherheitskräfte bei Protestversammlungen ist insbesondere die gewaltsame Auflösung der Demonstrationen in Haweja am 23. April 2013 anzuführen, bei der die Demonstranten der Aufforderung der Sicherheitskräfte, "Terroristen" auszuliefern, die einige Tage zuvor Sicherheitskräfte getötet hatten, nicht nachkamen. Die staatlichen Einheiten töteten dabei mehr als 40 Demonstranten. Inwieweit die Aktion in ihrer konkreten Ausführung auf Unfähigkeit und Überreaktion der Einsatzkräfte oder auf höheren Befehl zurückgehen, ist nicht bekannt. Die irakische Regierung und auch die Vereinten Nationen vor Ort sowie der Internationale Menschenrechtsrat haben Untersuchungen eingeleitet.

Auch wird vielfach über Zugangsbeschränkungen zu Orten der Demonstrationen berichtet, so auch in Bagdad zu Freitagsgebeten im Frühjahr 2013.

Art. 38 A und B der Verfassung garantieren die Meinungsfreiheit, solange die öffentliche Ordnung nicht beeinträchtigt wird. Das "Gesetz zum Schutz von Journalisten" von 2011 hält u.a. mehrere Kategorien des Straftatbestands der "Diffamierung" aufrecht, die in ihrem Strafmaß z.T. unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig.

Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, oftmals die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von einigen Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen. Überdies ist die journalistische Arbeit durch Übergriffe auf Journalisten behindert. Nach belastbaren Angaben von "Reporter ohne Grenzen" ist Irak für Journalisten immer noch eines der gefährlichsten Länder. Irak nimmt zudem seit Jahren in der Statistik des "Committee to Protect Journalists" den weltweit letzten Platz in Bezug auf die Aufklärung von Morden an Journalisten ein. 2012 starben nach Angaben der irakischen "Gesellschaft für die Verteidigung der Pressefreiheit" fünf Journalisten in Ausübung ihres Berufs, dieselbe Vereinigung registrierte zudem fünfzig Fälle von z. T. gewaltsamen Übergriffen (Angriffe auf Büros, Hinderung an Berichterstattung). Am 9. Juni 2013 wurde bspw. auf einer Straße in West-Bagdad der Leichnam des JournalistenZamel Ghannam Al-Zoubaie aufgefunden. Ob Parteien und Politiker im Zusammenhang mit den Tötungen stehen, ist nicht nachzuweisen. Am 1. April 2013 wurden in Bagdad vier Zeitungsverlage an einem Nachmittag von Schlägertrupps verwüstet, ohne dass die Polizei einschritt, die nach den Umständen Kenntnis von den Vorgängen gehabt haben muss.

Auch durch Justiz und Verwaltung wird die Pressefreiheit eingeschränkt. In einer klaren Verletzung des Art. 95 der irakischen Verfassung (Verbot von Sondergerichten) wurde im Juli des Jahres 2010 ein Sondergerichtshof für Medien eingerichtet, dessen Aufgabe es ist, mögliche Verstöße gegen die Pressefreiheit, üble Nachrede und Verleumdung zu untersuchen. Angaben zur genauen Zahl der bisherigen Prozesse und Verurteilungen liegen nicht vor.

Aufgrund ihrer kritischen und angeblich "einseitigen" Berichterstattung über die sunnitischen Massenproteste hat das "Komitee für Medien und Kommunikation" Ende April 2013 sieben irakischen und einem kuwaitischen Sender sowie Al-Jazeera die Lizenz im Irak "wegen konfessionalistischen Aufruhrs" entzogen. Die Entscheidung wurde angefochten und vorläufig außer Kraft gesetzt. Auch 2012 hatten temporäre Schließungen von (kritischen) Radio- und Fernsehstationen durch die "Kommunikations- und Medienkommission" trotz angeblicher "administrativer Gründe" einen politischen Beigeschmack.

Der Zugang zum Internet unterliegt keinen Beschränkungen. Vorwürfe der Überwachung von Kommunikation durch die Regierung sind nicht belegt. 2012 gab es keine Verhaftungen im Zusammenhang mit internetbasierten Aktionen.

Religionsfreiheit

Die Verfassung bestimmt in Art. 2 den Islam zur Staatsreligion und zu einer Hauptquelle der Gesetzgebung, garantiert aber auch Religionsfreiheit inkl. Freiheit der Ausübung für Christen, Jesiden, Mandäer u.a. Ihr Art. 3 legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes. In Art. 43 garantiert der Staat den Schutz der religiösen Stätten. Die Freiheit zu missionieren wird nicht explizit gewährt, Missionieren wird allerdings im irakischen Strafgesetzbuch auch nicht sanktioniert. Das Strafgesetzbuch kennt auch sonst keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z.B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht.

Eine Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden in systematischer Weise findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Fall des zentralistischen Hussein-Regimes die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen. Ablehnung und Misstrauen gegenüber dem "Anderen" überwiegt vielfach den Willen zur Integration aller Gruppen in ein lebendiges Ganzes. Die ethnisch-konfessionellen Gegensätze werden - begünstigt durch einen schwachen Staat und eine partiell fortschreitende Islamisierung - durch Extremisten instrumentalisiert.

Der Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht umfassend sicherstellen. Auch religiös- ethnisch bedingte Verbrechen bleiben großteils ungesühnt. So wurde zwar z.B. nach dem schweren Attentat auf eine Bagdader Kirche im Jahre 2010 der Schutz von Kirchen gezielt verstärkt. Allerdings gelten Kirchen weiterhin als Anschlagsziele, zuletzt gab es im September 2012 einen Anschlag auf die Kirche "Al-Qalb Al-Aqdas" in Kirkuk, im September 2012 wurde auch ein Anschlag auf das Oberhaupt der Chaldäer verübt. Im Juni 2013 wurden Wachmänner einer Bagdader Kirche attackiert und verletzt. Es sind zunehmend Bemühungen der Regierung Maliki erkennbar, die im Land verbliebenen ca. 400.000 der früher 1,5 Millionen Christen zu bewegen, den Irak nicht zu verlassen. So waren im Frühjahr 2013 bei der Amtseinführung eines neuen chaldäischen Patriarchen sowohl Regierungschef Maliki als auch Parlamentspräsident Nujaifi zugegen.

In der Region Kurdistan-Irak wie auch in weiteren Gebieten, die unter Kontrolle der KRG stehen (etwa im größeren Teil der sog. Niniveh-Ebene), sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Dies gilt insbesondere für die aus Bagdad, Mossul und Kirkuk dorthin geflüchteten Christen. Die Anfang Juli 2009 vom kurdischen Regionalparlament verabschiedete Regionalverfassung - die noch durch ein Referendum bestätigt werden muss - sieht umfangreiche Rechte für religiöse und ethnische Minderheiten vor. Allerdings beklagen die Minderheiten auch hier, dass willkürliche Enteignungen früherer Jahre nicht rückgängig gemacht wurden.

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

Im Einzelnen liegen keine belastbaren Erkenntnisse zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis vor. Berichte von Medien und NROs vermitteln den Eindruck einer allenfalls in Ansätzen funktionierenden Strafjustiz. Eine Verfolgung von Straftaten, selbst von Entführungen und Raubüberfällen, findet nur unzureichend statt. Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Weiterhin erfahren materielle Beweismittel nicht die gleiche Würdigung wie - oftmals unter Folter gewonnene - Geständnisse. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und mitunter auf bis über 30 Tage ausgedehnt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Im Zentrum der von der sunnitischen Demonstrationsbewegung erhobenen Vorwürfe steht eine angeblich einseitige Strafjustiz, die Sunniten als Terroristen verfolgt und teilweise auch Familienmitglieder in Haft nimmt, wenn sie der Beschuldigten nicht habhaft werden kann.

Auch die Lage in der Region Kurdistan-Irak ist von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet. Die Asayish-Sicherheitskräfte operieren immer wieder außerhalb der Kontrolle des zuständigen Innenministeriums (insbesondere in der Provinz Sulaymaniya). In einem glaubhaft belegten Fall berichtet Amnesty International von einem Gefangenen, der seit zehn Jahren ohne Verfahren in Haft sitzt. Haftbesuche sind nur eingeschränkt möglich. Die Kurdische Regionalregierung zeigt sich bemüht, die Situation zu verbessern und die Sicherheitskräfte stärker zu kontrollieren, besonders nach der jüngst beschlossenen Zusammenführung der Sicherheitsapparate in den von KDP und PUK beherrschten Gebieten der Region. Untersuchungen nach Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte bleiben gewöhnlich ohne Ergebnis.

Militärdienst

Es gibt keine Wehrpflicht. Eine Berufsarmee ist ebenso im Aufbau wie die Polizei. Nach der Auflösung der Sicherheitskräfte des Saddam-Regimes wurden bei den neuen irakischen Sicherheitskräften nur Personen ohne Verbindungen zum alten Regime eingestellt. Bei der Einstellung bei der Polizei werden Schiiten bevorzugt, viele darunter gelten als religiös voreingenommen. Die irakische Armee dagegen vereint alle Konfessionen und Ethnien.

Handlungen gegen Kinder

Art. 29 und 30 der Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten. Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind durch Gewaltakte, die entweder sie selbst oder Familienmitglieder betrafen, stark traumatisiert. Al-Qaida im Irak schreckt auch vor Anschlägen gegen Schulen nicht zurück, so am 24. September 2012 in Hit (Provinz Anbar). Kinder und Jugendliche werden von bewaffneten Gruppen rekrutiert und verrichten dort Informanten- und Botendienste, nehmen aber auch an Kampfhandlungen teil. Zahlreiche Jugendliche sind laut UNAMI wegen Terrorvorwürfen angeklagt oder verurteilt. Der Zusammenbruch und nur langsame Wiederaufbau staatlicher Strukturen betrifft vor allem Familien, die auf Krankenhäuser, Schulen und Lebensmittelhilfen besonders angewiesen sind. Seit März 2003 hat sich der Gesundheitszustand der irakischen Kinder verschlechtert. Ein Fünftel der Kinder ist untergewichtig und ein Drittel chronisch unterernährt. Die Vereinten Nationen vor Ort beklagten im Juni 2013, dass viele Kinder wegen Mangelernährung unter Wachstumsstörungen leiden. Landesweit soll es ca. 800.000 Waisenkinder geben, für die kaum ausreichende Mittel oder Einrichtungen zur Verfügung stehen. Waisenkinder haben einen Anspruch auf eine - sehr geringe - staatliche Unterstützung, der sich allerdings wegen Korruption und Verwaltungsversagens nicht immer durchsetzen lässt.

Es fehlt außerdem an Jugendstrafanstalten; laut IKRK werden jugendliche Häftlinge mittlerweile allerdings meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt.

Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, so dass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren stark gefallen ist, besonders in ländlichen Gebieten. Zwar werden 90 % der Kinder eingeschult, aber nur 40 % schließen die Grundschule in der Normalschulzeit ab. Weniger als die Hälfte der Kinder besucht eine Sekundarschule, davon nur wenige Mädchen. In der Region Kurdistan sind fast

100 % des Lesens und Schreibens mächtig.

Geschlechtsspezifische Verfolgung

In der Verfassung ist die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 % im Parlament (Region Kurdistan: 30 %) verankert. Die Zahl weiblicher Abgeordneter stieg im Zuge der letzten Parlamentswahlen von 73 auf 80 der insgesamt 275 Abgeordneten. Allerdings sind Frauen in den bedeutenden Ausschüssen wie dem für Verteidigung und Sicherheit oder dem Komitee für Nationale Versöhnung nicht vertreten.

Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker die Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragraphen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht. Die Mehrehe ist für Männer bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ausnahmsweise zulässig, ebenso wie Ehebruch unter bestimmten Voraussetzungen, für Frauen ist letzterer jedoch stets eine Straftat (Art. 377). Frauen dürfen nur mit Zustimmung männlicher Verwandter oder des Ehemannes aus dem Land ausreisen. Frauen werden noch immer in Ehen gezwungen, 20 % der Frauen wurden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet.

Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert, vor allem in der Region Basra. Die prekäre Sicherheitslage und wachsende fundamentalistische Tendenzen in Teilen der irakischen Gesellschaft haben negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen. V.a. im (schiitisch dominierten) Südirak werden islamische Regeln, z.B. Kleidervorschriften (Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten), stärker eingefordert. Muslimische und christliche Frauen werden zunehmend unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Knapp die Hälfte aller irakischen Frauen gibt an, häusliche Gewalt zu erleben. Die Behörden stellen bisher nicht ausreichend Schutzeinrichtungen (Frauenhäuser) zur Verfügung, wenden sich aber auch gegen die Einrichtung von Schützhäusern durch NROs.

Viele Anzeichen stützen die Aussagen des UNHCR und irakischer NROs, denen zufolge so genannte "Ehrenmorde" in der Praxis noch immer verbreitet sind und häufig straffrei bleiben. Das irakische Strafrecht aus dem Jahr 1969 und dessen Ergänzungen erlauben es den Gerichten, "ehrenhafte Motive" als strafmildernde Faktoren anzusehen. Allerdings hat das kurdische Parlament die Paragraphen 128 und 130 des Strafgesetzbuchs für das Gebiet der KRG außer Kraft gesetzt. Die kurdische Regionalregierung hat insgesamt ihre Anstrengungen zum Schutz der Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer) Gewalt sowie zwei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von NROs betrieben. Vereinzelt werden Frauen "zum eigenen Schutz" inhaftiert. Die Kurdische Regionalregierung hat im Jahr 2010 eine breite Kampagne zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen gestartet. Im August 2011 trat das kurdische Gesetz gegen häusliche Gewalt in Kraft, in dem weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung von Frauen und andere Gewalt innerhalb der Familie unter Strafe gestellt werden. Im August 2012 beklagte der kurdische PM Nechirvan Barzani öffentlich den Freispruch eines Ehrenmörders als Skandal; das Urteil müsse überprüft werden. Im Dezember erklärte er öffentlich, in Mord liege keine Ehre.

Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist traditionell tolerant. Ob und inwieweit die partielle Islamisierung der Gesellschaft diese Akzeptanz der Ehescheidungen beeinträchtigt hat, ist nicht bekannt. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert.

Unter besondere Kritik geriet im Berichtszeitraum die Praxis der Sicherheitskräfte, Frauen statt ihrer Familienmitglieder zu inhaftieren, derer man nicht habhaft werden konnte ("proxy prisoners"), und unter Gewaltanwendung bzw. -androhung Aussagen gegen ihre Familienmitglieder zu erwirken.

Faktisch besonders prekär ist die Lage von ca. 1 bis 3 Millionen Witwen und ihren Familien. Die ihnen staatlich zustehende Unterstützung ist nicht ausreichend und wird aufgrund des komplexen Antragsprozesses nur von einer Minderheit der Frauen in Anspruch genommen. Zum Teil werden diese Frauen selbst von den für den Unterhalt zuständigen Stellen durch sozialen Druck in sog. "mut'ah"-Ehen (zeitweilige Ehen) gedrängt, um Unterstützung zu erhalten.

NROs berichten über Zwangsprostitution irakischer Mädchen und Frauen im Land und in der Nahost- und Golfregion.

Genitalverstümmelung

In Teilen des stark patriarchalisch strukturierten Nordirak kommt es zu Genitalverstümmelung bei Frauen. Nach Studien von NROs sind ca. 70 % der kurdischen Frauen davon betroffen. Seit 2011 stellt ein Gesetz in der Region Kurdistan-Irak die Genitalverstümmelung unter Strafe. Genitalverstümmlung ist jedoch kein ausschließlich kurdisches Problem. Eine empirische Studie in Kirkuk fand auch Betroffene in der arabischen und turkmenischen Bevölkerung, wenn auch in geringerem Ausmaß.

Homosexualität

Konservative bzw. radikal-islamische Tendenzen erschweren die Entwicklung eines liberal- säkularen Lebensstils in Irak. Auch wenn sensible Themen zunehmend öffentlich diskutiert werden, wird Homosexualität weitgehend tabuisiert und von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur betrachtet. Homosexuelle leben ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich aus und sehen sich sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt. Es besteht ein hohes Risiko von sozialer Ächtung bis hin zu Verfolgung, Folter und Mord.

In dem seit 2003 gültigen irakischen Strafgesetzbuch stellen im gegenseitigen Einvernehmen durchgeführte homosexuelle Handlungen erwachsener Personen keinen Straftatbestand mehr dar. Die Vorschriften des Strafgesetzbuchs lassen Staatsanwaltschaft, Polizei- und Sicherheitskräften jedoch Raum für diskriminierende Strafverfolgungsmaßnahmen, die regelmäßig zu einer Verurteilung von Homosexuellen führen. Darüber hinaus kam es immer wieder zu Angriffen auf Homosexuelle, insbesondere in Bagdad und dem schiitisch geprägten Süden des Landes. Im Frühjahr 2012 forderte eine Welle von Angriffen auf junge Iraker, mehrere Todesopfer, denen als sog. "Emos" Homosexualität und Teufelsanbetung unterstellt worden war. Für die Angriffe waren zwar allem Anschein nach nichtstaatliche Akteure verantwortlich. Den irakischen Polizei- und Sicherheitskräften wird aber vorgeworfen, wenig zur Aufklärung beizutragen. Positiv zu vermerken ist allerdings, dass ein "interministerielles Komitee zu LBGT-Fragen" eingerichtet wurde. Mittelfristig soll das Thema im Sinne einer Enttabuisierung auch Gegenstand von Bildungsinhalten werden.

Repressionen durch nicht-staatliche Akteure

Neben die staatliche tritt die Repression durch nicht-staatliche Akteure, vor denen Regierung und Staat die Bürger nicht schützen können. Im Mai 2013 sind im Zuge der Ausweitung des Bürgerkriegs in Syrien und in Folge der Verschärfung der Staatskrise zunehmend Aktivitäten von Milizen zu verzeichnen, die auch unter dem Gesichtspunkt der Konfession Gewalt ausüben.

Militante Opposition, Milizen, Terrorgruppen

Sicherheitslage

Zwischen 2007 und 2012 hat die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle um ca. 80 % abgenommen. 2012 hat die NRO "Iraq bodycount" allerdings noch immer 4.500 Terroropfer verzeichnet. Seit der Verfolgung des sunnitischen Finanzministers Issawi und dem Beginn der Massenproteste in sunnitischen Landesteilen Ende 2012 hat sich die Sicherheitslage kontinuierlich und in der Summe massiv verschlechtert. Im Mai 2013 waren mehr als 1000

Tote zu beklagen. Schwerpunkte terroristischer Anschläge bleiben Bagdad, der Zentralirak sowie Mossul und Kirkuk im Norden. Die Sicherheitslage in der Region Kurdistan-Irak ist deutlich besser (kein Anschlag seit 2007); ebenfalls verhältnismäßig gut, wenn auch nicht risikolos, ist die Lage im Süden. Seit dem Truppenabzug der USA Ende 2011 richtet sich die Gewalt nicht mehr gegen Mitglieder der Koalition. Die Gewalt ging überwiegend von der sunnitischen Al-Qaida und ihrer irakischen Organisation "Islamischer Staat Irak" aus. Der Terror in Form von Anschlägen und Attentaten richtet sich gegen staatliche Einrichtungen, Funktionsträger, Sicherheitskräfte, aber auch gegen Schiiten. Gegenterror schiitischer Milizen v.a. in Form offener Gewalt und Einschüchterung gibt es nach Berichten wieder seit Frühjahr 2013.

Im Grenzgebiet der Region Kurdistan-Irak zur Türkei und dem Iran haben in der Vergangenheit das türkische Militär (gegen PKK) und das iranische Militär (gegen PJAK) Anti-Terror-Operationen mit erheblichen militärischen Mitteln (Luftangriffe bzw. Artilleriebeschuss) teilweise auch auf irakischem Boden ausgeführt. Dabei gab es immer wieder auch zivile Opfer. Seit Mai 2013 siedeln mehr als 1.400 weitere PKK-Kämpfer auf der Basis eines Abkommens der türkischen Regierung mit der PKK (zumindest vorübergehend) in die Region um. Die irakische Regierung war bei dieser Entscheidung nicht beteiligt worden und hat protestiert.

In den außerhalb der Region Kurdistan-Irak liegenden Gebieten des nördlichen Irak bleibt die Zahl der Anschläge und der Todesopfer hoch. Besonders prekär ist die Lage in den Provinzen Niniveh und Ta'mim. Die Lage in den sog. umstrittenen Gebieten (in den Provinzen Diyala, Ta'mim, Salahaddin und Niniveh) ist von starken Spannungen der unterschiedlichen Bevölkerungsteile (namentlich Kurden, Araber und Turkmenen) geprägt, die entweder die Arabisierungspolitik des alten Regimes rückgängig machen oder beibehalten wollen.

Im schiitisch dominierten und homogeneren Südirak gibt es deutlich weniger Anschläge als im Zentralirak. Eine vollständige Beruhigung ist aber bislang auch dort nicht eingetreten, im Mai 2013 waren erstmals seit langem wieder schwere Anschläge mit vielen Toten zu verzeichnen.

Militante Gruppen

Der sunnitisch-islamistische Terror geht in erster Linie von Al-Qaida im Irak (AQI) aus. AQI hat mit kleineren islamistischen Gruppierungen den "Islamic State of Iraq" (ISOI) ausgerufen und verfolgt die Strategie, mit gezielten Anschlägen auf staatliche Einrichtungen die schiitisch dominierte Regierung zu schwächen. Vor allem ist aber die schiitische Zivilbevölkerung immer wieder Ziel ihrer Gewalt. Die Bedeutung von AQI hat 2010/11 stark abgenommen, weil AQI kein zusammenhängendes Gebiet mehr kontrolliert. Es gibt Hinweise, dass ehemalige Baathisten mit Al-Qaida zusammenarbeiten. Im Zuge des Bürgerkriegs in Syrien haben Ende Februar 2013 die Nusra-Front in Syrien und Al-Qaida im Irak ihren Zusammenschluss bekanntgegeben, im Juni 2013 aber widerrufen. Zumindest kann partielle Zusammenarbeit der beiden Gruppen unterstellt werden. Weniger bekannt als AQI ist die Ansar as-Sunna (AAS) / Ansar al-Islam (AAI). Vermutlich kurdischen Ursprungs aber mit sunnitisch-wahabistischem Einfluss, hat sie ihre Aktivitäten vom Norden des Landes in den Zentralirak ausgedehnt. Sie hat sich im Berichtszeitraum zu mehreren Anschlägen bekannt.

Die schiitische Mahdi-Miliz des radikal-populistischen Predigers Muqtada as-Sadr verfügt über ein beachtliches Potenzial. Offiziell wurde die Miliz aufgelöst, deren Fragmente üben aber weiterhin in schiitisch dominierten Gebieten eine starke soziale Kontrolle aus. Sadr selbst distanzierte sich mehrfach klar von Gewaltaktionen, zuletzt nach dem Anschlag auf ein führendes Parteimitglied am 3. Juni 2013 in Bagdad.

Unter den aktiven Gruppen zu nennen ist insbesondere die radikale Abspaltung der Mahdi- Miliz "Asa'ib Ahl al-Haq" ("Liga der Gerechten"), die mittlerweile Premierminister Maliki nahestehen soll. Weiterhin macht "Hisbollah im Iraq" über Medien von sich reden, ohne dass bisher belegt ist, dass die Formation tatsächlich Schlagkraft aufweist. Weiterhin von Bedeutung ist die "Badr"-Miliz unter Transportminister Al-Ameri, der früher der schiitischen Partei "Oberster Islamischer Rat" angehörte und jetzt eine eigene Partei führt. Es gibt seit Mai

2013 wieder verstärkte Anzeichen, dass Milizen und mafiöse Strukturen lokale Gewalt ausüben oder mit den Sicherheitskräften zusammenarbeiten. Inwieweit staatliche Entscheidungsträger dies dulden oder gar befördern, ist nicht klar zu erkennen. In Einzelfällen liegt dies aber aufgrund des Tathergangs nahe. Es gibt seit Mai 2013 auch vereinzelte Berichte über die Festsetzung von Sunniten an falschen Kontrollstellen, einige sollen danach von den Milizen entführt und getötet worden sein, am häufigsten genannt wird dabei "Asa'ib Ahl al- Haq".

Besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen

Polizisten, Soldaten, Journalisten, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, alle Mitglieder der Regierung und des Sicherheitsapparats sowie sog. "Kollaborateure" sind besonders gefährdet.

Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten. Neben Autobomben kommen dabei häufig schallgedämpfte Waffen zum Einsatz.

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird, Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten, Friseure und Ärzte bzw. medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Anschlägen. Dabei sind die Attentäter in der Lage, ihre Opfer sehr präzise auszuwählen und zu treffen.

Im März 2012 kam es zu Gewalttaten gegen sog. Emos. In den Weltmedien wurde von knapp hundert Jugendlichen berichtet, die wegen ihres auffälligen "unislamischen" Lebensstils angeblich verprügelt und/oder brutal zu Tode gebracht wurden.

Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Baath-Partei Saddam Husseins sind, soweit nicht ins Ausland geflüchtet, häufig auf Grund der Anschuldigung wegen terroristischer Aktivitäten in Haft. Laut UNAMI haben viele von ihnen weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien. Im Oktober 2011 wurden 500 angebliche Baathisten festgenommen, denen Planung eines Umsturzes vorgeworfen wurde. Seit 2012 wird über ein Amnestiegesetz diskutiert, das auch ehemaligen Baathisten zu Gute kommen könnte, denen keine schweren Verbrechen vorgeworfen werden. In Ninive wurden im September 2012 nach Zeitungsmeldungen insgesamt 32 Richter wegen ihrer baathistischen Vergangenheit entlassen. Andererseits gibt es einen Beschluss des Ministerrates, der es Offizieren erlaubt, unter bestimmten Voraussetzungen in die Armee zurückzukehren. In Reaktion auf die Forderungen der sunnitischen Protestbewegung hat die Regierung im Frühjahr 2013 neben der Freilassung vieler Gefangener unter anderem eine Freigabe konfiszierten Eigentums von Baathisten und die Zahlung von Pensionen an frühere baathistische Regierungsbeschäftigte beschlossen. Es ist noch offen, inwieweit die Beschlüsse faktisch umgesetzt werden.

Die irakische Regierung ist nach Einschätzung von NROs nicht in der Lage, die VN- Richtlinien für Binnenflüchtlinge aus dem Jahr 1998 zu erfüllen. Von den 1,2 Millionen Binnenflüchtlingen leben ca. ein Drittel in slumähnlichen Umständen und sind zudem häufig von (erneuter) Vertreibung aus ihren Ansiedlungen bedroht, da diese sich häufig auf Grundstücken in "öffentlicher" Hand befinden.

2.3. Diskriminierung ethnisch-religiöser Minderheiten

Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiösen Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht umfassend sicherstellen. Sie bleiben daher v.a. im Zusammenhang mit ihren Berufen Opfer von Entführungen und Anschlägen und sind bevorzugte Ziele von Al-Qaida-Anschlägen. Besonders gefährdet sind sie weiterhin dadurch, dass sie vorrangig in den sog. "umstrittenen Gebieten" (zwischen Zentralirak und Kurdistan) leben. In einigen Regionen bringen Islamisierungstendenzen eine wachsende Ausgrenzung von Angehörigen von Glaubensrichtungen, die nicht ausdrücklich unter dem Schutz der islamischen Religion stehen, mit sich.

Sunniten

Die sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wird seit der Entmachtung Saddam Husseins in vielfacher Hinsicht im Einzelfall benachteiligt. Als Beispiel sind Berichte über die Nichtberücksichtigung bei Beförderungen im Berufsleben anzuführen. Umgekehrt dürften auch Schiiten in Regionen, in denen sie in der Minderheit sind, nichtstaatlichen Repressionen ausgesetzt sein.

Kurden

Von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen sind auch Kurden betroffen, soweit sie außerhalb der Region Kurdistan-Irak leben. Im Konflikt um die Zukunft von Kirkuk, aber auch in Mossul kommt es immer wieder zu Übergriffen und Anschlägen auf Kurden.

Christen

Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 400.000 Christen im Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.). Die Situation der Christen (v.a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert, seit 2011 verbessert sich die Lage zögerlich.

Im Berichtszeitraum kam es zu Angriffen auf Priester, Bombenanschlägen auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Übergriffen auf von Christen geführte Lebensmittelhandlungen, in denen (auch) alkoholhaltige Getränke angeboten werden. Viele Christen sehen - allerdings v.a. aus wirtschaftlichen Gründen und wegen der allgemeinen Sicherheitslage - für sich keine Zukunft im Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen. Ein Zeichen der Versöhnung und des Willens der christlichen Minderheiten im Irak, ihre Heimat nicht zu verlassen, war im Juli 2011 die erste Weihe einer Kirche im Irak (außerhalb der Region Kurdistan) seit 2003. DerAmtseinführung des neuen chaldäischen Patriarchen im Februar 2013 haben sowohl der schiitische Premierminister als auch der sunnitische Parlamentspräsident beigewohnt.

In der Region Kurdistan-Irak wie in angrenzenden Gebieten, die von der Kurdischen Regionalregierung kontrolliert werden, haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Es gibt dort keine Anzeichen für systematische staatliche Diskriminierung. Sie fühlen sich jedoch weiter latent von islamischem Extremismus bedroht. Viele leben als Binnenflüchtlinge unter schwierigen materiellen und sozialen Bedingungen und versuchen, von dort aus auszuwandern. Die Kurdische Regionalregierung fördert den Kirchenbau wie auch die Kirche als Institution mit staatlichen Ressourcen. Die umfangreichen Enteignungen von christlichem Besitz unter dem alten Regime sind jedoch nicht rückgängig gemacht worden.

Turkmenen

Die meisten der ca. 400.000 irakischen Turkmenen leben im Raum Kirkuk und im westlich von Mossul gelegenen Gebiet um Tal Afar. Vertreter der Gruppe beklagen glaubhaft die willkürliche Verhaftung und Folterung von Angehörigen in den umstrittenen Gebieten, vor allem durch die kurdischen Sicherheitskräfte unter dem Vorwand der "Terroristenverfolgung". Politiker beklagten im Juni 2013 politisch motivierte "Verdrängung" von Turkmenen in Tuz Khurmatu. Gleichzeitig ist aber die turkmenische Partei im kurdischen Regionalparlament vertreten und an der kurdischen Regierung beteiligt und stellt in Bagdad die Minister für Jugend und Sport sowie den geschäftsführenden Minister für Kommunikation.

Jeside

Die Zahl der Jesiden im Irak liegt nach eigenen Angaben bei etwa 450.000-500.000. Die Mehrzahl der ethnisch zu den Kurden gehörenden, aber nicht muslimischen Jesiden siedelt im nördlichen Irak, v.a. im Gebiet um die Städte Sindschar (zwischen Tigris und syrischer Grenze), Schekhan (Provinz Niniveh) und in der Provinz Dohuk. Die schwersten, vermutlich von Islamisten verübten Anschläge ereigneten sich 2007 im Sindschar-Gebiet in der Provinz Nineveh. Von Seiten der Kurdischen Regionalregierung kommt es zu keiner Verfolgung von Jesiden. Jesiden sind sogar als Gruppe im Regionalparlament vertreten. Der kurdische Premierminister Barzani stattete 2012 dem zentralen Heiligtum der Jesiden in Lalish einen offiziellen Besuch ab. Allerdings zeigten sich die latent vorhandenen Spannungen zwischen den religiösen Gruppen erneut Anfang Dezember 2011 bei Unruhen in der Provinz Dohuk, als nach einem Freitagsgebet überwiegend von Christen und Jesiden betriebene Alkoholgeschäfte zerstört wurden. Am 9. Mai 2013 wurden in Bagdad Betreiber von Alkoholgeschäften von Unbekannten getötet; 10 der 12 Opfer waren Jesiden.

Mandäer

Von den vor allem im Südirak lebenden Mandäern / Sabäern befinden sich von ehemals ca. 60.000 nur noch höchstens 5.000 Personen im Irak. Die Mandäer werden von radikal- islamistischen Kreisen als Ungläubige angesehen, gegen die Gewalt und Entführung - teilweise mit dem Ziel der Zwangsbekehrung - als legitim angesehen werden. Da sie traditionell oft als Goldschmiede arbeiten, sind sie häufig Opfer finanziell motivierter Entführungen mit z.T. tödlichem Ausgang. Zahlreiche Mitglieder der Glaubensgemeinschaft sind zudem von muslimischen Extremisten ermordet worden, ohne dass anschließend ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Auch sind sie Opfer von Alltagsdiskriminierung (z.B. kein Schulunterricht in der Muttersprache Aramäisch, Konvertierungsdruck von Seiten der muslimischen Mehrheit).

Schabak

Die Schabak sind eine heterodoxe Glaubensgemeinschaft aus dem nördlichen Irak, die heute ca. 100.000 Personen umfasst. Sie siedeln in Mossul und in Dörfern östlich der Stadt (Niniveh-Ebene). Sie sehen sich selbst meist als (schiitische) Kurden an. Auch die Schabak wurden wiederholt Opfer von gezielten Angriffen.

Jude

Nach dem Sturz der Diktatur hat sich für die jüdische Minderheit die Situation nicht verbessert. Heute soll es noch etwa 10 bis 20 Juden im Irak geben, die letzte jüdische Familie verließ Bagdad 2010.

Ausweichmöglichkeiten

Eine Binnenmigration ist vorbehaltlich der Sicherheitslage jedenfalls in größere Städte möglich. In ländlichen Regionen dürften Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Gegebenheiten der Aufnahmebereitschaft enge Grenzen setzen.

Innerirakische Migration in die Region Kurdistan-Irak ist möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird jedoch der Zuzug kontrolliert. Jeder irakische Staatsangehörige, der von außerhalb in die Region kommt, erhält an den Kontrollpunkten eine Besuchskarte. Wer nur als Reisender oder Tourist dort bleibt, gibt die Karte beim Verlassen des kurdischen Gebiets zurück. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss zur Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks gehen und sich anmelden. Die Anmeldung wird an die zentrale Asayish-Behörde beim Innenministerium geschickt, die prüft, ob Bedenken gegen die Niederlassung bestehen. Häufig wird eine Bürgschaft durch einen rechtmäßig in Kurdistan-Irak lebenden Residenten verlangt. Bestehen keine Bedenken gegen die Niederlassung, wird dem Zuziehenden eine Meldebescheinigung (in Kartenform) ausgestellt. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht.

Menschenrechtslage

Es kommt weiterhin verbreitet zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt nur schleppend voran. Das Menschenrechtsministerium hat nur eine sehr schwache Stellung innerhalb der Regierung.

Schutz der Menschenrechte in der Verfassung

In der Verfassung vom 15.10.2005 sind wichtige demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung verankert. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch soziale Teilhaberechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Allerdings stehen der Verwirklichung dieser Rechte schwerwiegende Hindernisse im Weg.

Irak hat alle wichtigen internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, ratifiziert (25.01.1971). Dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ist der Irak nicht beigetreten. Der Ministerrat hat im Dezember 2011 einen Nationalen Aktionsplan zum Schutz der Menschenrechte beschlossen, der 135 Empfehlungen des Menschenrechtsrats in einem Reformpaket aufgreifen soll. Nach Eigenangaben des Ministeriums für Menschenrechte wurden bis Ende 2012 33 der Empfehlungen vollständig und 99 teilweise umgesetzt.

Das Ministerium für Menschenrechte hat folgende Schwerpunktaufgaben:

Dokumentation und gerichtsmedizinische Bearbeitung der Massengräber, die Klärung von Eigentumsfragen und Entschädigung der Opfer des Baath-Regimes sowie die Sicherstellung der Geheimdienstunterlagen und sonstiger Dokumente, die Menschenrechtsverletzungen des Saddam-Regimes belegen. Damit wurde der Arbeitsschwerpunkt des Ministeriums klar auf die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen des ehemaligen Regimes gelegt, wohingegen Prävention und Aufklärung aktueller Vorgänge ins Hintertreffen geraten. Eine Ausnahme bildet dabei das Strafvollzugswesen. Das Ministerium verfügt insgesamt über ca. 230 Beschäftigte, ist aber aufgrund von Personal- und Budgetproblemen sowie aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage (wie weite Teile von Regierung und Verwaltung) in seinen Möglichkeiten eingeschränkt.

Die bereits in der irakischen Verfassung (Art. 102) vorgesehene Einrichtung einer unabhängigen MR-Kommission erfolgte im April 2012 mit der endgültigen Nominierung der 11 Kommissionsmitglieder durch das irakische Parlament. Zahlreiche administrative und logistische Probleme hindern die Kommission daran, sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. So hat sie sich bislang nicht auf die Wahl eines/einer Vorsitzenden verständigen können.

Folter

Folter und unmenschliche Behandlung werden von der irakischen Verfassung in Art. 37 ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die "Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman and Degrading Treatment or Punishment (CAT)" unterzeichnet.

Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit weit verbreitet von staatlichen Stellen eingesetzt. Es kommt immer wieder zu systematischer Anwendung von Folter bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdischer) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Ein Grund hierfür mag u.a. die mangelnde Ausbildung und daraus folgend fehlende Fähigkeit der ermittelnden Stellen sein, andere Beweismittel als Geständnisse sicherzustellen. Laut Informationen von UNAMI sollen u.a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den angewandten Praktiken gehören. Dafür bekannt sind Anstalten, die dem Innenministerium unterstehen, aber auch Polizei, bestimmte Teile der Armee sowie die Generaldirektion für Anti-Terror-Maßnahmen sollen Folter systematisch anwenden. Aus Gefängnissen des Justizministeriums wird hingegen nicht über Folter berichtet. Nach Angaben des Justizministeriums starben zwischen Juni und September 2012 34 Gefangene unter ungeklärten Umständen. Das Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben bisher 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz überwiesen, allerdings wurden Täter bislang faktisch nicht zur Rechenschaft gezogen.

Nach glaubwürdigen Berichten von Human Rights Watch kommt es in Gefängnissen der Asayish in der Region Kurdistan-Irak zur Anwendung von Folterpraktiken, z. B. durch Schläge mit Kabeln, Wasserschläuchen, Holzstöcken und Metallstangen, durch das Halten von Gefangenen in Stresspositionen über längere Zeiträume, tagelanges Fesseln und Verbinden der Augen sowie ausgedehnte Einzelhaft. Die Haftbedingungen sind insgesamt sehr schlecht. Allerdings sind Bemühungen der Kurdischen Regionalregierung erkennbar, die Haftbedingungen zu verbessern und systematische Folter abzustellen. Das Strafgefängnis in der nördlichen Stadt Dohuk wird von UNAMI und EU-JUSTLEX als für irakische Verhältnisse vorbildlich eingestuft. UNAMI berichtet von einem Fall in Kirkuk, in dem ein Richter klare Zeichen von Folter an einem dann Verstorbenen gesehen habe. Die Familie habe im Anschluss keinen Anwalt gefunden, der bereit gewesen wäre, sie zu vertreten.

Todesstrafe

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird gegenwärtig auch verhängt und vollstreckt. Irak ist weltweit eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen. Sie wurde von der ehemaligen Besatzungsbehörde kurzzeitig suspendiert, von der irakischen Interimsregierung aber am 08.08.2004 unter Verweis auf die

Ausnahmesituation in Irak wieder eingeführt

Die Todesstrafe kann u.a. bei Mord, bei Verdacht von staatsfeindlichen Aktivitäten, bei tödlichen Angriffen, bei Vergewaltigung und beim Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere bei terroristischen Aktivitäten verhängt werden.

Seit 2004 wurden geschätzt mehr als 1.000 Menschen hingerichtet, 2012 waren es 129 im Jahr 2013 bis Ende Mai insgesamt 50 Menschen. Nach Angaben des Justizministeriums warten 1.000 Menschen auf die Hinrichtung. Die Todesstrafe stößt in der - nichtsunnitischen-Bevölkerung auf breite Akzeptanz. Häufigste Hinrichtungsart ist der Tod durch den Strang. Die EU, Amnesty International und UNAMI kritisieren, dass ein Großteil der Prozesse, die zu Todesurteilen führen, nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht und es immer wieder zu durch Folter erzwungenen Geständnissen kommt. Folter und nachfolgende Verhängung der Todesstrafe gegen - meist sunnitische - Personen, die terroristischer Akte bezichtigt werden, stehen im Zentrum der Kritik der sunnitischen Massenproteste. Die Protestbewegung fordert insbesondere die Abschaffung einer gesetzlichen Bestimmung, die eine weite Reihe von Tatbeständen unter den Terrorismusbegriff fasst und dafür zwingend die Todesstrafe vorsieht.

In der Region Kurdistan-Irak wurde nach dem Fall des Regimes Saddam Hussein die Todesstrafe abgeschafft, später aber zur Bekämpfung des Terrorismus wieder eingeführt. Seit mehreren Jahren wird sie nicht mehr vollstreckt. Es gibt Überlegungen, sie gesetzlich abzuschaffen oder aber die bereits verhängten Todesurteile durch Amnestiegesetz oder Begnadigung in lebenslange Freiheitsstrafe umzuwandeln.

Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen

Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen. Eine festgenommene Person muss zwar innerhalb von 24 Stunden einem Richter vorgeführt werden, doch diese Frist wird nicht immer eingehalten. Sie wird teilweise bis auf über 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Rechtsbeistand wird nicht in allen Abschnitten des Verfahrens gewährleistet; Terrorverdächtige dürfen bis zur Anklageerhebung ohne Kontakt zur Außenwelt gehalten werden. Die meisten dieser Häftlinge sind Sunniten aus dem Zentral-, West- und Nordwestirak. UNAMI bemängelt, dass Untersuchungsgefangene nicht angemessen von anderen Häftlingen getrennt sind.

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert. Aktuell (Juni 2013) sind ca. 40.000 Menschen inhaftiert. Laut UNAMI sind Überfüllung der Haftanstalten sowie Missbrauch und Folter weit verbreitet. Auch der Umstand, dass die Haftanstalten unter der Verantwortung vier verschiedener Ministerien stehen, erschwert die Transparenz.

Alle Einrichtungen - auch die des Justizministeriums - leiden unter unzureichender Finanzmittelausstattung und einer veralteten Gebäudesubstanz. Das Justizministerium ist ernsthaft um Verbesserung der Haftbedingungen bemüht. Ein Reformplan sieht eine Spezialisierung der Gefängnisse je nach Strafmaß, eine Separierung von Untersuchungshäftlingen und Verurteilten sowie umfassende Renovierungsmaßnahmen vor.

Der parlamentarische Menschenrechtsausschuss teilte mit, dass mindestens 34 Gefangene allein zwischen Juli und September 2012 in Gefängnissen des Justizministeriums verstorben sind. Mitte Juni 2013 wurden die Leichen von vier Erwachsenen und einem Jugendlichen in Ninive aufgefunden, nachdem sie zuvor von den Sicherheitskräften festgenommen worden waren.

Das auf Völkerrecht basierende Mandat der UNAMI, irakische Haftanstalten zu besuchen, konnte nicht umfassend wahrgenommen werden, da irakische Behörden UNAMI den Zugang zu verschiedenen Haftanstalten in mehreren Fällen verwehrten. -Dies hat sich trotz Zusagen des irakischen Justiz- und Arbeitsministeriums nach Intervention von UNAMI bislang nicht gebessert. Das IKRK hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang. UNAMI beklagt, sie verfüge über glaubhafte Informationen, Gefangene würden regelmäßig vor UNAMI-Besuchen wegverlegt. Das IKRK hat dieses Problem nicht.

In den Haftanstalten der Region Kurdistan herrschen nach Informationen von UNAMI etwas bessere Bedingungen, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk. Zwei weitere Gefängnisse der Region wiesen hingegen starke Überbelegung und schlechte hygienische Bedingungen auf. Die Kurdische Regionalregierung ist um Verbesserung der Haftbedingungen und Bau neuer Gefängnisse bemüht. Auch die in den Vorjahren noch beklagte Länge der Untersuchungshaft konnte deutlich reduziert werden und entspricht nun im Wesentlichen den gesetzlichen Vorgaben. Dennoch seien auch hier schlechte Behandlung und ein Mangel an medizinischer Versorgung an der Tagesordnung. Im März 2012 starb in Sulaymaniya ein Untersuchungshäftling (wegen Korruption festgenommener Bürgermeister) nach wenigen Tagen. Die amtliche Untersuchung ergab Selbstmord durch Erhängen, was von den Familienangehörigen energisch bestritten wurde.

Lage ausländischer Flüchtlinge

Unter den ausländischen Flüchtlingen sind ca. 10.000 Palästinenser, ca. 10.000 Iraner kurdischer Abstammung und ca. 12.000 türkische Kurden. Ihren Status regelt das "Gesetz über politische Flüchtlinge", Nr. 51 (1971). Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien. Es gibt darüber hinaus Syrer und Sudanesen, die aus ihren Heimatländern wegen ihrer politischen Überzeugung geflohen sind. Die Situation dieser Gruppen ist schwierig, da sie dem Verdacht ausgesetzt sind, mit dem früheren Regime von Saddam Hussein kollaboriert zu haben.

Seit dem Ausbruch der Syrienkrise sind bis Juni 2013 bereits über 150.000 syrische Flüchtlinge im Irak eingetroffen, der Großteil in der Region Kurdistan (144.000). Aus Sicherheitsgründen (Angst vor Infiltration von Al-Qaida-Kämpfern) verweigern die irakischen Grenzbehörden allerdings syrischen Flüchtlingen spätestens seit Mai 2013 weitgehend die Einreise in den Irak. UNHCR beklagt die Beschränkung der Aufnahme von Flüchtlingen im Zentralirak und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge in den irakischen Lagern (in der Region Kurdistan erhalten die Flüchtlinge Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, sind nicht auf Verbleib im Flüchtlingslager beschränkt).

Die Lage der früher bevorzugt behandelten Palästinenser ist prekär. Ca. 2.000 Personen flohen aus ihren Bagdader Wohnbezirken, nachdem diese im Oktober 2006 von Milizionären angegriffen und fünf Personen getötet worden waren. Die im Irak verbliebenen Palästinenser haben teilweise kein Obdach. Nach US-Angaben haben die irakischen Behörden ca. 10.000 Palästinensern neue Aufenthaltstitel ausgestellt. Rund

2.300 Palästinenser werden in vier Lagern im irakischen Grenzgebiet zu Syrien und Jordanien vom UNHCR betreut. Palästinensische Flüchtlinge in Bagdad waren nach UNCHR-Angaben 2012 überdurchschnittlich häufig Ziel von Polizeirazzien, z.T. mit willkürlichen Festnahmen.

Mit der Annäherung zwischen Ankara und der Kurdischen Regionalregierung in Erbil haben sich die Perspektiven für die ca. 13.000 kurdischen Türken verbessert, die vor den jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen türkischer Armee und PKK aus dem Südosten der Türkei geflohen sind und z.T. schon seit zehn Jahren in Flüchtlingslagern im Nordirak in den Provinzen Erbil und Dohuk leben.

Die Zahl der Staatenlosen (sog. "Bidouns") wird vom UNHCR auf mehrere Zehntausende geschätzt. Es handelt sich überwiegend um Beduinen, die aus Kuwait und Saudi-Arabien stammen, sowie um Personen kurdischer und iranischer Abstammung. Mangels eines funktionierenden Melde- und Personenstandswesens können diese Zahlen aber erheblich von der Realität abweichen. Vereinzelte, unsystematische Berichte über Begegnungen mit Beduinen deuten darauf hin, dass sich ihr ärmlicher Lebensstil seit 2003 nicht merklich verändert hat.

Einen Sonderfall stellen ca. 3.200 oppositionelle Volksmudschaheddin ("Mudschahedin-e Kalkh") aus Iran mit ihren Angehörigen dar. Sie bewohnten bis 2012 "Camp Ashraf" bei Bakuba. Nachdem Saddam Hussein diese Gruppe im Krieg gegen Iran, aber auch gegen seine inneren Feinde wie die Kurden eingesetzt hatte, wurde sie 2003 von US-Streitkräften entwaffnet. Sie wurde von der Europäischen Union bis zum 26.01.2009 als terroristische Organisation eingestuft, in den USA sogar bis Oktober 2012.

Die USA haben am 20.02.2009 die Kontrolle über Camp Ashraf an irakische Sicherheitskräfte abgegeben. Die irakische Regierung hat am 25.12.2011 mit der VN-Mission UNAMI ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, das die freiwillige schrittweise Räumung des Camp Ashraf und die Umsiedlung der Bewohner nach "Camp Liberty/Camp Hurriya" (nahe des Bagdader Flughafens) regelt. UNHCR prüft dort den Flüchtlingsstatus der Volksmudschaheddin, um deren Rückkehr oder freiwillige Übersiedlung in Drittstaaten zu ermöglichen. Bis Juni 2013 wurden rund 3.100 Personen an den neuen Standort verlegt, etwa 100 befinden sich noch in Camp Ashraf. Parallel dazu bemüht sich UNAMI um die Vermittlung der Bewohner zur Aufnahme in Drittstaaten; bis zum 01. Juli 2013 waren 97 aus dem Irak ausgereist. Am 9. Februar und am 15. Juni 2013 gab es Mörsergranatenangriffe auf das Camp, bei denen mehrere Menschen ums Leben kamen.

Freiwillig nach Iran zurückgekehrte MKO-Mitglieder können Kontakt zum IKRK halten und haben bislang nicht von gezielten Verfolgungsmaßnahmen dort berichtet. Von iranischer Seite wurde die Aussage getroffen, dass bis auf weniger als 100 Personen alle MKO-Mitglieder im Irak begnadigt worden seien und es Ihnen daher freistehe, in den Iran zurückzukehren. Die genaue Anzahl und Namen der Fälle, die noch juristisch verfolgt werden, ist jedoch nicht bekannt. Es liegen auch keine Hinweise dafür vor, dass MKO-Mitglieder, die das Lager Ashraf verlassen haben, innerhalb des Irak gezielten Repressionen ausgesetzt sind.

Rückkehrfragen

Situation für Rückkehrerinnen und Rückkehrer

Der Flüchtlingsstrom aus dem Irak in die Nachbarländer ist stark zurückgegangen, auch wenn immer noch viele Iraker beabsichtigen, das Land zu verlassen. Die Flucht erfolgte vor allem aus der Süd- und Zentralregion (Bagdad). Hauptaufnahmeländer waren Syrien (nach früheren Schätzung der syrischen Regierung phasenweise ca. 1 bis 1,5 Millionen; belastbare Zahlen über evtl. Anschlussflucht aufgrund der Situation in Syrien liegen nicht vor) und Jordanien (bis zu 450.000) sowie in geringerem Umfang Iran (rd. 48.000), Ägypten (6.600), Libanon (50.000) und andere Golfstaaten. Zudem gibt es ca. 1,2 Millionen Binnenvertriebene. Ehemals heterogene Wohngebiete sind - teilweise auch durch Vertreibung - ethnisch entmischt.

Auf niedrigem Niveau ist eine freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge zu beobachten. Nur die in den achtziger und neunziger Jahren geflohenen irakischen Kurden kehren in nennenswertem Maße in die Region Kurdistan-Irak zurück. Sie ist auch unverändert Ziel von Binnenflüchtlingen. Im restlichen Irak kann trotz der Verbesserung der Sicherheitslage in einigen Landesteilen sowie angeblicher finanzieller Anreize zur Rückkehr durch die Regierung bisher nicht von einer "Rückkehrwelle" gesprochen werden. Diejenigen, die zurückkehren, können meist nicht in ihre ethnisch entmischten Viertel zurück und verlassen die Aufnahmestaaten eher aus wirtschaftlicher Not. Als Folge sollen nach Angaben des UNHCR ca. 450.000 Personen landesweit illegal in Behelfs-Unterkünften Zuflucht gefunden haben; da ihr Status von der Regierung nur geduldet wird, leben sie in einer prekären Lage. Oftmals wird ihnen aufgrund fehlender Registrierung der Zugang zu staatlichen Grundversorgungsleistungen verwehrt oder zumindest erschwert.Zwischen Juli 2012 und 2013 sollen ca. 7.100 irakische Familien freiwillig aus Syrien heimgekehrt sein. Zu Unterstützungsleistungen der irakischen Regierung gibt es keine belastbaren Angaben. Während der UNHCR von Leistungen von einer Mio. irakischer Dinar (ca. 580 €) pro Rückkehrer spricht, berichten andere internationale Organisationen, dass derartige Reintegrationshilfen nicht bei den Betroffenen ankämen bzw. nur sehr einschränkt gezahlt würden.

Grundversorgung

Irak besitzt kaum eigene Industrien. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Ca. 10 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Wirtschaftsentwicklung wie auch wirtschaftspolitische Überlegungen sind seit Kriegsende geprägt durch umfassende Wiederaufbauanstrengungen, die angesichts der schwerfälligen Bürokratie und der Sicherheitslage allerdings nur schleppend voranschreiten. 30 % bis 40 % der internationalen Wiederaufbaumittel müssen für Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben werden.

Etwa 90 % der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist dringend sanierungsbedürftig. Substanzielle Teile der bisherigen in Milliardenhöhe zur Sanierung aufgewendeten Mittel sollen ohne sichtbare Verbesserungen der Produktionsleistungen versickert sein.

Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Über 1,5 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung. Viele Iraker leiden unter ausbleibenden bzw. niedrigen Einkommen und der hohen Arbeitslosigkeit (nach Angaben des irakischen Sozialministeriums ca. 16 %). Nach Einschätzung der Weltbank ist seit 2003 ein deutlicher Anstieg der Armut zu verzeichnen. Irakischen Regierungsstellen zufolge ist diese allerdings in den jüngsten Jahren zurückgegangen, es leben aber immer noch 23 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Nach Angaben des UN-Programms "Habitat" gleichen die Lebensbedingungen von 57 % der städtischen Bevölkerung im Irak denen von "Slums". Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. UNAMI teilte im Juni 2013 mit, dass vier Millionen Iraker unterernährt sind und viele Kinder deswegen unter Wachstumsstörungen leiden.

Die Stromversorgung hat sich seit 2003 verschlechtert. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung häufig unterbrochen. Während der restlichen Zeit sind die Iraker auf Strom aus privaten Generatoren angewiesen. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig (bis zu 60 % Ausgaben nur für Diesel zur Stromerzeugung). In der Region Kurdistan wurde die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke deutlich verbessert auf heute im Durchschnitt 20 Stunden pro Tag.

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen und ist ebenfalls kritisch. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung, aber auch die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügen heute nur ca. 50 % der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser.

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Zwar beträgt das Budget für das Gesundheitswesen inzwischen 10 % des nationalen Haushalts. Es mangelt aber, wie fast überall, an der raschen Umsetzung geplanter Investitionen, hinzu kommt die hohe Korruption. Viele Krankenhäuser sind nur mangelhaft mit Energie und Trinkwasser versorgt und leiden unter unzureichenden hygienischen Bedingungen, auch weil sie keinen geregelten Zugang zur Abwasser- und Müllentsorgung haben.

Behandlung zurückgeführter Iraker

Aus der Befragung von Rückkehren ergibt sich ein uneinheitliches und fragmentiertes Bild. Danach ist die Sicherheit von Rückkehrern von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Darauf stellen auch die "Richtlinien zur Feststellung des inter- nationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak" des UNHCR vom Mai 2012 ab.

Während Rückführungen (illegaler Ausländer oder Straftäter nach Verbüßung ihrer Strafe) in die Region Kurdistan auch von Deutschland aus regelmäßig stattfinden, werden Abschiebungen nach Zentralirak aus Deutschland gar nicht und von anderen Staaten sehr verhalten durchgeführt. Die irakische Regierung hat anlässlich der Rückführungsverhandlungen mit den Niederlanden im September 2012 betont, dass sie grundsätzlich die zwangsweise Abschiebung seiner Staatsangehörigen ablehne. Der irakische Botschafter in Deutschland bekräftigte diese Haltung bei einem Treffen mit Vertretern des AA im Oktober 2013. Andererseits führen z.B. Schweden, Großbritannien und Australien vereinzelt Abschiebungen durch und planen dies auch für die Zukunft. Gleichzeitig wollen sie gemeinsam mit anderen gleichgesinnten Staaten ("Brussels Group", dazu zählt auch Deutschland) durch Ansprache hochrangiger irakischen Regierungsvertretern eine größere Offenheit der irakischen Seite für Rückführungen erreichen.

Einreisekontrollen

Irakische Reisepässe, die nach dem 17.06.1999 abgelaufen sind, bleiben zur Rückkehr in den Irak gültig. Die Regierung erkennt die vom alten Regime für ungültig erklärten Pässe der Serie H im Rahmen ihrer Gültigkeitsdaten an. Pässe der Serie M werden seit 01.01.2007 nicht mehr anerkannt, Pässe der Serie N sind seit 01.01.2008 nicht mehr gültig. Es sind vereinzelt noch Pässe der Serie S, die mittlerweile von den EU-Staaten, Jordanien und den USA nicht mehr anerkannt werden, im Umlauf. Von 2006 bis 2009 gab die Regierung Pässe der Serie G aus, seit dem 01.10.2010 werden nur noch Pässe der Serie A ausgestellt. Die Pässe der alten Serie G behalten ihre Gültigkeit. Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D-Barcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen, v.a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden, was eine deutliche Verbesserung zur vorherigen Praxis darstellt. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, Pässe vor Ort auszustellen.

An den Grenzen zu den Nachbarstaaten Iraks haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden.

Die Türkei erkennt grundsätzlich jedes Dokument, das zur Einreise in die Türkei berechtigt, auch für den Transit nach Irak an. Voraussetzung dafür ist aber ein gültiges Transitvisum, auch für Passersatzdokumente. Die türkische Regierung steht organisierten Rückführungsaktionen von irakischen Staatsangehörigen nach Irak via Türkei gegenwärtig ablehnend gegenüber. Personen, die aus EU-Mitgliedstaaten in die Türkei eingereist sind und in ihren Reisedokumenten, z.B. in Flüchtlingsausweisen, Vermerke wie "nicht gültig für Irak" tragen, wird die Ausreise aus der Türkei Richtung Irak nicht gestattet. Im Übrigen ist die Einreise nach Irak aus der Türkei (Grenze zur Region Kurdistan bei Zakho) grundsätzlich mit allen gültigen Reisedokumenten möglich, sofern an das kurdische Grenzpersonal eine "Verwaltungsgebühr" (ca. 50 US-Dollar) bezahlt wird. Es gibt Berichte, dass der Grenzübertritt an der türkisch-irakischen Grenze bei Ibrahim Khalil insbesondere auf irakischer Seite bisweilen willkürlich gehandhabt wird.

EU-Staatsangehörige können für einen Zeitraum bis zu 15 Tagen ohne Visum in die Region Kurdistan-Irak einreisen (mit Möglichkeit der Verlängerung vor Ort).

Bei Einreise aus Iran haben die irakisch-kurdischen Grenzbehörden Inhabern von nicht für den Irak gültigen Reisedokumenten noch im Jahr 2007 einmalige Reisedokumente ausgestellt. Fälle neueren Datums sind nicht bekannt.

Abschiebewege

Es gibt inzwischen regelmäßige Linienflüge wichtiger Luftfahrtgesellschaften, u.a. aus Europa und Staaten des Nahen Ostens, nach Bagdad (Royal Jordanian, Middle East Airlines, Turkish Airlines) sowie nach Erbil (Lufthansa, Austrian Airlines, Turkish Airlines, Air Berlin) und Sulaymaniya (Air Berlin).

In Amman kann man zudem Taxen anmieten, die nach Bagdad fahren. Die Autobahn führt vorbei an den irakischen Städten Ramadi und Falludscha. Diese Route gilt allerdings nach wie vor als besonders gefährlich, es kommt noch immer zu Überfällen und Tötungen.

Mitunter kehren Iraker mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration (IOM) aus Deutschland über Amman freiwillig in den Irak zurück. Dies wird nach Angaben der IOM von der jordanischen Regierung unterstützt. Zudem werden in geringem Umfang straffällig gewordene Iraker, die aus den kurdischen Gebieten stammen und dort noch Familie haben, aus Deutschland dorthin zurückgeführt.

Die Rückkehr über Syrien ist wegen des dortigen Bürgerkriegs nicht zumutbar, die Landgrenzen sind nur teilweise geöffnet.

Über Kuwait sind irakische Staatsangehörige nur in sehr geringer Zahl in den Irak eingereist. Dabei nutzen sie in der Regel den Landweg über den Grenzposten zwischen Kuwait und Irak Richtung Basra. Sie müssen hierbei ein militärisches Sperrgebiet durchfahren; dazu ist eine Sondergenehmigung der kuwaitischen Regierung erforderlich. Die Grenze zwischen Irak und Kuwait ist ansonsten vollständig abgeriegelt. Kuwait schließt weiterhin aus, bei möglichen Rückführungen aus Deutschland behilflich zu sein. Die Möglichkeit der Rückkehr für Iraker aus westlichen Ländern über Saudi-Arabien ist derzeit ausgeschlossen. Die Grenze zwischen Saudi-Arabien und Irak (z.B. Grenzübergang Arar) ist geschlossen. Saudi-Arabien plant den Bau eines Grenzzauns.

Sonstige Erkenntnisse über asyl- und abschieberechtlich relevante Vorgänge

Echtheit der Dokumente / Zugang zu gefälschten Dokumenten

Bei Dokumenten aus dem Irak sind häufig Zweifel angebracht. Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Überbeglaubigungsstempel des Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden. Es werden keine Legalisationen durch die Deutsche Botschaft Bagdad oder das Generalkonsulat Erbil vorgenommen. Inhaltliche Urkundenüberprüfungen durch die Botschaft oder GK Erbil sind nur sehr eingeschränkt möglich; die irakischen Behörden leisten kaum Amtshilfe. Die von der Botschaft Bagdad durchgeführte Prüfung der formellen Echtheit durch Inaugenscheinnahme irakischer Urkunden im Amtshilfeverfahren für deutsche Behörden wurde zu Februar 2013 eingestellt; nunmehr können gerichtsfeste Urkundenüberprüfungen ausschließlich durch das zuständige LKA oder die Bundespolizei erfolgen.

Zustellungen

Die Deutsche Botschaft in Bagdad ist aufgrund der Sicherheitslage nur eingeschränkt tätig, ebenso ist die Tätigkeit des Generalkonsulats Erbil begrenzt. Zustellungen durch die Botschaft oder das Generalkonsulat können nur im Wege der persönlichen Aushändigung bewirkt werden. Hierzu muss eine Mobiltelefonnummer/E-Mailadresse des Zustellungsempfängers vorliegen und dieser muss zur Abholung bereit sein. In Fällen, in denen eine formlose dokumentierte Zustellung gewünscht wird und die genaue Anschrift des Empfängers bekannt ist, kann eine Zustellung auch durch DHL oder FedEx direkt von Deutschland aus erfolgen.

Feststellung der Staatsangehörigkeit

Art. 18 der Verfassung enthält Bestimmungen zur Staatsangehörigkeit. Gesetz Nr. 26 vom

07.03.2006 (Staatsangehörigkeitsgesetz) enthält folgende Regelungen:

(Art. 18 Abs. 1 der Verfassung);

Staatsangehörigkeit angenommen hat, kann auf Antrag wieder eingebürgert werden (Art. 18

Abs. 3 lit. a der Verfassung i.V.m. Artikel 10 Absatz 3 des irakischen Staatsangehörig- keitsgesetzes);

Die Staatsangehörigkeit kann durch die irakischen Auslandsvertretungen festgestellt werden. Über die Gründlichkeit der Prüfung liegen keine Erkenntnisse vor.

Ausreisekontrolle und Ausreisewege

Eine Kontrolle der eigenen Staatsangehörigen findet bei der Ausreise statt. Fälschungen werden nur selten erkannt (in der Region Kurdistan-Irak zunehmend häufiger). Es besteht bisher keine Möglichkeit für irakische Grenzbeamte, auf eine zentrale Datenbank ausgestellter Reisepässe zurückzugreifen. Erkenntnisse zu spezifischen Ausreisewegen potenzieller Asylbewerber liegen nicht vor. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren.

Quelle: Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 07.10.2013

Die Sicherheitslage im Irak hat sich in den letzten Monaten aufgrund der Großoffensive der sunnitischen Organisation Islamic State of Iraq and the Levant (ISIL) dramatisch verschlechtert.

II.2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt, der niederschriftlichen Angaben der bP, des verwaltungsbehördlichen Bescheides, der dagegen erhobenen Beschwerde sowie der Erörterung der aktuellen Lageentwicklung im Irak anhand vorliegender Länderdokumentationsunterlagen.

II.2.1. Verfahrensgang

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesasylamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes.

II.2.2. zu den Feststellungen betreffend die Person bP

Die Feststellungen zur Person der bP ergeben sich aus den in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben.

II.2.3. zum Vorbringen der bP

Dem angefochtenen Bescheid ist ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch das Bundesasylamt vorangegangen. Für eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den in § 39 Abs. 2 und § 45 Abs. 2 AVG normierten Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung und der Erforschung der materiellen Wahrheit entsprochen.

So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht durch detaillierte Befragung sowie Belehrung über die Mitwirkungspflichten nachgekommen. Es muss berücksichtigt werden, dass dieser Ermittlungspflicht stets auch die Verpflichtung des Antragstellers gegenüber steht, an der Feststellung des verfahrensrelevanten Sachverhaltes mitzuwirken.

Insofern in der Beschwerde moniert wird, dass die belangte Behörde in der von ihr als nachvollziehbar angesehenen Bedrohungslage nur ein Abschiebehindernis aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage gesehen habe, ist auf die Feststellungen zu verweisen, dass seitens der Behörde lediglich die Schwierigkeiten mit der Familie als glaubhaft angesehen wurden, nicht jedoch die in der Beschwerde ohne Bezug auf die konkrete Situation in den Raum gestellten, allgemein gehaltenen, vermeintlichen Gefährdungen durch sogenannte "Ehrverletzungen".

II.2.4. zur Lage im Irak

Die allgemeinen Feststellungen resultieren aus den erhobenen Fakten aufgrund vorliegender Länderdokumentationsunterlagen bzw. ist die derzeit schlechte Sicherheitslage aufgrund der ISIL bekannt. Die Länderfeststellungen basieren auf mannigfaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Die bP trat auch den Quellen und deren Kernaussagen nicht konkret und substantiiert entgegen.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Zuständigkeit, Verfahrensbestimmungen

Gem. § 75 Abs. 19 AsylG sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A)

II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

II.3.2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

II.3.2.2. Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag der bP inhaltlich zu prüfen ist.

Die bP hat eine Verfolgung durch nichtstaatliche Organe, nämlich durch ihre Familie geltend gemacht. Das BAA geht in seiner rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen davon aus, dass die von Privatpersonen betreffend die bP ausgehenden Gefahren nicht auf den in der GFK genannten Gründen basieren, weshalb sie sich nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft eignen würden. Der Beschwerde ist insofern zuzustimmen, als dass eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung nach ständiger Rechtsprechung nicht nur dann vorliegt, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern unter Umständen auch dann gegeben sein kann, wenn der Staat nicht gewillt oder fähig ist, von "Privatpersonen" ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter im Sinne der GFK zu unterbinden. Die bP verkennt jedoch, dass auch in diesem Falle der Gefahr, Bedrohung bzw. Verfolgung Asylrelevanz zukommen muss, somit unter anderem auch die Kriterien "ausreichende Intensität" sowie "wohlbegründete Furcht" erfüllt sein müssen.

Den niederschriftlichen Einvernahmen kann nur an einer Stelle konkret entnommen werden, dass die bP im Jahr 2005 durch ihre Familie - und zwar durch einen ihrer Brüder - verletzt (durch Ausdämpfen von Zigaretten am Arm) und mit dem Tode ("wenn du so weitermachst, werde ich dich töten") bedroht worden ist; bei sämtlichen sonstigen in den Vernehmungen vorgebrachten Todesdrohungen handelt es sich um abstrakt in den Raum gestellte - ohne Verknüpfung zu einem konkreten Vorfall - Befürchtungen der bP. Nach diesem Vorfall im Jahr 2005 wurde die bP laut eigenen Angaben bis zu ihrer Ausreise aus dem Irak im Jahr 2010 weder tätlich angegriffen noch bedroht. Als ausreisekausal wurde ein Anruf des Onkels ihres Gatten bezeichnet, der ihrem Gatten zur Flucht riet, da ihre eigene Familie nunmehr ihren Aufenthaltsort kennen würde.

Angesichts dieser Ausführungen ist unter Hinweis auf das Verstreichen eines fünfjährigen ereignislos verlaufenden Zeitraumes von einer "wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung" im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht auszugehen, zumal sich insbesondere auch die ins Treffen geführten Todesdrohungen bei näherem Hinsehen als Befürchtungen der bP ohne real existierenden Anknüpfungspunkt darstellen. Eine Furcht kann im Sinne der oben angeführten Judikatur aber nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Die in der Beschwerde unter Hinweis auf diverse Länderberichte apodiktisch aufgestellte Behauptung, der bP "drohe gezielte Verfolgung in Form von Ehrenmorden seitens der männlichen Familienmitglieder", vermag diese von der Rechtsprechung geforderte Nachvollziehbarkeit angesichts des nicht einmal ansatzweise hergestellten sachbezogenen Konnex zur konkreten Situation der bP keinesfalls aufzuzeigen. Die Verfolgung muss nämlich laut Rechtsprechung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die der bP im Jahr 2005 von ihrem Bruder zugefügte (Brand)Verletzung bzw. die einmalige mit einem konkreten Sachverhalt verbundene Drohung, "wenn du so weitermachst, werde ich dich töten", mag wohl unangenehm gewesen sein, das von der Genfer Flüchtlingskonvention geforderte Ausmaß einer Verfolgung wurde hierdurch allerdings nicht erzielt. In weiterer Folge ist daher auch der hier zu interessierenden Bedrohung zum Ausreisezeitpunkt mangels Vorliegen jedweder Verfolgungshandlung im Jahr 2010 sowie der vergangenheitsbezogenen Betrachtung die "asylrechtlich relevante Intensität" abzusprechen.

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, das bedeutet, sie muss zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen. Längere Zeit zurückliegende Ereignisse können nach ständiger Judikatur nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn sich die bP durchgehend bis zu ihrer Ausreise in einem Zustand wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung befunden hat (z.B. VwGH vom 07.11.1995, 95/20/0025, VwGH vom 10.10.1996, 95/20/0150). Wie oben ausgeführt, war dies jedoch nicht der Fall. Die bP lebte mit ihrem Gatten, der im Supermarkt eines Kurden arbeitete, fünf Jahr lang offen in XXXX; während dieser Zeit kam es zu keinen Vorfällen. In der Beschwerde wurde zwar versucht, Ausreisekausalität geltend zu machen, die unkonkrete und oberflächliche Behauptung "es habe konkrete Anhaltspunkte gegeben, dass die Familie vom Aufenthaltsort Kenntnis erlangt habe" vermag angesichts der eigenen Ausführungen der bP in den Vernehmungen (AS 67), wonach es bis zu ihrer Ausreise keine Hinweise gegeben habe, nicht zu überzeugen. Insoweit mit dieser Behauptung der Telefonanruf des Onkels ihres Gatten gemeint gewesen sein sollte, so ist auf die obigen Ausführungen betreffend "wohlbegründete Furcht" in Verbindung mit dem Umstand, dass der ältere kranke Sohn des Paares nach deren Flucht in der Obhut der Tante des Gatten in XXXX verblieb, zu verweisen.

In Anbetracht der somit bereits zum Ausreisezeitunkt nicht nachvollziehbaren und damit nicht wohlbegründeten Furcht ist eine aktuelle Verfolgungsgefahr auch im Entscheidungszeitpunkt aufgrund der weiter verstrichenen Zeit jedenfalls zu verneinen.

II.3.2.3 Vollständigkeitshalber wird auf die in der Beschwerde angesprochene Schutzfähigkeit und -willigkeit des Staates kurz eingegangen, wobei zu betonen ist, dass eine asylrelevante Verfolgung - wie oben dargelegt - nicht anzunehmen ist.

An der Schutzfähigkeit würde es dann mangeln, wenn nicht mit ausreichenden Chancen einer "präventiven Verhinderung" der von dritter Seite ausgehenden Verfolgung seitens staatlicher Stellen gerechnet werden kann (vgl. hiezu etwa VwGH 30.06.2005, Zahl 2002/20/0205; VwGH 01.09.2005, Zahl 2005/20/0357; VwGH 17.10.2006, Zahl 2006/20/0120).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss - im Falle der Annahme einer Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure - staatlicher Schutz gegen die betreffenden Übergriffe gesucht worden sein oder ein solcher Versuch von vornherein aussichtslos sein (VwGH 9.9.1993, 93/01/0338; 26.11.1993, 93/01/0108). Nach der Judikatur des EGMR, H.L.R gegen Frankreich, Urteil vom 29.4.1997, ist es in erster Linie Aufgabe des Antragstellers, konkret darzustellen bzw. glaubhaft zu machen, dass die staatlichen Autoritäten nicht in der Lage sind, ausreichend vor solchen Gefahren zu schützen. Die Verpflichtung der Behörde zur amtswegigen Ermittlungspflicht geht nicht so weit, dass sie in jeder denkbaren Richtung Ermittlungen durchzuführen hätte, sondern sie besteht nur insoweit, als konkrete Anhaltspunkte aus den Akten, etwa das Vorbringen der Partei (VwSlg 13.227 A/1990) dazu Veranlassung geben (VwGH 4.4.2002, 2002/08/0221).

Vorliegend sind dem Vorbringen der bP vor dem BAA keine konkreten Hinweise zu entnehmen, dass im gegenständlichen Fall keine ausreichenden Schutzmechanismen der zuständigen staatlichen Behörden vorhanden waren, um den Eintritt eines von ihr für möglich gehaltenen Erfolges mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht zuzulassen. Die bP hat auch gar nicht versucht, sich an die Behörden zu wenden und kann daher - ohne konkretes Vorbringen - eine Schutzunfähigkeit bzw. - unwilligkeit der Behörden nicht angenommen werden. Wenn nun in der Beschwerde erstmalig angeführt wird, dass sich der Gatte der bP in XXXX an die Polizei gewandt habe, aber keinen Schutz gefunden hätte, so ist darauf hinzuweisen, dass sich die hier zu beurteilende ausreiserelevante Gefahrensituation auf XXXX zu beziehen hat.

II.3.2.4 Ein Eingehen auf die in der Beschwerde angesprochene Problematik Ehrverletzung sowie drohende politische, religiöse Verfolgung bzw. Verfolgung aufgrund Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erübrigt sich angesichts der der Gefahr, Bedrohung bzw. Verfolgung fehlenden "Intensität" bzw. "wohlbegründeter Furcht" bzw. mangels Aktualität.

II.3.2.5 Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert.

Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor; da keinem anderen Familienmitglied der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen war, kommt auch eine Zuerkennung aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

II.3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die im Erkenntnis angeführte Judikatur ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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